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Als ich es wagte, der gelehrten Welt meinen Versuch eines deutschen Wörterbuchs mitzutheilen; so bat ich mir zugleich den Beytrag meiner Landsleute zu diesem wichtigen und weitläuftigen Werke aus. Ich bin so glücklich gewesen, daß an mich verschiedne Artikel eingesandt worden sind. und mein Vergnügen darüber ist so groß, daß ich nicht einen Augenblick länger anstehen kann, ein paar davon bekannt zu machen, welche völlig nach derjenigen Anlage ausgearbeitet sind, die ich mir zu meinem Wörterbuche gemacht hatte. Ich hoffe, es werden diese neuen Proben noch andre aufmuntern, ihrem Beyspiele zu folgen, um mich durch ihre geschickte Beyhülfe in den Stand zu setzen, daß ich noch vor dem Schlusse des itzigen Jahres solches unter die Presse bringen kann. Den Herren —E– und —Gl– statte ich zugleich für diese ihre Bemühungen den verbundensten Dank ab. Ich wollte wohl wünschen, daß ich ihre völligen Namen, und den Ort ihres Aufenthalts erfahren möchte, damit ich Gelegenheit haben könnte, ihnen einige kleine Zweifel zu eröffnen, welche mir wegen der übrigen von ihnen eingesandten Wörter beygefallen sind. Dem Herrn Kr* muß ich sagen, daß er die Absicht, welche ich bey unserm Wörterbuche habe, nicht recht eingesehen haben mag. Dergleichen Artikel, wie er eingesendet hat, scheinen in ein Wörterbuch zu gehören, das nur für eine einzige Familie geschrieben ist. In dem Hause, worinnen er wohnt, mag er ein sehr aufgeweckter und schalkhafter Kopf seyn, welcher seine ganze Familie, und vielleicht auf Kosten andrer, zu lachen macht. Nur befürchte ich, sein Witz geht nicht weiter als bis an die Hausthüre. In andern Häusern wird ihm ohne Beyhülfe eines Scholiasten niemand verstehen. Dergleichen Familienscherze sind gute Quodlibete, welche nur eine geschloßne Gesellschaft einsieht, und belacht. Andern ehrlichen Leuten darf man es nicht wohl zumuthen, daß sie solche lesen sollten.
Verschiedne meiner Correspondenten haben verlangt, ich möchte ihnen einige Wörter vorschlagen, deren Bedeutung sie untersuchen könnten. Ich will etliche davon hersetzen, deren Bedeutung mir am zweydeutigsten, und am unbestimmtesten zu seyn scheint. Die verschiednen Redensarten, bey welchen sie gebraucht werden, verursachen wegen dieser Ungewißheit eine solche Verwirrung im gemeinen Leben, daß ein jeder Patriotischgesinnter nicht einen Augenblick zaudern sollte, eine gewisse Bedeutung davon festzustellen. Ich erwarte diesen Beytrag mit dem größten Verlangen. Den Nutzen davon haben sie und ihre Kinder zu geniessen. Hier sind die Wörter selbst:
Andacht. Artig. Bezaubert. Demuth. Ehrgeiz. Eifersucht. Freyheit. Geschmack. Gesundheittrinken. Gleichgültig. |
Großmuth. Ich. Körnigt. Kunstrichter. Rangstreit. Scherzhaft. Sparsamkeit. Unpartheyisch. Unschuld. Witz. |
Dieses mag genug seyn. Es giebt noch unzählig andre Wörter, welche wenigstens so wichtig, als diese, sind, und deren Wahl und Ausführung ich meinen geschickten Landsleuten überlasse. Die Briefe sind an den Verleger zu senden, und ihre Namen sollen verschwiegen werden, wenn sie es verlangen.
ist ein Schimpfwort. Die Franzosen sprechen: Er hat den Fehler, daß er ein Deutscher ist. Denn, wie bey vielen Franzosen der Verstand überhaupt sehr sonderbar ist; so haben sie gefunden, daß alle die, welche disseits des Rheins geboren sind, weder witzig, noch tapfer, und also gute ehrliche Menschengesichter, mit einem Worte, Deutsche sind.
