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In den Trübsalen des Lebens, die das Gemüt zu Boden drücken, wird derjenige am weisesten handeln und dem Herzen am zweckmäßigsten zu Hilfe kommen, der Beschäftigung sucht und bei dem Bestreben, den Anforderungen des Lebens zu entsprechen, auch Ziele verfolgt, die angenehme Hoffnungen erwecken und einen edlen Ehrgeiz zu befriedigen geeignet sind. Weil mir die zufälligen Anläufe, auf der Bühne und im Konzertsaal bescheidene Lorbeern zu erringen, misslungen waren, sollte es keine idealere Richtung mehr geben, die dem Geiste und Herzen Trost und Hoffnungen erwecken und einem höhern Ziele des Ehrgeizes zuführen könnte? Warum hatte ich so oft zu den Genien der Kunst und Poesie begeistert emporgeblickt und als kindlicher Laie Versuche gemacht, in dichterischer Form Gefühle und Ideen zum Ausdruck zu bringen?
Die beinahe unvermeidliche Wahl des priesterlichen Standes ließ es freilich sehr überflüssig und zwecklos erscheinen, jetzt noch dem schönen, aber durchaus weltlichen Ziele nachzustreben, dem Herzen und Geiste höhere Bedeutung abzugewinnen und so zur Beseligung empfänglicher Gemüter beizutragen
Ich blätterte, noch ungewiss, was werden soll, die Mappe durch, in welche ich allerlei Versuche meiner Feder zurückgelegt hatte und fand einige humoristische und satirische Skizzen, die ich beim Betrachten und Studieren der Kupferstiche Hogarths niedergeschrieben hatte. »Was sollen diese Versuche, die mir selbst nicht übel gefallen, hier unbenutzt liegen«, dachte ich, »statt auch anderen, die an dem großen englischen Künstler und Humoristen Gefallen finden, einiges Behagen zu erregen?«
Ich dachte diese Skizzen einem Zeitungsblatte anzubieten und dadurch einen Anknüpfungspunkt für spätere und andere Veröffentlichungen zu gewinnen.
Mit einer dieser wohlverschlossenen und adressierten Skizzen ging ich eines Tages in Begleitung meiner Zöglinge nach dem Prater und warf das kleine Paket in das Redaktions-Briefkästchen der »Sonntagsblätter«, das an einem Hause an der Ferdinandsbrücke angebracht war. Ohne mich einer Illusion hinzugeben, dass die Skizze bald oder überhaupt zum Abdruck kommen würde, sah ich die nächste Nummer des genannten Blattes durch – und fand zu meiner großen Überraschung den Beitrag an guter Stelle abgedruckt. Freude und Dankbarkeit veranlassten mich sofort, dem Herausgeber der Sonntagsblätter, Dr. Ludwig August Frankl, meine Aufwartung zu machen und mich zu erkundigen, welche Art von Beiträgen für das Blatt besonders erwünscht sein würde.
Ich traf den damals bereits als Dichter des »Habsburgsliedes« und zahlreicher, durch Formreinheit ausgezeichneter lyrischer und epischer Gaben vielgenannten Herausgeber der Sonntagsblätter in Gesellschaft eines jungen und eines älteren Herrn und wurde eingeladen, am etwas entfernt stehenden Redaktionstische Platz zu nehmen. Um mein Anliegen befragt, nannte ich meinen Namen und den Anlass, der mich hierher geführt hatte und Dr. Frankl sagte mir einige freundliche Worte über meinen ersten abgedruckten Beitrag; dann fragte er, was ich bereits gearbeitet habe oder zu arbeiten gedenke, und erwiderte auf meine Frage, was der Redaktion als Beitrag willkommen wäre.
»Kleine Erzählungen, Gedichte, kulturgeschichtliche Skizzen und dergleichen.«
Auf seine Frage, woher ich stamme, erwiderte ich: »Aus dem Böhmerwalde.«
Ei, meinte er, da gebe es vielleicht ein originelles Volksleben, dessen Darstellung die Leser eines Blattes interessieren dürfte.
