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Der Winter ging zu Ende, und eine Art Vorfrühling regte mächtige Reiselust an. Zudem erwachte lebhaftes Heimweh nach Wien nach den Freunden. Ich nahm also Abschied von meinem lieben Wirte, von Kompert und dessen Geistesgenossen und eilte heimwärts, Wien zu, wo ich in völliger Zurückgezogenheit unbehelligt leben und arbeiten zu können hoffte. Der Passkontrole entging ich wieder wie bei meiner Fahrt nach Pressburg, und so rollte ich denn nach einigen Stunden durch die Straßen Wiens, und direkt meinem Asyle Oberdöbling zu, wo mir die Familie des Hof- und Gerichtsadvokaten Ritter von Planer in ihrer Villa Unterkunft anbot und so die frühern unschätzbaren Wohltaten um eine wichtige vermehrte. Ich fühlte mich auch glücklich in meiner Abgeschiedenheit, die ich nur einmal auf kurze Zeit verließ, um den Freunden in unserem »Rütli« ein flüchtiges »Grüß Gott« zu sagen. Als ich kaum in das Cafe getreten war, glaubte ich, die Spieluhr sei vor Freude wahnsinnig geworden; das Brodeln und Röcheln im Blähhals war mit der Zeit stärker geworden und schien das Spielen einer Melodie unmöglich zu machen; – aber es kam doch anders – ich bekam die Jubel-Ouvertüre wieder zu hören wie aus den Tagen ihres ersten Debüts und mit den Worten: »Liebe, gute Freundin!« nickte ich ihr gerührt zu. War diese Begrüßung wohlgemeint und glückverheißend, so folgte doch bald ein Ereignis, das in Anbetracht der damaligen Zustände meinem Leben eine unerhörte Wendung hätte geben können ...
Mein guter Bruder, der vor Jahr und Tag als Mediziner am Josephinum als Oberarzt nach Galizien gekommen war, sendete mir eines Tages einen Geldbrief mit zwei Stück Banknoten; die eine Banknote war bestimmt zur Rückzahlung an eine Landsmännin, die in der Küche des Reichskanzlers, Fürsten von Metternich, angestellt war, und für die andere Banknote sollte ich ein großes schönes Küchenmesser kaufen als Geschenk der Dankbarkeit für dieselbe Landsmännin, welche im Begriffe stand, sich zu verehelichen. Natürlich lag mir nichts näher, als den Wunsch meines Bruders rasch und pünktlich zu erfüllen. Ich eilte nach der Stadt, kaufte ein großes, blankes Küchenmesser und wanderte mit diesem und dem Briefe dem Ministerium des Auswärtigen auf dem Ballplatze zu, wo Fürst Metternich nicht bloß amtierte, sondern auch wohnte. Dem Vorfrühling war ein scharfer Nachwinter gefolgt, und ich hatte daher einen Kragenmantel umgetan, hinter dessen Faltenwurf das Küchenmesser, in feines weißes Papier gewickelt, sich verbarg. Je näher ich dem Ziele meiner Wanderung kam, desto lebhafter traten mir die Bedenken vor Augen, die sich gegen mein Wanderziel erhoben. »Wenn« – dachte ich – »ein böser Zufall es fügen sollte, dass« ... Ein leichtes Schauern rieselte durch meine Glieder ... Wegen einer anzüglichen Stelle gegen den Reichskanzler war ich straffällig geworden, seit Monaten habe ich mich für die Behörde »unbekannt wo?« aufhalten müssen, ohne Erlaubnis war ich »unbekannt wie?« heimlich nach Wien zurückgekehrt, hatte »unbekannt warum?