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In mein Asyl in Döbling zurückgekehrt, hatte ich das Gefühl überstandener Gefahr wie jener Ritter des Gedichtes: »Der Ritt über den Bodensee«; nur wirkte dieses Gefühl bei mir nicht so jäh und stark wie bei jenem Ritter, der in Ohnmacht fiel, während ich nach lebhaftem Schauer eine Art Wohlbehagen empfand, das meinem stillen Schaffen recht zustatten kam ...
Das Frühjahr und der folgende Sommer ließen sich gut an, und auch meine Arbeit rückte erfreulich vor. Damit stand ich aber wieder vor einer Frage, die fast einer Lebensfrage gleichkam. Mein neues Manuskript konnte und wollte ich der Zensur nicht vorlegen, aber ich musste es verwerten, da es mir die Mittel zu leben schaffte. Schickte ich das Manuskript einfach, wie früher, nach Leipzig und kam es gedruckt in die Hände der Zensur, so lag ein neues Delikt vor, und die Behörde musste sich meiner wieder erinnern, wenn sie auch angesichts der frühern »Sachfälligkeiten« ein Auge zudrücken wollte; und da sich ein solcher Fall jährlich ein bis zweimale voraussichtlich wiederholen musste, so war es für mich ausgemacht, dass ich, wenn ich auch als noch so bescheidener Poet weiter wirken wollte, auf österreichischem Boden wenigstens so lange unmöglich war, als die Zensurverhältnisse dieselben blieben. Mit schwerem Herzen, aber unentwegt beschloss ich in freiwillige Verbannung zu gehen und zwar nach Leipzig, um dort, gleich Herlofssohn, Jakob Kaufmann u. A., stille zu leben und fleißig zu schaffen. Aber die Absicht war leichter gefasst als ausgeführt. Einen Pass konnte ich nicht erhalten und das bloße Ansuchen darum hätte mich in die Hände derjenigen geliefert, die mich seit Jahr und Tag suchten und – wahrscheinlich absichtlich – nicht fanden. Wie also die Reise ausführen? Auch hierüber war leichter ein Plan entworfen als ausgeführt. Ich konnte ohne viele Schwierigkeiten bis Teplitz gelangen, von dort aus einen Ausflug nach den Grenzbergen unternehmen und von da aus »als Studiosus« marschierend »den sächsischen Boden gewinnen«. War ich einmal so weit gekommen – so führten alle Wege nach Leipzig, dem damaligen Eldorado junger Österreichischer. Gedacht, getan. Ich begann die Reise in solcher Stille und Eilfertigkeit, dass ich nur meinen gütigen Wirten in Oberdöbling Ade sagte. Vor Morgengrauen fuhr ich eines Tages zur Taborlinie hinaus, um ein anderes Land der Erlösung aufzusuchen ...
Die Reise ging glücklich vonstatten. Am Tore der Stadt Prag tat es, wie jedermann bekannt war, ein Handgeld, um jenen zugezählt zu werden: »die nicht da waren«, – und so ging es von Prag aus alsbald weiter – zunächst den Heilquellen in Teplitz zu ...
Ich kam in Teplitz abends und sehr milde an; verdächtige Anzeichen konnte ich nirgends entdecken, also beschloss ich, über Nacht zu bleiben und nächsten Morgens mit dem Frühesten nach der ersehnten Grenze zu eilen. In einem mir nicht mehr erinnerlichen Gasthause kehrte ich ein, mietete ein Zimmer und machte mirs bequem; aber ich fand doch keine Ruhe, bis ich einer Fahrgelegenheit nach der Grenze sicher war, von wo aus ich zu Fuß das gelobte Land betreten wollte. Ich verließ daher das Gasthaus, um die gewünschte Fahrgelegenheit zu suchen, fand eine solche, versicherte mich derselben, kehrte dann ins Gasthaus zurück, um ein frugales Nachtessen einzunehmen. Ich gedachte, während dies geschah, still bewegt aller Lieben in der Ferne, malte mir die Zukunft mit allen Verklärungsfarben aus und ging dann mit ruhigem Gewissen und zufrieden zu Bette ... Armes, argloses Menschenkind! Es wurde allerdings nach angenehmer, stärkender Nachtruhe Morgen, ein ausnehmend schöner Morgen – ich war bald munter auf den Beinen, kleidete mich vollends an, schnürte mein Ränzlein; – da – was sollte das sein? – Es klopfte.
»Herein!«
Ein Mann – Reisegefährte von gestern – bis an den Hals zugeknöpft, trat ein.
»Ei, Herr Reisegefährte, Sie sind's? Machen Sie die Reise nach dem Gebirge mit?« rief ich.
Statt dem freundlichen Gesichte von gestern saß ein Gesicht mit steinernen Zügen auf dem Rumpfe des Mannes.
»Wir werden wohl beide hier bleiben«, sagte er kalt und kurz. »Der Herr Polizei-Kommissär erwartet Sie, um Ihnen eine Mitteilung zu machen!«
Mir schoss es wie eine Eisnadel durchs Gemüt; ich wusste genug.
»Ich komme – sogleich komme ich!« sagte ich ebenfalls kurz und mich fassend; der Steinerne entfernte sich.
Man hatte mich also ruhig bis Teplitz gelangen lassen – wahrscheinlich um mir deutlich zu machen, wie lange der unsichtbare Strick sei, an welchem ich, ohne es zu merken, schon ein Jahrlang unmerkbar gefesselt wandelte. Die Szene im »Don Carlos« trat mir ins Gedächtnis:
König: Und er ging frei herum?
Großinquisitor: Das Seil, an dem
Er flatterte, war lang, doch unzerreißbar.
König: Er war schon außer meines Reiches Grenzen.
Großinquisitor: Wo er sein mochte, war ich auch ...
Es kam so, wie ich voraussah. Der Kommissär empfing mich ernst, aber artig und rückte ohne Umschweife mit seiner Mitteilung heraus. Danach war ich einiger Pressvergehen wegen angeklagt, hatte mich unverweilt nach Prag zurückzubegeben, um mich dort in aller Form zu verantworten. Damit alles Aufsehn vermieden werde, sollte ich wie ein gewöhnlicher Reisender die Landkutsche benützen, eine Begleitung sollte mir nicht mitgegeben werden, dagegen sollte man in allen größern Orten, wo der Wagen hielt, behördlich von meiner Anwesenheit sich überzeugen. »Gehöre schon ihnen!« war mein erster Gedanke; »sei's«, mein zweiter, wie Grillparzer in seiner resignierten Art zu sagen pflegte.
