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8.
Othello in vollendeter Gesamtdarstellung. Ein Gedenkblatt aus dem Ruhmesbuche des alten Hofburgtheaters.

1.

Im »Othello« ist, wie bekannt, der erste und zweite Akt bestimmt, der Exposition des Stückes zu dienen. Wir sehen beim Aufgehen des Vorhanges den Helden seine tragische Schuld begehen, sehen sofort das Geschick geschäftig, an seine Fersen die rächende Tätigkeit eines Bösewichtes zu heften und werden durch das Hereinspielen von Staatsangelegenheiten, die dem Ganzen eine würdereiche Folie geben, in anziehender Aufmerksamkeit erhalten. Eine Wandeldekoration farbenprächtiger Bilder venetianischen Lebens geht an uns vorüber, an sich schon sehenswert, als Einleitung zu einer Aktion, die später alle Gemüter im Tiefsten erschüttert, von einer Klarheit und Objektivität, die recht geeignet ist, an den gottbegnadeten Schöpfer des Stückes zu erinnern, der beim Inslebenrufen einer poetischen Welt seiner Sache stets so sicher ist.

Othello ist im ersten Akte der in sich gefestete Feldherr und Soldat, Ehren- und Staatsmann, maßvoll und würdig tritt er im Tumult der Straßenszenen wie im Staatsrat auf, heldenhafte Geradheit, stramme Kürze und Entschiedenheit bezeichnen jeden Schritt; wie er, Brabantios Widerstand voraussehend, das Abenteuer der Entführung rücksichtslos vollzieht, nachdem er Desdemonens Zustimmung besitzt, so lehnt er Brabantios Einspruch und Drohungen nach der Entführung rund und maßvoll ab und erwidert den Gegnern, die ihn bedrohen, nur: »Steckt ein die blanken Schwerter, sie möchten im Taue rosten!« Die Berufung zum Dogen nimmt er wie eine gewohnte Folge seiner Staatswürde auf und heißt sie willkommen, da sie ihm Gelegenheit bietet, über seine Liebe sich offen und einfach vor den höchsten Würdenträgern auszusprechen, statt mit aufgehetzten Gegnern sich lärmend auf offener Straße auseinanderzusetzen. Ist doch seine Seele zu dieser Stunde ganz von seiner Liebe voll und sein Bestreben, die Fülle seines Liebesglückes zu bändigen und es womöglich vor unberufenen Blicken zu behüten, gibt seiner strammen Haltung einen Anflug leichter Melancholie, die den Zuschauer bei dem Gedanken an die Entsetzen des Kommenden wie aus unermessbarer Tiefe anschauert und an eine ahnungsvolle Dunstwolke über einem Kraterabgrund gemahnt.

So ist Othello durch männliche, würdevolle Haltung im ersten Akte unserer Achtung nahe gerückt, und wie von Achtung Liebe nicht ferne ist, so lernt man schon, ehe Othello vor dem Dogen und dem hohen Rat das Entstehen seiner und Desdemonens Liebe erklärt, begreifen, wie dieser Mann trotz seiner dunklen Gesichtsfarbe ein Frauenherz anziehen und fesseln kann; der Doge spricht nach der wundersamen Erzählung Othellos, die Anschütz unvergleichlich vortrug, den hingerissenen Zuhörern aus der Seele, indem er eingesteht:

»Ich glaube, die Geschichte könnte wohl
Auch meine Tochter fesseln.«

Mit dieser Äußerung ist die tragische Schuld der Entführung vor der öffentlichen Meinung sozusagen entsühnt, und nachdem der Doge und die Senatoren auch Brabantio, den Vater Desdemonens, bewogen haben, der Ehe seinen Segen zu geben, so wären alle Vorbedingungen scheinbar erfüllt, das Glück des Ehepaares voll und dauernd zu begründen.

Aber der Zuschauer, der zu diesem Glücke gerne »Amen« sagen würde, ist durch die heimtückisch-unterwühlende Tätigkeit Jagos bereits in seinem Vertrauen beunruhigt und beginnt zu sorgen und zu fürchten.

Je näher Othello und Desdemona im ersten Akte unserem Herzen gebracht worden sind, desto reger ist die Teilnahme für ihr Wohl und desto größer ist die Sorge, dass die Wühlereien des Unheilstifters Jago Erfolg haben könnten.

Furcht und Mitleid, die nach Aristoteles die Tragödie erregen soll, finden also im ersten Akte bereits ihre fühlbaren Anklänge, und sie müssen an Tiefe und Kraft gewinnen mit jedem Umstande, der die Teilnahme an dem Liebespaare erhöht und die Gefährdung seines Wohles verstärkt. Nach beiden Richtungen hin, bringt der zweite Akt Momente, die geeignet sind, unsere Neigung und Besorgnis mächtig zu vermehren.

