Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert
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18.
Die Gesetzfrage.
Hareth Ben Hemmam erzählt:
Ich faßte nach der Opfergebräuche Schluß, – nachdem ich dem heiligen Hause gebracht meinen Gruß – und dem schwarzen Stein meinen Kuß, – den Entschluß, zu besuchen Taiba– mit einer Gesellschaft von den Benu Schaiba, – um zu beten – am Grabe des Propheten – und nicht zu gehören zu den Leidigen, – die, indem sie wallfahrten, beleidigen. – Doch das Gerücht kam, der Wegfriede sei gestört – und die arabischen Stämme gegen einander empört. – Da schwankt' ich zwischen Bangen, das mich zügelte, – und Verlangen, das mich beflügelte; – bis in mein Herz kam der Mut der Erhebung – und die Ruhe der Gottergebung, – daß in mir der Sieg ward entschieden – für den Besuch des Grabes dessen, über den sei Frieden. – Worauf ich ein Tier belastete – und mit der Gesellschaft hastete, – die zog, ohne daß sie rastete, – bis erreicht waren die Benu Herb– die den Gästen milde sind und den Feinden herb; – die hatten eben gelöscht das Feuer der Schlacht – und die Gastfeuer wieder angefacht; – so daß wir beschlossen, den Schatten unseres Tages – hinzubringen am Ort ihres Hages. – Als wir nun beschäftigt waren, die Tiere zu stellen – und zu schöpfen die frischen Quellen, – sahen wir den Stamm ausreiten in hellem Haufen, – als sollten ihre Rosse ein Wettrennen laufen. – Uns verwunderte der Bienenschwarm der Leute – und wir fragten, was es bedeute? – Da ward uns gesagt, es sei erschienen in ihrem Kreise – der arabische Weltweise, – und ihre Eile sei ihm zum Preise. – Da sprach ich mit Zucht – zu meiner Gesellschaft: Sollen wir nicht ernten Weisheitsfrucht? – Auf! ihre Versammlung sei von uns besucht. – Sie sprachen: Was du redest, ist zu hören, – und was du rätst, ist ohne Thören. – Drauf wir uns aufmachten ohne weiteres Wort – und zogen mit dem Zuge fort, – bis wir kamen zu des Stammes Versammlungsort. – Als wir dort nun eingetreten waren – und den Weltweisen sahen, das Ziel der Scharen, – erkannt' ich in ihm Abu Seid, den Herrn des Lugs und Trugs, – den Meister des Fugs und Unfugs, – jetzt als Schriftforscher aufgeputzt – und als Gesetzgelehrter aufgestutzt, – den Turban tragend nach der Art Kafdaa, – das Kleid umschlagend nach der Weise Sammaa, – dasitzend in der Stellung Korfosaa; –die Häupter des Stammes um ihn gepaart – und das Gemische des Volkes um ihn geschart; – er aber sprach: Befraget mich über Leichtes und Schweres – und forschet von mir Niedres und Hehres. – Denn bei dem, der ausspannt des Himmels Rahmen – und der dem Adam gelehrt der Dinge Namen, – ich bin der Weltweise der Araber vom reinen Blut – und der Weiseste unter dem goldgestickten blauen Hut. – Da trat auf ein Mann, dem die Zunge nicht versagte – und das Herz nicht verzagte, – der sprach: Ich habe die Weltweisen – aufgesucht in den Weltkreisen – und habe von ihnen eingetragen – siebenundsiebzig Gesetzfragen. – Nun, wenn du nicht bist von den leeren, nichtigen Prahlern, – sondern von den schweren, gewichtigen Zahlern, – und wenn du wünschest von uns gesegnete Nachhauskunft, – so hör und gieb Auskunft. – Jener sprach: Gott ist groß! – Führe deinen Stoß – und laß deine Streitkräfte los, – daß sich zeige, wem hier fällt des Sieges Los. – Worauf der eine fragte – und der andre die Antwort sagte.
- Darf ich Springwasser zur Abwaschung brauchen? – Nicht einen Finger kannst du drein ohne Verunreinigung tauchen.
- Darf man sich waschen in dem, was speiet ein Drache? – Ja, so gut wie in jedem Bache.
- Wie, wenn ein Krämer sich abwusch und vergaß dabei seine Elle? – Er fange von vorn an auf der Stelle.
- Oder ein Töpfer und vergaß seine Scheibe?– Vergebens wusch er sich am übrigen Leibe.
- Oder ein Schlosser und vergaß den Schlüssel? – Er fülle nur noch einmal die Schüssel.
- Oder ein Schreiber und vergaß sein Blatt? – Er ist unrein, wenn er's nicht mitgewaschen hat.
- Ist dem Moslem rauschendes Getränk untersagt? – Nein, wenn ihm aus dem Bache zu trinken behagt.