Ich dachte nach und meinte, es sollte sich einiges mitteilen lassen, aber die Art und Weise der Darstellung wäre nicht leicht und müsste erst erwogen werden.
»Gut«, sagte Frankl. »Denken Sie darüber nach und erfreuen Sie mich nächstens mit einem Versuch solcher Schilderung!«
Ich sagte zu und erhob mich, um den Redakteur nicht länger in Anspruch zu nehmen. Schon im Fortgehen begriffen, wurde ich von Frankl den beiden anwesenden Herren noch flüchtig vorgestellt und erfuhr die Namen derselben. Der junge Herr hieß Moritz Hartmann, er war eben aus Prag angekommen, um seine Studien fortzusetzen und wurde mir als talentvoller Lyriker dargestellt. Den Namen des älteren, sehr ernsten und schweigsamen Herrn verstand ich leider nicht, da er nur leise und mit sichtlicher Verehrung ausgesprochen wurde; erst als ich die Treppe bereits hinabging und der junge Dichter Hartmann mir gefolgt war, sollte ich erfahren, dass der ältere Herr Edler von Niembsch sei, der unter dem Namen »Lenau« als lyrischer Dichter bereits hoch gefeiert werde. Ich kannte bereits eine Reihe von Gedichten Lenaus, die ihrer Formschönheit und herzbewegenden Melancholie wegen mich tief ergriffen hatten. Ich bedauerte daher, den stillen, ernst-nachdenklich dasitzenden Herrn nicht näher betrachtet zu haben, erhielt aber von Hartmann die Zusicherung, dass er mir nächstens Gelegenheit bieten werde, den Dichter nach Herzenslust zu betrachten, da er in einem Kaffeehause (bei Neuner) täglich zu sehen sei, wo er seine Partie Billard zu spielen pflege. Hartmann, ein anziehender junger Mann mit langem nach dem Nacken gekämmtem, wallendem Haare, begleitete mich bis zum Passauerhofe, meiner Wohnung, und gewann meine innige Neigung durch freundliches, geistig regsames Wesen. Da er in der nächsten Nähe wohnte und mich einlud, ihn öfter zu besuchen, wurde ein Umgang angeknüpft, der durch ein halbes Leben dauerte, immer inniger wurde und in stürmischen Tagen Trost und Festigkeit gewährte.
Die Anregung Frankls zu Schilderungen des Volkslebens meiner Böhmerwälder Heimat hatte ungeahnte Folgen.
Wie eine chemische Flüssigkeit durch leichten Anstoß oder Rütteln sogleich in kristallige Formen anschießt, so stand das Volksleben der Heimat beim ersten Anlassen der Phantasie in fertigen Bildern vor meinen Augen. Ich griff auch gleich zu und brachte einige der Volkssitten und Gebräuche frisch und kräftig zu Papier, die ich unverweilt ablieferte und die ebenso unverweilt in den Sonntagsblättern abgedruckt wurden. Der Beifall und die Aufmunterung, die ihnen zuteil wurden, spornten zur Fortsetzung dieser Schilderungen, und es dauerte nicht lange, so erhielt ich von Redaktionen aus der Nähe und Ferne, so auch von Theodor Mundts »Freihafen«, Ansuchen um Einsendung von ähnlichen Schilderungen. Kleine Bilder und Erzählungen, die ich fast gleichzeitig in der von Witthauer in Wien herausgegebenen Wochenschrift »Der Zuschauer« und in dem von J. N. Vogl redigierten »Österreichischem Morgenblatte« veröffentlichte, halfen meinen Namen in weiteren Kreisen aufmunternd bekannt machen. Nun erschien auch bald keine Revue, kein Album, kein literarisches Heft, die nicht Beiträge wünschten und mich durch freundliche Anerkennungen geneigt zu machen suchten, ihren Wünschen zu entsprechen. Natürlich suchte ich diesen Wünschen nach Tunlichkeit zu entsprechen, bis ich meine Mappe erschöpft hatte, die auch manche lyrische Gedichte und dramatische Fragmente lieferte.