« keine Wohnungsanzeige erstattet – und da kam ich nun – entsetzlich! – ganz unverfroren in einen Mantel gehüllt, ein blankes Küchenmesser unter dem Mantel – wohin? wohin? – in das Palais der Reichskanzlei, der Wohnung des Fürsten Metternich – desselben Fürsten Metternich, dessentwillen ich ... Ich hielt einige Augenblicke inne. Sollte ich wirklich in die Höhle des Löwen? Sollte ich es in die Hand eitlen Zufalls geben, mich einem ungeheuerlichen Missverständnisse auszusetzen, vielleicht in die Hände eines jener namenlosen Schandbuben zu geraten, die vom Denunzieren und Verleumden leben und sich umso wohler fühlen, je zahlreicher diejenigen sind, deren Wohl und Zukunft sie zertreten helfen? ... Ich lächelte – und schritt weiter. Es zählt zu den Großtaten des Polizeistaats, Furchtsame, Feiglinge zu machen. Ich schämte mich meines flüchtigen Zauderns. Der Schurke, der Heuchler ist vorsichtig; die Jugend, die sich einer guten natürlichen Handlung bewusst ist, geht flott ihres Weges. Zudem hatte ich denn nicht für alle Fälle die sprechendsten Beweise für meine gute Absicht in Händen? Da war der Brief meines geliebten Bruders; Letzterer hatte freilich keine Ahnung, unter welch' bedenklichen Umständen ich seinen Wunsch in Erfüllung zu bringen hatte; da war die Landsmännin-Köchin, die ich persönlich kannte. Zudem wollte ich ja eigentlich nicht nach jenem Teile des Palais, wo des Fürsten Kanzleien und Wohnung sich befanden ... Also gings unbedenklich vorwärts. Nur um mich nach der Lage der Küche zu erkundigen, trat ich vom Ballplatze aus in einen Nebentrakt des Palais. Da ich nicht sogleich jemand begegnete, der mir Auskunft geben konnte, ging ich ruhig weiter – einen kurzen Gang dahin – und glaubte rechts hinter einer Biegung der Wand Schritte zu hören. Alsbald stand ich am Anfang eines langen Ganges, der rechtshin führte und – etwas unliebsam – von einer Schildwache, einem Grenadier mit Bärenmütze, beschritten wurde. Hätte ich mich auch wieder zurückziehen wollen – es ging nicht mehr – der Grenadier hatte mich bereits gesehen, und wie ich zu bemerken glaubte, etwas unwirsch ins Auge gefasst. Da half nur die vollkommenste Ruhe und Fassung. Um diese zu zeigen, beschloss ich die Wache anzusprechen und nach der Küche zu fragen, ward aber nach der Anfrage unwirsch angestiert und mit einem »Nix deutsch!« abgefertigt. »So«, sagte ich so harmlos als möglich, »da wird sie wohl dort in der Richtung liegen, die Küche«, und wanderte den langen Gang unbehelligt weiter. Aber schon hörte ich wieder Schritte; und alsbald trat ein Unteroffizier aus einem Seitengang und kam mir geradewegs entgegen. »Haben Sie die Güte«, redete ich dem straffschreitenden Mann höflich an und zog den Mantel fester über die Brust zusammen, »den Weg nach der Küche suche ich, der Küche Sr. Durchlaucht des Fürsten Metternich!«
»Des Fürsten Metternich?« sagte der Mann in gebrochenem Ungarisch-Deutsch, und dabei sah er mich bärbeißig vom Kopf bis zu den Füßen an.
Auf einmal blieb sein Blick starr am Ende meines Mantels haften, seine Hand streckte sich in derselben Richtung aus und zog den Mantel auseinander – da blickte die Spitze des Küchenmessers in hellem Glanze hervor, sie hatte sich durch das dünne Wickelpapier gestochen ...