Es klingt alles so gar deutsch in seinen Versen, ist der tiefsinnige Machtspruch, den über deutsche Gedichte gemeiniglich diejenigen fällen, welche bey ihren Französinnen zur Noth so viel gelernet haben, daß sie die Utrechter Zeitungen exponiren können.
Ich kenne Leute, welche gern ihren halben Verstand darum geben würden, wenn sie keine Deutsche, sondern unter dem Consulate des Cicero in Rom geboren wären. Ihnen kömmt nichts so lächerlich vor, als die Bemühung, in der deutschen Sprache Donatschnitzer zu vermeiden. Den, der sich Mühe giebt, zierlich und regelmäßig deutsch zu schreiben, können sie, ihrer Meynung nach, nicht ärger beschimpfen, als wenn sie ihn einen deutschen Michel heissen. Dieses Wort begreift nach ihrer Grammatick wenigstens eben so viel Schande und Laster in sich, als bey den alten Juden ein Samariter, oder bey den Savoyarden ein Barbet! Ich habe angemerkt, daß die deutsche Sprache unter ihren Kindern besonders zwey Arten von Feinden hat. Einige verfolgen sie aus Hochmuth und Eigennutz, andre aber verachten sie aus Leichtsinn. Jene geben sich eine ernsthafte, gebieterische und monarchische Miene. Sie sind gewohnt, ihre Wahrheiten mit aufgehobnem Arme zu behaupten, und den Pflichten der väterlichen Liebe mit der Ruthe Gnüge zu leisten. Man nennt sie auch römischgesinnte Männer, oder lateinische Görgen, zur schuldigen Vergeltung der deutschen Michel. Es liegt ihnen viel daran, die deutsche Sprache zu unterdrücken, welche sie selbst so wenig verstehen. Ihr Ansehen dürfte freylich sehr fallen, wenn die Welt anfienge zu glauben, ein Mann verdiene den Nahmen eines wahren Gelehrten noch nicht, wenn er schon ein lateinischer Sprachmeister sey. In Lehmanns speyerischer Chronike finden wir die Geschichte eines treufleißig verordneten Lehrers, welcher ein so abgöttischer Verehrer des Cicero gewesen, daß er seinen Sohn bloß deswegen der Lateinischen Sprache von Mutterleibe an geweihet, weil er eine Warze auf der Nase gehabt. Und ungeachtet sich bey zunehmenden Jahren geäußert, daß ihn die Natur nicht zu einem Cicero, sondern höchstens zu einem deutschen Holzhacker geschaffen; so hielt sich doch dieser gelehrte Vater in seinem Gewissen für verbunden, einem so deutlichen Berufe, als sein Sohn an der römischen Nase trug, nicht zu widerstreben. Ja, er soll in seinem Eifer so weit gegangen seyn, daß er sein Kind, bey vermerkter Widerspenstigkeit, amtsmäßig und mit der Ruthe in der Faust gezwungen, die Finger auf die lateinische Grammatik zu legen, und seine deutsche Muttersprache solemni ritu formulaque abzuschwören. Nichts kam ihm toller vor, als deutsch zu lernen; denn sein Schuster redete deutsch, und er redete so gut als sein Schuster; beyde aber hatten es niemals gelernt, und verstunden einander doch. Dergleichen lateinische Zeloten kann man dadurch keinesweges besänftigen, wenn man ihnen gleich einräumt, daß einem Gelehrten die griechische und lateinische Sprache unentbehrlich sey; daß ein Mann, welcher kein Latein verstehe, wenig Hoffnung habe, ein Gelehrter zu werden; daß man nichts tadle, als die sklavische Hochachtung, welche sie gegen alles dasjenige hegen, was lateinisch klingt; und daß man an ihnen nur die allzu abergläubische Verbitterung gegen ihre Muttersprache, als einen lächerlichen Fehler, anmerke. So bescheiden auch dergleichen Einschränkungen sind, so wenig sind sie doch zu ihrer Beruhigung hinreichend. Ihre ganze Maschine geräth in Unordnung, wenn sie dergleichen Friedensvorschläge hören. Ad rogum! ad rogum! schreyen sie, so bald sie eine Abhandlung sehen, welche zur Aufnahme und Verbesserung der deutschen Sprache abzielt; ja einer von meinen Freunden besitzt ein Exemplar von den Belustigungen des Verstandes und Witzes, in welchem ein solcher Pflegevater unter dem Namen Irenäus MastigophorusIm 2 Theile der Belustigungen des Verstandes und Witzes, a. d. 465 S. und in gegenwärtigen satirischen Schriften, 1 Th. 132 S. mit zitternden Händen geschrieben hatte:
HVNC TV ROMANE CAVETO!