In vorderster Reihe steht hier der Moment, in welchem Othello nach dem glücklich überstandenen Seesturm seine Desdemona in Zypern wieder findet; hier bricht, man möchte sagen, zum ersten Male die vulkanische Natur des Mohren hervor – im Liebesglück. Die Art, wie Othello Desdemonen hier begrüßt, ist entzückend und erschütternd, besonders wo er im Übermaß der Wonne sich selbst unterbricht und, beide Fäuste gegen die Brust stemmend, ausruft:

»Hier stockt's!«

Mit diesen Worten hat Anschütz ein Meisterstück geliefert, einzig in seiner Art; alle Liebeserklärungen der Welt, in Vers und Prosa, sind blasse Versuche gegen die Gewalt dieser Unterbrechung.

Und in dieser erschütternden Markierung der Liebe Othellos lag ein weiser Zug des Schauspielers. Die Unermesslichkeit dieser Liebe wird gezeigt; die Teilnahme für dieselbe in jedem Zuschauer auf das Wärmste erregt, aber auch die Gefahr angedeutet, welche dieser Liebe in einem so vulkanischen Herzen drohen muss, wenn unterlegte Feuer der Bosheit sie überhitzen und auf falsche Fährten leiten.

Der zweite Durchbruch der Mohrennatur erfolgt bald darauf in der Szene des nächtlichen Tumults, der infolge der Trunkenheit Cassios und des von Jago angezettelten Streites zwischen Roderigo und Cassio, in den auch Montano hineingezogen wird, bedenklich entstanden ist. Othello als oberster Machthaber der Insel und Festung tritt zwischen die Streitenden, gebietet Einstellung des Kampfes, fordert Aufklärung über das Entstehen des Skandals in der Festung, und da es beiderseits mit den Erklärungen nicht recht vom Flecke will, siedet Othellos Mohrenblut plötzlich auf und macht sich mit den Worten Luft:

Nun, bei Gott!
Mein Blut beginnt Vernunft zu meistern
Und Leidenschaft, die mein Gemüt verdunkelt,
Maßt sich die Zügel an. Rühr' ich mich erst,
Und hebe diesen Arm, so soll der Beste
Von euch vor meinem Zorn zu Boden sinken!

Entsetzen fesselte stets das Haus bei diesen Worten. Anschütz markierte hier die wilde Unberechenbarkeit des Mohrenblutes, und damit ist das zweite Feuersignal gegeben, das der Dichter aufsteigen lässt aus der vulkanischen Tiefe der Mohrennatur; alle Schrecken und Gefahren andeutend, welche unter der sonst so fest scheinenden Decke der Zivilisation Othellos lauern. Wehe, wenn die Leidenschaftlichkeit des Mohren den Damm der Liebe durchbricht und wie ein Ungeheuer in der Hürde seligsten Glückes würgt und mordet! Dieser Gedanke, diese Sorge verlässt den Zuschauer von dem Augenblicke an nicht mehr, wo die aufkochende Wildheit Othellos zutage tritt und von Jago vor den Augen der Zuschauer mit kalter Bosheit und erschreckender Sicherheit Mine um Mine gelegt wird, um das maßlose Unheil, das man fürchtet, wirklich herbeizuführen.

Bei älteren klassischen Stücken liegt der Inhalt des Ganzen im Voraus unverhüllt vor Augen; Exposition, Verwicklung, Lösung sind nahezu jedem bekannt, der sich vor dem Vorhang niederlässt. Der den Novitäten eigene Reiz der Neuheit und Überraschung im Gange der Handlung fehlt den klassischen Stücken, und bezüglich des Ausganges fragt man nicht mehr: »Wie wird's enden?« So weiß man auch von Othello: der diamantne Bösewicht Jago triumphiert und der Mohr ermordet seine Desdemona! Aber gerade das ist's, was bei diesem Stücke so tief, stetig, markerschütternd wirkt. Das: »Was wird kommen?« ist außer Frage, aber das: »Wie wird's kommen?« bildet vom dritten Akte an die stehende Frage, die nie an erschütterndem Reize verlieren kann, solange es empfängliche, gebildete Zuschauer geben wird. Der Dichter hat das »Wie« so einzig meisterhaft gestaltet und der Schauspieler sucht es ihm Schritt vor Schritt so täuschend nachzubilden, dass die Vollkommenheit der Handlung und Darstellung neben der Erschütterung auch eine Art Wonne erzeugt über die Meisterschaft des Dichters und Künstlers. So war's bei der Darstellung des »Othello« durch Anschütz, La Roche, Frau Rettich und Fichtner. Furcht und Mitleid waren permanent erklärt, aber auch in ihrer Wirkung potenziert ...