Mit diesen Veröffentlichungen Hand in Hand ging die Einführung in literarische Kreise und die rasche Erweiterung der Bekanntschaften mit mehr oder weniger verehrten und gefeierten Namen des Tages. Castelli, J. G. Seidl, J. N. Vogl, welche damals einer nicht gewöhnlichen Beliebtheit sich erfreuten, zählten zu den ersten Männern, welche mir ihre Neigung zuwandten.
Bauernfeld lernte ich bald darauf im Planer'schen Hause selbst persönlich kennen. Er traf sehr oft mit Frau v. Planer in den besten gesellschaftlichen Kreisen zusammen und erschien auch ab und zu im Planer'schen Hause, um der liebenswürdigen und heiteren Dame seine Aufwartung zu machen. Gelegentlich eines solchen Besuches ließ mich Frau v. Planer rufen, um mich dem schon damals sehr gefeierten »Dichter des Burgtheaters« vorzustellen. Er kannte bereits einige meiner bescheidenen Veröffentlichungen und munterte mich mit jener Liebenswürdigkeit, die in Wien jugendlichen Talenten damals entgegengebracht wurde, zu weiteren Versuchen auf; auch war er so freundlich, mich einzuladen, ihn zu besuchen.
Schon bei diesem ersten Zusammentreffen lernte ich Bauernfeld nach zweien seiner charakteristischen Eigenheiten hin kennen. Denn war er anfangs im Benehmen und Gespräche heiter und beweglich, so wurde er plötzlich unwirsch, hart und poltronhaft, als die Frage an ihn gerichtet wurde, wann sein neues Stück im Burgtheater zur Aufführung gelangen werde? Er hatte nämlich nach mehrern schönen Erfolgen nicht lange zuvor das Unglück gehabt, mit einem Stücke »Der Selbstquäler« übel anzulaufen. Er verwünschte das Burgtheater, die Schauspieler desselben, »die einem alles verderben«, das Publikum, »das manchmal mit Brettern verschlagen sei« und verschwor es hoch und teuer, für das Burgtheater überhaupt je wieder etwas zu schreiben! Und doch war bekannt, dass er eben wieder ein Stück in Vorbereitung habe, das für La Roche und Louise Neumann wahre Glanzrollen enthalten solle. Frau v. Planer, die den Dichter sehr wohl kannte, erinnerte lächelnd an diese »Neuigkeit« und bewirkte dadurch eine merkwürdige Wandlung im Benehmen des Tobenden. Er war einige Augenblicke stille, begann selbst zu lächeln und sagte dann etwas ruhiger und milder: »Ja, ich hab' was Neues vor; aber nicht für das Burgtheater; ich lass es wo anders aufführen – justament trotz La Roche und Louise Neumann, die ich freilich bei der Arbeit sehr stark vor Augen gehabt habe!« Als ich bald darauf dem Dichter meinen ersten Besuch abstattete, fand ich ihn in allerbester Stimmung, er war mit dem Burgtheater und dessen Künstlern wieder vollständig ausgesöhnt und polterte nun eigentlich gegen sich selbst, weil er gerade da, wo er es am wenigsten erwartet habe, stecken geblieben sei. »Wenn das Zeug nicht vorwärts will«, rief er in köstlicher Aufregung, »so spaziert die ganze Herrlichkeit ins Feuer, und ich schreibe in meinem Leben kein Stück mehr!« Wie er mir kurz darauf bei einer Begegnung auf der Straße etwas ärgerlich mitteilte, war das neue Stück bereits fertig – und ein neueres Stück schon wieder in Arbeit! – »Die Katze lässt das Mausen nicht!« rief er mir, schon im Weitergehen, lachend zurück! …
Indessen hatte mein Verkehr mit Hartmann die Folge, dass ich in einen Kreis von jungen, strebsamen Männern eingeführt wurde, die später nach den verschiedensten Richtungen hin sich auszeichneten und lange Zeit rühmlich genannt wurden.
