Friedrich Rückert
Die Makamen des Hariri
Friedrich Rückert

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7.
Die Grabrede.

Hareth Ben Hemmam erzählt:

Ich spürte, da ich am Wanderstabe – kam nach SaweEine Stadt zwischen Rei und Hamedan. – an mir Herzenshärtigkeit – und Unbußfertigkeit; – und ich befolgte den Rat des besten der Ratgeber, – der den Gläubigen dagegen empfahl den Besuch der Gräber. – Als ich nun gekommen war zur Einkehr der Särge – und der Totengebeine Herberge, – um mein Herz zu heilen von der Verstockung – und meine Sinne von der weltlichen Lockung, – sah ich eine Versammlung um ein Grab, das man grub, – und einen Aufgebahrten, den man begrub. – Und ich gesellte mich zu ihnen, der Heimkehr denkend – und Thränen den Heimgegangenen meines Stammes schenkend. – Als nun der Tote bestattet war, – und die Klag' um ihn ermattet war; – bestieg eine Erhöhung am Grab – ein Scheich mit Pilgertasch' und Stab, – sein Haupt mit dem Mantel verhüllend, – und sprach mit Eifer erfüllt und mit Andacht erfüllend:

Sehet und handelt danach, o ihr Handelnden! – und wendet euch, o ihr sorglos Wandelnden. – Raffet euch auf, o ihr Vergessenen, – und ermesset recht, o ihr Vermessenen. – Was ist euch? Fühlet ihr keine Betrübnis – bei Freundesbegräbnis? – könnet ihr sehn ohne hellen Jammer – euern Kameraden eingehn in die dunkle Kammer? – und erwachet euch im Herzen kein kurzer Kummer, – wenn ihr euern Freund übergebt dem langen Schlummer? – Atmet ihr ohne Schaudern die Moderlüfte – und schaut ohne Furcht die Furchen der Grüfte? – Vergesset ihr eurer Vorfahren, – oder denket nicht, daß ihr ihnen müsset nachfahren? – Lasset ihr nicht die Schicksale eurer Gespielen – euch geschickt sein zu Beispielen? – und gewahret nicht das Los eurer Gefährten, – um euch zu wahren vor Gefährden? – Doch weinende Augen mögt ihr nicht schauen, – und euer Ohr mag nicht hören die Klagefrauen. – Ihr begleitet die Bahre – und denkt dabei an das Bare; – ihr legt den Toten zur Ruhe, – und im Sinne liegt euch die Truhe; – ihr senkt ins Grab sein Gedächtnis – und denkt nur an sein Vermächtnis. – Euren Gesellen gesellt ihr dem stummen Wurme zum Schmaus – und schmauset bei Lautenklang in eurem Haus. – Ihr verschmerzt den Verlust eines Genossen – leichter, als den Verlust eines Groschen, – und beklagt einen zerbrochenen Hausscherben – schwerer, als eurer Verwandtschaft Aussterben. – Ihr fürchtet eurer Gewerbe Fall, – aber keinen Erb- und Sterbefall. – Ihr schreitet zwischen Gräberreihen – wie zum Reihen, – und wandelt auf den harten Betten – wie in Gartenbeeten; – lacht auf Schädel und Leichensteine, – als lachten euch an reiche Edelsteine, – und denkt bei einem Totenbein – nicht an die Todespein, – noch an die Totenpein; – gleich als hättet ihr einen Gewährmann – gegen des Grabes Fährmann, – oder eine Sicherschreibung – gegen des Schicksals Schuldeintreibung. – Habt ihr etwa gestellt einen Bürgen, – der sich für euch läßt würgen, – oder gedungen einen Beschwörer – gegen den alten Zerstörer? – Nein, sondern Thorheit ist euer Wahn, – und die Augen werden euch aufgethan – einst, wann ihr die Augen zugethan. – Drauf hub er an:

Der du dich nennst verständig,
Wie lange rennst unbändig
Und deinem Herrn abwendig
Du deinen Thorenlauf?
Verachtest die Belehrung,
Verweigerst die Bekehrung
Und scheuest die Beschwerung
Der Pflicht, die dir liegt auf.
Und malmt dich nicht die Bahre,
Und nicht die grauen Haare,
Und nicht die Flucht der Jahre?
Ist denn dein Ohr schon taub?
Du stehst vor deiner Krippe
Und siehst, wie das Gerippe
Schwingt hinter dir die Hippe,
Und zitterst nicht wie Laub?
Gesäugt an Thorheits Brüsten,
Gegängelt von den Lüsten,
Irrgehend in den Wüsten,
Wirst du des Todes Raub.
O horch, der Löwe brüllet,
Der seinen Schlund nie füllet.
Doch du, von Wahn umhüllet,
Willst füllen deinen Bauch.
Wie lange willst du irren,
Wie wilde Tauben girren,
Wie Nachtgevögel schwirren
In jedem dunklen Strauch?
Wie lang in Frevel scherzen
Und nicht bereun von Herzen?
Wie lang dein Antlitz schwärzen
Mit eklem Sündenrauch?
Vor deines Herren Strafen
Willst du nur sorglos schlafen;
Und dann, wann sie dich trafen,
Wachst du mit Winseln auf.
Der Wahrheit ein Empörer,
Der Mahnung trotz'ger Hörer,
Bereit, mit dem Bethörer
Zu schließen jeden Kauf;
Wie lange willst du schnaufen
Und Herzeleid dir kaufen?
Zusammenscharren Haufen,
Bis man dich scharrt zuhauf!
Wie lange wird es währen,
So wird es dir sich klären;
Dann weinst du blut'ge Zähren
Und seufzest Flammenrauch.
Mir ist, als ob ich sähe,
Wie ein dich schlingt die Jähe
Des Grabs, und deine Zähe
Wird mürb' an seinem Hauch.
Da muß der Leib sich strecken,
Daß ihn die Würmer schmecken;
Dann wird man dich erwecken
Und sammeln deinen Staub.
O schaue nicht zurücke.
Vor dir steht dort die Brücke,Die Brücke Sirat, feiner als ein Haar und schärfer als ein Schwert, worüber man zum jüngsten Gericht geht.
Als ob ein Schwert sich zücke;
Darüber geht dein Lauf.
Und hier ist das Gefilde,
Wo Gilde nicht der Gilde,
Und Blutsfreund nicht zum Schilde
Dem Blutsfreund dienet auch.
O rüste dich beizeiten!
Dort werden für dich streiten
Nur deine Frömmigkeiten
Und der Gebete Hauch.
Verwende du, zum Frommen
Dir selbst und allen Frommen,
Das Gut, das zugekommen
Von Gott dir zum Gebrauch.
Sei aller Schwachen Steuer
Und aller Armen Scheuer
Und aller Kalten Feuer
Und aller Durst'gen Schlauch.
Sei gegen Güt'ge gütig,
Nicht gegen Wüt'ge wütig,
Und wiege übermütig
Im Glücke nicht dein Haupt.
Nicht fahre hoch in Lüften
Und schwelge nicht in Düften,
Bedenke, daß in Grüften
Der Erde Luft verstaubt.
Gieb, was du hast, zum Troste
Und sammle nicht dem Roste.
Schatte, bevor vom Froste
Wird dein Gezweig entlaubt.
O staple nicht und speichre,
Versage nicht noch weigre,
O gieb und dich bereichre
Mit Segen, den nichts raubt.
Gewöhne deine Hände,
Zu geben Spend' um Spende,
So giebst du leicht am Ende
Dein Leben selber auf.
Dies sind, die ich dir gebe,
Die Lehren, danach lebe,
Und dann vor'm Tod nicht bebe;
Heil dem, der hört und glaubt!

Dann streckte er aus seine Hände – und empfing der Gläubigen Spende; – und als die milden Gaben nicht mehr rannen, – begnügte er sich und zog von dannen.

Der Erzähler spricht: Seines Vortrags reiche Zierde – erweckte in mir neben der Andacht die Neugierde, – daß ich ihm nachfolgte auf den Fuß – bis außer der Menschen Zusammenfluß; – da zog ich, um ihn anzuhalten, von hinten an seines Mantels Falten. – Er wandte sich um dienstfertig – und grüßte, wie eines Geschenks gewärtig; – ich aber sah, es war Abu Seid, – und es that mir leid. – Ich sprach:

      O Abu Seid, wie lange
Willst du noch sein die Schlange,
Stets lauernd neuem Fange
Und wechselnd Haut um Haut?

Er aber antwortete ohne Bangen – und unbefangen:

Mach dir mit Gottes Schutze
Des Pred'gers Wort zu nutze;
Ihm unter die Kapuze
Zu schaun, ist unerlaubt.

So ließ er mich stehn betroffen – und ging, wo ihm die Welt stand offen.


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