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Die ersten Ferien meines Hofmeistertums hatten wir in der Planer'schen Villa in Döbling unvergesslich verlebt. Der Sommer bestand in einer fast ununterbrochenen Reihe schöner Tage, die wir im großen Garten, auf kleinern und größern Ausflügen, namentlich nach dem Kahlenberge hin in jener schwungvollen Fröhlichkeit genossen, die der Jugend eigen zu sein pflegt. Im Garten und auf kleinern Ausflügen war Theodors jüngere Schwester Therese (nach Wiener Art »Riesa«, meist »Rieserl« genannt) unsere treue und liebe Gefährtin, und ich hätte aus dem Umstande, dass mir die Unterhaltungen und Spiele ohne sie nicht recht behagen wollten, Anlass nehmen sollen, meinem Herzen Vorsicht zu empfehlen; allein in dieser Hinsicht ist die Jugend selten willens oder in der Lage, über sich hofmeisterliche Aufsicht zu führen, und so überließ ich mich einem aufkeimenden Gefühle sorglos und ungemessen, bis es die Gewalt einer Leidenschaft erreichte, die nicht mehr zu bekämpfen und zu bewältigen war. Ich glaube den Tag und die Stunde beginnender Neigung noch genau bezeichnen zu können; wir hatten eines Nachmittags einen Ausflug nach dem Kahlenberge hin gemacht und wanderten zwischen Kornfeldern und Weinbergen hin, Feld- und Wiesenblumen pflückend und zu großen Büschen sammelnd oder zu kleinern Sträußchen bindend. Die Zöglinge kamen ab und zu gesprungen, um mir ihre Sammlungen zu zeigen oder nach dem Namen einer besonders schönen Blume zu fragen, während ihre Schwester still und sinnend sammelte, in der Auswahl ihrer Blumen äußerst sorgsam war und sie, bald stille stehend, bald an einem Wiesenabhang sitzend, gleich in einen allerliebsten Strauß zusammenband. Freund Theodor und ich hatten uns bald des Blumensuchens entschlagen, begnügten uns, ein paar Blüten, ins Knopfloch an der Brust zu stecken, und schritten, in ein Gespräch vertieft, sachte zwischen Feld und Wiese dahin, als Fräulein Rieserl, den schönen Strauß vollendend, uns entgegen kam, ihn erst etwas emporhob, um ihn würdigen und beloben zu lassen – und ihn dann freundlich und leicht errötend mir zu überreichen. Ihre schönen, dunkelbraunen Augen leuchteten seelenvoll auf, dann wendete sie sich, ohne ein Wort zu sagen, rasch hinweg und begann weitere Blumen zu suchen, während ich, den erhaltenen Strauß in der Hand, still, wie selbst verloren, der lieben Spenderin nachsah, die hübsch sommerlich weiß gekleidet, ein rotes Seidenband um den Hals, am Wiesenrande weiter gierig und von Neuem anfing, Blumen zu suchen und in ein Bouquet zu binden ... Wie wir heimkamen, wie ich die Nacht, den nächsten Morgen und die folgenden Tage hinbrachte, ist meiner Erinnerung ganz entschwunden, ich weiß nur noch im Allgemeinen, dass mir die Welt von da an neu, das Leben als ein beseligendes Rätsel erschien, das sich täglich erneuerte und löste und wieder unlösbar schien, bis der sonnigen Seligkeit sich bittere Tropfen, Wermuttropfen, beimischten und den ungetrübten Himmel meines Herzens nach und nach in ein Fegefeuer all' der Qualen verwandelten, die einer hoffnungslosen Leidenschaft anhaften und endlich Geist und Gemüt zu zerrütten drohen ...
Unter den Bekannten und Freunden des Planer'schen Hauses, die teils als Gäste an besonderen Tagen, teils als gern gesehene Besucher zeitweise ihre Aufwartung machten, waren manche junge Männer, die bereits gute Stellungen einnahmen oder, aus geachteten Familien stammend, auf dem besten Wege waren, als Ärzte oder im Staatsdienste ihr Glück zu machen. Sie wussten sich, jeder in seiner Art, durch ihre Fröhlichkeit und ihren Wiener Mutterwitz angenehm und beliebt zu machen und wurden immer gern gesehen und auf das Liebenswürdigste dem Hause treu erhalten. Da konnte es nicht fehlen, dass bald auch dem in so lieber Anmut aufblühenden Töchterchen des Hauses die Aufmerksamkeit der jungen Gäste mehr oder minder auffallend zugewendet wurde, und nichts war natürlicher als das fröhliche Glück des jungen Mädchenherzens über diese ersten Huldigungen junger, würdiger Männer, deren jeder ohne Zweifel von den Eltern im Falle ernsterer Absichten ein freundliches Entgegenkommen gefunden haben würde.