Die zweyte Art der Antideutschen machen diejenigen aus, welche die deutsche Sprache nur aus Leichtsinn verachten. Diese sind von den ersten weit unterschieden. Wenn jene etwas lesen, das nicht lateinisch ist, so schüttelt sich ihre ganze Natur; diese leichtsinnigen Feinde aber können es noch so ziemlich gelassen anhören, wenn von der Stärke und Schönheit der deutschen Sprache geredet wird. Ja, ich habe es so gar mit meinen Augen gesehen, daß man einem solchen Undeutschen, welcher ein junges Herrchen von Profession war, zwey Blätter aus dem Haller vorlas, ohne daß es ihm etwas weiter schadete, als daß er lachte, trällerte, pfiff, sich auf einem Beine herumdrehte; und, so bald er mit einer Prise Tabak dem Gehirne ein wenig Luft gemacht hatte, so sagte er weiter nichts, als: Pardieu! le miserable jargon! Sogleich war auch sein Paroxysmus vorbey, und man sah zwischen ihm und einer vernünftigen Creatur beynahe nicht den geringsten Unterschied. In der That verdienen diese Feinde der deutschen Sprache, daß man sie mit Langmuth erträgt. Denn, wenn sie die deutsche Sprache verspotten; so geschieht es eben so wenig aus Bosheit, als wenn sie über den Schnitt eines Kleides lachen, welchen die Einfalt eines deutschen Meisters, und nicht der witzige Schneiderverstand eines erfindsamen Franzosen hervor gebracht hat. Sie spotten, weil es deutsch heißt, und lachen, weil es nicht französisch ist. Wer ein gegründetes Urtheil oder Beweise von der Nichtswürdigkeit der deutschen Sprache von ihnen fodern wollte, der foderte zu viel. Genug, es ist Mode, sie zu verachten, und ihr Verstand ändert sich so oft, als die Mode; dieses aber geschieht alle vier Wochen. Diejenigen, welche, daß ich mich der Mundart des itzigen Jahrhunderts bediene, in allem einen zureichenden Grund suchen, wollen aus den Lehrsätzen der Physik, und aus der Erfahrung beweisen, daß es deswegen so viele lustige Feinde ihrer Muttersprache unter uns gebe, weil die Franzosen in ihrem Umgange so artig und einnehmend wären, daß viele von unserm deutschen Frauenzimmer ihnen nichts abschlagen könnten. Ich lasse die Vermuthung an ihren Ort gestellt seyn. Unwahrscheinlich ist sie freylich nicht, und ich sollte fast selbst glauben, daß die Natur dergleichen poßierliche Körper nicht zur Welt bringen könnte, ohne sich der Verbindung eines französischen Papas, und einer deutschen Mutter zu bedienen. Dieses mag von den unterschiednen Arten der Feinde, welche die deutsche Sprache hat, genug seyn.
Er ist ein ehrlicher alter Deutscher; dieß würde ein Anfänger in der deutschen Sprache so erklären: Er ist so ehrlich, wie ein alter Deutscher. Aber das wäre ein grosser Sprachschnitzer; sondern es wird gemeiniglich von Leuten gebraucht, welche in ihrem Umgange alle diejenigen Eitelkeiten mit Sorgfalt vermeiden, die man sonst Höflichkeiten, und, in gewissem Verstande, auch Complimente nennt. Denn hierdurch, und durch die Gabe, zu trinken, können wir es unserm Vorfahren, den alten Deutschen, noch so ziemlich gleich thun.
