Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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11.
Die Vase.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Ich zog ohne Gramm – mit der Karawane von Scham – gegen die Stadt des Heils am großen Tiger, – unterm Geleite der Söhne vom kleinen Panther,Des Stamms Benu Numeir. – in Gesellschaft Guter, Begüterter, – durch Eintracht in der Fremde Verbrüderter. – Und unser Trost im Leid, – unser Lustgeschmeid, – unser gemeinschaftliches Ehrenkleid, – unser wechselseitiger Neid – war der Seruger Abu Seid. – Als nun der Zug in Singar rastete, – traf es sich, daß ein Kaufherr des Ortes gastete, – der zu seinem Salz und Brot – ergehn ließ ein allgemeines Aufgebot, – ohn' Unterschied des Standes, – an das Volk der Stadt und des Landes; – sodaß sein Ruf auch an die Karawane kam – und sie mit Haupt und Gliedern in Anspruch nahm. – Als wir nun gefolgt seinen Boten – und betreten seinen gastlichen Boden; – ließ er auftragen Gerichte mancherhand, – wozu man langt mit einer Hand,Z. B. die Suppe. – und wozu mit beiden,Z. B. der Braten.– was Gaumen zu laben dient und Augen zu weiden. – Dann ließ er bringen eine Vase, wie aus Luft gesponnen, – oder aus Licht geronnen, – die, mit ihrem Geheimnis nicht karg, – durchsichtig, den Schatz im Innern nicht verbarg, – zeigend eine Fülle nasser – Konfekte, mit Zucker bestäubt und beträuft mit Rosenwasser. – Und als nun vom Anblick die Gaumen sich zu wässern – begannen den Süßessern; – als die Augen der Erwartung starrten – und die Zähne der Ungeduld knarrten – und harreten wie kampflustige Leute – des Losungsworts: Zum Angriff und zur Beute. – da ergriff den Abu Seid ein Koller, – daß er aufsprang wie ein Toller – und, als ob ihm ein Unheil träumte, – vor der Vase rückwärts bäumte – und weit das Feld vor ihr räumte. – Wir ermahnten ihn zur Vernunft – und baten ihn um Wiederkunft, – ihn beschwörend, er möge doch unter den Gläubigen – nicht allein vorstellen den Sträubigen. – Doch er vermaß sich: Bei dem, der das Gebein belebt, das verdorrt ist! – ich kehre nicht eh'r, bis die gläserne Vase fort ist. – Und wir mußten schon, um ihn zu stillen – und um seines Schwures willen, – den schönen Krystall wegräumen – samt allen unsern süßen Träumen. – Und als er nun, seines Eids entledigt – und eingethätigt, – zurückgekehrt war zu seiner Stelle, – befragten wir ihn in der Schnelle: – warum er denn also aufgesprungen – und auf die Hinwegnahme des Glases gedrungen? – Er sprach: Weil Glas ein Verräter ist, – obgleich sein Kleid von Äther ist, – ein Alleszeiger, – Nichtsverschweiger, – Allesoffenbarer, – Nichtsbewahrer, – dessen Schwatzsüchtigkeit – ist seine Durchsichtigkeit, – und dessen Untüchtigkeit – ist seine Undichtigkeit; – und ich habe mich vor Jahren vermessen, – mit keinem Ausschwätzer zu sitzen noch zu essen; – weil ich es noch nicht vergessen, – daß ich einst mit einem gesessen. – Wir sprachen: Berichte, – wie war die Geschichte? –Er sprach: Ich hatte einst einen Nachbar, – den ich achtete, weil er schien achtbar; – mit dem ich sorglos und arglos umging – und nicht dachte, daß er mit Arg bloß umging; – den ich erkieste und mit ihm koste – und dachte nicht, daß es mich meine Ruhe koste. – Ich vertraute auf seine Treue – und glaubte nicht, daß er mir Verderben dräue. – Ich wähnte nicht, noch argwohnte, – als ich mich an ihn gewöhnte und mit ihm wohnte. – Seine Mienen schienen mir zu verbürgen, – daß unter ihnen sich keine Minen verbürgen; – sein Lächeln war eine Himmelsmitgift, – doch sein Herz war geschwängert mit Gift; – sein Äußres war gar nicht arm an Anmut, – doch nur zum Bösen war sein Innres reich an Mut. – Sein Gefäß klang mit reinstem Tone, – doch war es geformt aus unreinem Thone. – Ich hielt sein Herz für einen lautern Palast, – doch es war ein Schiff mit lauter Ballast; – ich hielt seinen Sinn für eine Säule, – um die ich vertrauend schlang meines Zeltes Seile, – doch was ich mir dachte zum Heile, – schlug mir aus zum Geheule. – Aber in meinem Hause, – in meiner innersten Klause, – zu meiner Augen geheimstem Schmause, – hatte ich eine Dirne, – die mit dem Glanz ihrer