Der Vereinigungsort dieser jungen Geister war das Kaffeehaus Gehringer auf dem Bauernmarkt Nr. 5, wo sich gegenwärtig (1890) das Konfektionsgeschäft F. Gangusch befindet.
Da die jungen Männer den verschiedensten Berufen angehörten, manche noch ihren medizinischen oder juristischen Studien oblagen, andere bereits in Staatsämtern oder Advokaturskanzleien beschäftigt waren, alle aber viel gelesen und erfahren hatten, so war der geistige Verkehr ein vielseitigerer und anregenderer, als er in jüngeren Kreisen gefunden zu werden pflegt; zwei hervorragende Interessen aber waren es, welche Geist und Gemüt besonders in Bewegung setzten, die beginnende politische Bewegung und die Aufgaben und Leistungen der Poesie und Literatur der Gegenwart. Alles, was in beiden Richtungen anregte oder gar Aufsehen machte, wurde herbeigeschafft und in Umlauf gesetzt, oft unter den raffiniertesten Vorsichtsmaßregeln, da wir wussten, dass nach verbotenen Broschüren und Büchern sehr scharf geforscht wurde. Ich war erstaunt über die Menge teils reifer, teils unreifer Theorien, die über Literatur und Poesie zu Tage gefördert wurden, hielt mich an das, was mir gut und zutreffend schien, und ließ zu Boden fallen, was mir in unreifer Theorie herumzufackeln schien. Auch hatte ich bald aus dem Kreise diejenigen herausgefunden, welche meiner Ansicht nach in jeder Hinsicht die Dinge am sichersten und klarsten anfassten, und schloss mich ihnen mit besonderer Neigung an.
Unter den Nachrichten, die in Umlauf kamen, waren besonders die willkommen über den Aufenthalt deutscher Berühmtheiten in Wien; zu diesen drängte sich dann vom strebsamen jungen Österreich, was Gelegenheit finden konnte, sich vorzustellen. Zu schüchtern und bescheiden, um mich irgendwie vorzudrängen, versäumte ich viele solche Gelegenheiten und wurde mehr gedrängt und mitgezogen, wo ich einer in unserm Kreise bereits anerkannten Größe gegenüber trat.
Dies war der Fall bei meiner Begegnung mit Franz Dingelstedt. Dieser, damals bereits als Lyriker, Essayist und Novellendichter sehr anerkannt, kam nach Wien, um von hieraus für die Augsburger Allgemeine Zeitung, die auf der Höhe ihres Ansehens stand, Kunst- und Literaturbriefe zu schreiben.
Natürlich entstand sofort eine große Bewegung in der Armee ehrgeiziger Jünger der Kunst und Literatur, um in die Nähe dieses mächtigen Fürsprechers und Förderers zu gelangen und öffentlich genannt zu werden.