Mein jäh aufflammendes Herz, das aus einem einfachen Zeichen freundlicher Gesinnung maßlose Folgerungen zog, sah sich angesichts solcher Umstände wie von einem Schwarme von Hornissen angefallen, deren Stacheln, in das Gift wilder Eifersucht getaucht, unsagbare Schmerzen verursachten. Jeder freundliche Blick, jedes artige, den jungen Männern gewidmete Wort des verehrten Kindes, verwundeten meine krankhaft zuckende Seele und zerrissen sie umso heftiger, als ich wehrlos und rechtlos diesen Heimsuchungen gegenüber stand.
Wer war ich, dass ich mich erkühnen durfte, die kindliche Freude des jungen Mädchenherzens an den Aufmerksamkeiten der hübschen Freunde des Hauses übel zu nehmen, und was berechtigte mich, alle Zeichen des Wohlwollens als mir allein gebührend zu erachten? Eine liebe Freundlichkeit, erwiesen aus dem fröhlichen Gange zwischen Wiesen und Feldern, konnte doch keine Vollmacht bieten, mich als Mittelpunkt aller Güte und Liebe eines aufblühenden Mädchenherzens anzusehen? Fräulein Rieserl blieb lieb und gut gegen mich – hätte dies allein nicht schon als unschätzbares Glück erscheinen sollen, da ich von all' den jungen Freunden des Hauses in jeder Hinsicht übertroffen wurde? Ich hatte meine Studien noch nicht vollendet – und die jungen Freunde des Hauses befanden sich bereits in Stellungen oder hatten solche binnen Kurzem zu erwarten; ich gestand mir selbst, dass meine äußere Erscheinung neben keinem der jungen Männer ebenbürtig genannt werden dürfe und dass es als eine Vermessenheit erscheinen müsse, wenn der arme Hofmeister, der im Hause den einzigen sichern Halt gefunden, Auge und Herz mit verwegener Heftigkeit nach dem Töchterchen desselben Hauses richte. Aber wo wäre die Liebe, die von Verblendung und Eigennutz frei, die Dinge nähme, wie sie sind? Alles oder nichts; siegen oder sterben; über alle Abgründe des Lebens weg das Ziel erreichen oder an den ersten besten Hindernissen zerschellen für ewig – das ist die tolle Philosophie der Leidenschaft, und dieser Philosophie entging auch mein Herz nicht, nur kam mir eine Eigenheit dabei zu statten, die sich durch meine strenge Abhängigkeit in der Welt herausgebildet hatte; ich konnte verschlossen sein, wie erzumgürtet, und Schmerzen, Stürme, Verzweiflung in mir zum Austrag bringen, ohne dass ein Menschenauge irgendein anderes Zeichen gewahrte als Schwermut und Trauer. Freund Theodor konnte unmöglich auch in dieser Angelegenheit mein lieber Vertrauter sein, und sonst hatte ich keine berufene Seele. Ich kämpfte also fort von jenen Tagen an bis in die vielen Jahre, glaubte oft, den Qualen unterliegen zu müssen, raffte mich auf, um bald wieder zu Boden zu liegen, hoffte manchmal mich wieder frei zu kämpfen durch Aufsuchen einer neuen Liebe und lag bald nur noch tiefer in den Fesseln der alten. Still, verschlossen, seltsam oft, gar übellaunig – auch gegen den Gegenstand meines Herzens – erschien ich eine lange Zeit das Opfer jener innern Kämpfe, und ich darf wohl sagen, dass es zumeist meine Studien, Aufgaben, literarischen und poetischen Arbeiten waren, die mir Brücken schlagen halfen über Abgründe, denen ich ohne sie unrettbar verfallen musste.