Ich empfahl mich vom Kommissär, sicherte mir einen Platz im Reisewagen – oder fand ihn bereits für mich bestellt – und fort ging es alsbald nach Prag zurück, das ich mittelst Handgeldes so glücklich passiert zu haben glaubte ...
In Kurandas »Grenzboten« habe ich seinerzeit »unterhaltendlich« geling des Weiteren bekanntgegeben, wie ich in Prag empfangen, hinter Schloss und Riegel gebracht, erst in ein gemeinsames Gefängnis mit Schwärzern und Schuldnern gesteckt, dann mit einer besonderen Zelle beehrt, durch vierzehn Tage verhört und behalten wurde – um endlich wieder frei auszugehen, da die mir zur Last gelegten Delikte alle bereits als verjährt befunden wurden ... Ich hatte von der Zeit an, wo ich meine eigene Zelle genoss, bereits Zeichen von Wohlwollen und Teilnahme »auf Umwegen« erhalten; statt der Gefängniskost durfte ich mir auf eigene Rechnung Atzung schaffen und erhielt auch täglich durch Vermittlung von »Feenhänden« wahre Delikatessen von Geflügel und Mehlspeisen. Ich erfuhr erst nach meiner Befreiung die Namen der unvergesslichen Spenderinnen, hatte das Glück, ihnen persönlich danken zu können, muss aber hier aus besonderen Rücksichten davon absehen, sie dankbarst zu erwähnen.
Als ich auf freien Fuß gestellt wurde, veranstaltete mein treuer, trefflicher Freund Dr. Klutschak, Redakteur der »Bohemia«, den Gott im Jenseits noch dafür lohne! ein erquickliches Freudenfest, an dem ein Dutzend trefflicher, später berühmt gewordener Männer (darunter Dr. Hanslick) teilnahm. Auch wurden mir viele Türen und Herzen in Prag aufgetan. Diesen Märtyrerfreuden entzog ich mich aber bald, indem ich nach Wien zurückkehrte – zu meinen dort lebenden Gönnern und strebenden Freunden im »Rütli« ...
Hatte sich nun die Privat-Wetterwolke über meinem Haupte entladen und eine Art Erfrischung gebracht, da ich wieder frei aufatmen und mich unbehelligt bewegen konnte, so fuhren die unheimlichen Wetterdünste, die sich zu einem unerhörten politischen Gewitter über Europa zusammenzogen, in ihrer kaum merklichen Ansammlung fort, den Horizont und bald das ganze politische Firmament einzuhüllen. Die sensitive Stimmung, deren ich früher erwähnt habe, nahm an Nervosität und Ausdehnung zu, und ich konnte mich nicht genug wundern, meine kleinen persönlichen Behelligungen in so weite Ferne wirken zu sehen. In meinem Asyl in Döbling, das ich wieder bezog und so lieb gewonnen hatte, erhielt ich jetzt Besuche von in- und ausländischen Personen hervorragenden Ansehens, darunter sich der berühmte siebenbürgische Comes Schmidt und sogar der kroatische Agitator Vay, mit dessen Bestrebungen ich als unentwegter Deutscher nicht im Entferntesten sympathisieren konnte, befanden ...
Aber ich war weit entfernt, in politischen Dingen besondere Verdienste und Ehren erringen zu wollen. Dazu war ich viel zu jung, zu bescheiden und unerfahren; mit leidenschaftlicher Sehnsucht nahm ich dagegen meine Studien und literarischen Arbeiten wieder auf und war weit glücklicher, die neue Bekanntschaft einer literarischen Größe zu machen als von damals vielgenannten politischen Tageshelden aufgesucht zu werden. Um zunächst den Behörden keinen Anlass zu neuen Heckeleien zu geben, ließ ich zwei Bändchen Böhmerwaldgeschichten bei Tändler und Schäfer in Wien erscheinen, wobei es mir zustatten kam, dass die Firma selbst sich mit den Vorschriften der Zensur abfand, ohne dass ich persönlich mit der verhassten Behörde in Berührung zu kommen brauchte. Bald nach dem Erscheinen dieser Bändchen wurde mir das Glück zuteil, den Dichtern Nikolaus Lenau und Anastasius Grün vorgestellt zu werden; gleichzeitig wurde ich durch einen Brief des genialen Volksschriftstellers Jeremias Gotthelf aus der Schweiz erfreut. Letzterer hatte meine Schilderungen »Aus dem Böhmerwalde« und die neuen Bändchen Volksgeschichten erhalten und wollte mir die neueste Auflage seines »Uli, der Unecht« mit einigen andern seiner trefflichen Geschichten übersenden; da indessen sein Verleger nicht rasch genug mit seiner Ausgabe vom Flecke kam, schickte er mir einen Brief voraus, den ich als liebes, freundliches Angedenken hier folgen lasse; denn er ist für jene Tage, kurz vor Ausbruch der ganz Europa durchtollenden Bewegung, merkwürdig genug. Der Brief lautet:
»Dass meine Antwort auf Ihre freundliche Begrüßung so lange ausgeblieben, bitte ja nicht mir, sondern den kreuzliederlichen Buchhändlern zuzuschreiben, welche Harz in ihren Händen haben, so dass nichts sich lösen will und frei wird, was einmal darin liegt. – Ich wollte Ihre freundliche Gabe erwidern und habe nicht weniger als vier Bändchen in Buchhändlerfingern, und keines will rutschen aus selbigen. Alle Tage hoffe ich auf eines wenigstens und in dieser Hoffnung will ich schreiben, es wird dann doch wohl eines aus dem Pech kriechen. Ich bin schon lang mit Ihnen bekannt, denn ich halte fleißig Ausguck nach befreundeten Mächten, welche die Segel richten nach den nämlichen Winden, das Steuer richten nach dem nämlichen Ziele. – Glaube und Liebe sind meine Winde und des Volkes wahres Heil mein Ziel und Freund heiße ich, wer mit mir Ziel und Winde teilt. Aber nicht vergessen darf man, dass jeder sein eigenes Volk hat, aussegeln muss von einem anderen Ufer und steuern in besonderer Richtung. Wir armen Teufel von Schweizern haben nun eine ganz eigene Aufgabe, wir müssen gegen eine sogenannte Freiheit kämpfen, einen sogenannten Fortschritt, eine sogenannte Aufklärung. Wir haben von all' diesen Dingen ein solches Unmaß, dass einer drunten in Österreich hell keinen Begriff davon hat; ja Ihr habt es drinnen wie arme Vogel in einer ausgesogenen Luftpumpe. Die Worte Freiheit, Fortschritt, Aufklärung an sich