Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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17.
Die Bettlerhochzeit.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Ich reiste von der Stadt des ElmansurBagdad, erbaut von Elmansur, dem zweiten Kalifen vom Hause Abbas. – nach dem Gefilde von Sur; – und nachdem mich hier gehabt ein Wohlhabender – und gelabt ein Gastlabender, – Reichbegabter, Gleichbegabender: – hatt' ich nicht Lust an längerer Weilung, – sondern sehnte mich nach KahirasKairo in Ägypten. Die gute Strecke von Bagdad hervor bis Tyrus, und von da hinab bis Kairo, ist nur ein Spaziergang für die arabische Wanderlust des Erzählers. Ereilung, – wie sich ein Kranker sehnt nach der Heilung; – oder wie ein Freigebiger nach Spendeverteilung. – Als ich nun abgeworfen hatte, was mich gesäumt, – und, was mich aufhielt, aus dem Wege geräumt, – dann meine Sohle als Reittier gezäumt; – eilt' ich durch Busch und Strauß – mit schnellem Husch wie ein Strauß. – Und als ich mit der Zeit und mit der Schwiele – war gelangt zu meinem Reiseziele, – erquickt' ich mich daran, wie am Frührot ein Nachtverirrter, – oder am Frührausch ein Sinnverwirrter. – Während ich nun dort schon weilte länger – und einst mich umtrieb im Getümmel der Straßendränger, – unter mir einen stattlichen Paßgänger; – erblickt' ich auf schönen Stumpfschwänzen – einen Reiterzug, schimmernd gleich Sternetänzen. – Da fragt' ich, begierig auf eine Vergnügung – das Volk nach dem Aufzug und dem Ort der Verfügung. – Man sprach: Es sind geladene Zeugen des Tags, – die sich begeben nach dem Ort eines Heiratsvertrags – und Hochzeitsgelags. – Da trieb es mich, ihnen nachzureiten, – um miteinzunehmen des Festes Süßigkeiten. – Und wir gelangten nach einem langen und schweren Traben – hinaus zu einem Schlosse mit Wall und Graben, – hoch und erhaben, – das Macht und Reichtum schienen erbaut zu haben. – Als jene nun gestiegen vom Rosse – und eingegangen waren zum Schlosse, – und ich im Begriffe stand nachzugehn, – wollt' ich mir doch erst den Eingang besehn: – den fand ich, in seltner Verzierung – und wunderbarer Staffierung, – von zerrissenen Mänteln umfangen – und von Bettelsäcken umhangen. – Mich machte stutzen des Buches Titel, – und ich sah kein Mittel, – mir zu erklären die Säck' und die Kittel; – bis daß ich dahinter einen Mann gewahrt, – der dasaß nach Pförtnerart; – zu dem trat ich mit meinem Anliegen frei – und beschwor ihn bei dem, der den Vogel erschafft im Ei, – mir zu sagen, wer der Herr des Hauses sei? – Er sprach: Der Herr ist ungenannt – und der Gebieter ungekannt; – das Haus ist der Port der unbehausten Hausierer, – der Ruhort der pausierenden Hantierer. – Da sprach ich bei mir, wir stehn in Gottes Hand – auch im schlimmen Stand, – an des Abgrunds Rand. – Dann gedacht' ich, dem Unheil auszuweichen – und das Feld zu räumen vor den üblen Zeichen; – doch es schien mir schimpflich die Umkehr vor den Schwellen – und mißlich die Rückkehr ohne Gesellen: – und ich ging, doch es ward mir sauer, – ins Hans wie der Vogel ins Bauer. – Siehe, da war drinnen geschmückt ein Saal, – wie ein Frühlingsthal, – hell wie vom Paradies ein Strahl, – von Vorhängen bunt umzirket, – von Tapeten reich umwirket, – Polster umhergespreitet – und Thronsessel bereitet. – Aber hereingewandelt kam – nun der Bräutigam; – in wallenden Gewanden, – Aufwärter zu seinen Handen; – er sah sich um – und siegprangte