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Gnädige Tante,
Mein Großvater hat mir diesen Morgen einen Brief gegeben, den ich der Fräulein L – – in ihre eignen Hände zustellen soll. Er sagte mir, daß er sehr wichtige Vormundschaftsrechnungen betreffe; dieses sagte er mir mit so viel Zärtlichkeit, und einer so muntern Miene, daß ich stutzig ward, und mich vielleicht verfärbte. Ich vermuthe es daher, weil er mich fragte, was mir fehle. Er nennte mich sein bestes Kind, und redete von der vortrefflichen Fräulein, und ihrer wichtigen Vormundschaftssache mit so vielem Feuer, daß ich immer mehr argwöhnisch ward. Sagen Sie mir, Gnädige Tante, machen die Vormundschaftssachen so lebhaft? Und macht dieses die Fräulein in seinen Augen so göttlich, und vortrefflich, daß sie ihn hat lassen ihre Rechnungen calculiren? Ich weis nicht, was ich denken soll? Erinnern Sie sich der jugendlichen Sorgfältigkeit, die unser Großvater seit einigen Wochen in seinem Anzuge gezeigt; einer gewissen Pracht in seiner Equipage, die uns gleich in die Augen fiel, weil sie ungewöhnlich war. Er ist geselliger, als er jemals gewesen ist, und itzt fällt mir ein, daß er vorgestern die Fräulein aus der Oper führte, in die er seit der Großmutter Tode nicht gekommen ist. Was soll ich von diesem allen denken? Sie haben, Gnädige Tante, mehr als einmal über die Aufmerksamkeit mit mir gescherzt, die ich gegen die Fräulein bey aller Gelegenheit gezeigt. Ich habe niemals die Gewalt über mich gehabt, Ihnen zu gestehn, daß ich die Fräulein liebe, daß ich sie über alles in der Welt liebe. Ich bin gezwungen, es nunmehr zu gestehn. Ja, Gnädige Tante, über alles in der Welt liebe ich die Fräulein. Aber was rathen Sie mir? Wie soll ich mich verhalten, daß ich an mir selbst nicht zum Verräther werde, daß ich die Hochachtung nicht beleidige, die ich meinem Großvater schuldig bin, und daß ich das unglückliche Vertrauen nicht misbrauche, das er bey dieser Gelegenheit in mich gesetzt hat? Ich werde der Fräulein den Brief nicht eher übergeben, bis ich Antwort von Ihnen habe.