wären so schon, hätten einen so schönen Klang, aber was in die Worte, wie in ein leer Gehäuse, die Menschen schieben und stopfen, das ist schauerlich. Wer das nicht weiß, begreift uns arme Schweizer nicht, wenn wir züchtigen die sogenannten Freiheitsmänner, den Unglauben, das Abschnappen des Fortschrittes in ödes Nichts, die Negation, die alles Höhere leugnet und vor lauter Aufklärung in trostlose Barbarei sich umbiegt. – Es tut daher wohl recht not, dass die, welche das Gleiche wollen, sich verständigen, sich sagen, von wannen ihr Feind kömmt, in welcher Gestalt und wo derselbe seine Hörner hat, man möchte sich sonst sehr leicht missverstehen. – Ich liebe die Armen so sehr, und noch mehr als ich die Armen liebe, hasse ich Stolz und Übermut, mögen sie kommen, woher sie wollen; aber mir kommt es oft vor, und das kommt wahrscheinlich daher, dass ich die Verhältnisse nicht gehörig kenne, als übertreibe man die Not der Armen und vergrößere den Druck von oben, als Hetze man das Proletariat gegen jegliche Autorität, sei es menschliche oder göttliche. – Das Ungenügen und die Unzufriedenheit, die beiden so großen Quälgeister der Menschen, sind ohnehin so mächtig und plagen so greulich, sie sollte man nicht noch stacheln und treiben zu völliger Tollheit. Es scheint ein Abfall von der Wahrheit durch die Völker zu gehen, der, wenn er wirklich ist, nur durch große Unglücke gesühnt werden kann. So sehe ich als freier Schweizer es an, und das glaubte ich sagen zu sollen, um nicht missverstanden zu werden, wie ich so oft schon missverstanden worden bin. – An Ihren lieben Kindern habe ich große Freude; aber sehr wundert es mich, dass Sie in Wien leben und nicht (ich darf nicht sagen im Volke, denn in Wien ist auch ein Volk) auf dem Boden, auf dem ihre Blumen erblühen. Ich bin von Geburt ein Städter, aber seit Jahren wohne ich auf dem Lande, und es wäre mir, als würde der lebendige Strom versiegen, wenn ich den Ort verlassen würde, wo seine Quellen begonnen. Es macht mir recht ordentlich Angst vor einer großen Stadt, und Bern ist nur relativ für uns bedeutend, aber mich dünkt, wenn ich von dorther zurückkehre, ich hätte wieder ein tüchtig Stück Leben eingebüßt. – Doch mein lieber werter Herr, ich habe viel zu lange geschwatzt, Sie werden aber denken, das sei Pastoren-Weise, wenn so einer einmal den Anfang genommen, so könne er doch das Ende nicht finden. Kommen Sie einmal in die Schweiz, so will ich Ihnen schon zeigen, wie viel Wahres an der Sache ist. – Unterdessen grüße herzlich; bitte mein langes Geschreibe zu verzeihen und wünsche, dass, was ich Ihnen senden kann, Ihnen auch gefallen möge und bald ein neues Lebenszeichen von Ihnen mich erfrische. – Mit herzlicher Begrüßung Ihr Jeremias Gotthelf (Albert Bitzins, Pfarrer im Kanton Bern)« ...
In unserm Kaffeehaus-Rütli war es üblich, alle mehr oder weniger wichtigen persönlichen Erlebnisse zur Sprache zu bringen und insbesondere Dinge, die eine politische Erörterung anregen konnten, lebhaft und ausführlich zu beherzigen. Nun war der Brief Gotthelfs sehr danach angetan, bei der damaligen hitzigen und vielfach noch nicht abgeklärten Freiheitsstimmung der Rütli-Freunde eine ungemeine Bewegung hervorzurufen; aber eben deshalb zog ich es vor, den Brief des damals schon gefeierten Schweizer Autors wohlverwahrt bei mir zu tragen und vor kritischen Bemerkungen zu bewahren. Mich leitete dabei das mein Leben lang heilig gehaltene Gefühl der Verehrung für eine hochverdiente Persönlichkeit, deren Vorzüge ich nach jeder Seite hin unbedingt anerkannt wissen wollte. Erst als im Jahre 1848 die große Bewegung ausgebrochen und auch nach Österreich vorgedrungen war, brachte ich den Brief Jeremias Gotthelfs in dem von mir gegründeten freisinnigen »Volksfreund« zum Abdruck und begleitete ihn mit Randbemerkungen, die um so weniger missverstanden werden konnten, als in Wien selbst aus der reinen, gediegenen Vaterlandsliebe und liberalen Gesinnung radikale Hetzbestrebungen hervortraten und die Dinge tief bedauerlich verwirren halfen ...
Eine Bemerkung des Briefes, die lautet: »Von all' diesen Dingen (dem Unmaß von Freiheit) hat einer drunten in Österreich hell keinen Begriff, ja Ihr habt es drinnen, wie arme Vögel in einer ausgesogenen Luftpumpe« – diese Bemerkung war es, welche, bezeichnend genug für die Zeit und meine persönliche Lage, einen tiefen Eindruck machte und mich einige Tage einer schmerzlichen Wehmut aussetzte. Der unheimliche Fortbestand der stagnierenden Verhältnisse, das Gefühl kleinlicher Bevormundung persönlicher wie öffentlicher Interessen, die angesichts der Unsicherheit aller Verhältnisse, ob nun der Fortbestand der Dinge andauere oder gewaltsam umgestürzt werde, für mich trostlos erscheinende Zukunft alles dies ließ mir das Gleichnis von den »armen Vögeln in einer ausgesogenen Luftpumpe« sehr zutreffend erscheinen und drohte mir, körperlich und geistig betrachtet, den Atem zu benehmen. Mit unwiderstehlicher Heftigkeit erwachte meine Sehnsucht nach wenigstens zeitweiser Änderung, mein früher misslungener Versuch, nach Sachsen, nach Leipzig zu entfliehen, um mindestens für kurze Zeit andere Luft zu atmen, andere Verhältnisse und Menschen zu sehen, erschien mir bald als einziges Mittel der Rettung, und diesen Versuch beschloss ich, was auch daraus folgen möge, noch einmal, ohne Verzug und ohne Wissen all' der Lieben, die ihr Wohlwollen mir im schönsten Sinne des Wortes bisher erwiesen hatten, rücksichtslos auszuführen. Ich machte sofort meine stillen Vorbereitungen und setzte Tag und Stunde der Abreise fest – als ein ganz unerwarteter Umstand meine Reise nicht nur begünstigte, sondern auch ungefährlich machte ...