stumm: – so schritt er zu seinem Sitz, und da saß er – als wie ein Sohn der Königin Himmelswasser;Himmelswasser ist der, höchste Schönheit bezeichnende, Zuname der Mutter des älteren Mundher, Königs von Hira. – gegenüber aber, ihn zu beaugenscheinigen, – saß der Brautvater mit den Seinigen – und ringsumher mit Gepränge – aller Zeugen Gedränge. – Da rief vom Bräutigam und seinem Haus – ein Herold ans: – »Beim Frieden Sassans,Hier sehen wir nun den glänzenden Verein dieser weltbürgerlichen Freileute, unter ihrem derzeitigen Oberhaupt oder Scheich bei einer feierlichen Gelegenheit versammelt, und zwar in Kairo, wo, nach den Reisebeschreibern, die Diebe wirklich ihren eigenen Vorsteher haben, an den man sich um Zurückgabe des Gestohlenen wenden kann; eine Einrichtung, die aber nicht von islamischer Barbarei, sondern von altägyptischer Kasteneinteilung herzuleiten sein möchte, denn Diodor (I, 91) berichtet schon dasselbe. des Gründers unseres Grundes, – des Bünders unseres Bundes! – An dieser Statt, der gefreiten, – und an diesem Tag, dem geweihten, – hier vorm Antlitz der freien Wanderer, – soll unsre Brautwerbung thun kein anderer, – als der Scheich, der da gereist und gekreist – und im edlen Beruf ist ergreist.« – Der Antrag gefiel den Brautverwandten, – und sie bewilligten Eintritt dem hohen Ungenannten. – Da schritt mit Preis – herein ein Greis, – dem gebogen hatten den Stamm die Jahre – und die Tage mit Blüten bestreut die Haare, – der trug den Stab majestätisch – und die Tasche gravitätisch; – und die Gemeinde jauchzte ihm entgegen – und drängte sich, zu empfangen seinen Segen. – Als er nun sich gesetzt auf seinen Thron – und vor seinem Ernste verstummt war der Jubelton, – legt' er die Hand an den Kober, – und die Stimm' erhob er: – Gepriesen sei Gott, der Geber, der Schenker, – der Gefallnen Heber, der Verirrten Lenker, – der Erhörer der Bettler und Beter, – der Unvertretnen Vertreter, – der Zertretnen Hilf' und der Schrecken der Übertreter; – der erleuchtet die schwächlich Sehenden – und leitet die gebrechlich Gehenden; – der eingesetzt hat den AlmosenzehentenDie gesetzlich bestimmte Abgabe jedes Moslems von seinem Vermögen zum Besten der Armen, deren sich der Koran überall aufs nachdrücklichste gegen die Reichen annimmt; woraus denn hier unsre Leute ihr eigenes Rechtsprinzip ableiten. Die ganze obige Rede aber ist ein Gewebe von Anspielungen auf – oder Anwendungen von – Stellen des Korans und der Überlieferung.– und verboten, abzuweisen den Flehenden; – der ermahnt hat, den Lahmen und den Krummen kein Haar zu krümmen – und zu speisen den Stummen und den Ungestümen. – Er hat seinen Knechten, den gerechten, – in seinem Buche, dem echten, – gesagt, und er ist für die Fragenden – der Wahrste der Wahrheitsagenden: – »Heil denen, die einen Teil ihrer Habe verwandten – für die verstoßnen heimatlosen Verbannten.« – Ich preis' ihn für der Güter verliehenen Nießbrauch – und bitt' ihn, abzuwenden den Mißbrauch; – ich fleh' ihn, zu behüten vor dem Fehltritte – und zu bewahren vor der Fehlbitte, – und bezeuge, daß kein Gott ist als er, – und keiner mehr, – ein Gott, der belohnt die Almosenspendenden – und beschämt die ihr Antlitz Wendenden, – die mit leerer Hand Entsendenden; – der verpönt hat Zins und Wucher – und erlaubt das Gewerbe der Wohlthatensucher. – Ich bezeuge, daß Mohammed ist sein werter Bot', – in die Welt gesandt wie das Morgenrot, – um die Finsternis