Moritz Hartmann, dessen liebenswürdige und gewandte Art, sich in Familien wie bei hervorragenden Personen einzuführen oder einführen zu lassen, merkwürdig war, war auch in diesem Falle der erste unseres Kreises, der die persönliche Bekanntschaft Dingelstedts machte. Er hatte sich dabei der mächtigen Empfehlung des Dichters Lenau bedient und wusste durch Vorlage einiger hübscher Gedichte und durch seine einnehmende Erscheinung Dingelstedt wärmer zu interessieren. Nach seinem zweiten oder dritten Besuche überraschte mich Hartmann mit der Aufforderung, ihn zu Dingelstedt zu begleiten. »Er hat deine Schilderungen im Freihafen gelesen, sagte er, »und wird sich freuen, dich kennen zu lernen.« Eine solche Aufforderung überwand meine Befangenheit, und ich begleitete Hartmann zu Dingelstedt, der mich mit großem Wohlwollen empfieng. »Sie werden doch Ihre Schilderungen« sagte er nach der Begrüßung, »fortsetzen und zu einem Ganzen abschließen? Sie verschaffen uns Einblick in das originelle Gebiet eines noch unbekannten Lebens unseres Volkes in einer Zeit, wo man so lebhaft bestrebt ist, dem deutschen Leben und Schrifttum nachzuforschen. Vollenden Sie Ihr Buch, für Sie wird sich auch ein Verleger finden!« Diese für einen jungen Autor sehr erfreuliche Aussicht wirkte mächtig belebend auf meine literarische Arbeit; ich konnte dem Förderer derselben bei jedem folgenden Besuche, zu denen ich aufgemuntert wurde, Mitteilung machen von dem Vorrücken meiner Versuche, die er stets zu sehen wünschte und aufs Neue belobte. Eine sehr unliebsame Buschklepperei, die Adolf Bäuerle bald darauf, ich erinnere mich nicht mehr, aus welchem Anlass, gegen Dingelstedt in seiner Theaterzeitung losließ, veranlasste diesen leider, Wien für diesmal früher zu verlassen und mir die Gelegenheit zu benehmen, mich von ihm zu verabschieden; – doch sollte ich später, als Dingelstedt in der Absicht, für die Allgemeine Zeitung zu wirken, wieder nach Wien kam, die angenehme Überzeugung gewinnen, dass er mir sein erstes Wohlwollen bewahrt hatte und ungeschwächt wieder mit zurückbrachte ... Darüber waren aber zwei folgenschwere, für meine Zukunft geradezu entscheidende Jahre dahingegangen ...
Bald nach der Abreise Dingelstedts erkrankte mein lieber, treuer Freund Theodor v. Planer. Das bedauernswerte Ereignis trat zu einer Zeit ein, wo die Vorbereitung zu den Prüfungen alle Aufmerksamkeit und Kraft in Anspruch nahm; eine ernstere Erkrankung in dieser Zeit kam gewöhnlich dem Verlust eines Studienjahres gleich, da die Prüfungen auch zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt unmöglich nachgetragen werden konnten. Freund Theodor musste sich aller geistigen Anstrengung enthalten, bald gab man auch die Hoffnung aus Rettung des Studienjahres auf, und der Kranke war darüber am wenigsten betrübt. Sein Herz hatte sich längst mit ganzer Liebe der Kunst zugewendet und die Sorge, dass er durch die Krankheit Schaden an der Stimme erleiden könnte, drängte alle andern Besorgnisse in den Hintergrund. Übrigens hatte er seit Jahr und Tag alle freie Zeit einer zweiten Kunst, der Malerei, gewidmet und in dieser mit einem jungen, sehr talentvollen Freunde, Conrad Grefe, der fortan in unserm Herzensbunde der Dritte blieb, ganz erfreuliche Fortschritte gemacht; die Malerei sollte für den Fall, dass es mit der Gesangskunst fehlschlug, Theodors Lebensberuf werden. Glücklicherweise litt die Stimme Theodors durch die lange Krankheit keinen Schaden; die Gesangskunst blieb also in erster Reihe Lebensaufgabe – dagegen war es mit den Studien und mit dem frühern Plane, ins Olmützer Domstift einzutreten, ein für allemale zu Ende.