Graf Kolowrat war Minister des Innern geworden. Man hatte es für nötig gefunden, ein kleines Ventil zu öffnen, wenigstens in Angelegenheiten des Innern; die Zensur sollte in aller Stille milder gehandhabt werden und in vielen Dingen, die unbeschadet des starren herrschenden Systems menschlicher erledigt werden konnten, sollte eine humanere Leitung Platz greifen. Graf Kolowrat galt als sehr wohlwollender Mann, der, wenn auch im bescheidensten Sinne, zu liberalern Umwandlungen hinneigen und, wenigstens in innern Angelegenheiten des Reiches, die Ansichten Metternichs nicht teilen sollte. Von dieser damals für sehr bedeutungsvoll gehaltenen Wandlung hörte ich, sozusagen schon im Reisekleide, und beschloss, wenn es möglich sein sollte, meiner Reise noch im letzten Augenblicke den üblen Charakter einer Flucht ins Ausland zu benehmen. Ich meldete mich zu einer Audienz beim Minister, wollte ihm ganz offen meine Zwangslage, meine unerträglichen Konflikte mit der Zensurbehörde schildern und um einen Reisepass ersuchen, der mir es möglich mache, meine literarischen Geschäftsverbindungen besonders in Leipzig, dem damals fast ohne Konkurrenz herrschenden Hauptorte des Verlagsbuchhandels, persönlich zu besorgen. Die Audienz wurde mir bewilligt und der Minister empfing mich mit wahrhaft väterlichem Wohlwollen. Er war über meine unliebsamen Erlebnisse unterrichtet, sagte, dass solche Vorfälle sehr zu bedauern seien, da sie unangenehmes Aufsehen, besonders im Ausland erregten und leicht zu vermeiden wären. Den Pass, sagte er, würde er mir ausfertigen lassen, er möge mir ein Zeichen des Vertrauens sein, dass er sich keiner unpatriotischen Handlung von meiner Seite versehe. »Was Ihre literarischen Bestrebungen betrifft,« sagte er zum Schluss, mir die Hand darbietend, »so wünsche ich Ihnen viel Glück, die Ehren, die Sie als österreichischer Autor erringen, werden auch Ihrem Vaterlande zur Ehre gereichen!« Also menschlich behandelt, fühlte ich mich sehr gehoben, erhielt schon am nächsten Tage meinen Reisepass und saß eine Stunde nach Empfang des Passes als legitimationsfähiger Reisender im Postwagen ... Die früher so verhängnisvolle Reiseroute über Prag wurde nun im Gefühle glückseliger Sicherheit wieder eingeschlagen, nur benützte ich von Prag aus das Dampfschiff und gelangte nach köstlicher Fahrt durch die schöne sächsische Schweiz nach Dresden, von wo mich die Post nach Leipzig brachte – der damals im höchsten Ansehen stehenden Buchhändlerstadt, die besonders auf österreichische Dichter und Schriftsteller große Anziehungskraft übte. Man lebte in Leipzig politisch etwas freier, mindestens unbehelligter als in Österreich, hatte dort Gelegenheit, für literarische Unternehmungen leicht Verbindungen anzuknüpfen und war sicher, eine größere Anzahl namhafter Schriftsteller, darunter geborene Österreicher, zu finden.
Von letzteren befanden sich zur Zeit meiner Reise in Leipzig: Ignaz Kuranda als Herausgeber der »Grenzboten,« Jakob Kaufmann als Mitredakteur dieses vielgelesenen Blattes, Herloßsohn, der beliebte Romanschriftsteller und Redakteur des Lokalblattes »Morgenstern,« Moritz Hartmann der Dichter von »Kelch und Schwert«, der mit der Ausgabe neuer Gedichte beschäftigt war. – Von Nicht-Österreichern lebten damals in Leipzig: Heinrich Laube, Gustav Kühne, Robert Heller, Hermann Marggraf, Karl Biedermann, Ernst Willkomm. Vor meiner Ankunft hatte sich auch Berthold Auerbach für kurze Zeit in Leipzig niedergelassen; er war von Berlin gekommen, wo er als eben aufgegangener glänzender literarischer Stern – die erste Folge seiner »Schwarzwälder Dorfgeschichten« war vor Kurzem erschienen – vielbewundert und angehuldigt wurde und namentlich in den berliner Meister- und Gesellenvereinen volkstümliche Vorträge hielt.
Bei meiner Ankunft in Leipzig war gerade die Frühjahrs-(Oster-Messe) in vollem Gange, der Fremdenzudrang außerordentlich und die Schwierigkeit, eine Unterkunft zu finden, sehr groß.
Moritz Hartmanns liebenswürdiger Vermittlung verdankte ich es, dass ich am Tage meiner Ankunft nicht nur unter Dach kam, sondern auch Zimmernachbar Berthold Auerbachs wurde, der mir von seinen Gelassen ein Cabinet abtrat.
Dieses glückliche Zusammentreffen war mir sehr erfreulich und ist mir auch bis heute unvergesslich geblieben.
Der sensationelle Erfolg der ersten »Schwarzwälder Dorfgeschichten« war schon allein geeignet, mir deren Verfasser sehr interessant zu machen; aber die gleichzeitig von mir eingeschlagene ähnliche Richtung meines literarischen Strebens machte mir eine Begegnung mit Auerbach ganz besonders bedeutsam und ich erwähne nur eine Tatsache, wenn ich bemerke, dass es auch dem Verfasser der »Schwarzwälder Dorfgeschichten« willkommen war, mit mir zusammenzutreffen.