Der dritte Akt, der das größte Unheil im Schoße birgt, beginnt mit heiterer Musik. Cassio, der in Ungnade gefallen, lässt Othello ein Ständchen bringen, ihm Liebe und Aufmerksamkeit zu erweisen. Der Unglückliche! Rüppel, der Narr – die personifizierte Ironie des Lebens – erscheint, um zu vermelden: »Macht euch hinweg von hier, dem General behagt euere Musik so sehr, dass er euch bei allen Heiligen ersucht, keinen Lärm mehr damit zu machen!« Die Worte treffen in doppeltem Sinne, indem der General auch eine andere Harmonie nicht gerne hört: Das Zusammenstimmen der Bemühungen Cassios und Desdemonens um Wiedererwirkung der früheren Gunst für Cassio. So gerne Othello seiner Desdemona jeden Wunsch erfüllen möchte und auch Cassio noch günstig gestimmt ist, darf er doch als straffer Soldat nicht so leichthin einen Fehler gegen die Disziplin von einem Tag zum anderen verzeihen; er beschränkt sich daher auf großmütiges Anhören der Bitten und wohlmeinendes Verweisen auf die nächsten Tage – Tage freilich, die ihn selbst bereits so tief in den Schlingen des Bösewichtes Jago sehen, dass er, außer sich gebracht, auf den Untergang derjenigen zu sinnen beginnt, deren Bitten er aufrichtig zu erfüllen versprochen hat!

Nie ist eine Bitte liebenswürdiger und bescheidener vorgebracht worden, als die Bitte Cassios, Desdemona möge gütige Fürsprecherin bei ihrem Gatten, dem Generale, werden, und nie ist einem besseren und wärmeren Herzen eine Bitte anvertraut worden, als dem Herzen Desdemonens das Anliegen Cassios. Es ist, als müsste die holde Frau ihren Gatten aufs Dringendste bewegen, sich um seinen Ruhm und sein Seelenheil ein unvergängliches Verdienst zu erwerben, indem sie ihm warm und wärmer empfiehlt, Cassio wieder und sogleich in Gnaden aufzunehmen. Man sieht, Desdemona lebt und schwärmt noch ganz in der Voraussetzung der beiderseitigen Liebesfülle, in der wir Othello und sie namentlich in der entzückenden Begrüßungsszene in Zypern gesehen. Man darf annehmen, Desdemonen sind bisher alle Wünsche an den Augen abgesehen und erfüllt worden, ehe sie auch nur in die leisesten Worte gekleidet worden sind; – mit dem Anliegen Cassios ist sie eigentlich zum ersten Male in die Lage versetzt, eine Bitte förmlich in Worte kleiden, diese Bitte sogar wiederholen – ja wie eine heilige Angelegenheit ihres eigenen Herzens betonen zu müssen. Dies erfüllt sie mit einer Art Betrübnis; sie ist fast gekränkt, bei ihrer Fürsprache nicht zuvorkommender behandelt zu werden. Ist's möglich? Othello seiner Desdemona eine Bitte versagen? Eine so bescheidene, so dringend vorgetragene, so leicht erfüllbare Bitte? Beginnt Othellos Liebe zu erkalten? Ist er nicht mehr derselbe, der, in Zypern gelandet, seine Desdemona mit so unvergleichlichem Entzücken begrüßt hat? Wohl sind ihr Othellos Gründe für die Zurückhaltung in der Erfüllung ihrer Bitte einleuchtend und beherzigenswert; aber was sind diese Gründe gegen die Macht und Süßigkeit einer Liebe, die Othello bei jener Begrüßung in Zypern in die Worte ausbrechen ließ:

»Sollt' ich jetzo sterben,
So wär's in Himmelswonne. Denn ich fürchte,
Die Freude meiner Seel' ist so vollkommen,
Dass wohl kein andres Labsal diesem gleich
Im Schoß der Zukunft harrt!«

Sie selbst liebt zu sehr, als dass sie nicht auch an Othellos unverminderte Liebe glauben sollte – und in diesem Glauben tröstet sie Cassio, der wieder an sein Anliegen zu erinnern kommt:

