Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Vetter,

Nun kommt Ihr mir abscheulich vor. Es ist mein Ernst, glaubt es mir, mein ganzer Ernst. Wenn die Liebe einen jungen Menschen zum Narren macht; so lache ich über ihn, oder bedaure ihn auch, nachdem er es verdienet. Aber wer aus Liebe boshaft, und zum Heuchler wird, der verdient meinen Abscheu. Sonder Zweifel seyd Ihr mit Eurer Weisheit sehr zufrieden, daß Ihr auf die glückliche Erfindung gefallen seyd, die Fräulein, die ohnedem unruhig genug ist, noch mehr zu beunruhigen, und euren alten redlichen Vater zu einer Zeit zum Zorne wider Euch zu reizen, wo seine Cur eine vollkommene Gemüthsruhe verlangt, wenn sie nicht zu seinem Tode ausschlagen soll, und wo der arme Vater doppelt unglücklich seyn muß, da er keinen vertrauten Freund um sich hat, der ihn trösten kann, und da auch sein ungerathner Sohn, von ihm entfernt ist, dessen Reue, denn ganz verstockt seyd Ihr wohl noch nicht, dessen Reue über ein so thörichtes Beginnen ihn wieder beruhigen könnte. Wie wenig versteht Ihr Euer eignes Glück! Ich vermied die Gelegenheit, Euch zu sprechen, zu der Zeit, da ich wirklich für Euch arbeitete, da es aber noch zu früh war, Euch etwas davon zu entdecken. So klug Ihr Euch zu seyn einbildet, so wenig seyd Ihr es, Vetter, so bald Eure Leidenschaften in Bewegung kommen. Die Fräulein, und ich, hatten den Onkel unvermerkt auf unsre Seite gebracht. Gleich nach seiner Rückkunft wollte er an unsern Vater schreiben, und ihm von seiner Liebe abrathen. Sein Rath ist vernünftig und freundschaftlich; unser alter Vater, Ihr wißt es wohl, ist ein rechtschaffner Mann, und von Einsicht. Er würde seine Uebereilung erkannt haben; er würde den Obersten, und die Fräulein gebeten haben, sie zu vergessen, und Niemand etwas davon zu entdecken; ich und Ihr hätten davon nichts gewußt; nach einiger Zeit hätte es Euch frey gestanden, um die Fräulein anzusuchen; Euer Vater würde selbst dazu geholfen haben, und die Fräulein hätte, ohne den Wohlstand zu beleidigen, Euch eine Hand anbieten können, die frey war. Kurz, alles wäre nach Wunsche gegangen. Ich sage Euch dieses, Euern Stolz zu demüthigen. Alle meine freundschaftlichen Absichten habt Ihr durch Eure unbedachte Hitze verderbt. Die Fräulein muß Euch meiden, da Ihr Euch so öffentlich zum Nebenbuhler Eures Großvaters aufwerft. Vom Onkel könnt Ihr wohl nicht verlangen, daß er Euch mehr lieben soll, als seinen alten Freund, unsern Vater; und dieser zärtlich liebende Vater muß Euch hassen, da er noch nicht Zeit gehabt hat, sich von seiner Schwachheit zu erholen, und da er Euch als die einzige Hindrung seiner Absichten ansieht, durch welche er glücklich zu werden glaubte. Kann Euch der Haß eines Vaters, welcher Euch mehr, als sich selbst, liebte, gleichgültig seyn? Habt Ihr noch einige Empfindung der kindlichen Liebe, fällt es Euch noch zuweilen ein, wie zärtlich dieser beleidigte Vater gegen Euch war, seyd Ihr noch ein Mensch; so müßt Ihr erschrecken, wenn Ihr bedenkt, daß Ihr mit eigner Hand, die der unglückliche Vater Euch beym Abschiede so liebreich drückte, ihm das Herz durchbohrt. Denn das ist die gewisse Folge, die Euer übereilter Brief haben wird. Er ist mehr, als übereilt, er ist boshaft, und tückisch. Ihr bemächtiget Euch im Anfange des Briefes seines Herzens, da Ihr ihn an seine Liebe, an Eure Jugend, an sein Verlangen, Euch verheirathet zu sehn, an Euern ehemaligen Gehorsam erinnert. Ihr malet ihm die Person, die Ihr Euch ausgesehn habt, so vortrefflich und tugendhaft, als er sie Euch wünschen kann, und alsdann erst, da Ihr seine ganze Zärtlichkeit in Bewegung gebracht habt, da der gute Greis gewiß schon vor Freuden über das bevorstehende Glück seines liebsten Kindes geweint hat, alsdann erst nennt Ihr sein Fräulein von L – –. Kann ein beleidigter Feind grausamer seyn, als sein Sohn gegen ihn ist? Was war Eure Absicht, ihn auf einer jeden Zeile an sein Alter zu erinnern? Zitterte Euch die Hand nicht, da Ihr die Jahre des Fräuleins mit Euren Jahren verglicht, und glaubtet, daß Euer Verlangen ungereimt seyn würde? wenn Ihr älter wäret? Seyd Ihr allein so scharfsichtig, daß Ihr Euch einbildet, andre würden diese Vergleichung nicht verstehn? Und waret Ihr wohl unverschämt genug, zu wünschen, daß andre und Euer Vater diese Bitterkeit verstehn möchten? Vetter! Seyd Ihr bey dem Vorwurfe der Ehre und der Menschenliebe taub; so seyd Ihr es gewiß auch, wenn ich Euch an die Pflichten der Religion erinnern wollte. Es fehlt nur ein einziger Schritt noch zu Euerm völligen Verderben. Ich erschrecke, so oft ich den Schluß Eures Briefs lese. War Euch die Schrift nicht heilig genug? Eure Bosheit vollkommen zu machen, mußte selbst das Gebet zu einem bittern Vorwurfe dienen. Ach, thörichter Vetter! Euer Alter sey nicht wie Eure Jugend! Wie sehr wünsche ich Euch das! Wie sehr wünsche ich, daß Ihr niemals Ursache haben möget, mit Schrecken an den Misbrauch dieses Wunsches zu denken! Fast schäme ich mich Eurer. Verlangt nicht, mit mir zu sprechen, bis wir Briefe von unserm Vater bekommen haben, und bis ich sehe, ob ihm Eure Thorheit das Herz bricht. Das hätte ich von Euch nicht geglaubt. Der redliche Vater! Ich bin itzt zu ernsthaft, Euch zu sagen, was ich von Euerm Briefe an das Fräulein halte. Er ist ein Mischmasch von Pedanterie und Tändeley. Das Fräulein müßte wenig Geschmack und Einsicht haben, wenn er ihr erträglich seyn sollte. Ich schäme mich, das Fräulein zu sprechen. Wie sehr liebte ich Euch, Vetter, ehe ich Euch kannte, ehe ich noch wußte, zu welchem Grade der Bosheit Ihr fähig wäret! Ich mag Euch nicht sehn, durchaus nicht, bis ich Briefe vom Vater habe. Vielleicht lebt er itzt nicht mehr, da ich dieses schreibe. Ich weine! Seyd Ihr wohl verstockt gnug, gleichgültig zu bleiben, da Eure Thorheit mich zu Thränen zwingt? Nehmt diesen Brief auf, wie Ihr wollt. Ich fühle es, daß ich Euch doch noch liebe. Liebte ich Euch weniger, so würde ich gelaßner schreiben. Ich war die

Euch

zärtlich liebende Schwester.


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