Altdeutsch heißt daher in einigen Gesellschaften so viel, als grob.
Deutsche Redlichkeit; ist ein verbum obsoletum, oder höchstens nur ein Provinzialwort. Siehe hiervon mit mehreren des Panzirollus Abhandlung von denen Sachen, welche bey uns verloren gegangen sind.
E – –
Eine Fabel ist, ordentlicher Weise, und besonders nach dem Begriffe einiger Neuern, ein solches Gedicht, über welchem der Name eines Thieres, oder sonst eines Dinges steht, das noch etwas dümmer ist, als der Verfasser. Wir würden zu viel von ihm fodern, wenn wir eine poetische Wahrscheinlichkeit, oder gar eine Sittenlehre darinnen suchen wollten. Die Ausführung der Fabel mag noch so trocken, noch so abgeschmackt, noch so undeutlich seyn; so ist doch das, was ein solcher Fabeldichter im Namen seines Thiers sagt, für eine unvernünftige Bestie noch allemal klug genug gesprochen. Er schreibt: Der – – eine Fabel. Und siehe, so ist es eine Fabel! Mehr gehört dazu nicht.
Das Wort, Fabel, wird noch in einem andern Verstande, und zwar von solchen Erzählungen gebraucht, welche zwar möglich, aber nicht sehr wahrscheinlich sind. Daß ein Frauenzimmer sich über den vermeinten Tod ihres Liebhabers dergestalt betrübt, daß sie sich selbst ums Leben bringt; und daß es Liebhaber giebt, welche über den Verlust ihrer Schönen so untröstbar sind, daß sie in ganzem Ernste Anstalt machen, sich zu erstechen: Das ist wohl möglich, aber nimmermehr wahrscheinlich, und eben um deswillen gehört die Geschichte des Ovids vom Piramus und von der Thisbe mit allem Rechte unter die Fabeln.
Diese Beschreibung, welche ich von dem Verstande des Worts, Fabel, gegeben habe, öffnet den Dichtern ein weites Feld zu tausend Erfindungen. Mir sind deren schon so viele beygefallen, daß ich der Welt mit einem ziemlich starken Octavbändchen davon aufwarten könnte. Wer weis, was noch geschieht? Ein Dichter bin ich zwar nicht; aber hundert Leute machen Verse, die doch keine Dichter sind; und gesetzt, ich schriebe nicht feurig, so würde ich gewiß ziemlich fließend schreiben. Das ist schon genug! Und wenn mir auch hierinnen alle vernünftige Welt widerspräche; so weis ich doch, Strephon giebt mir seinen Beyfall, denn ihm gehts auch so! Damit aber die gelehrte Welt vor großem Verlangen nach meinem Bändchen nicht gar zu ungeduldig werde, wie ich fast befürchten muß; so will ich inzwischen von vieren meiner Fabeln nur den Innhalt hersetzen. Man wird finden, daß sie durchgängig möglich sind; keine einzige aber wahrscheinlich ist.
Agenor, ein reicher Bürger, lernte ein Frauenzimmer kennen, welches weder Schönheit, noch Vermögen hatte, aber desto tugendhafter war. Bloß ihrer Tugend wegen liebte er sie. Er heirathete sie, und die ganze Stadt lobte seine Wahl; denn die meisten Bürger dieser Stadt waren tugendhaft, und keiner heirathete aus eigennützigen und niederträchtigen Absichten. Zwanzig Jahre ihrer Ehe waren verflossen, und nicht ein einzigesmal hatten sie einander Gelegenheit zu einem Misvergnügen gegeben. Noch im zwanzigsten Jahre liebten sie einander eben so vernünftig, eben so zärtlich, als an dem Tage ihrer Verlobung. Auf diesen Umstand werden meine Leser ja wohl merken; denn das ist eine Hauptfabel. Agenor verlor seine Frau, welche bloß um deswillen schwer zu sterben schien, weil sie sich von ihrem Manne trennen sollte. Zehen Monate hat Agenor zugebracht, ehe er sich einigermaaßen trösten, und zu einer neuen Heirath entschließen konnte. An fünf Monaten wäre es schon genug gewesen; aber zu einer Fabel mußten es schlechterdings zehen Monate seyn.
noch etwas unwahrscheinlicher, als die vorige.