»Gelob' ich einen Dienst,« sagt sie, »so leist' ich ihn
Bis auf den kleinsten Punkt. Mein Gatte soll nicht ruh'n,
Zahm machen will ich ihn und mürbe sprechen,
Ihm Tisch und Bett zur Ohrenfolter machen;
Was er nur vornimmt, das vermeng' ich ihm
Mit Cassios Gesuch. Drum sei getrost;
Denn deine Mittlerin wird eher sterben,
Als dein Gesuch aufgeben!«

Sterben – in der Tat, ein tragisches Geschick nimmt Desdemonen beim Wort, sie wird das Opfer eines Ungeheuers, das die Schlinge über sie wirft in dem Augenblicke, als sie diese Zusicherung wie einen heiligen Eidschwur leistet. Cassio entfernt sich getröstet, Othello und Jago sind in einiger Entfernung erschienen und hier ist's, wo Jago den ersten Gifttropfen des Argwohnes in sein Ohr zu träufeln sucht, indem er ausruft:

»Ha, das gefällt mir nicht!«

Othello will wissen, was er meine? Jago weicht einer bestimmten Antwort aus, und Othello fragt: »War das nicht Cassio, der mein Weib verließ?«

Jago.
Cassio? Nein, nein! – Gewiss, ich kann's nicht glauben,
Dass er sich weggestohlen wie ein Sünder,
Als er euch kommen sah –

Othello.
Ich glaub', er war's.

Es gemahnt an ein goldbefiedertes Vöglein, das dem Rachen einer Klapperschlange näher taumelt, als jetzt Desdemona das Gespräch unterbricht und sofort, ihrem Versprechen getreu, von Cassio und seinem Gesuche beginnt, es mit unnachahmlicher Zärtlichkeit und Dringlichkeit empfiehlt, indem sie in kindlich-naiver Unbedachtsamkeit Ausdrücke gebraucht, die Othello überwältigen, den in der Nähe befindlichen Jago aber entzücken müssen als dem Unheil fördersam, das er in seiner schwarzen Seele wälzt und eben ins Werk zu setzen trachtet. Othello sagt seiner Desdemona Gewährung zu und bricht, indem sie sich entfernt, in die tiefempfundenen und zugleich dumpf-ahnungsvollen Worte aus:

»Holdsel'ges Kind! Verderben treffe mich,
Lieb' ich dich nicht, und lieb' ich dich nicht mehr,
So bricht das alte Chaos wieder ein!«

Es ist bei diesen Worten wie an einem hellen Sommermorgen, wo eine leichte Wolke plötzlich vor die Sonne tritt und eine weite, eben noch im schönsten Lichte schimmernde Landschaft mit bangen Schattenstrichen überbreitet; zwar weicht sie flüchtig wieder und gibt der lächelnden Sonne Raum, aber dichter und breiter kommt sie zurück, erweitert sich zur Gewitterwolke, lässt dumpfe Donner hören, sendet zuckende Blitze aus – und plötzlich brechen Orkane los, ein Wolkenbruch mit Hagel geht nieder, und meilenweit wütet Entsetzen und Verheerung über der Landschaft ...

Das ist von hier an der Gang der Handlung in Othello. Licht ist's noch im Gemüte des Generals, und Jago lenkt das verhängnisvolle Wölkchen des Argwohns mit den Worten vor seine Seele: »Als ihr um Eure Gattin warbt, hat Cassio gewusst um Eure Liebe?« Othello: »Vom Anfang bis zum Ende; warum fragst du?« Jago weicht einer bestimmten Erklärung aus – »um seine Meinung zu berichtigen«, habe er gefragt – im Übrigen wolle er nichts damit gesagt haben. »Deine Meinung, Jago? »Und dieser bemerkt verfänglicher: »Ich dachte nicht, dass er mit ihr bekannt gewesen sei.« Othello: »O ja, er ging von einem oft zum andern!« Der biedern Offenheit und Geradheit Othellos widerstrebt das schlangenartige Winden und Ausweichen Jagos, es gereicht ihm zu einer Art Befriedigung, diese Auskunft geben zu können, doch gibt er sie schon mit einem Nachdruck, der eine Gärung seines Gemütes andeutet. Jago sieht vor sich hin und sagt nur mit gerunzelter Stirne: »Wirklich? » Othellos gerade, offene Natur verliert die Geduld und bestätigt zornig: »Wirklich! Ja, wirklich! Ist dir das bedenklich? Ist er nicht ehrlich?« Unbedeutsam wiederholt Jago: »Ehrlich, gnäd'ger Herr? » und hat auf die bestimmte Frage Othellos: »Was denkst du?« wieder nur die listvolle Wiederholung: »Denken, gnäd'ger Herr? » Das reißt die letzte Schranke von Geduld nieder und Othello fährt heraus: »Bei Gott, mein wahres Echo! Als läg' ein Ungeheuer in seiner Seele, zu grässlich sich zu zeigen!«