Ein ungeheuerlicher Ehrgeiz erwachte in mir, er sollte mein Retter und Wundertäter werden durch eine Großtat, sei es in der Wissenschaft oder in der Literatur und Kunst; daher nahm ich abwechselnd meine Studien, meine Poetischen und literarischen Arbeiten und meine musikalischen Übungen mit fanatischem Übereifer auf, um so bald als möglich in die Lage zu kommen, etwas Außerordentliches zu leisten und einen glänzenden Erfolg zu erringen; dieser Erfolg sollte zu einem unvergleichlichen Glücke führen – selbstverständlich zu einem Glücke, dessen Hauptinhalt der Gegenstand meiner Liebe war. Rieserls Herz sollte erfreut, erwärmt, hingerissen werden durch eine Leistung, welche geeignet war, mich vor den vermeintlichen Nebenbuhlern im Planer'schen Hause rühmlich auszuzeichnen. Und als eine solche Leistung – lag das nicht nahe? – – wurde die Darstellung des Prinzen in Emilia Galotti bestimmt. Mir schwebte die schöne Leistung Fichtners im Burgtheater vor, und die Überzeugung, dass ich es nicht schlechter machen und gleichviel Beifall ernten würde, beglückte mein viel durchstürmtes Herz. Nach des jungen Anschütz Versicherung stand mir am Abend der Darstellung des Prinzen eine Loge zur Verfügung, und in dieser Loge sah ich bereits die gütige Frau v. Planer, nebenan ihr Töchterchen, dann Freund Theodor und meine Zöglinge sitzen, gerührt, erfreut und begeistert von meinem Spiel und dessen Ehren. Ein erträumtes Glück ist auch ein Glück, und wenn das Glück in Wahrheit nicht eintreten sollte, so mag der Traum als Ersatz – wenn auch als sehr geringer Ersatz – hingenommen werden. Mein erträumtes Glück trat auch nicht ein, und ich glaubte bald genug zu erkennen, dass mein glücklicher Traum glücklicherweise nicht zur Wirklichkeit wurde ...
Der Tag der ersten Probe war gekommen, und ich wollte mich eben in gehobener Stimmung auf den Weg zum Theater machen, als der junge Anschütz in meiner Wohnung erschien und mir eine überraschende Nachricht brachte. Der Ersatzmann, welcher für den Fall meiner Verhinderung den Prinzen spielen sollte, hatte plötzlich die Bedingung gestellt, dass er, wenn er überhaupt auf der Dilettantenbühne mittun sollte, bei der ersten Aufführung der Emilia Galotti den Prinzen spielen müsste. Überrascht fragte ich, welcher Bescheid dem jungen Manne geworden sei. Anschütz sagte: »Noch gar keiner; wir wollten erst Sie hören; wenn Sie dagegen sind, so wird der junge Mann abgewiesen und Sie spielen den Prinzen bei der ersten Aufführung!« Ich fragte, ob der Ersatzmann besonderes Talent habe und für künftige Aufführungen von Nutzen werden könne. Anschütz meinte, nach dem Wenigen, was man bisher gesehen habe, scheine Talent vorhanden zu sein, ein besonderer Vorzug sei die sehr schöne Erscheinung des jungen Mannes, die, wenn das Talent sich sonst bewähre, später eine Zugkraft der Dilettantenbühne werden müsse. Meine anfängliche Verstimmung wich; ich gab meine Zustimmung, dass der Ersatzmann den Prinzen zuerst spiele und tröstete mich mit der angenehmen Illusion, bei der zweiten Vorstellung durch eine Meisterleistung den ehrgeizig-eitlen Nebenbuhler zur Bescheidenheit und Vernunft zu bringen. Vom Besuch der Probe wollte ich aber nichts wissen, ich wollte nur der Aufführung beiwohnen und nach dieser meine weiteren Entschlüsse fassen ...
Der Tag der Aufführung kam und brachte ein Ereignis, das für Anschütz und unsern Freundeskreis auf lange Zeit in abschreckender Erinnerung geblieben ist. Obwohl die Aufführung der Emilia Galotti im Ganzen recht artig von statten ging, war doch die Darstellung des »Prinzen« in einer Weise missraten, dass selbst das wohlwollende geladene Publicum im Unmut sich so weit vergaß, den Darsteller des Prinzen von der ersten Szene an durch alle folgenden Auftritte erst zu belächeln, dann auszulachen, auszupochen und auszuhöhnen begann. Und in der Tat war in Haltung, Sprache und Gebärde des Prinzen nicht ein Zug Natur und Sitte, sondern alles überhetzt, übertrieben, eitel vordringlich und in Mätzchen ausartend, so dass jedem Zuschauer der Faden der Geduld und Nachsicht reißen musste ... Mir war durch diesen Misserfolg kein Triumph bereitet; ich verließ mit Schrecken das Theater, denn bei aller Überzeugung, dass ich die Sache vielfach besser gemacht haben würde, klang doch eine Stimme durch meine Überzeugung: »Wie, wenn du es doch nicht besser gemacht haben würdest, wenn über dich selbst das fürchterliche Unheil in Gegenwart deiner lieben und verehrten Gäste hereingebrochen wäre?« Zuhause kaum angekommen, setzte ich mich hin und schrieb folgenden Absagebrief an Roderich Anschütz:
»Lieber Freund!
