Gottlieb Wilhelm Rabener
Satiren
Gottlieb Wilhelm Rabener

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Schreiben

einer Priesterwittwe an den Candidaten.

Hochgeehrter Herr Magister,

Es hat der gnädige Herr mir befohlen, Ihnen innliegenden Brief zu übersenden. Er betrifft Ihre Beförderung an die Stelle meines seligen Mannes. Sollte die Sache zur Richtigkeit kommen, so wünsche ich Ihnen im voraus Glück, und besonders dieses, daß Sie des Amts länger geniessen mögen, als mein seliger Herr, welcher es nur vier Jahre lang verwaltet hat, und dessen Tod mir desto schmerzhafter fällt, da er mich nach einem dreyjährigen Ehestande, in meinem zwey und zwanzigsten Jahre, als eine unglückliche Wittwe verlassen hat. Das Amt ist sehr mühsam wegen der starken Wirthschaft, die damit verknüpft ist, und die ohne grossen Schaden nicht verpachtet werden kann. Das Inventarium beträgt wenigstens siebenhundert Thaler, und mein seliger Herr würde sich dadurch unfehlbar ruinirt haben, wenn er nicht mit einem Theile meines Vermögens solches bestreiten, und die Wittwe des Vorfahren befriedigen können, welche solches allemal auf einem Brete ausgezahlt bekommen muß. Sollten Sie veranlaßt werden, eine Gastpredigt zu thun, so steht Ihnen mein Haus und Tisch zu Diensten, wenn es Ihnen gefiele, bey mir abzutreten. Fänden sich noch einige Schwierigkeiten wegen Ihrer Beförderung, so haben Sie das Vertrauen zu mir, daß ich Ihnen nach Vermögen, und vielleicht mit gutem Erfolge dienen werde, da ich seit vielen Jahren mich der Gnade unsers Kirchenpatrons rühmen kann. Ich erwarte baldige Antwort, und bin

Meines Hochgeehrten Herrn,

ehrendienstwillige,
N. Wittwe.
       

 

N.S. Ich habe von meinem seligen Herrn, tröste ihn Gott, ein einziges Kind, und das arme Würmchen ist immer kränklich, daß es wohl nicht lange leben dürfte. Was für Herzleid muß ich nicht bey allen meinem Gelde als eine unglückliche Wittwe im zwey und zwanzigsten Jahre erleben! Antworten Sie ja bald.


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