Hätte dies für meine Wahl des geistlichen Standes keine sonderliche Bedeutung haben können, so trat dagegen, gerade während ich mit allem Eifer und Erfolg meine Prüfungen ablegte, ein anderes Ereignis ein, das allerdings für die Absicht, meinen Eintritt in das Stift Klosterneuburg zu erwirken, von entscheidendem Einfluss war. Der für meine Aufnahme so wohlwollend gestimmte Prälat des Klosters starb, und es hätte der neuerlichen Bemühung um eine erfolgreiche Protektion bedurft. Aber um diese rechtzeitig auszufinden und warm zu halten, hätte die gütige Frau von Planer damals nicht durch ein Erlebnis, dessen Wesen und Bedeutung mir nie enträtselt werden konnte, unlustig und wie gelähmt werden müssen.
Eines Tages, von einer gelungenen Prüfung nach Hause kommend und im Begriffe, der mütterlichen Gönnerin darüber Bericht zu erstatten, sah ich, da ich durch eine Nebentüre in das Vorzimmer trat, durch die Türe nach der Vorhalle eben den Kapuzinermönch, Pater Franz, sich entfernen, der, wie ich allerdings schon wusste, seit Langem auch der Seelenrat der Frau von Planer war. Pater Franz hatte mich bei seinem Entfernen nicht gesehen, würde mich wohl auch nicht mehr erkannt haben – aber das böse Gewissen wollte mir einreden, dass die Anwesenheit des Mönches diesmal auch meiner Person gegolten haben möge; war ja das Mönchskloster in der Provinz, in welchem ich mich um Aufnahme gemeldet – aber noch nicht abgemeldet – hatte, eine Filiale des Kapuzinerklosters in Wien ... Doch meine Sorge war selbstverständlich ganz unbegründet; ich fand meine verehrte Gönnerin schmerzgebeugt und in Tränen; ich wagte es kaum, meinen Bericht über die wohl bestandene Prüfung zu erstatten, und hörte auch in der nächsten Zeit, wo die Stunde der Entscheidung immer näher rückte, meiner geistlichen Angelegenheiten gar nicht mehr erwähnen ...
Inzwischen war mein Manuskript, dessen Titel »Aus dem Böhmerwalde« der Dichter J. G. Seidl mitbestimmen half, in der Gestalt vollendet, in welcher es später erschienen ist; Dingelstedts Worte, »für Sie wird sich auch ein Verleger finden,« kamen mir jetzt wohl in Erinnerung, aber der Spender dieser Worte war ferne und ich in Angelegenheiten des Buchhandels ein Kind im wahren Sinne des Wortes. Die Sehnsucht, unter den literarischen Freunden mich bemerkbar zu machen und auch der lebhafte Wunsch, meinem Herrn Chef und seiner Gemahlin eine Überraschung zu bereiten, trieben mich an, trotz meiner Befangenheit eine Wanderung zu Wiener Verlagsbuchhändlern zu unternehmen und ihnen meine Arbeit anzubieten. Der Erfolg meines Kreuz- und Querganges war kein anderer als derjenige aller jungen Männer, die ohne Erfahrung und Nachhilfe den Weg in die Öffentlichkeit suchen. Ein und der andere Verleger wollte bereits mit Verlagsartikeln reichlich versehen sein; einige ersuchten mich, das Mannskript für kurze Zeit zur Durchsicht dazulassen und gaben es dann mit dem Bedauern zurück, dass ich nicht einen Roman daraus gemacht habe; die meisten Verleger klagten über schlechte Zeiten und die üblen Erfahrungen, die sie mit jungen Talenten schon gemacht hätten. – Einer jedoch, der sich noch ein namhaftes Publikum von Freunden der Ritterliteratur erhalten hatte, munterte mich auf, ihm einen Ritterroman a la Spieß zu schreiben, wofür er mir ein Honorar von fünfzehn Gulden – für zwei Bände das Doppelte – im voraus zusichern könne ...
Beschämt und tiefgebeugt trug ich mein durch Verlegerhände arg zerwühltes Manuskript wieder nach Hause und war in Gefahr, in jene tiefe Melancholie zurückzusinken, welche mich früher bewogen hatte, um die Aufnahme in ein Mönchskloster anzusuchen; – hätte ich doch durch die Herausgabe meines Buches gerne auch dem Rieserl eine angenehme Überraschung bereitet!