Auerbach war damals bereits mit der zweiten Folge seiner Dorfgeschichten beschäftigt; die »Sträflinge« waren teils ausgearbeitet, teils entworfen, die Idee zu seinem spätern Meisterwerk »Die Frau Professorin« war konzipiert und »Lucifer« stand in allgemeinsten Umrissen fest.
Von meinen ersten Schriften waren damals erschienen: »Aus dem Böhmerwalde« (Sitten und Gebräuche); »Neue Geschichten aus dem Böhmerwald e«; »Weißdornblüten« von späteren Geschichten stellten sich die Ideen zu »Barthel, das Knechtlein«, zum »Hoferkäthchen« und zu »Achtspännig« ein.
Das Ziel, das wir uns gesetzt hatten, das Volk mit seinem Leben und Treiben, in seiner Bedeutung und Eigenheit in die Literatur und Poesie dauernd einzuführen, nachdem es sporadisch bereits früher oft und bedeutsam durch Hebel und Immermann behandelt worden, war uns also beiden gemeinsam, doch hatte ein jeder, ohne von dem anderen zu wissen, auf einem andern Punkte des Weges eingesetzt; Auerbach war von seiner speziellen Heimat, dem Schwarzwald, ausgegangen, ich von meiner deutschen Heimat, dem Böhmerwald.
Demnach begrüßten wir uns als gute Bekannte, wenn wir uns auch zum ersten Male persönlich trafen.
Ich sehe Auerbach noch vor mir, wie er damals erschien: die Gestalt klein, wohlgenährt, das Gesicht rund und blühend, in den blassblauen, etwas vortretenden Augen freundliche Munterkeit, die Oberlippe mit einem kurzgehaltenen, dunklen Schnurrbärtchen geziert und das Haupt von dichtem schwarzem Kraushaar umwallt, das, wenn er ausging, stramm gebürstet bis in den Nacken hinabreichte.
Die herzlichste Annäherung war das Werk der ersten Stunden, und das brüderliche »Du« besiegelte bald den innigsten Freundschaftsbund.
Auerbach war der (um fast zehn Jahre) Ältere; seine Bildung war harmonisch abgeschlossen, seine Erfahrungen reich und seine Anschauungen über Welt und Menschen abgeklärt. Die Philosophie Spinozas, die er während seiner politischen Festungshaft aus dem Lateinischen ins Deutsche übertragen hatte, war ihm in Fleisch und Blut übergangen und leuchtete seinen Arbeiten, auch seinen volkstümlichen, in treffenden, oft tiefsinnigen Sentenzen ans allen Poren. Im Ganzen möchte ich Auerbach, wie er damals erschien, »einen lieben Kerl« in Form eines Vollschwaben nennen.
Ich, der Jüngere, stand noch mitten im Ringen mit meiner Entwicklung, meine Erfahrungen in der Welt waren noch nicht sehr umfassend, meine Studien (Philosophie und Jura) noch nicht vollendet, meine Lektüre war außer alten Meistern vorzüglich Shakespeare und den deutschen Klassikern gewidmet, meine Stilübungen noch schwankend, da ich durchaus bestrebt war, meine Stoffe nach Geist und Gemüt eigenartig auszutragen und zu fassen, was noch manche Härten und Seltsamkeiten zur Folge hatte.
Die in sich abgeschlossene Klarheit Auerbachs zog mich außerordentlich an und ihm war die Gärung meines Wesens, die er selbst bereits durchgemacht, anziehend, indem er alsbald bemerkte, in welcher Richtung diese Gärung sich klären und bewähren dürfte.
Schon am Morgen nach meiner Ankunft, bei einem gemeinsamen Frühstück, an dem auch Moritz Hartmann teilnahm, lieferte die lebhafte Unterhaltung manches bezeichnende Ergebnis, das zur Beleuchtung unserer Tendenzen und Eigenarten führte.
So meinte Auerbach, ich hätte für den Erfolg meiner ersten Schilderungen besser getan, wenn ich meine Beobachtungen und Studien des Volkslebens gleich zu kleineren und größeren Geschichten, wie er, verarbeitet hätte, da auf diese Weise den Lesern, die doch in erster Reihe gerne unterhalten werden wollen, ein Reiz mehr geboten worden wäre, sich mit dem Volk und dessen Eigenarten eingehend zu beschäftigen. Dem gegenüber machte ich eine andere Ansicht geltend. »Du, als Schilderer des Schwarzwälder Volkes,« sagte ich, »hast ganz recht getan, zugleich zu schildern und zu dichten. Das Leben der Schwarzwälder ist entwickelter, der Welt bereits bekannter und steht dem hochentwickelten Leben des schwäbischen Stammes, besonders der Sprache nach nahe; wenn du also Bilder aus diesem Leben mit Anklängen aus dem anheimelnden, allwärts verständlichen Dialekte brachtest, so durftest du wegen etwaigen Missverständnisses keine Sorge haben. Ich dagegen zog den Vorhang von einem Volksstamme weg, der vorher kaum genannt und beachtet wurde; dieser Volksstamm, in seinen Sitten und Gebräuchen vielfach ganz eigenartig und in seinem Dialekte nahezu unverständlich, musste dem deutschen Lesepublikum erst durch objektive Schilderungen seines Lebens und Treibens überhaupt vorgestellt werden, um die Kenntnis desselben zu ermöglichen und den Boden zu gewinnen, auf welchem mit Hilfe der Erfindung aus Dichtung und Wahrheit Volksgeschichten geschaffen werden konnten. Mir stand also zunächst nur ein Teil, aber auch ein sehr wichtiger Teil des Publikums zur Verfügung: Kulturhistoriker, Germanisten, Volks- und Landschaftsfreunde – und ich habe von berühmten deutschen Männern bereits Zeichen liebevoller Anerkennung erhalten; Uhland interessiert sich für mein Buch, Jakob Grimm ließ mir durch einen Landsmann neulich herzlichen Gruß und Aufmunterung melden, Wienberg hat mir geschrieben und von Jeremias Gotthelf aus der Schweiz erhielt ich eine freundliche, originelle Zuschrift. Bei meiner zweiten Aufgabe, das Volk in Geschichten aus Dichtung und Wahrheit für das große Publikum darzustellen, bin ich auch bereits angelangt und werde sie nach bestem Wissen und Können auch zu lösen trachten.«
Bei der philosophierenden Natur Auerbachs war es nicht zu wundern, dass meine Darlegung seinen Beifall fand; eine kleine Geschichte, die ich ihm nebst einigen Ideen mitteilte, die ich auszuführen beschlossen hatte, überraschte ihn sichtlich angenehm und als besorge er, dass ich auch andere auf unsere Bahn drängen könnten, warnte er mich lebhaft, in meiner Vertrauensseligkeit zu weit zu gehen und über Stoffe und Behandlung derselben gegen andere zu mitteilsam zu sein. »Du glaubst nicht«, sagte er, »wie wegfangerisch unsere Kollegen von der Feder sind; jeder Stoff, jede gute Idee ist vogelfrei, sobald sie unserer Zunge entschlüpft ist!« ...