Philinde, eine junge Wittwe, welche den Neran durch ihr zugebrachtes Vermögen zum reichsten Manne in der Stadt gemacht hatte, liebte ihn so zärtlich, daß sie ihm auch nicht ein einzigmal seine Armuth vorwarf. Sie trug so viel Ehrfurcht gegen ihn, daß es schiene, als hätte sie beynahe gar vergessen, wie groß ihr Einbringen wäre. Konnte sie ja etwas betrüben; so war es die große Behutsamkeit, mit welcher Neran sich ihres Vermögens bediente. Sie munterte ihn auf, für sich etwas weniger sparsam zu seyn; und brauchte sie selbst einiges Geld, so bat sie ihren Mann mit so vielen Liebkosungen darum, als wäre es sein eignes Vermögen. Neran starb, und die Chronike sagte, daß sie alle Jahre an demjenigen Tage ganz untröstbar gewesen, an welchem er gestorben. Ja, man will so gar versichern, daß sie über diesen Verlust sich niemals zufriedner zu trösten gewußt, als wenn sie den armen Freunden ihres verstorbnen Mannes mit ihrem Vermögen beyspringen können. Niemals habe sie dieses anders genennt, als die Verlassenschaft ihres Nerans, an welche alle seine Verwandten Anspruch zu machen hätten, welche desselben bedürftig wären. So weit geht diese Fabel.
Ich habe einen Mann gekannt, dessen Beruf war, eine große Gesellschaft Leute wöchentlich vor allen Lastern zu warnen. Es kam ihm beynahe kein Laster verderblicher vor, als der Geiz. Den Geiz malte er also aufs abscheulichste ab, so oft er hierzu Gelegenheit fand. Das ist nichts unmögliches! Das hören wir oft! werden meine Leser rufen. Geduld! ich will weiter erzählen. Dieser Mann wußte sein Vermögen den Armen auf eine so vorsichtige Art zufließen zu lassen, daß die wenigsten erfuhren, von wem es herkam. Keine nothdürftige Wittwe ließ er mit Thränen von sich gehen, sie müßte denn aus Dankbarkeit geweint haben. Einem Kaufmanne, welcher ehrlich, aber in seiner Handlung unglücklich war, lieh er ein ansehnliches Capital, ohne Verzinsung, damit er ehrlich bleiben, und sechs unerzogne Kinder ernähren könnte. Auf Pfänder lieh er gar nicht, und niemals soll er über fünf Procent genommen haben. Eine schöne Fabel, zu der ich aber den Titel nicht weis!
Phokles war ein berühmter Dichter derjenigen Stadt, in welcher bey schwerer Strafe niemand gelobet werden durfte, der nicht wirklich tugendhaft war. In dieser Stadt schätzte jedermann die Dichtkunst nach ihren Würden. Kein Reimer ward daselbst geduldet, und man hat zween aus dem Weichbilde verwiesen, welche aus Faulheit nicht arbeiten wollten, sondern zur Stillung ihres Hungers reichen Kaufleuten zu ihren Namenstagen gratulirten. Ich wollte dem Herrn Stelpo wohlmeinend rathen, daß er sich in diese Stadt nicht wagte! Alle Leute suchten die Freundschaft des Phokles zu gewinnen, damit er ihnen die Fehler entdecken sollte, welche sie an sich hätten. Der Bischof daselbst bat ihn gleichfalls darum, und diesem sagte er: Du bist ein hochmüthiger, ein eitler, ein niederträchtiger und harter Mann; du lehrest deine Gemeine sehr erbaulich, aber sie kann deinen Lehren nicht glauben, weil dein Leben beweist, daß du sie selbst nicht wahrhältst! Dieses bewegte den Bischof dergestalt, daß er ihn aufs zärtlichste umarmte, und seine redliche Offenherzigkeit vor öffentlicher Gemeine pries. Als er dem regierenden Bürgermeister entdeckte, daß er ein sehr unwissender Mann, und nicht werth wäre, ein Vater der Stadt zu