In dieser Stimmung kam mir besonders ein Gedanke zu Hilfe und bewahrte mich vor dem Unglück, mich und meine Zukunft trostlos fallen zu lassen, der Gedanke an die zwei noch abzulegenden Prüfungen, ohne welche ich nicht einmal die Absicht ausführen konnte, mich in die Einsamkeit eines Mönchsklosters zurückzuziehen. Ich raffte mich also mit allen Kräften zu einer fieberhaften Tätigkeit auf, die zu einem glücklichen Erfolge meiner Prüfungen führte und mir schon dadurch wieder zu einer vertrauensvolleren Stimmung verhalf. Aber wie selten ein Unglück allein kommt, so erleben wir oft auch ein frohes Ereignis nur in Begleitung eines andern; am Tage nach der glücklich bestandenen letzten Prüfung erschien Dingelstedt wieder in Wien, und ich ermangelte nicht, ihn zu besuchen. Freundlichst nahm er mich auf und erkundigte sich sogleich nach meinem Mannskripte. Ich berichtete ihm sehr verzagt, dass es vollendet, aber von Wiener Verlagsfirmen abgewiesen worden sei. Lachend bemerkte er: »Und das fällt Ihnen so sehr aufs Herz? Mut! Sie haben da nur erlebt, was gar vielen der berühmtesten Autoren vor Ihnen geschehen ist und nach Ihnen noch geschehen wird. Getrost! Wir haben bereits einen Verleger! Ich bringe ihn sogar schon mit!«
Und er erzählte mir, dass er über Leipzig nach Wien gekommen sei und mit dem Inhaber der Firma »Einhorn« (später Grunow) gesprochen habe, der mein Buch gerne drucken wolle.
»Schicken Sie ihm Ihr Manuskript sogleich ein«, fuhr Dingelstedt fort, »überlassen Sie dem Verleger selbst, das Honorar zu bestimmen – und in sechs Wochen liegt Ihr geistiges Kind in schöner Gewandung vor Ihnen!«
Ich wusste nicht Worte des Dankes zu finden; mit einem Schlage war ich wie neugeboren, ein anderer Mensch: Freude, Hoffnung, Vertrauen auf zukünftige Dinge waren in einem Aufleuchten wieder da, und das glückliche Ereignis tief im verschwiegenen Herzen, schickte ich mein Manuskript mit entsprechendem Briefe nach Leipzig; – binnen acht Tagen hatte ich die Antwort in Händen: Annahme des Mannskriptes, Bestimmung der Auflage und Anbot eines mir namhaft erscheinenden Honorares!
Natürlich flog mein »Einverstanden« umgehend nach Leipzig zurück, und zwölf Tage später hielt ich das Honorar und den ersten Revisionsbogen in meiner Hand! ...
Die Wochen, die nun folgten, zählten zu den glückseligsten meines Lebens. Meinen Eltern schickte ich, um ihnen eine Freude zu machen, einen Teil des Honorares; meine nächsten Freunde machte ich unter dem Siegel der Verschwiegenheit mit meinem Autorglücke bekannt; – die Familie v. Planer sollte erst mit einem Prachtexemplare meines Buches selbst überrascht werden; Freund Theodor, mein armer Leidender, allein durfte meine stillen Autorfreuden von ihrem Beginne an mit mir teilen. Ihm teilte ich auch zuerst vertraulich mit, dass ich nun fest entschlossen sei, den geistlichen Stand nicht zu wählen; meine ganze Neigung sei nun den juridischen Studien zugewendet. »Dein Vater« fuhr ich fort, »ist hochbejahrt, ich werde seiner Kanzlei bereits während meiner Studien einige Dienste leisten können – wer weiß, ob es nicht möglich sein wird, diese Kanzlei ganz zu übernehmen, wenn ich rechtzeitig meine erforderlichen Studien vollendet haben werde« ... Dass mir dann mit der Kanzlei auch – Fräulein Rieserl zufallen könnte, diese stille Hoffnung wagte ich natürlich auch dem Freunde Theodor nicht anzuvertrauen ...