durch das Licht zu scheuchen – und den Armen zu helfen gegen die Reichen. – Er war (Gott sei ihm gnädig) den Dürftigen mild – und der Unterdrückten Schild; – er hat die Güter der Begüterten besteuert – und der Not der Notleidenden gesteuert. – Gott stell' ihn höher als die Höchsten – und näher dem Thron als die Nächsten! – Ihn speisen des Paradieses Äste, – wie er einst gespeist aufs beste – die Leute der Soffas, des Islams Gäste.Die Leute des Soffas sind die armen und verbindungslosen Fremdlinge, die sich in den ersten Zeiten des Islams an Mohammed in Medina anschlossen, und denen er ihren Unterhalt zukommen ließ, zum Teil aus dem vorerwähnten Almosenzehnten und den eingehenden Geschenken, zum Teil dadurch, daß er mehr oder weniger von ihnen seinen einzelnen reicheren Gefährten wechselweise auf die Verpflegung für einen Tag zuwies. Sie haben ihre Namen vom Soffa, einem Gerüst oder Flechtwerk aus Palmzweigen, das der Prophet in der Moschee ihnen zur Wohn- und Schlafstelle einrichtete. – Nun aber, Gott der höchste hat die Ehe eingesetzt zu einer Zucht – und Heiles Frucht, – als Mittel zu des bösen Triebes Gewältigung – und als Weg zu eurer Vervielfältigung. – Er sagt: O ihr Menschen, wir haben euch geschaffen Mann und Weib, damit ihr einander überkleidet,Ein Koranausdruck zur bildlichen Bezeichnung der innigsten Lebensgemeinschaft zwischen beiden Gatten. – und haben euch gemacht zu Stämmen und Geschlechtern, auf daß ihr euch voneinander unterscheidet. – Hier nun ist Abu Derradsch, – Welladsch Ben Cherradsch, – Fänger, Sohn des Gängers, – Sohnes des Drängers; – Herr vom unverschämten Gesicht, – Habegern von Fürchtenicht, – der preisliche, freisliche, – unabweisliche, unabspeisliche, – mit allen Wassern gewaschen – und Meister von allen Taschen; – der begehrt die Zierde ihres Stamms, – die Begierde ihres Bräutigams, – die Kambas, – Bint Ebi Ambas, – Krauselind, – Tochter von Brausewind, – wegen dessen, was er vernommen von ihrer Übsamkeit – und unbetrübsamen Betriebsamkeit, – von ihrer Abrüchtigkeit, – Gabsüchtigkeit und Trabflüchtigkeit; – und bestimmt ihr zum Mahlschatz einen Rock und eine Tasche – einen Stock und eine Flasche. – So gewähret denn dem Freier, der freit nach seinem Stand, – und verschlinget dem seinigen euer Band; – »und wenn ihr fürchtet die Armut, Gott wird euch aufthun seine milde Hand.«Der Koranspruch: und wenn ihr fürchtet einen Mangel, so wird euch Gott versorgen mit seiner Gnadenfülle, steht Sure 9, 28, doch ohne Bezug auf Ehe und Ehesegen, vielmehr in Bezug auf ein eben ergangenes göttliches Gebot, die Ungläubigen von dem Besuche der Kaaba auszuschließen, wodurch die Vorteile, die aus deren bisherigem Verkehr für die Stadt Mekka entsprangen, verloren gingen. Aber Sure 24, 32 steht: Lasset heiraten die Ledigen unter euch, und die Frommen von euren Knechten und Mägden; wenn sie arm sind, wird sie Gott versorgen mit seiner Gnadenfülle. Und an einer andern Stelle: Tötet eure Kinder nicht (der Gebrauch der heidnischen Araber) aus Furcht der Armut; wir werden euch ernähren und sie. – Und nun beug' ich mich vor Gott als sein demütiger Knecht, – ihn bittend, daß er mehre in den Herbergen euer Geschlecht – und wahre gegen die Schergen euer Recht. – – Als so der Scheich den Vortrag beschlossen – und der Bräutigam des Jaworts genossen; – da ward ein HochzeitsspenderegenDie Verstreuung von Münzen, Flittern, etwa auch Süßigkeiten, ein gewöhnlicher