heissen, so lange er nicht unterliesse, mehr auf seinen Nutzen, als auf den Nutzen seiner Bürger zu sehen; so fehlte nicht viel, daß ihn dieser nicht mit Gewalt genöthigt hätte, an seiner Stelle das Ehrenamt eines Bürgermeisters anzunehmen. Rathsherr aber mußte er doch werden; er mochte wollen, oder nicht. Es war erstaunlich anzusehen, mit wie viel Ehrfurcht und Freundschaft ihm die reichsten Capitalisten begegneten. In seiner Gesellschaft vergassen sie, daß sie Wechsler waren, und redeten witzig. Alle Frauenzimmergesellschaften waren todt und schläfrig, in welchen Phokles nicht war. Denn damals, als Phokles lebte, wußte man von Fächern nichts; Lomber ward gar nicht gespielt; und die Kunst, den Nächsten zu richten, war nur in ein paar Familien bekannt. So bald man den Phokles nur von weitem erblickte, so bald war alles vergnügt und lebhaft. Lebte Phokles in meiner Stadt; so würde man hier auf die Vermuthung fallen, er sey um deswillen so beliebt gewesen, weil er diesen schönen Kindern artige Schmeicheleyen vorgesagt, ihre schönen Hände verewigt, ihre Augen besungen, mit unter ein paar Takte geseufzt, zum Spaße ein wenig verzweifelt, und seine Nachbarinn Tieger und Fels gescholten hätte, weil sie so unmenschlich grausam gewesen, und ihm einen Kuß versagt. Dieses ist gemeiniglich die Sprache unsrer heutigen Dichter. Aber Phokles sang ganz anders! Er rühmte die Phillis wegen ihrer anständigen Sittsamkeit; Cleonen wegen ihrer vernünftigen Wirthschaft. Er lobte Aesinen wegen ihrer sorgfältigen Kinderzucht, wodurch sie noch die Nachwelt ihrer Stadt glücklich zu machen suchte. Er besang die Unempfindlichkeit der Calliste gegen die leichtsinnigen Bemühungen eines jungen Herrn. An Euphrosynen rühmte er, daß sie noch mehr tugendhaft, als schön wäre; und vergötterte Leonoren wegen ihrer ehelichen Treue. Wegen ihrer ehelichen Treue? Das klingt sehr altväterisch! Es kann wohl seyn; aber es ist auch schon lange, daß Phokles gestorben ist. Er starb in eben dem Jahre, als kein Lasterhafter glücklich, kein Philosoph ein Pedant, keine junge Wittwe verbult, kein junger Herr in sich selbst verliebt, kein vornehmer Mann ein Verächter der schönen Wissenschaften, kein Richter geldgierig, kein Advocat ein Lügner, kein Wuchrer niederträchtig, und noch kein Narr geehrt war. In diesem Jahre starb Phokles. Ist es also wohl ein Wunder, wenn uns seine Lobgedichte altväterisch vorkommen? Dieses muß ich noch erinnern, daß Phokles alle andre Dichter für größre Dichter hielt, als sich selbst, daß er vor Vergnügen ausser sich war, so oft er ein schönes Gedicht von einem andern zu lesen bekam; daß er in fremden Werken die Fehler andrer übersah, und entschuldigte, und nur gegen seine eignen Schriften ein unparteyischer und unerbittlicher Richter war; daß er niemals mehr erröthete, als wenn man der Schönheit seiner Gedichte Gerechtigkeit wiederfahren ließ; und daß er aus einem kleinen Eigensinne, oder vielmehr aus einer unzeitigen Furchtsamkeit, alle Gelegenheit vermied, seine Gedichte unter die Leute, oder, wie wir es heut zu Tage nennen, auf die Nachwelt zu bringen: denn das muß man wissen, daß dieser Ausdruck damals sehr selten vorkam. Eben dieses bescheidne Mistrauen ist Ursache, daß wir von seinen Gedichten nur noch wenige Bogen übrig haben. Und dennoch nennt ihn jedermann den großen Phokles!