Ich verzichte auf die Rolle des Prinzen. Die Stimmung für die zweite Vorstellung ist verdorben; auch eine Meisterleistung würde das Publikum nur erinnern, welchen Prinzen es bei der ersten Aufführung gesehen – und mein nun in voller Heftigkeit ausbrechendes Lampenfieber lässt es mir sehr zweifelhaft erscheinen, ob ich im Stande sein würde, auch nur einen halbwegs erträglichen Prinzen darzustellen. Betrachtet mich als ausgeschieden aus Eurem Dilettantenkreis, ich will mich doch lieber bescheiden, im stillen Kämmerlein meine Feder zu führen als persönlich vor dem Publikum Wagnisse zu versuchen, die, wenn gelungen, sehr belohnend sind, misslungen aber einen jungen Mann geradezu in den Tod treiben müssen!«
Alle Versuche, mich wieder andern Sinnes zu machen, waren vergeblich; ich blieb umso mehr bei meiner Entscheidung, als ich gefunden zu haben glaubte, dass mir für das Entfallen eines Bühnenerfolges ein vollwichtiger Ersatz in Aussicht stehe durch einen Violinvortrag in einem der Dilettanten-Konzerte, die im Saale des Konservatoriums (Tuchlauben) öfter veranstaltet wurden. Da glaubte ich meiner Sache sicherer zu sein und Gelegenheit zu haben, mich in das Herz Rieserls tiefer einzuspielen als durch einen Erfolg auf der Bühne. Einer meiner Kollegen, der sehr schön Violine spielte und selbst schon öfter in solchen Konzerten erfolgreich mitgewirkt hatte, kam meinem Wunsche, bei ihm üben zu dürfen, mit größter Gefälligkeit entgegen und suchte mein Spiel, insbesondere die Bogenführung durch Andeutungen und Beispiel auf jede Weise zu fördern. Als Konzertstück empfahl er mir beliebte Variationen von Mayseder, dem berühmten und damals noch sehr beliebten Violinvirtuosen; diese Variationen hatte mein Kollege selbst schon einmal in einem der Dilettantenkonzerte mit schönstem Erfolge gespielt, und nach unglaublichem Eifer und Bemühen schien ich's dem Freunde endlich recht zu machen, und er prophezeite mir den glücklichsten Erfolg. Mit liebenswürdigster Gefälligkeit übernahm er es selbst, mich bei der Direktion der Konzerte zu melden und zu empfehlen, und es wurde der Tag meiner Mitwirkung festgesetzt. Diesen Tag erwartete ich in größter Aufregung und setzte meine heimlichen Übungen mit rastlosem Eifer fort – bis ein unerwarteter Umstand meinen Hoffnungen und Erwartungen abermals ein betrübendes Ende bereitete. Ein damals in allen Hauptstädten Enthusiasmus erregender Violinvirtuose kam nach Wien, kündete sein erstes Konzert gerade für den Tag an, an welchem ich als Dilettant meinen ersten Versuch machen wollte, und zum Unglück standen auf dem Programm des berühmten Künstlers auch die Variationen von Mayseder, die ich beschlossen hatte vorzutragen. Natürlich zog es mich unwiderstehlich nach dem Konzerte des berühmten Künstlers – um es tief erschüttert und von dem Wahne, jemals auf der Violine auch etwas Rühmliches leisten zu können, für immer geheilt zu verlassen. Die Töne, welche der Künstler aus seiner Violine lockte, schienen aus einem aus Himmelshöhen stammenden Instrumente zu fließen, die Bogenführung, die Bravouren, Doppelläufe und Staccatos, die Kraftstellen und herzergreifenden Adagios des Künstlers überraschten und ergriffen mich aufs Tiefste, so dass der Genuss an dem Spiele des Künstlers kaum abgeschwächt werden konnte durch den Gedanken an die Verheerung meiner Wünsche und Bestrebungen in musikalischer Hinsicht. Mit Entsetzen glaubte ich auf einmal zu entdecken, dass die Welt bereits voll unerreichbarer Genies in jeder Richtung des Lebens und der Kunst sich befinde und jedes Bestreben, auch zu einer Bedeutung zu gelangen, ganz vergeblich erscheinen müsse. Trostlos überließ ich mich einer ungemessenen Schwermut, die durch die Teilnahme, die sie mir bei den wohlwollenden Personen des Hauses erweckte, nur noch bedenklicher wurde.