Stirne – beschämte des Himmels Gestirne; – deren Augen Schwärzen – alle brennenden Herzen – füllten mit dunklen Schmerzen; – deren wallende Locken – dienten, die Morgenwinde zum Spiel zu locken. – Sie taute, wo sie lächelte, – und zertaute, wo ihr Odem fächelte. – Ihrer Zähne Blinken – und ihrer Lippen Winken – machte Milchperlen vor Scham Blutröte trinken – und Rubinen im Preise sinken. – Ihr Auge machte Sonn' und Mond zur Fabel – und zur Wahrheit die Sage vom Zauberbronnen zu Babel.Der Zauberbronnen zu Babel, mit dem die dunkle Tiefe des Auges schön verglichen wird, ist der, worin die beiden gefallenen Engel Harut und Marut wohnen und diejenigen, die sie dort befragen, Zauberei lehren. – Wenn sie rührte das Tambur, – oder führte das Sambur,Zwei musikalische Instrumente. – war es wie das Lautenspiel AnahidsAnahid oder Sore, der weibliche Genius des Abendsterns. – und wie das Saitenspiel Davids. – Sie war Nachtigall, wenn sie flötete, – und Rose, wenn sie errötete. – Wenn sie tanzte, zog sie die Seelen in den Wirbel – und riß dem Ernste den Turban des Anstands vom Wirbel; – und über ihren Tanz vergaß der Zecher – selbst den Tanz der Perlen im Becher. – Sie beseelte mich – und entseelte mich, – sie beseligte mich – und befehligte mich; – ich achtete zu ihrem Befehle – gering, wie meine Seele, – mein rotes Gold und meine roten Kamele. – Ich verschleierte sie vor Mond und Sonne; – ich mißgönnte der Welt ihres Anblicks Wonne, – ja die Lust, ihren Namen zu hören, – oder sie zu ahnden hinter ihren Flören. – Nicht der Traum eines Wahrsagers – lüpfte den Vorhang ihres Lagers, – noch ein verräterischer Blitz – erspähte sie durch einen Ritz. – Doch an einem Tag, als mein Heil im Versiegen war, – als mein Glückstern vom Himmel gestiegen war, – machte Rausch mich zu meines Schweigens Verletzer – gegen meinen Nachbar, den Schwätzer. – Und als der Pfeil vom Bogen war, – das Wort dem Käfig entflogen war, – kam die Besinnung nach dem Wahn – und ließ mich sehn, wie übel ich gethan, – die Heimlichkeit meiner Liebe – einzugießen einem Siebe. – Doch ich nahm vom Nachbar ein heiliges Versprechen, – an meinem Vertrauen nicht zu verbrechen; – und er gelobte, mein Geheimnis so zu sparen, – wie Geizige ihren Schatz verwahren. – So ging vorbei – ein Tag oder zwei; – da ward der Emir jener Gegend, – der Fürst, jenes Landes pflegend, – Sinnes, zur Pforte des Königes – zu führen sein Heervolk, sein fröniges, – um zu gehorchen des Gebieters Winken – und seiner Gnade Regen zu trinken; – und er sah sich um nach rarem, – ausgesucht klarem – Geschenk für dessen Harem, – Lohn verheißend dem, der ihm könne deuten, – wo er ein solches möcht' erbeuten. – Da spitzte mein schlechter Nachbar die Ohren, – die Lohnverheißung gab seiner Gier die Sporen, – daß sie, von der Scham umsonst beschworen, – mit ihm rannte davon zu der Schande Thoren. – Er veruntreute, weh mir, – mein anvertrautes Geheimnis an den Emir. – Und als ich umsah, war der Harm mir da, – des Emirs Dienerschwarm mir nah. – Ich war betreten, – wie ich mich von ihm sah angetreten, – ihm mein Kleinod abzutreten. – Ich sollte das Unschätzbare schätzen, – einen Preis auf das Unersetzbare setzen. – Da bedeckte mich so viel Gram, als Meer – einst bedeckte Pharao und sein Heer. – Ich bat vor, und es nützte nicht; – ich schützte vor, und es schützte nicht. – Doch wie er sah meine Beharrlichkeit, – meiner Weigerung Halsstarrigkeit, – loderte er und brauste, – knirschteDie Zähne. er und krauste.Die Augenbrauen. – Aber ich wollte meinen Mund von meinem Mond nicht scheiden, – und nicht mein Herz aus meinem Busen schneiden, – bis endlich niederschmetterte, – was lange mich umwetterte – und ein Schlag den Ausschlag gab: – da zog ich mit dem Leben ab – und gab meines Auges Schwärze – hin für seine gelben Erze. – Doch ich gelobte des Tags beim Hochgelobten, – nach meinem Schaden, dem erprobten, – nie künftig mit einem Verschwätzer mich einzulassen – noch mit einem Geheimnisverletzer mich zu befassen. – Das Glas ist aber als solcher bekannt – und sprichwörtlich so genannt; – und weil eben seine Treue so schwächlich, – ist sein Glück so zerbrechlich. –