Gebrauch bei Hochzeit und anderen Festen. ergossen, – dessen Strom die Wünsche der Begehrlichkeit deckte – und im Geize Nacheiferung der Großmut weckte. – Darauf erhob sich der Scheich und wandelte hindannen mit Schlendern – und zog alles Volk sich nach gleich seinen Gewändern. – Hareth Ben Hemmam spricht: Um voll zu machen des Tages Lustausbeute, – folgt' ich dem Rückzug der Leute. – Da führte sie ihr Führer, um sie zu erfrischen, – in einen Saal mit gedeckten Tischen, – auf denen hatten die Meister der Küche – gleichmäßig verteilt die Gericht' und Gerüche. – Als nun jeder gefaßt seinen Posten – und bereit war, zu kauen und zu kosten, – wollt' ich aus den Reihen der Schlacht entweichen – und fliehn, als man zum Angriff gab das Zeichen. – Da machte der Alte nach mir eine Wendung, – und mein Auge traf von seinem Blick eine Blendung; – er rief: wohin willst du, Mucker? – und wo hin zielst du, Ducker? – bist du nicht hier in Gesellschaft Schmucker? – Ich rief: Bei dem, der die Sphären rollt – und die Himmel auslegt mit Gold! – keinen Bissen werd' ich versuchen, – noch anrühren einen Kuchen, – du sagest denn, woher du stammest, – woher du wehest, wohin du flammest? – Da schnob sein Seufzer dem Himmel entgegen, – dann stob nieder sein Thränenregen; – dann brach aus seiner Trübe das Licht an, – er nahm ein mir bekanntes Gesicht an – und hub so den Bericht an:

Mein Geburtsland ist Serug,
Wo mein Glück einst Wogen schlug;
Ein Gefild, in welchem du
Alles findest all genug;
Dessen Brunn' ist Selsebil,Selsebil, eine der Quellen des Paradieses.
Fülle, die erschöpft kein Krug.
Auf der Weide geht das Lamm,
Zwischen Blumen geht der Pflug.
Durch die Häuser wandeln Söhne,
Wie durch Lüft' ein Sternenzug.
O des Anblicks dieser Flur,
Deren Duft macht jung und klug;
O der Blüten, wann der Schnee
Schmilzt vom sanften Hügelbug!
Wer es sieht, der spricht: das Eden
Dieser Erden ist Serug;
Und des Grams versieget nie,
Den das Glück daraus verschlug;
Wie mir's ging, seit nackt von dort
Mich vertrieb das Volk Olug.Olug, Barbaren, hier die Griechen. Die Eroberung von Abu Seids Vaterstadt, Serug, durch die Griechen, bildet die historische Grundlage des Romans. Durch jene Eroberung ist er aus blühendem Wohlstand vertrieben und zu dem unsteten Wanderleben gezwungen, dessen einzelne Scenen nun die Makamen schildern; aber die Erinnerung an seinen ursprünglichen Zustand begleitet ihn durch alle seine Verwandlungen und bricht hier und dort, oft mitten aus der possenhaftesten oder unwürdigsten Vermummung, in einem Liede, wie das obige, rührend hervor. Ein andermal aber sehen wir ihn diese seine wahre Geschichte selbst, mit Verleugnung eines Gefühls, als eine Lüge benutzen.
Seitdem ungehemmet ging
Meines Seufzers Odemzug;
Und die Thräne fließt, wie mich
Heimwärts trägt Gedankenflug.
Trösten kann mich nicht für das,
Was mir raubte Schicksalstrug,
Daß ich seitdem vor der Welt
Bettlerkönigs Krone trug.

Der Erzähler spricht: Als nun sein Gedicht mir gegeben des Rätsels Schlüssel, – begrüßt ich mit Lust den Bekannten und aß mit ihm aus einer Schüssel. – Worauf ich, solang ich in Kahira weilte, – beständig seine Gesellschaft teilte, – stets pochend an seiner Geistesschatzkammern Pforte – und meines Ohres Muschel füllend mit den Perlen seiner Worte; – bis daß der Rabe der Trennung zwischen uns krächzte – und meine Seele beim Abschied ächzte.


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