Nichts ist bezeichnender für die Tatsache, dass wir es mit einem zivilisierten Mohren zu tun haben als der Gang der Handlung von dieser Stelle an. Dem heißen, südlichen Temperamente ist ein flammender, ungemessener Jähzorn eigen, der, alle Vernunft bei Seite stoßend, seine Verheerungen unverzüglich anrichtet; wir sehen diesen Jähzorn auch bei Othello später schrecklich genug hervorbrechen, aber erst, als er mit wunderbarer Selbstbeherrschung, die nur einem in sich gefesteten Mann der Kultur eigen ist, den ebenso psychologisch feinen als bodenlos nichtswürdigen Verhetzungen Jagos gefolgt ist. Unmöglich konnte Othello, wenn er der ungezügelte Sprosse seines Stammes war, nach dem heftigen Ausbruch des vorbezeichneten Unwillens noch sich Zeit nehmen, eine Art Resume der bisherigen Äußerungen Jagos zusammenzustellen und dann fast bitten: »Wenn du mich liebst, so sage, was du denkst!« Er musste mit dem Spürsinn des Wilden Jagos noch halbverhüllte Absicht rasch durchschauen und, wenn er im Zweifel war, Jago sofort so mitspielen, wie er es nach begonnener Eifersucht tat – oder, wenn er an Desdemonens Untreue glaubte, auch sofort zur Ausführung seiner glühenden Rache schreiten. Stattdessen lässt sich Othello durch schlaues Ausweichen Jagos biedere Selbstanklagen: »es sei sein schlimmes Erbteil, das Böse zu erspäh'n und Verbrechen dort zu wittern, wo sie nicht sind«, die Schlinge immer fester um den Geist zieh'n und sich dorthin führen, wo ihn der in diesem Falle weit feinere und überlegene Bösewicht haben will. Im höchsten Grade froh und seiner Sache sicher, warnt der Bösewicht den General in dem Augenblicke vor Eifersucht, als er die Eifersucht ihre Verheerungen bereits anrichten sieht: »Verwahrt Euch vor Eifersucht, es ist ein Ungeheuer mit grünen Augen, dem vor der eigenen Nahrung graut! ... Was zählt der für schreckliche Minuten, der liebt und zweifelt, argwöhnt und doch liebt!« Erschütternd ruft Othello: »O Jammer!« und drückt damit die ganze Qual seiner Seele aus, die wie ein verheerender Brand in ihm bereits um sich gegriffen hat. Aber indem er, sich ermannend, hinzufügt: »Nein, Jago, seh'n will ich, eh' ich zweifle – wenn ich zweifle, will ich Beweis, und hab' ich den – hinweg auf einmal dann mit Lieb' und Eifersucht!« rennt er nur tiefer in das brennende Gebäude, dem er entrinnen will. Das hat Jago erwartet, da hatte er ihn, wo er ihn haben wollte. Überzeugung, Beweise – ein Mann von Jagos Schlage war damit auf seinem Felde. Zynisch deutet er an, dass die schlagendsten Beweise eigentlich nicht zu liefern seien, aber eine Kette von Andeutungen, Verleumdungen, Anklagen weiß er, Ringlein an Ringlein zu schmieden, unzerreißbar für den in Leidenschaft aufflammenden Othello – und der Zufall, der dem Unheil nur zu oft und mächtig Dienste leistet, ist auch hier alsbald zur Hand, wie der Umstand mit dem Schnupftuch, den der Dichter unvergleichlich meisterhaft ausnützt ...

Wer in Othello von nun an nur die schrankenlos durchbrechende Mohrennatur in Aktion sehen wollte, der würde einem großen Irrtum sich hingeben und sich um eine Reihe der herrlichsten Schönheiten des Dichterwerkes bringen; denn wenn auch stellenweise der Mohr in entsetzlicher Wildheit ercheint, so enthüllt doch der Kampf mit sich und seiner Umgebung auch ergreifende Szenen der Menschlichkeit, Liebe, Bildung und höherer Gesittung.