»Jetzt kommts darauf an, dass man ein gemütliches Wort mit ihm reden kann«, dachte ich – war aber bereits beim rechten Flügel– heißt, an der rechten Schulter gefasst und in Eilmarsch nach einem Offizierszimmer in der Nähe geführt. Die Türe aufstoßen, in gebrochenem Deutsch, in dem ein Wort über das andere purzelte, rapportieren, mich als verdächtig melden, war eins, und dabei riss mir der Rabiate den Mantel auseinander und zeigte nach dem wahrhaft imposanten, nun zur Hälfte aus dem Papiere hervorragenden Küchenmesser. – –
Der Offizier, ein kräftiger, noch junger Mann mit gutem intelligentem Gesicht, winkte mich näher, nahm mir das Küchenmesser unterm Mantel hervor, entblößte es ganz und stand auf. Ernst gemessen, fragte er: »Was soll dies große Messer? Wohin wollten Sie damit? Wer sind Sie?« Ich sah, dass mit dem Manne zu reden sein werde, war also gefasst und berichtete kurz und getreu die Wahrheit. Der Offizier, ein geborner Egerer, wie ich bald erfuhr, besah das Küchenmesser, prüfte dessen scharfe Schneide und sagte dann:
»Da werden wir wohl am besten tun, wir lassen die Landsmännin-Köchin kommen, überraschen sie mit dem Geschenke und erreichen zweierlei, machen der Köchin eine Freude – ersparen uns ein langes Inquirieren.«
Er gab dem Unteroffizier den Auftrag, die Köchin zu bitten, dass sie mit ihm nach dem Offizierzimmer kommen möge – und setzte sich dann, als der Unteroffizier fort war, wieder auf seinen Stuhl. Er legte das Messer quer über die Knie, sah mich forschend an und sagte dann:
»Sie hatten mit dem Messer also nichts vor als es zum Präsent zu machen?«
Eine unwiderstehliche Versuchung zu einer heitern Anspielung überfiel mich und ich sagte lächelnd: »Vielleicht Zichorie auszustechen, wie der Diener Habakuk im Alpenkönig und Menschenfeind!«
Der Offizier lachte hell auf.
»Eine kostbare Szene«, sagte er. »Erst gestern hab' ich das Stück an der Wieden gesehen!«
Er winkte mir, mich zu setzen, stellte das Küchenmesser hinter sich in einen Winkel und blieb von nun an freundlich und heiter. Ich ließ ihn den Brief meines Bruders lesen und gestand ihm aufrichtig, wie lieb es mir sei, gerade in seine Hände geraten zu sein, da unter andern Umständen ...
Seine Stirne legte sich in Falten, dann sagte er ernst:
»Es sind schon geringere Anlässe gewesen, die über einzelne und Familien ein unabsehbares Unglück gebracht haben. Es ist noch ein Glück, dass Sie sonst politisch unangefochten sind – wie ich aus Ihren Mitteilungen eben entnommen habe – und –«
Er konnte nicht zu Ende reden, denn die Landsmännin-Köchin kam mit dem Unteroffizier und sah etwas betroffen drein, da sie noch keine Ahnung hatte, weshalb sie eigentlich vor den Offizier gerufen worden. Eine angenehme Überraschung folgte. Ich erhielt das Wort; zeigte den Brief meines Bruders und überreichte die erwähnte Banknote – wurde aber dann von dem Offizier unterbrochen, der das blinkende Küchenmesser hervorholte und mit der entsprechenden Erklärung überreichte. Eine Gratulation zur bevorstehenden Heirat wurde hinzugefügt. Die Landsmännin-Köchin war auf einmal glückselig.
»Nein«, rief sie, das Küchenmesser schwingend, »es ist ein Glück, dass der Fürst noch nicht abgereist ist, sonst wär' auch ich nicht mehr hier!«
Und in köstlicher Redseligkeit teilte sie uns mit, dass der Fürst seit acht Tagen fortwährend eine dringende Reise antreten wolle und täglich durch wichtige Depeschen zurückgehalten werde –
»Heute«, sagte sie, indem sie mit dem Küchenmesser einen Querschnitt durch die Luft machte, »ist er so hoch gesprungen, dass ihn eine Depesche gezwungen hat, noch zwei Tage da zu bleiben«. –
Ich empfahl mich dem wackern Offiziere und dankte ihm für die menschenfreundliche und würdige Behandlung, empfahl der lustig gewordenen Köchin, ihren Zukünftigen ja nie mit der flachen Klinge des neuen Küchenmessers zu traktieren – und sah dann, dass ich weiter kam – aus der Stadt – in meine Döblinger Einsamkeit, die ich nicht sobald wieder zu verlassen gedachte. –