- Darf ein Moslem sich laben an des Christen Bache? – Nein, ihr Fleisch ist ihm eine verbotene Sache.
- Darf ein Moslem sich wenden zu den Heiden? – Ja, um seine Herden darauf zu weiden.
- Darf ein Gläubiger sich wahrsagen lassen? –Ja! das Lügenreden soll er hassen.
- Mag uns ein Einsichtiger zum Imam taugen? – Nein, er soll sehn auf beiden Augen.
- Darf der Imam sein, wer irgend einen Flecken hat? – Ja, oder ein Dorf oder eine Stadt.
- Darf der Imam einen Bruch haben? – Ja, zum Steingraben.
- Darf der Imam ruchlos sein? – Das Gebrechen ist klein.
- Darf unser Imam Mädchen nöten? – Ja, und auch Maden töten.
- Wie, wenn er hat den Koller? – Auch gut, doch der Leibrock ist würdevoller.
- Darf ein Richter die Rechte biegen? – Ja, so gut als die Linke schmiegen.
- Ist er wacker, wo man ihn besticht? – Ja, im Kriege, wo man mit Lanzen ficht.
- Darf von Gerichts wegen verstrichen werden eines armen Schuldners Kopf? – Ja, und sein Topf, doch nicht sein Schopf.
- Ist's ein gutes Werk, arme Schuldner zum Gerichte zu laden? – Ja, durch die Einladung verdienst du Gottes Gnaden.
- Soll ich falsch Zeugnis ablegen? – Jawohl, alles Böse sollst du ablegen.
- Darf man etwas Geschwornes brechen? – Ja, oder aufstechen.
- Ist es gut, den Schein einer Schuld zu tragen? – Jawohl, um sie einzuklagen.
- Darf man mit Hadern vorm Richter stehn? – Nicht jeder Arme kann in reichen Kleidern gehn.
- Soll der Richter nach Ansehen der Person richten? – Ja, vorher mit nichten.
- Muß der Richter sein unbefangen? – Nein! er darf anhaben Gewand und Spangen.
- Darf er unschlüssig sein? – Ein fester Schluß ist nötig dem Reiter allein.
- Wann reden weise Männer, ohne daß sie sich besonnen? – Nachts, wann sie Mondscheingespräche begonnen.
- Ist Afterrede eine Schändlichkeit? – Nein, aber eine Unanständigkeit.
- Soll man Eingang wünschen guten Sitten? – Nein! daß sie nie eingehn, soll man Gott bitten.
- Darf man einer Häßlichen geradezu den Hals abdrehn? – Ja, du bist durchaus nicht verbunden, sie anzusehn.
- Darf man einem Ohrenbläser das Ohr abschlagen? – Allerdings soll man ihm Gehör versagen.
- Ist Nachsicht zu empfehlen? – Nein! Vorsicht ist zu wählen.
- Wie, wenn ich sehe, mein Bruder ist unbedacht? – Er werde von dir unter Dach gebracht.
- Darf auch ein Vormund seine Pupille drücken? – Ja, oder mit der Hand sie jücken.
- Darf ich den ins Antlitz schlagen, der nach meiner Drossel greift? – Nein, wenn es die ist, die pfeift.
- Darf ich meine Ammer würgen? – Du darfst nicht deine Amm' erwürgen.
- Darf ich eine Steintaube schießen? – So wenig als eine Stockblinde spießen.
- Wie, wenn ich eines armen Mannes Maus verletze? – Wird er lahm davon, so büßest du's nach dem Gesetze.
- Was geschieht aber dem, der mir die Knöchel zerbrach? – Nichts! denn das Spiel ist eine Schmach.
- Doch, wer meine Ferse verwundet hat? – Er gebe dir eine heile Kuh an deren Statt.
- Und wer meine Kiefer zerbricht? – Lad ihn als Baumfrevler vor Gericht.
- Doch, wenn meine Frau ihr Becken zerbrochen? – Wenn du willst, die Scheidung sei gesprochen.
- Darf man eine Geschiedene frein? – Man freit die Lebenden allein.
- Darf ein Oheim die Neffen ausrotten? – Ja, wie die Wanzen und Motten.
- Wenn dem Großvater sein Enkel wehethut? – Halt er ihn weich beschuht!
- Darf ein Ehewirt schonungslos Frauenhaar raufen?– Ja, und Bocksbart und Hahnenkamm zu Haufen.
- Soll mein Weib daheim den Rocken anlegen? – Nein! der Mann soll des Feldbaus pflegen.
- Sind Weiber als reinlich zu loben, die gerne waschen? – Nein, sie sind Plaudertaschen.
- Ist häuslich, die sich in Steppen ergeht? – Ja, die das Nähen versteht.
- Steht's ihr fein, die Krätz' an der Hand zu haben? – Ja, um zu sammeln des Baumes Gaben.