So ist das Bild, das Othello gebraucht: »Ich wollte lieber eine Kröte sein und von den Dünsten eines Kerkers leben, als, wo ich liebe, einen Winkel nur für andre haben«, aus der bezeichnenden Anschauung eines ganz rohen Naturvolkes; – so trägt der Ausruf, mit dem er Jago in wildem Jähzorn packt: »Gib mir sichtbare Gewähr, dass meine Gattin eine Buhlerin, sonst, bei dem Werte meiner Seele, wär besser dir, ein Hund geboren sein, als meinem Grimm begegnen!« in Wort und Ton das naturwüchsige Gepräge eines Wilden, der keine Rücksichten kennt. – Desgleichen sehen wir den blanken rasenden Mohren vor uns, wo er ruft: »Wenn's Strick' und Messer gibt, Gift, Feuer und Ströme zum Ersäufen, so duld' ich's nicht!« oder: »Schau, Jago, her, so blas' ich meine Lieb' in alle Winde – hin ist sie!« oder: »So soll mein blut'ger Geist nie mehr zurück zur sanften Liebe ebben, bis eine weite grenzenlose Rache ihn ganz verschlang!« ... Bei diesen Ausbrüchen war Anschütz ganz der rasende Mohr an sich; jedes Wort aus blank geschliffenem Stahl, den Zuhörer mit sprachlosem Entsetzen erfüllend.

Wie anders, wie mannigfaltig, wie ergreifend und rührend sehen wir den Mohren zwischen diesen vulkanischen Ausbrüchen im Kampf mit seiner Liebe, Bildung, Menschlichkeit und höheren Gesittung! Immerhin auch in diesen Äußerungen ist er zwar der Mohr in voller Wahrheit, aber in der Wahrheit seiner zweiten Natur, welche dämpfend, veredelnd, Geist und Herz weit über die Tollheiten der wilden Natur erhebend in jedem mildern Augenblick der Leidenschaft zur Geltung kommt.

So genügt das bloße Erscheinen Desdemonens, dass Othello, bereits im vollen Banne der Eifersucht, sich unterbricht und, von Liebe bezwungen, ausruft: »Ist diese falsch, dann trügt sich selbst der Himmel!«

Ganz unvergleichlich, tiefstes Weh und reinste Liebe, hohe Bildung und Menschlichkeit drückt die Stelle aus, wo Othello, die Untreue Desdemonens auch nur als möglich annehmend, Abschied nimmt von allem Höchsten und Schönsten, das er bisher erstrebt und hochgehalten im Leben! Ist Desdemonens Treue hin – »dann, mein Glück, fahr' wohl auf immer!

Fahr' wohl, o Seelenfrieden!
Fahr' wohl, du stattlich Heer, du stolzer Krieg.
Der den Ehrgeiz macht zur Tugend! o fahr' wohl!
Fahr' wohl, du wiehernd Ross, du schmetternde Trompete,
Du mut'ge Trommel und du grelle Pfeife,
Du königlich Panier und aller Glanz,
Schmuck, Pomp und Zubehör des edlen Kriegs!
Und, o du Mordgeschoss, dess rauher Schlund
Nachahmt des ew'gen Jovis Donnerstimme.
Fahr' wohl! – Othellos Tagwerk ist getan!« ...

Auch die Art, wie Anschütz diese Stelle vortrug, war unnachahmlich, einzig; Kraft, Glut, Innigkeit, verschmolzen zu erschütternder Tonfülle für den Ausdruck unermesslichen Weh's ...

2.

Die Krisis im Seelenkampfe Othellos tritt ein in der ersten Szene des vierten Aktes; Othello ist dem Wahnsinn nahe, die Gedanken verwirren sich, es tauchen nur einzelne Worte, wie: »Schnupftuch – Geständnis – Schnupftuch –« und verwirrte Sätze auf, wie: »Erst an den Galgen und dann gestanden« – und mit dem tollen Durcheinander: »Pah! – Nasen, Ohren und Lippen – ist es möglich? – Geständnis! – Schnupftuch! – O Teufel!« sinkt Othello in Ohnmacht ...

Von dieser Szene – dem Wiedererwachen Othellos – tritt dieser in seiner Doppelnatur streng geschieden auf, in seinen Entschlüssen, respective in dem Entschlusse: Desdemonen zu ermorden, ist er ganz Mohr; und in der Form seines Benehmens, namentlich bei dem Zusammentreffen mit Desdemonen bis zur Stunde des Mordes ist er ganz die zivilisierte Standesperson. Nur beim Empfang der Deputation aus Venedig durchbricht bei den Worten Desdemonens: »Ich gäbe viel darum, sie (Othello und Cassio) auszusöhnen, denn ich liebe Cassio« – der Mohr als wilde Bestie die Form aller Gesittung, ruft: »Feuer und Schwefel! Mich freut's, Euch toll zu seh'n und als Desdemona, wie ein Kind erschrocken, sagt: »Wie, mein Othello?« schlägt er sie mit dem Wutruf: »Teufel!« ...