Zu diesem und anderm Ideenaustausch gesellten sich Ansichten über literarische und ästhetische Gegenstände, die auch eifrig fortgesetzt wurden bei kleinen Ausflügen oder auf dem Wege zu Besuchen bei namhaften Autoren und deren Familien.
Eines Abends – wir waren eben von Gustav Kühne, der mit seiner anmutigen jungen Frau und deren Onkel und Tante in einer Sommerfrische bei Leipzig wohnte, zurückgekommen und wollten den Abend still und gemütlich miteinander zubringen – lockte uns die sommerliche Wärme und ein prachtvoller Himmel mit Vollmond aus Auerbachs Wohnstube auf den Balkon hinaus; wir waren, der lieblichen Temperatur und den vorhergegangenen Eindrücken entsprechend, in einer milden, nachdenklichen Stimmung. Auerbach fasste von Zeit zu Zeit ein Haar seines Bartes und zog es, unverwandt nach dem Abendhimmel blickend, sachte zwischen den Spitzen des Daumens und Zeigefingers durch, endlich sprach er:
»Ich kann dir nicht sagen, wie mir ist; ich fühle mich wie der Mittelpunkt der Welt, wie in einem Brennpunkt fühle ich das Wohl und Weh eines geheimnisvollen Alls; es scheint sich meinem Gemüte ein Wunder, ein Wunderbares, ein Allheiliges zu nähern und mir Andeutungen machen zu wollen, die mein irdisches Gemüt nicht zu fassen im Stande ist – ich fühle nur, dass mir wohl und wehe und unaussprechlich wunderbar zu Mute ist! ... Hast du dich nie in deinem Leben in einem solchen geheimnisvoll unbeschreiblichen Zustand befunden?«
Ich bejahte diese Frage und erwähnte ähnliche Zustände, dann erzählte ich den wundersamen Vorfall im Elterngarten aus frühester Jugend. Während ich diese Erinnerung schloss, fühlte ich Auerbachs Arme um meinen Hals geschlungen, und in lebhafter Aufregung rief er aus: »Ja, du bist ein Bundesgenosse aus gleichem Stoff und für gleiches Streben – wenn mir jemand gefährlich werden kann, so bist du 's!«
Diese Schlussbemerkung überraschte mich, ich konnte sie eigentlich nicht begreifen; denn was ich bisher geschaffen hatte, war entstanden, ohne Auerbach und seine Leistungen zu kennen und was in neuen Plänen in mir aufstieg, war grundverschieden von dem, was Auerbach bisher geschaffen hatte; auch war ich weit entfernt, mir einzubilden, dass ich jemals einen Erfolg erreichen könnte, dessen Auerbach sich damals schon erfreute ...
Die nächsten Tage gehörten zahlreichen Besuchen, namentlich bei Heinrich Laube und seinem Schwager Budeus, vielfachen Zerstreuungen und den öffentlichen Beratungen einer Schriftsteller-Versammlung behufs Gründung eines allgemeinen deutschen Schriftstellervereins. Bei diesen Debatten lernte ich Berthold Auerbach auch als Redner kennen. So gewandt er im Privatgespräch sich auszudrücken wusste, so seltsam unbeholfen sprach er in einer öffentlichen Versammlung und die schönsten und klarsten Gedanken, über die er ja immer und reichlich verfügte, kamen in öffentlicher Rede langsam, schwer, stotterig zutage. So war es wenigstens damals; später schien er durch nachhaltigen Eifer sich eine große Redegewandtheit errungen zu haben; denn er sprach oft und gern bei großen festlichen und patriotischen Gelegenheiten und was er sprach, war stets höchst geist- und gemütsvoll, wie man ja in öffentlichen Blättern lesen konnte ...
Bei der Wiederkehr friedlicherer Stunden waren wir auch wieder die traulich und vertraulich sich nahegekommenen Freunde und fanden stets neuen Anlass zu ernstem und heiterm Ideenaustausch.
Ganz eigen und weihevoll war die Art, wie Auerbach seine Stoffe, die er zunächst zu bearbeiten vorhatte, in sich trug und ausreifen ließ; wie er nur stoßweise einzelne Szenen niederschrieb, Gedanken und Redefragmente sammelte, die er an der und jener Stelle verwenden konnte, erst wenn alles reif und lebendig vor ihm stand und die richtige Stimmung sich einstellte, ging er an die peinlich sorgfältige Ausarbeitung des Stoffes.
Von den »Sträflingen« waren, wie erwähnt, die ersten Kapitel bereits fertig. Er las sie mir vor und zeigte mir dann die sprunghaft zu Papier gebrachten Notizen für die Fortsetzung. »Es geht mir eigens«, sagte er. »Ich weiß alles, was kommen wird, aber es in der bestimmten Ordnung niederzuschreiben bin ich lange nicht im Stande. Mir wird das Schreiben unerquicklich; darum diktiere ich gern, was Konzept sein soll. Heute zum Beispiel möchte ich endlich eine Szene der Sträflinge zu Papier bringen, bin aber nicht im Stande, die Feder zu führen.«
»Ei«, erwiderte ich, »diktiere mir, und ich will dir alles getreu zu Papier bringen, was du vorhast!«
»Einverstanden!« rief er und brachte Papier und Tinte.