- Darf eine Gärtnersfrau verkaufen ihre Frucht? – Nein! doch ihre Zucht.
- Ist's rätlich, im Feld unter Rüstern zu ruhn? – Nein! rüste dich, eh' sie dir Schaden thun.
- Darf ein Lahmer fechten? – Ja, nach Bettelrechten.
- Ist ein Gelddieb, wer eine Katze stahl? – Ja, eine gespickte zumal.
- Ist ein Viehdieb, wer raubt von der Weide ein Betzchen? – So wenig, als wer nimmt von der Pappel ein Kätzchen.
- Oder im Tannenwald eine Kuh? – Nein, und nähm' er vom Fichtenwald einen Zapfen dazu.
- Wie bestraft man einen Milchdieb? – Man läßt ihn fliegen, wohin es ihm lieb.
- Was verdient, wer mir einen Löffel stiehlt? – Er hat den Arbeitslohn erzielt.
- Aber wer in meinem Garten raubt? – Gieb ihm zum Lohn fürs Raupen ein Krauthaupt.
- Doch wer mein Haus am hellen Mittag sprengt? – Du dankst ihm, daß die Glut dich weniger sengt.
- Ist es Sünd', einen Leib zu verbrennen? – Nein! doch schade, man wird ihn nicht essen können.
- Ist ein fester Platz gut in der Not? – Ja, doch besser ist lockeres Brot.
- Darf man in der Not Menschen speisen? – Ja, sie werden dafür dich preisen.
- Darf man einem Bettler geben Schilling' oder Stüber? – Weh' dem Armenbetrüber.
- Ist ein Betrüger, wer andern zu leicht gewogen? – Nein, sondern er ist leicht betrogen.
- Darf ein Edler wohl den Fuchsschwanz streichen? – Ja, und die Rappenmähne desgleichen.
- Darf ich die Feinde im Krieg gegen meinen Stamm anführen? – Den Feind zu hintergehn, mag sich schon gebühren.
- Darf ich meinen Stamm oder meine Horde verderben? – Ja; doch schadest du dir und deinem Erben.
- Darf ich fortgehn heißen, wem ich Quartier gegeben? – Ja, und er danke dir das Leben.
- Darf unser Feldoberster reiten im Zelt? – Ja, oder im Schritt und Trab, wie's ihm gefällt.
- Kann uns im Kampf auch helfen ein Wunder? – Besser hilft uns ein Gesunder.
- Darf man Feinden den Rücken kehren in der Schlacht? – Ja, ihn fegen und klopfen mit aller Macht.
- Wem hat ein Bedienter zu befehlen? – Allen Bedienenden, die seinen Dienst erwählen.
- Darf ich meinem Vorgesetzten entgegenhandeln? – Ja, du darfst deinen Vorsatz verwandeln.
- Darf ich schelten, die schalten? – Nein, die Schaltenden laß walten.
- Ist zu ehren ein Weisheitslehrer? – Sei du des Weisheitsvollen Ehrer.
Da rief der Fragende: Gottes Preis. – wie hoch ist gewachsen deines Ruhmes Reis, – und wie gedehnt deines Meeres Kreis, – Dein Lob ist von Worten unerreichbar – und deine Einsicht von Bild unvergleichbar. – Dann stockte er wie ein Beschämter – und starrte wie ein Zungengelähmter. – Doch Abu Seid rief: Nun voran, voran! – woran hält es, woran? – Jener sprach: In meinem Köcher ist kein Pfeil mehr, – und nach deinem Sonnenaufgang ist für die Nacht kein Heil mehr. – Doch bei Gott, dessen Huld dich geleite von dannen, – sage, wer bist du und von wannen? – Da hub er an mit vollen Tönen – und mit hohlem Dröhnen:
Ich bin das Wunder des Tages
Und das Erstaunen der Welt,
Der Weisheit Kibla, nach welcher
Gekehrt die Blicke man hält;
Nur daß ich stets, wo ich raste,
Gleich wieder räume das Feld
Und bleibe keinem Gefährten
Als meinem Kummer gesellt.
Ja, wenn am Baume von Eden
Ich sollt' aufschlagen mein Zelt,
Von Heimweh bliebe, von Heimweh,
Auch dort die Rast mir vergällt. |
Dann rief er: O Gott, gleichwie du hast gemacht – meinen Sinn zu der Weisheit Schacht, – also mache nun diese Herzen umher – zu der Großmut Meer. – Das Gebet drang in des Volkes Seele, – und sie stellten voll Ehrfurcht zu seinem Befehle – eine kunstfertige Magd und ein halb Dutzend Kamele; – baten ihn auch angelegentlich, – sie wieder zu besuchen gelegentlich. – Und nachdem er die Wiederkehr zugesagt, – zog er ab mit Tieren und Magd, – ohne daß er mit einem Blick nach mir gefragt.
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