Soweit sich Othello ganz der Tollheit der Mohrennatur hingibt, ist er ganz in den Händen des Unheilstifters Jago, der seine Aufreizung und Verleumdung fortsetzt; doch auch diesem gegenüber, gelegentlich der Festsetzung der Todesart Desdemonens, zuckt Menschlichkeit und Liebe noch zeitweise durch die blutigen Beschlüsse; so setzt er zu den Worten: »Sie mag noch diese Nacht zur Hölle fahren« – sogleich hinzu: »O! die Welt hat kein süßeres Geschöpf; sie hätte an eines Monarchen Seite leben und ihm Sklavendienste auferlegen können!« Und als er kaum wieder ausgerufen hat: »O, verwünscht sei sie!« setzt er mit entzückender Rührung fort: »Wie geschickt sie war mit der Nadel! eine bewunderungswürdige Tonkünstlerin! O, sie würde die Wildheit aus einem Bären heraussingen! – Und von so hohem und ergiebigem Witz und Geiste!«

»Dann um so schlimmer«, hetzt Jago.

»O, tausendmal, tausendmal schlimmer!« ruft Othello und verfällt auf's Neue in die Klage: »Und von so gefälligem Betragen!«

»Nur zu gefällig« – reizt Jago.

»Ja, das ist gewiss; – aber doch, es ist schade, Jago! O Jago, es ist schade!«

»Wenn Ihr so vergafft in ihre Untugenden seid, so gebt ihr einen Freibrief zu sündigen,« erwidert der Unheilstifter höhnisch. Das macht in Othello den Mohren wieder zum Sieger: »Ich will sie in Stücke reißen!« tobt er und verlangt Gift für die nächste Nacht.

»Nehmt kein Gift!« rät der namenlose Bösewicht: »Erdrosselt sie in ihrem Bette, das sie entweiht hat!«

Und »die Gerechtigkeit dieser Strafe« gefällt dem Mohren: Es ist gut – sehr gut!« bemerkt er und der heillose Mord ist beschlossen – – –

Wie unwandelbar dieser Beschluss nun feststeht, beweist die Unterredung Othellos mit Jagos Frau und gleich darauf mit Desdemonen. Die heiligsten und heftigsten Versicherungen der allerdings nicht ganz lauteren Emilie reizen höchstens seinen Zorn, und die im Verklärungsschimmer der Unschuld erscheinende Desdemona mit der überwältigenden Sprache der Wahrheit, Treue und Liebe rühren sein Herz nicht mehr; er kann weinen über das himmlische Schlachtopfer vor seinen Augen, aber es mit den maßlosesten Anklagen nicht mehr verschonen. »Erst töten und dann lieben« – diese Bemerkung kurz vor dem Morde ist schon jetzt der Grundton seiner Stimmung, und wo noch eine Milde und Weichheit augenblicklich zur Geltung kommt, ist sie nur die durchsichtige Hülle des feststehenden Mordgedankens – – –

Der fünfte Akt, von der zweiten Szene an, gehört der Vorbereitung zum Morde, der Ausführung desselben, den Aufklärungen über die Unschuld Desdemonens, der Reue und der Selbstopferung Othellos ...

Beim Eintritt in das Schlafgemach Desdemonens beginnt der Kampf zwischen dem Mordgedanken des Mohren und der Liebe und Menschlichkeit von Neuem. In plastischen Bildern, in vollendeter Form der Bildung drücken sich Othellos Gedanken aus; seine Liebe beim Anblick der schlafenden Desdemona erwacht mit hinreißender Gewalt; furchtbar und entzückend sind die Äußerungen des vom Mördervorsatz erfüllten Mohren; er küsst Desdemonen, küsst sie wieder – und weint dazu – »So süß war nie so schmerzlich!« ruft er und nennt seine Tränen grausam, aber seinen Schmerz »Himmelszorn!« drum will er sie erst töten, und wenn er sein Rächeramt geübt hat, glaubt er sie erst ganz wieder lieben zu dürfen ...

Desdemona erwacht, und eine der erschütterndsten Szenen folgt. Othello fragt, ob sie zu Nacht gebetet, und als sie über diese Frage und Othellos Anblick entsetzt auffährt und wissen will, was das bedeute, erfährt sie, dass das ihre letzte Stunde sei und warum; dieser Ankündigung folgt nur eine kurze, grausame Anklage, herzzerreißende Widerlegung und Beteuerung der Unschuld – und in jäher Grässlichkeit wird der Mord an Desdemonen begangen ...

