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17.
Im ersten Morgenrot des »Völkerfrühlings«.

Überblicke ich hier von der sonnigen Höhe jener Tage und Jahre, in denen ich lebte und strebte, meine Geschicke, so sehe ich zwei wirksame Faktoren, die meine Lebenswege zu bestimmen teils sichtbar und ermunternd, teils unsichtbar und scheinbar verworren geschäftig waren: meine ideal-regsame Jugend und ein aus geheimnisvoller Höhe herab fassendes und sachte lenkendes Wesen, das man Gott, Schicksal oder Bestimmung nennen möge. Wenn der erste dieser Faktoren irrte und infolge einer Heimsuchung mut- und ratlos wurde, trat der andere in wundersamer Weise ein und führte aus Nacht und Dickicht auf lichte wohlgebahnte Wege. – Meine Studien fortzusetzen, am Kanzleitisch meines Chefs redlich meine feste und gute Existenz zu finden und meinem ruhelos sehnenden Herzen die Erfüllung des heißesten Wunsches zu erringen, war der klare und unumstößliche Vorsatz meiner Jugend; und nebenher in Literatur und Poesie etwas Tüchtiges mit Feuereifer zu erstreben, war der tiefste Trieb meiner Seele. Inwiefern meinem Wunsch und Streben die Wege geebnet oder durchkreuzt wurden, wie oft schwere Bedrängnisse mich erfassten und dem sichern Untergange zuzuführen drohten, bis die milde, unsichtbare Hand aus geheimnisvoller Höhe mich rettend fasste und tröstend sicher stellte, dies soll in den nachfolgenden Blättern, die ich meinem Leben widme, treu und lebhaft, mit bitterm Ernst und, wo es sich empfiehlt, mit entsprechendem Humor zur Berichterstattung gelangen. Und hier muss ich, da die Wege meines Lebens durch ein Weltereignis gingen, diesem selbst, seinen Zeichen und Andeutungen, eine Weile den Vorrang gewähren, umso mehr als meine Erlebnisse jener Tage durch diese scheinbare Abirrung ihre richtige Beleuchtung und Ergänzung gewinnen ... Von dem Kreise junger, strebsamer Geister, die sich täglich im Caffe Geringer zusammenfanden, habe ich bereits erwähnt; der Anregungen, die von diesem Kreise ausgingen, besonders wissenschaftlicher und literarischer Art, habe ich bereits gedacht; – wenn ich nun der politischen Einflüsse und Belebungen ausführlich gedenke, die in diesem Kreise mit wachsendem Eifer, je näher das Weltereignis, von Frankreich ausgehend und ganz Europa durchrasend, in Umlauf gesetzt wurden, so habe ich die richtige und bedeutungsvolle Fährte gefunden, auf der ich meinen Lebensbericht treu und bedeutsam fortsetzen kann ... Der Zeitströmung entsprechend waren unsere Caffehaus-Besuche endlich fast ausschließlich politischen Tagesfragen gewidmet; unser Tisch in der großen Fensternische war zum jung-österreichischen »Rütli« geworden. Wir kamen wohl nicht zusammen unter dem Schutze romantischer Schauer der Nacht; auch nicht in seltsame Mäntel gehüllt und breitschirmige Hüte »tief in den Augen« – bei unsern Versammlungen leuchtete der helllichte Tag, unser Anzug war die ehrsamste, polizeilich ganz unbeanstandete Bürgertracht und die Zeit, in der wir uns fanden, pflegt der Phantasie keine Kongestionen zu bereiten; es war in der Zeit zwischen dem »kleinen Schwarzen« nach Tisch und der Jause »Melange mit Milchbrot«. Wenn etwas auffallen konnte, so war's vielleicht ein idealer Abglanz auf Stirn und Wangen, gewisse, frisch und froh in die Welt blickende Augen; auch mochte das oft vorkommende Zusammenstecken der Köpfe, wenn etwas der jungen geistigen Gemeinde besonders Nahegehendes und für hohlohrige Horcher nicht Geeignetes vorgebracht wurde, dem miselsichtigen Gebärdenspäher des Gesetzes Anlass zu Bedenken geben. Doch hatte das – so weit waren wir nach Scholz schon in der Wurzel verdorben – für uns nur etwas Schmeichelhaftes, denn es tut jungen Gemütern wohl, zur Zeit, wo sie eben in lenzhaftem Freiheitsausschlagen sind – um frühlingsmäßig zu reden – von einem Staat wie Österreich, das damals noch hochmaßgebend war unter Metternichs »weiser und machtvoller« Leitung – beachtet, beobachtet, vernadert zu werden. Hatte also unser jung-österreichisches Rütli nach außen keinerlei romantischen Aufputz, so war auch von keinem feierlichen Schwur bei Fackelschein und Schwertertanz wie bei dem Schweizer-Hirtenvolk die Rede. Ein jeder von uns trug seinen Schwur in Form von wackeren Grundsätzen im Busen. Diese Grundsätze – nach Ansicht modernster Staatsweiser nur Bakterien für Verseuchung von Staaten und Völkern – waren: Österreich, das Gott erhalte! mächtig, verjüngt als freisinniger Verfassungsstaat; Österreich im Verbande mit Deutschland, das wir nicht entbehren können und das unserer bedarf; Bewunderung und Nacheiferung der deutschen Wissenschaft; Bewunderung der deutschen Poesie in ihren erhabensten Vertretern und Nacheiferung aus allen Kräften; glühende Huldigung den Künsten und rege Pietät und Verehrung für alle, die in irgendeiner Geistesrichtung Gutes und Großes geschaffen. Als eines Tages dies und Ähnliches von einem unserer glühendsten Rütlianer hinreißend vorgetragen wurde, während wir Kopf an Kopf, in die Fensternische nächst der Kredenz zusammengedrängt, horchten, wurden wir durch einen eigentümlichen Zwischenfall gestört, gerührt, ergriffen. Der Caffewirt hatte ohne Wissen der Gäste an einer entfernten Wand des Saales einen Verschlag mit Spieluhr anbringen lassen, die nun ihr erstes Stück aufspielte, eine Art Jubel- Ouvertüre, die zu unserer Stimmung vortrefflich passte. Abergläubisch, wie der Mensch schon ist, nahmen wir die Sache als glückliche Vorbedeutung und blieben der Spieluhr immer wohlgeneigt, ob sie auch gar oft eine Melodie anschlug, die zu unserer Stimmung und Gedankenrichtung gar nicht passte. So hat sie später bei der Nachricht: » Paris in Aufruhr, Louis Philipp gestürzt und entflohen!« lustig aufgespielt: »Ein freies Leben führen wir, ein Leben voller Wonne!« Damit hatte es aber noch gute Weile; Staaten und Völker gehen nicht so rasch und leicht aus verrotteten Zuständen in gesunde, vernünftige über; der Weg führt nicht eben und über sonnenbeschienene Wiesenflächen zum Bessern ... Also hatten wir noch Jahre lang Zeit, uns in Geduld zu fassen, unsere Grundsätze abzuklären und zu vertiefen, unser Wissen zu erweitern und unser Können zu erhöhen. Unentwegt richteten wir unsern Blick nach allem, was uns geistig fördern und einst würdig einführen sollte in die über allem hochragende Gemeinschaft jener Auserlesenen, die im Staatsleben, in Wissenschaft und Kunst – aber auch im Leben als reine Geister und Charaktere sich bleibend hervorgetan haben. Es war eine schöne, fördernde, liebenswürdig-wackere Zeit. Wir liebten die Welt, die Menschheit; auch der sozialen Ordnung wurde manchmal ahnungsvoll gedacht; dieser sozialen Ordnung sollte durch mählige, ehrliche Reformen unablässig zum Bessern verholfen werden, bevor sich die Übel nach innen schlugen und nur durch Feuer und Schwert geheilt werden konnten. Aber so jung wir waren – das sahen wir bereits klar und deutlich ein: der sozialen Ordnung ist nur zu helfen auf Grundlage eines freiheitlich organisierten und von freiheitlich gesinnten Männern geleiteten Staatswesens. In summa: Lernen, Bewundern, Lieben gehörte in erster Reihe in den Kodex unserer Grundsätze. Daher liebten und bewunderten wir, insbesondere in Poesie, was ältere heimische Autoren wie Grillparzer, Grün, Bauernfeld, Lenau ect., geleistet hatten; nicht in Gegensatz zu ihnen, die im Cafe Neuner ihren Sammelpunkt hatten, wollten wir in jugendlicher Selbstüberhebung uns stellen, im Gegenteile suchte jeder von uns die ältern Meister pietätvoll auf, um ihnen ehrlich zu huldigen und von ihnen aufrichtig zu lernen. Zugleich suchten wir außerhalb unsers geschlossenen Kreises auch in der Ferne nach jüngern Gleichdenkenden und Gleichstrebenden, die später in unseren Kreis ständig eintraten oder in demselben gelegentlich hospitierten.

Man hat die Zeit, in der wir damals lebten und strebten, den »Völkerfrühling« genannt und traf mit dieser Bezeichnung ganz das Richtige, indem damals alle Völker, insbesondere jene Österreichs, durch die Beseitigung der erbärmlichen Schranken des Polizeistaats Licht und Luft zu gewinnen hofften zu freier, natürlicher und vernunftgemäßer Entwicklung geistigen und öffentlichen Lebens. Unser Rütli galt also in seiner harmlosen Verbrüderung nicht sowohl einem gewaltsamen Umsturz der Verhältnisse als der Anbahnung von Reformen zur Verjüngung Österreichs, das wir liebten. Gewiss war es eine Täuschung, diese Umgestaltung so ohne tiefe Erschütterungen zu erwarten, aber es war eine Täuschung, die ehrenvoller war als die trostlos bornierte Staatsweisheit, die unentwegt am alten Prinzip festhielt, immer nur vom »unreifen Volke« sprach und »sich nichts abdringen lassen wollte« ...


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