»Die Szene in deiner Handschrift soll mir ein liebes Andenken bleiben.«
Er diktierte; ich hatte Mühe nachzukommen und merkte mit Erstaunen, wie alles, Schilderung, Sentenzen, Gespräche fast überreif zutage kam. Als wir fertig waren, lag der Schluss des Kapitels: »Der rechte Mann« vor uns.
Die liebevolle Art, mit welcher Auerbach seine Stoffe in sich trug und ausarbeitete, war auch schuld, dass er die nun fertigen Arbeiten wie wohlgeratene Kinder liebte und auch gerne loben und rühmen hörte. Geschah Letzteres nicht freiwillig, so fragte er wohl auch nach der Zufriedenheit des Lesers, wobei er aber nie zu erforschen unterließ, was man hie und da auch zu bemängeln fände.
Ich machte ihn gelegentlich einer solchen Anfrage auf einen Umstand aufmerksam, der mir in einer seiner schönsten Geschichten im »Ivo, das Hairle« ergötzlich auffiel. Bekanntlich spielte Ivo als Kind in reizender Weise mit jungen Enten; als er später als Studentchen auf Ferien kam, wurde ihm eine dieser Enten gebraten zum Präsentle gemacht. »Deinem Ivo hast du jedenfalls eine schwere Zumutung gestellt«, sagte ich, »da du voraussetztest, dass er eine jedenfalls fünf bis sechs Jahre alte, zähe Ente mit Leichtigkeit und Vergnügen kauen werde! ... Doch ändere daran nichts, denn die Art, wie du die Idylle verwertest, ist köstlich, und nur wenigen Lesern wird das Alter des Bratens beifallen!«
Eine wackere Entschlossenheit machte mir Auerbach an einem der nächsten Abende auf neue Art lieb und wert.
Einheimische und fremde Schriftsteller und Künstler hatten sich zu einer geselligen Unterhaltung im Hotel Pologne eingefunden und waren in rasch wechselnden Gesprächen warm geworden, als ein Teil der Gesellschaft, vorwiegend Schauspieler des Leipziger Theaters, der Unterhaltung in grotesker Weise eine sehr zweideutige Wendung gaben; das Gelächter einiger Freunde solcher Frivolitäten belohnte auch eine Weile die Bestgeber derselben, bis ein heftiger Schlag auf den Tisch und ein wilder Ausruf Auerbachs betroffenes Schweigen herbeiführte. Auerbach war aufgesprungen, tadelte mit scharfem Verweise diese Art Bierhaus-Humor und drohte mit seiner augenblicklichen Entfernung, wenn die Vereinigung so vieler ausgezeichneter Männer nicht eine Unterhaltung finden sollte, die Geist und Herz anspreche!
Dieses brave männliche Auftreten hatte eine wahrhaft prächtige Wirkung, die leider Auerbach selbst etwas beeinträchtigte, indem er seinem Siege noch eine kleine Predigt anschloss, in der er den moralischen Fall der Menschen mit einem Traume verglich, in dem man von einer Höhe zu fallen beginne und tiefer und tiefer falle – wobei er mit den Händen den Fall andeutete und mit gedämpfter Stimme langsam fortfuhr: »Und so fallen wir – fallen, fallen, fallen – »Na, werden wir bald drunten sein?« unterbrach ihn Robert Heller ungeduldig.
Großes Gelächter, in das auch Auerbach einstimmte; aber ein frivoles Wort erlaubte sich den Abend niemand mehr, die Unterhaltung nahm vielmehr eine sehr geistreiche und schwungvolle Richtung.
Unter den Gästen im Hotel Pologne befand sich auch der damals berühmte Humorist Glasbrenner aus Berlin, der gekommen war, uns sein eben vollendetes politisch-satirisches Epos, eine neue höhere Jobsiade, vorzulesen; die Vorlesung fand auch am folgenden Morgen in Auerbachs Wohnung statt und erntete großen Beifall von Seite der zahlreichen, vorwiegend aus Schriftstellern bestehenden Zuhörerschaft; – die am folgenden Abend »in zwanglosen Heften« im »Rosenthal« Erschienenen ermangelten nicht, dem beliebten Berliner Humoristen warme Ovationen zu bringen, welche Glasbrenner durch erfolgreiche, witzige Danksagungen reichlich zu entlohnen wusste ...
Überrascht wurde ich gelegentlich eines Spazierganges um die Stadt durch die Äußerungen Auerbachs über Jeremias Gotthelf, von welchem damals bereits »Uli, der Knecht«, eines der bedeutsamsten Werke des genialen Autors, erschienen war und große Anerkennung fand. Auerbach sprach sich herbe gegen den genialen Schweizer Volksschriftsteller aus, er fand die Erzählungsweise desselben zu grobkörnig, die Gespräche zu ungemessen, den tendenziösen Ton zu rau und vorwaltend, Gotthelf benütze sein unleugbar großes Talent leider zu sehr, um statt über und für das Volk in schöner gediegener Form zu schreiben, Kampfpamphlete in das Volk zu schleudern. Ich konnte nicht umhin, die geniale, packende Kraft des Autors in Schutz zu nehmen, trotzdem ich manche, uns fremdartig und rau erscheinende Seite der Erzählungsform zugab. Manche Erzählung Gotthelfs war überhaupt nur Streitschrift, aber die Tendenz war in den meisten Fällen gegen Unsitten und grobe Missbräuche im Schweizer Volksleben gerichtet, und Gotthelf hat durch seine Schriften anerkannt viel Gutes gestiftet, wenn er auch durch seine gegen die Liberalen gerichtete wilde Polemik den republikanischen Leidenschaften bedauerlich Nahrung zutrug. Bezüglich des Meisterwerks »Uli, der Knecht« gestand Auerbach endlich zu, dass dasselbe, sorgfältig gekürzt, als volkstümliches Musterbuch hochgehalten zu werden verdiene. Und so wurden wir im Verlaufe des Gespräches vollkommen einig in dem Grundsatz, dass »aus dem Volk und für das Volk« zu schreiben eine ebenso schwierige als große Kunst sei, wie sie Schiller in seinem glänzenden Essay über Matthissons Gedichte so treffend als warm geschildert hat.
Anschließend an diese Unterredung wurden in freien Stunden die Grundsätze, welche uns bei dem Bearbeiten volkstümlicher Stoffe leiteten, immer bestimmter herausgearbeitet und festgestellt; in Auerbachs »Schrift und Volk« und in seinem Essay über »Hebel« ist ein Schatz von ähnlichen Ideen und Grundsätzen angesammelt ...