Nun verzeiht, daß euch mein Schwur entzieht, worauf
Stand gerichtet eures Appetits Affekt.
Was ihr hört, entschuldigt mich; und gerne soll
Euch mein ganz Vermögen decken den Defekt.
Doch ich gab dafür zum besten euch den Scherz,
Der Verständ'gen süßer mundet als Konfekt.

Hareth Ben Hemmam erzählt: Wir verziehn ihm aus Herzensgrund – und küßten seinen süßredenden Mund, – sprechend: Litt doch der Beste der Sterblichen – auch von der Verschwätzerei, der verderblichen; – daher ihn Gott in seinem heiligen Buch – hat aussprechen lassen den Fluch – gegen die falsche Klägerin, – die Höllenbrennholzzuträgerin.Gegen Abuleheb, Mohammeds heftigsten Widersacher und nächsten Verwandten (er war sein väterlicher Oheim, einer von den zwölf Söhnen des Abd Elmutallib), und gegen dessen Weib, Mohammeds Verleumderin, ist eine eigene von den letzen kleinen Suren des Korans gerichtet; sie lautet:

Verdorben Abulehebs Hand, und er verdorben!
Nicht hilft ihm sein Gut und was er erworben.
Hinab in die Flamme des Feuers geht sein Stolz,
Und sein Weib ihm nach mit dem Holz,
Einen Strick von Palmenbast um den Hals.

Sie trägt hier das Holzbündel, um die Hölle für ihren Mann zu heizen, weil sie dessen Haß gegen Mohammed gehetzt, oder auch: sie trägt ein Bündel Dörner, weil sie ein solches einst nächtlicher Weile dem Propheten soll in den Weg gelegt haben.

– Dann fragten wir ihn: Und was that nun dein Nachbar, die Schlange? – Er sprach: Er wand sich in Demut und Wehmut lange, – versuchte mich mit Windung und Wendung – und nachgesuchter Freundesverwendung; – doch ich war geheilt von meiner Verblendung. – Ich beharrte bei meiner Spröde – und wies den Schnöden von mir schnöde. – Doch seine Entblödung war nicht zu beschämen, – seine Erdreistung nicht zu lähmen. – Und nichts befreite mich von seinem Zudrang – und sperrte zu mir ihm endlich den Zugang, – als einige Verse, die mein Unmut hauchte – und mein Schmerz in Bitterkeit tauchte; – die zwangen ihn, sich zu verbergen vor seiner Schmach, – seufzend weh und ach, – verzweifelnd an meiner Liebe Zurückerflehung, – wie Gottesleugner an Totenauferstehung. – Da bestürmten wir ihn, daß er ohne Weile – uns mit dem Genuß der Verse heile; – doch er sprach mit Lächeln: »Ja. der Mensch ist erschaffen aus Eile.« – Dann trug er vor Zeil' um Zeile:

Auch einen Nachbar hatt' ich, den mit Stetigkeit
Ich liebt' als Freund, weil er mir schien ein steter.
Doch abgesattelt jetzo steht und abgedankt
Der Gaul der Freundschaft, denn es war ein steter.
Ich war ihm zugethan mit Treue spät und früh;
Es war zu früh, drum kam die Reue später.
Ich spähte nur nach seines Auges Wunsch, das büßt
Mein Schatz nun, mein vom Diebesaug' erspähter.
Er war mir Auf- und Aushub aller Trefflichkeit,
Jetzt ist er mir ein Auswurf, ein verschmähter.
Was ich für einen Acker guter Saat ansprach,
War ein von Satans Unkraut angesäter.
Ein Vetter, der von fetter Weide mich vertreibt
Und mir das Haus verödet meiner Väter;
Ein Unheilbrüter unter Brüdern, der mein Brot
Vergiftet und mir bohnt die schwarzen Breter;
Der Bett und Bäder mir verleidet, gegen den
Geboten sei zu beten jedem Beter.
Er hat des Morgens Aufgang mir verhaßt gemacht,
Weil ein Verräter ist der klare Äther;
Und hat die Nacht mir lieb gemacht, weil sie verschweigt,
Weil selbst ihr Dunkel nicht verrät Verräter.
Nicht wohl thut, wer auch den verrät, der übel thut;
Doch Unschuld nur verrät ein Übelthäter.

Hareth Ben Hemmam spricht: Als nun der Herr des Hauses – und der Wirt unsres Schmauses – erkannte seines Gastes verborgenen Adel, – die Feinheit und die Spitze seiner Nadel; – ließ er den Schöpfer vom nie leeren Witze – sitzen zu oberst auf dem Ehrensitze. – Dann ließ er, gefüllt mit süßen Dingen, – vor ihn eine silberne Vase bringen – und sprach: Nicht gleich ist das Los der Seligen und der Verdammten, – der treuen und der ungetreuen Beamten. – Dieses Gefäßes verschwiegnes Metall – ist nicht wie der verrätrische Krystall; – du wirst dich nicht seines Umgangs schämen – und gern aus seiner Fülle nehmen. – Da hielt jener das Silber mit dem süßen Kern – empor und zeigt' es uns von fern, – sprechend: Aller Augen warten auf den Stern. – Danket Gott, der euch vor Schaden behütet – und euch jeden Verlust vergütet; – der eurer Sehnsucht Wunde heilet – und eurem Munde die Füll' erteilet. – Der Mensch klagt über ein Übel so leicht – und denkt nicht, daß es ihm zum Besten gereicht. – Doch schnell dachte er sich ein andres aus – und sprach zum Herrn vom Haus: – Gepriesen ist der Wirt, von dessen Schmause – der satte Gast trägt sein Gefäß mit nach Hause. – Der Herr sprach: Nimm und frage nicht! – Geh in Gottes Namen und klage nicht. – Und Abu Seid zog ab mit seinem Volke – stumm dankend wie ein Garten der Regenwolke. – Dann versammelte er uns ohne Verweilen – und sprach: Nun lasset uns wie Brüder teilen. – Und dem gemäß – langt' er ins Gefäß – und verteilte den Inhalt, Stück für Stück; – das Gefäß behielt er für sich zurück. – Dann sprach er: Kein Unfall mög' eure Weiterfahrt hindern! – Ich kehre jetzt um und sehe nach meinen Kindern. – Er bestieg sein Tier und verschwand, – die Silbervas' in der Hand, – und wir blieben zurück erblindet, – wie eine Nacht, deren Mond verschwindet.


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