Eines schönen Morgens suchte ich meinen besten Anzug hervor, nahm ein schön gebundenes, in feines, weißes Papier gewickeltes Buch aus dem Schranke und begab mich herzklopfend in das Arbeitszimmer meines Chefs. Er war ausgegangen; ich legte daher das Buch auf seinen Lesetisch und schlich erleichterten Herzens wieder davon, da ich keine Anrede halten musste. Etwa eine Stunde später kam einer meiner Zöglinge gelaufen und sagte: »Sie möchten gleich zu der Mutter kommen!«
Ich ahnte den Anlass dieser Einladung und fand die mütterliche Gönnerin, körperlich sehr leidend, in einem Armstuhl sitzen. Sie hob ein schöngebundenes Buch in die Höhe und sagte lächelnd: »Sie haben meinem Manne eine große Überraschung und Freude bereitet; eben hat er mir das Buch gebracht und wünscht Sie zu sprechen. Ihre Widmung des Buches ist eine liebe Aufmerksamkeit!«
Ihrem Winke folgend, ging ich in das anstoßende Arbeitszimmer des Chefs und wurde hier auf das Gütigste aufgenommen und aufgemuntert; dann sagte Herr v. Planer:
»Wie ich gehört habe, wollen Sie ja den geistlichen Stand erwählen? Ist das richtig so? Wie wird sich das mit Ihren literarischen Bestrebungen vereinigen lassen?«
Jetzt war es um mein strengbewahrtes Geheimnis geschehen.
Ich gestand meine Absicht, die juridischen Studien zu wählen, um so bald als möglich auch schon bei den Kanzleiarbeiten im Hause nützen zu können.
Das Geständnis kam meinem Chef ganz unerwartet; doch nahm er es beifällig lächelnd auf.
»Die Studien werden Sie eingehend genug beschäftigen«, sagte er nach einer Pause, »das Übrige wird sich später erwägen lassen.«
Schon am nächsten Tage sollte ich einer wohltätigen Folge dieses neuen Verhältnisses zum Hause teilhaftig werden. Es wurde mir der zeitraubende und oft auch anstrengende Hausunterricht der Zöglinge abgenommen und einem Lehrer übertragen, der täglich zu gewissen Stunden zu erscheinen hatte, während ich unter den frühern Verhältnissen im Hause blieb und nur die Aufsicht und gesellige Führung der Zöglinge zu besorgen hatte – »behufs Erleichterung der Studien und Förderung meiner sonstigen Bestrebungen«, hieß es bei der Ankündigung dieser wichtigen neuen Gunst des Hauses ... Diesem Glücke gesellte sich bald eine neue bedeutsame Gunstbezeugung des Geschickes hinzu: Dingelstedt erwähnte in einem seiner Literaturbriefe der »Augsburger Allgemeinen Zeitung« meines neu erschienenen Buches und gedachte dabei des jungen Autors mit einigen aufmunternden Worten ...
Damit war ich in aller Form und Gunst in die Literatur der Gegenwart eingeführt. Mein Glück war groß, meine Vorsätze, weiter zu streben und noch Ungeahntes zu erreichen, noch viel größer ... Glückliche Jugend, die nicht Klippen und Abgründe, Feinde, Gefahren, Irrtümer und den dicken Schweiß der Arbeit eines langen, strebsamen Lebens vor sich sieht – lächelnd und mit Wehmut gedenke ich deines unentwegten Mutes und Vertrauens während meines langen Lebens und Strebens – seh' ich diesen Mut und dieses Vertrauen am Ziele doch nicht ganz unbelohnt und nicht ohne Segen für meine alten Tage! ...