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Die großen und kleinen Kämpfe um Verfassung und Spitze des neuen Deutschlands dauerten fort; die schleswigholsteinischen Kämpfe, obwohl auf dem Schlachtfeldern entschieden und im Parlamente durch die herrschende Mehrheit unliebsam geordnet, hatten noch manche aufregende Nachwirkungen; die Wiener Oktober-Revolution, wenn auch die Frankfurter Parlamentskreise nicht tiefer bewegend, gab doch Anlass zur Absendung einer Deputation, die beschwichtigend und vermittelnd zwischen Armee-Kommando und der unglücklichen, belagerten Stadt Wien eingreifen sollte; neben der offiziellen Deputation, an deren Spitze Welcker ernannt war, gingen drei Volksmänner: Blum, Fröbel, Hartmann nach Wien, um in die Bewegung des Volkes heilsam einzugreifen; inzwischen wurde die Beratung und Beschlussfassung über die Grundrechte des deutschen Volkes fortgesetzt und über manche Ereignisse, die in der Paulskirche das Forum ihrer Entscheidung finden sollten, beraten und gestritten. Berühmte Redner traten auf, für und wider kämpfend, und die Leidenschaften der Parteien oft wild aufregend; unberühmte und meist sehr vordringliche Debatten machten Stunden und Tage lang, das Parlament gar unerquicklich. Endlich trat ein Zustand ein, der den Weitsichtigeren deutlich erkennen ließ, dass die Ideale, welche das Parlament in Frankfurt am Main angeregt und versammelt hatten, infolge der tollen Verworrenheit der Parteiverhältnisse verdunkelt, entstellt, entwürdigt worden. Das Deutschland, ohne Österreich, mit Preußen an der Spitze, war zwar nach Verfassung und Kaiserwahl zu Stande gekommen, aber in Berlin abgewiesen worden; das Deutschland, mit Österreich, gefordert durch eine bedeutsame Partei des Parlaments und durch die Bundestagsleitung mit Erzherzog Johann als Reichsverweser und Schmerling als Reichsminister an der Spitze, machte sich nur durch geheimen Widerstand und diplomatische Einflüsse bemerkbar, und alles ließ erraten, dass die endgültige Entscheidung anderswo und durch andere Mittel herbeigeführt werden würde als durch Reden und diplomatische Kunststücke. Die Zersetzung und Erbitterung der Parteien nahm inzwischen immer zu, und die parlamentarischen Verhandlungen wurden während des Winters manchmal noch mit einem Eifer und einer Gründlichkeit geführt, als stünden die höchsten Lebensinteressen durch rednerische Eindrücke zu entscheiden. Aber immer deutlicher traten die Symptome der Zersetzung hervor in den diplomatischen wie in den parlamentarischen Verhältnissen. Preußen suchte seinen Standpunkt außerhalb des Bundestags und stellte ein Armeecorps zu seiner Unterstützung auf, desselben Weges suchte es seine treuen Parlamentarier und Bundesstaaten zu ziehen, um gegebenen Falles in einem kleindeutschen Parlamente (in Erfurt) kräftig Fuß zu fassen und von diesem Standpunkte aus seine weiteren Machtkreise zu ziehen. Die republikanische Partei, seit dem Frankfurter Putsch ohnehin nur dem Schein nach an den Debatten der Paulskirche beteiligt, organisierte den Aufstand in Baden und in kleinern deutschen Staaten, um im entscheidenden Augenblicke überhaupt nur als bewaffnete Partei noch aufzutreten: die großdeutsche Partei, vergebens einer Aufmunterung von Seiten der führenden Macht wartend, musste endlich, um nicht einfach sich wehrlos aufzugeben, einen Entschluss fassen, sich mit ihren Gesinnungen zu retten und wenigstens noch für kurze Zeit sich zu erhalten – koste es, was es wolle! ... Da rief Preußen seine Abgeordneten aus Frankfurt zurück, desgleichen taten mehrere Kleinstaaten. Das preußische Armeecorps, angeblich Bundeskontingent, rückte Frankfurt näher; es sollte zur Bewältigung des Aufstandes in Baden bestimmt sein, wurde aber auch als Schreck-Niklas für diejenigen gebraucht, die Miene machen sollten, in Frankfurt das Parlamentieren auf eigene Faust weiter zu führen. (Die Preußen würden aufzuräumen wissen, hieß es.) Da inzwischen auch Österreich seine Abgeordneten abberufen hatte und also auch nach dieser Seite hin alles Licht und alle Aufmunterung entzogen wurde, so war kein Ausweg mehr als der Beschluss zu fassen, in einem Rumpfparlament den Rest der treuen und standhaften Männer zu sammeln, die ihren Gesinnungen treu geblieben waren und ihre Hoffnung aufrecht hielten, dass bei der fortgesetzten allgemeinen Auflösung doch, wenn auch ein kleinerer deutscher Fürst, sich helfend an die Spitze stellen werde. So wurde im Mai 1849 von den zurückgebliebenen Parlamentsgenossen der Zug nach Stuttgart beschlossen. Von der Gesinnung, mit welcher dieser Beschluss in der Bevölkerung Frankfurts wenigstens zum Teile aufgenommen wurde, erhielt ich gleich nach der betreffenden Sitzung ein drastisches Zeichen. Ich war in einen Laden auf der Zeil getreten, um mir eine Kleinigkeit zu kaufen; mit mir gleichzeitig war ein junger Mann eingetreten, der von der eben beendeten Parlamentssitzung sprach und andeutete, dass es sich um die Verlegung der Nationalversammlung nach Stuttgart gehandelt habe. »Was ist beschlossen worden?« fragte der Kaufmann, eine aufgerollte Leinwand wieder zusammenlegend. »Sie ziehen nach Stuttgart!« sagte der junge Mann. »Ou weih – wir haben gewunnen!« rief der Kaufmann, den Ballen Leinwand heftig in sein Lager schiebend ... So stand es mit der Stimmung in Frankfurt. Wenn man des Enthusiasmus gedenkt, mit welchem Vorparlament und Parlament in Frankfurt empfangen wurden, wenn man der Vorteile gedenkt, die Frankfurt eingeheimst hat während der groß und rühmlich begonnenen Parlamentssaison, dann wird man mit Bedauern gestehen, dass im Publikum Vertrauen und Hoffnungen ebenso abgewirtschaftet hatten wie bei den Regierungen und Parteien; angesichts dieses Zustandes muss man der kindlichen Zuversicht der Parlamentswanderer, dass in Stuttgart noch eine Wendung zum Bessern eintreten könne, fast Bewunderung zollen.
Einhundert Mitglieder des Parlaments waren beschlussfähig gewesen, einhundert und zwanzig Mitglieder zogen nach Stuttgart. Unter diesen befanden sich die württembergischen Minister und hochangesehene Männer, auch Uhland, obwohl sie gegen die Übersiedlung nach Stuttgart ihre Stimmen abgegeben hatten.
Mir hatte das Geschick außer den Gedanken und den Sorgen der politischen Zukunft noch einen eigenen tiefen Schmerz auf den Weg nach Stuttgart mitgegeben: Rieserl, mein gutes Rieserl, um das ich so viel und lange gelitten – Rieserl in Wien hatte sich um jene Zeit verlobt und vermählt, es war also für mich für immer verloren. Diese Nachricht warf einen Trauerschleier über mein Gedenken an Wien, das damals noch heftig an den Wunden blutete, die ihm die Revolution und die Erstürmung durch Windischgrätz geschlagen ...