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Der junge Priester blieb noch vierzehn Tage bei seinen Eltern im Schuldorf, las jeden Morgen in der Kapelle die Messe, bei der ich ihm ministrierte. Nach jeder Messe belohnte er mich mit einer Gabe in Geld und besuchte dann mein Elternhaus, um den Bruder zu einem Spaziergange abzuholen. An schulfreien Tagen wurde mir erlaubt, beide zu begleiten, was mich unsäglich glücklich machte. Was sie sprachen, erfüllte mich mit stiller Ehrfurcht, obwohl ich das Wenigste verstand; begegneten uns Leute, so blieben sie grüßend stehen, die Männer zogen die Hüte, die Weiber und Kinder eilten zum jungen Geistlichen und küssten ihm die Hand. Es war augenscheinlich, dass die ehrfurchtsvollere Begrüßung dem Geistlichen zuteil wurde, obwohl dabei mein Bruder auch nicht zu kurz kam, der sich in der Uniform eines Josefiners stattlich genug ausnahm. Ab und zu kamen noch andere Kollegen der beiden Freunde, und es gab einen gar feierlichen Auszug, wenn die Schar, teils angehende Geistliche, teils Studierende der Rechte und Medizin, durch die Dörfer wanderte und schließlich bei einem Hofbesitzer oder in einem Wirtshausgarten einsprach. Es schien ein höherer Zug des Lebens in Dorf und Gegend gekommen zu sein mit diesen »Studierten«, und es liefen bald heitere Berichte über das Benehmen des einen und andern derselben um; denn während die jungen Geistlichen sehr sorgsam ihr Decorum wahrten, hatten die nach weltlichen Stellungen Trachtenden bald da und dort ergötzliche Abenteuer mit hübschen Mädchen angezettelt, die mit der Schnelligkeit eines Lauffeuers von Dorf zu Dorf berichtet wurden. Aber die schöne und lustige Zeit war bald herumgegangen. Zuerst nahm der junge Priester, der kurz vorher »Primiz« gehalten hatte, Abschied, um sein Amt in einem Gnadenorte an der Grenze Steiermarks anzutreten; dann folgte einer der Freunde um den andern, um zu den beginnenden Studien wieder einzurücken; und endlich kam der Tag des Abschieds auch für meinen Bruder, der zuletzt noch, wenn ich mit ihm über Feld ging, manches freundliche Wort fallen ließ über meine Zukunft und, falls ich mit Vaters Einwilligung zum Studieren käme, seine Beihilfe in Aussicht stellte. Als er Abschied nahm und aus dem Wägelchen mit dem Vater zum Hofe hinausfuhr, lief ich noch eine Weile stille weinend hinter dem Wägelchen her und warf mich dann auf einen Feldrain hin, um meinem Schmerz und meinen Tränen freien Lauf zu lassen.
Einige Tage schien mir die Welt wie ausgestorben und mein Herz aller Freuden ledig; aber die Jugend bleibt nicht lange das Opfer eines solchen Zustandes. Die Glut des Herzens wurde wieder angefacht, und zwei Ideale glänzten hoch über allem alltäglichen Leben:
»Studieren und Geistlicher werden!«
Aber das Leben hat selten etwas gemein mit unsern geradeaus vordringenden Wünschen; und wenn diese endlich doch so glücklich sind, in Erfüllung zu gehen, dann geschieht dies erst auf langen Umwegen und unter Umständen, die wir nicht vorher gesehen haben.