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Der Gesetzgeber der arabischen Sprachlehre, Baron Silvestre de Sacy, hat im Jahr 1822 ein in der orientalischen Litteratur Europas Epoche machendes Buch herausgegeben, das, außer einer französischen Zugabe von 19 Seiten, auf 660 Folioseiten keinen anderen als arabischen Buchstaben enthält. Es sind die Makamen des Hariri. Makame bedeutet einen Ort, wo man sich aufhält und sich unterhält, dann eine Unterhaltung selbst, einen unterhaltenden Vortrag oder Aufsatz, nach unserer Art eine Erzählung oder Novelle. Mehrere dergleichen, über einen gemeinsamen Gegenstand und locker zu einem Ganzen zusammengereiht, bilden alsdann, was wir einen Roman nennen könnten, wie eben das genannte Werk einer ist. Dessen Verfasser, Hariri, ein Gelehrter aus Basra, ist geboren 446 und gestorben 515 oder 516 der mohammedanischen Zeitrechnung. Seine Lebensumstände sind unbedeutend, sein Werk aber im ganzen Orient höchst berühmt, seiner Schwierigkeit wegen von vielen glossiert und kommentiert . . .
Meine Arbeit giebt sich für keine Übersetzung, sondern für eine Nachbildung. Die Grundsätze, nach denen man Homer und Shakespeare verdeutscht, sind, wie jetzt noch die Sachen stehen, auf einen arabischen Dichter kaum anwendbar. Dazu gehört eine nähere Verwandtschaft oder eine innigere Aneignung eines fremden Bildungskreises, als deren wir bis jetzt uns in Bezug auf den Orient rühmen können. Hoffentlich wird auch für die größeren orientalischen Kunstwerke einmal die Zeit kommen, wo sie in treuer Übertragung in unsere, jeder Erweiterung empfängliche Sprache angenommen werden können, ob aber so bald oder überhaupt jemals für Hariri, zweifle ich. Ich denke, er wird immer, wie jetzt, unübersetzbar bleiben, nicht wegen der Schwierigkeiten der Form, zu deren Überwindung eben hier ein Anfang gemacht ist, noch auch wegen mancher Einzelheit des Inhalts, die, vom jetzigen Bearbeiter unterdrückt oder verändert, gar wohl einmal einem zugewöhnteren Publikum ohne Anstoß würde geboten werden können, sondern weil der Kern selbst, der Mittelpunkt vieler seiner Makamen etwas ist, das an der Originalsprache haftet und mit dieser wegfällt. In solchen Fällen habe ich mir mit allerlei Stellvertretungen zu helfen gesucht, worüber man die Nachweisung in den Anmerkungen zu den einzelnen Makamen finden wird. Dasjenige aber, dem von keiner Seite beizukommen war, habe ich weggelassen.