Es ist kein Platz mehr für dich in der Welt, dachte ich, die Zahl der Glücklichen ist vollzählig auf Erden; scheide du bei Zeiten und suche einen stillen Winkel für dein Herz, das nur bestimmt scheint, ein Opfer endloser Leiden zu werden. Nach qualvollen Tagen und Nächten setzte ich auch hin und schrieb in einsamer Stunde an ein fernes Mönchskloster die Anfrage, ob und wann ich als Novize dort Aufnahme finden könnte. Da meine beigelegten Zeugnisse sehr günstig lauteten, kam alsbald die wohlwollende Antwort, dass ich nach Beendigung des laufenden Studienjahres ohne Anstand im Kloster Aufnahme finden könne.
Ich lief mit dem Schreiben nach dem stillsten Winkel eines öffentlichen Gartens, weinte mich aus und fühlte mich leichter.
Man weiß von Unglücklichen, die von der Sehnsucht zu sterben getrieben, immer' ein Fläschchen Gift bei sich führen, um sich jeden Augenblick den Tod geben zu können. Aber gerade die Möglichkeit, dies tun zu können, wird zum Mittel, die tödliche Absicht nicht auszuführen; die Unglücklichen leben weiter, werden ruhiger und tragen ihr Leid mit Geduld – gerade weil sie im Besitze des sicheren Mittels sind, es den Augenblick enden zu können.
Mit der Zusicherung der Aufnahme ins Mönchkloster glaubte ich das Mittel zu besitzen, mir binnen wenigen Monaten die Leiden und Schmerzen des Herzens vom Halse schaffen zu können; der Eintritt in das Kloster schien nur das stille Hinabsteigen in die sichere Gruft des Lebens – zwar nicht den Tod selbst bedeutend – aber doch das allmähliche Absterben der irdischen Gedanken. Ich fühlte mich leise getröstet und im Hinblick auf das sichere Ableben der weltlichen Gedanken, kehrte ich allmählich wieder zu diesen weltlichen Gedanken zurück und gewann das Leben mitsamt seinen Gefahren, Leiden und Freuden wieder lieb ...
In einer Stunde weicher Melancholie zog ich Freund Theodor endlich ins Vertrauen und gestand ihm mein Ansuchen und Aufnahme in das Mönchskloster und die Gewährung dieses Ansuchens in nicht ferner Zeit. Da ich dem Freunde den Hauptgrund dieses Schrittes nicht gestehen wollte, war er im höchsten Grade überrascht und bestürzt und suchte mich auf jede Weise in meinem Beschlusse wieder wankend zu machen. »Warte doch den Jahresschluss ab«, rief er, »wo dir der Eintritt in Klosterneuburg ermöglicht wird, das bietet dir eine ganz andere Zukunft als die tödlich stillen Mauern des weltentlegenen Klosters!« Ich sagte, der Schritt sei getan, und ich beabsichtige eben den Abschied vom Leben! In seiner Aufregung suchte der Freund nach wohlwollenden Helfershelfern zur Bekämpfung meines unglückseligen Entschlusses und zog seine Mutter und – Rieserl selbst ins Vertrauen. Die nächste Folge war eine Szene, die mein Herz in unsägliche Verwirrung versetzte. Denn als ich, etwa eine Stunde nach der vertraulichen Unterredung aus der Wohnung trat, um einen Kollegen aufzusuchen – stand Fräulein Rieserl vor der Türe der Wohnung in einem Winkel und weinte. Ich fragte bestürzt, was das bedeute, und erhielt die Antwort: »Sie wollen in ein Kloster?« Verwirrt, ergriffen und meiner nicht mehr mächtig, fiel ich auf die Knie, ergriff fieberhaft Rieserls Hand, drückte einen langen glühenden Kuss darauf und eilte dann in namenloser Aufregung von dannen ...