Leider war die Zeit, die ich in Leipzig zubringen durfte, bald um und ich musste an die Heimkehr denken.
Je näher der Tag der Abreise kam, desto wärmer schlossen sich unsere Herzen an und desto mitteilsamer wurde Auerbach bezüglich der Ideen, die ihn bei der Ausarbeitung seines Meisterwerks: »Die Frau Professorin« leiteten. Fast Szene für Szene kannte ich, bevor sie zu Papier gebracht wurden, Auerbachs Notizbuch wimmelte von Aufzeichnungen darüber. Aber Auerbachs ideenreicher Kopf und sein warmes Herz konnten von einem Stoffe nicht ausreichend beschäftigt werden, auch »Lucifer« drängte sich lebendig vor und wollte seine Aufmerksamkeit haben ...
In die Schlusszeit meines Aufenthaltes in Leipzig fiel das Jubiläum des hundertjährigen Bestandes der Verlagsfirma F. A. Brockhaus. Der Besitzer und Leiter des berühmten Hauses ließ den Erinnerungstag nicht vorübergehen, ohne durch ein glänzendes Fest das denkwürdige Jubiläum zu begehen. Was Kunst und Literatur an namhaften Vertretern in Leipzig ständig oder vorübergehend vereinigt hatten, war auf diesem Feste neben den hervorragendsten Standespersonen und Leitern der übrigen Verlagsfirmen der Stadt vertreten. Ich sah es als ganz besondere Ehre an, zu diesem Feste auch geladen zu werden. Es gab mir Gelegenheit, einen großen Kreis ausgezeichneter Männer kennen zu lernen, und ich erlebte dabei die Freude, Herrn Brockhaus, dem Gastgeber selbst, näher zu treten – er wendete mir sein liebenswürdiges Wohlwollen zu, wurde später der Herausgeber der ersten Gesamtausgabe meiner Schriften »Aus dem Böhmerwalde« und verlegte außerdem die »Schillerhäuser«, die Erzählungen »Das Hoferkäthchen« und »Eine Mutter vom Lande« ...
Der Tag meiner Abreise sollte auch ein Ereignis bringen, das für die bald darauf eintretende politische Weltbewegung bezeichnend war. Der sächsische Kronprinz (spätere König Johann) war nach Leipzig gekommen. Der feingebildete Prinz (er hatte damals bereits die vielgerühmten Übersetzungen italienischer Klassiker geliefert) stand im Rufe sehr konservativer Gesinnungen und wurde deshalb von der politisch aufgeregten Jugend mit einer Katzenmusik bedacht, infolge dessen Militär ausrückte und von den Schusswaffen Gebrauch machte. Die Sache erregte großes und peinliches Aufsehen und beschäftigte auch, als ich nach Wien zurückkam, die Gemüter meiner Freunde im »Rütli« sehr lebhaft. In ihrer jugendlichen Aufregung wollten die Freunde von mir als Augenzeugen der Leipziger Affaire Wunderdinge vernehmen und knüpften weitausgreifende Folgen an das kleine, mir nichts weniger als sympathische Ereignis. Einem der Freunde, der nicht satt werden konnte, von dem aufregenden Vorfälle zu sprechen und mich förmlich beneidete, Augenzeuge des Ereignisses gewesen zu sein, erwiderte ich auf die Frage, wie ich abreisen konnte, ohne die weiteren Ereignisse abzuwarten: »Freund, wie ich schießen hörte, fuhr ich ab.« Heitere Ironie war die beste Waffe gegen die damals herrschende Nervosität, alle politischen Anregungen maßlos aufzubauschen; die Freunde ergötzten sich zuletzt auch an meiner trockenen Berichterstattung über ein Ereignis, von dem ich in der Tat nichts gesehen hatte, da ich an dem Abend des Plüsches Gast im Hause eines Verlegers war und arglos über buchhändlerische Angelegenheiten verhandelte ... Aber die Zeit, die unerhörte Ereignisse im Schoße barg, fuhr fort, diese Ereignisse stille vorzubereiten und auszureifen, wie ein Gewitter oft tagelang als graue regungslose Dunstwand am Himmel steht, ohne durch einen Laut die bevorstehende Umwälzung in der Atmosphäre anzukündigen; plötzliche Windstöße geben endlich die Zeichen des Losbruchs und erschüttern Luft und Erde durch verheerendes – und segenreiches Toben der Elemente ... Unser Rütli war ein richtiges Spiegelbild jener Zeit geworden, alle eigentlichen Interessen desselben: Kunst, Wissenschaft und Poesie hatten in aller Stille einen immer stärkeren Rivalen in der Neigung zur Politik, der Hauptströmung der Zeit, erhalten; die Zeit brachte ihre geheim ausgereiften Ereignisse zum Durchbruch, der Tag der Abrechnung brach an. Der Wirbelwind hatte sich in Paris noch kaum erhoben und einen König weggefegt, als er seinen Riesentanz über ganz Europa ausdehnte; der gute Österreicher, der bisher kaum schüchtern zu fragen wagte:
»Darf ich so frei sein, frei zu sein?«
griff plötzlich auch nach den Wolken, »aus denen der Mensch in seiner höchsten Not seine ewigen Rechte herabholt!« Wie und mit welchem Erfolge – das steht bereits als festgestaltetes Geschichtsbild vielfach verzeichnet. Die Frage ist zunächst für uns: Was ist aus unserm Rütli geworden, als der Weltsturm ihm sozusagen das Dach über dem Kopfe weggerissen? Die Namen der gemütlichen Verschwörer sind im Zeitensturme größtenteils nicht verschwunden, Beweis dessen hier ihre Liste:
Johann Nepomuk Berger (späterer Minister); Karl Beck; Moritz Hartmann; Sigmund Kolisch; Leopold Kompert; Hieronymus Lorm; Eduard Mautner; Alfred Meißner; Johannes Nordmann; Alexander Schindler; Adolf Wiesner. L. A. Frankl, der zur ältern Gruppe des Kaffeehauses »Neuner« gehörte, zählte bei uns als fleißiger Gast, war vielanregend und als poetischer Mentor jüngerer Talente tätig und hochgeachtet.