Erwürgt liegt Desdemona auf ihrem Lager ... Wie ist ihm, der erst tötete und dann lieben wollte? ... Furchtbare Finsternis senkt sich über sein Gemüt ... »O, unerträglich!« ruft er,

»Mich dünkt, jetzt müsste eine ungeheure
Verfinstrung sein an Sonn' und Mond und rings
Der bange Erdball vor Entsetzen beben!«

Der Grund dieser Stimmung wird ihm bald klar gelegt. Emilie kommt und gibt Aufklärungen über die Unschuld Desdemonens, über das Netz, in dem der Mohr gefangen war; der Fall mit dem Schnupftuch wird erklärt, Emilie wütet selbst gegen ihren Mann als Unheilstifter und stellt sich gegen Othellos gezücktes Schwert, indem sie ausruft: »Ich mach' es kund, und gält' es zwanzig Leben! ... »Und sie hält Wort. Nun erst, selbst ihres Mannes Treiben deutlich durchschauend, zieht sie den Schleier der Verblendung von Othellos Augen ganz hinweg und bezeugt die Wahrheit ihrer Aussage sterbend – denn ihr eigener Mann, Jago, ersticht sie ...

Othellos Äußerungen sind jetzt Ausbrüche seiner Doppelnatur und folgen einander blitzartig, bis gegen Schluss des Aktes die Einheit seines Wesens, die hohe Erscheinung seiner gewaltig feurigen, durch Bildung und edlen Sinn gemäßigten Natur ergreifend hervortritt und seine Selbstopferung erfolgt ... Schon als Emilie ihre Enthüllungen noch nicht vollendet hat, bricht bei einem Blick auf die entseelte Desdemona ein überwältigender Ruf des Schmerzes aus Othellos Brust, und er wirft sich verzweifelnd zu Boden; aber er rafft sich bei dem Vorwürfe Emiliens, dass er die reinste Unschuld getötet habe, jäh mit dem Rufe wieder auf: »O, sie war falsch!« Ist doch noch ein Zeuge zugegen: Jago, der »biedere« Jago, der ihn von der Untreue seines Weibes so sehr überzeugt hat. Aber dieser Zeuge hat jetzt keine Überredung und kein Mittel der Täuschung mehr, er greift zum Degen und sucht die Zeugin der Wahrheit mundtot zu machen, wodurch er nur selbst beweist, wie sehr alles Wahrheit ist, was sein Weib gesprochen. Othellos wildes Entsetzen sendet dem fliehenden Jago die Worte nach:

»Gibt's keine Keil' im Himmel als zum Donner?
O unerhörter Bösewicht!«

und ras't dann gegen sich:

»Peitscht mich, ihr Teufel,
Schwingt mich in Stürmen! röstet mich in Schwefel!
Wascht mich in tiefen Schlünden flüss'gen Feuers«; –

und bricht dann in den Wehruf aus:

»O, Desdemona! Desdemona! Tot?
Tot? O, o, o« …

Hatte Anschütz mit seinem Liebesgruß auf Zypern das Erschütterndste an Glück und Freude ausgedrückt, so hat er keinen Zeitgenossen, der diese äußersten Ausbrüche der Wut, Verzweiflung, Reue und Liebe auch nur annähernd ihm nachmachen konnte ...

Othello endet, wie er seiner Natur und seinem Charakter nach enden muss. Ein Gemüt von dieser Glut und Tiefe, von dieser Bravheit und Ehrliebe kann das Bewusstsein einer solchen Schuld und die Entsetzen einer unermesslichen Reue nicht ertragen – es muss sich selbst zum Opfer auserseh'n; aber kein irdisches Gericht, außer ihm, soll ein Urteil fällen, keine unberufene Hand den Spruch vollziehen. Othello muss fallen – fallen durch sich selbst ... Noch einmal, für wenige Augenblicke, ist er nach Haltung, Sprache, Fassung, der in sich gefestete Feldherr und Soldat, Ehren- und Staatsmann des ersten Aktes; heldenhafte Geradheit, stramme Kürze und Entschiedenheit bezeichnen seine Worte. Er deutet noch selbst an, was man von ihm nach Venedig berichten solle und setzt hinzu: »Dass in Aleppo einst,

Allwo ein Türke einen Venetianer
Boshaftig schlug und unsern Staat beschimpfte,
Ich den beschnitt'nen Hund am Hals ergriff
Und so – zu Boden stieß!«

Er sinkt, von eigener Hand erstochen, neben Desdemonen nieder und haucht sein Leben mit den Worten aus:

»Ich küsste dich, eh' ich dich tötete;
Jetzt kann ich mir nichts Schöneres erwerben
Am Lebensziel, als sanft im Kuss zu sterben.«

Er stirbt und macht an sich zur Wahrheit, was er vor dem Morde sagte: »Erst töten und dann lieben« ...


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