Die Ökonomie der Makamen ist die allereinfachste: jede ist ein für sich bestehender und in sich abgerundeter poetischer Haushalt, ohne Wechselbeziehung mit den übrigen, ohne Einwirkung auf sie und von ihnen. In jeder geht ein Abenteuer an und zu Ende, und das nächstfolgende entspringt nicht aus dem vorhergehenden, sondern mit diesem zugleich aus dem gemeinschaftlichen Mittelpunkt, dem Charakter des Helden, der dann im vollen Kreis der Makamen seine volle Entwicklung gefunden hat. Man sieht die Handlung nicht fortschreiten, und doch ist zuletzt das Ziel erreicht; die Darstellung geht nicht vorwärts, sondern dreht sich im Kreise. Die Anordnung ist also planetarisch, oder auch ausstrahlend wie die Blätter einer Palme. Und wie nicht jedes Palmblatt einen vollen Fruchtbüschel unter sich hat, so ist auch nicht jede einzelne Makame gleich wichtig für die Entwicklung des Ganzen; einige sind wesentliche Momente, andere Zugaben und Füllungen. Alle Makamen aber haben die gleiche Einkleidung, jede wird vorgetragen von einem Erzähler, Hareth Ben Hemmam, der zum Eingang berichtet, wie er von Reiselust, von Verlangen nach Bildung, oder auch von Geschäften da oder dorthin geführt, diesen oder jenen Vorgang gesehen, wobei dann immer Abu Seid so oder so handelnd eingreift und auf eine oder die andere Art thätig erscheint, meist anfangs vom Erzähler selbst unbemerkt oder unerkannt und erst zum Schlusse seiner Vorstellung hinter der Maske hervortretend, doch manchmal auch schon in der Mitte der Handlung oder gleich am Anfang. In Abwechslung dieses gleichförmigen Zuschnittes ist der Dichter unerschöpflich, immer neu, überraschend und unterhaltend. Es ist aber leicht zu erkennen, daß der Erzähler Hareth Ben Hemmam niemand anders als der Dichter ist, der in dieser Gestalt sich selbst außer sich und in sein Kunstwerk hineinstellt, gleichsam als Chorus, in welcher Bedeutung er sich besonders dadurch zeigt, daß er keinen eigenen Charakter entwickelt, sondern nur durch seine Zwischenreden dem Helden Gelegenheit zur Entwicklung des seinigen giebt, übrigens in die Handlung nicht eingreift und nur eine stete unwandelbare Teilnahme an den Schicksalen und an der Person des Helden zu Tage legt, eine schrankenlose Zuneigung wie durch Bezauberung, wodurch er, von jenem so oft geneckt, getäuscht, betrogen und in Verlegenheit gebracht, sich immer wieder zu ihm hingezogen fühlt, ihm überall hin folgt und dem Verschwundenen nachspürt, dabei sich vieles von ihm gefallen läßt und alles, was er thut, gern entschuldigt und nur, wo er es zu arg macht, eine sittliche Mißbilligung ausspricht . . .
Die Form der Rede in allen Makamen ist gereimte Prosa, bei welcher im Deutschen zur Abteilung der Reimglieder die sonst ziemlich unnützen Gedankenstriche sind verwendet worden; eingeflochten sind zahlreiche Gedichte, wenigstens eins in jeder Makame, alle in der einförmigen orientalischen Reimweise, die unsere Leser vielleicht schon unter dem Namen Ghaselen kennen: jedes Gedicht, wie kurz oder wie lang es sei, ist auf einen einzigen Reim gebaut, der am Ende jeder aus zwei Zeilen bestehenden Strophe zum Vorschein kommt . . . Der Ausdruck Hariris ist überkünstlich, voller Wortspiele und Anspielungen, übertrieben, abenteuerlich, ausschweifend, kurz alles, was man da, wo es unbewußt ist und sich selber für die reine Schönheit hält, falschen oder verderbten Geschmack nennen kann. Hariri aber ist humoristisch und steht frei über dem, was er darstellt; und so wird man ihm die Schnörkel seiner Makamen für nichts andres, als wie die des Don Quixote dem Cervantes, anrechnen dürfen, nämlich für beabsichtigte und zweckgemäße Charakteristik. Von diesem Humor oder, wenn man will, Ironie in Hariri hat man vor der deutschen Bearbeitung in Europa nichts gewußt; und man könnte fragen, ob beides wirklich im arabischen Dichter liege, oder nicht erst durch seinen deutschen Umdichter in ihn hineingetragen sei? Doch das wäre dann die erste Parodie, die man zuwege gebracht hätte durch eine bloße Umfärbung des Ausdrucks, ohne Umsetzung der Motive; denn diese sind im Deutschen ziemlich unverändert geblieben. Und so wird doch wohl der Humor ursprünglich vorhanden sein, wenngleich vielleicht nur mehr unbewußt und erst durch die Übertragung zum Bewußtsein gebracht; mögen sich nun die Leser von ihm erfreuen lassen!
F. R.