Welcher Mischmasch! rufte Mäv. Ein Dichter, der durch wenige Bogen berühmt worden ist! Der gegen seine eignen Lieder unempfindlich ist! Der andre Dichter für größer gehalten hat, als sich! Ein Dichter, der ein großer Mann, und doch so gewesen ist, wie Phokles! Ist wohl was ungereimters? Ist wohl jemals etwas unwahrscheinlichers gefunden worden, als dieses? Du hast Recht, Mäv! Aber eben darum ist die Geschichte des Phokles eine Fabel; und eine Fabel wird es seyn, so bald ich der Welt erzähle, daß du ein geschickter Dichter seyst! Dieses mag von denen Fabeln zur Probe genug seyn, die ich liefern würde, wenn ich ein Poet wäre. Es ist ewig Schade, daß ich keiner bin.
Diesen Augenblick höre ich, daß mein Hauswirth in den letzten Zügen liegt. Wenn er doch nur dasmal stürbe! Ich bin einmal in vollem Schreiben, und die Standrede würde ich doch vermuthlich thun müssen. Meine Leser sollten es auch zu genießen haben. Ich wollte die Rede drucken lassen. Wie prächtig würde sich das ausnehmen, wenn mein Verleger diesen Titel an seinen Laden kleben ließe!
ΦΟΒΕΡΟΤΑΤΟΝ ΠΑΝΤΩΝ ΤΩΝ ΦΟΒΕΡΟΤΑΤΩΝ,
das ist:
Das fürchterlichste unter allen fürchterlichsten.
Oder:
Das unerbittliche Geschick des ungerechten Himmels
durch einen frühzeitigen Tod
Bey der Baare
des weiland hochedelgebohrnen, Vesten,
und Rechtshochgelahrten Herrn,
Erb- Lehn- und Gerichts-Herrn auf N. N.
berühmten Doctors beyder Rechte,
Welcher im vier und siebenzigsten Jahre seines ruhmvollen Alters, zur größten Betrübniß seiner noch jungen, und um desto mehr untröstbaren, hinterlaßnen Frauen Wittwe, und sämtlicher in die tiefste Trauer versetzten Erben, zum Schrecken aller nothleidenden Wittwen und Waisen, zum Unglücke aller Dürftigen und Verlaßnen, der ganzen Stadt zum Jammer, und zu einem unersetzlichen Verluste der edlen Gerechtigkeit, viel zu früh, doch selig, verschied,
in Gegenwart der leidtragenden Bürgerschaft und unter
Begleitung vieler tausend Thränen,
in Form einer Standrede betrachtet.
Eine Fabel.
v o n
N.
Auf Verlangen zum Drucke befördert.
Eh ich diesen Artikel von Fabeln schliesse, muß ich noch eine Anmerkung machen. Ich habe oben gesagt, daß dasjenige eine Fabel sey, was zwar möglich, aber nicht wahrscheinlich ist. Aus diesem Satze folgt, daß diejenige Erzählung den Namen einer Fabel nicht verdiene, welche nicht allein möglich, sondern auch höchst wahrscheinlich ist. Ich finde diesen Fehler besonders in den Fabeln des Phädrus. Die Geschichte von dem verdorbnen Schuster, welcher, um nicht zu verhungern, ein Arzt geworden war, und welcher bekannte, daß er seinen Ruhm nicht durch seine Geschicklichkeit, sondern durch die Dummheit des Pöbels erlangt habe; diese Geschichte ist so wahrscheinlich, daß ich selbst in meiner Stadt mehr, als zehen dergleichen medicinische Schuster kenne; wenigstens sind es solche Leute, welche zu allem in der Welt ungeschickt sind, und doch die Verwägenheit haben, sich für Aerzte auszugeben. Wie wohl würden sie thun, wenn sie jedesmal über ihre Recepte die Verse schrieben:
Quantae putatis esse vos dementiae, Qui capita vestra non dubitatis credere, Cui calceandos nemo commisit pedes! |
Sie könnten dafür die beyden griechischen Buchstaben, α und ω, weglassen. Der Verlust, den sie durch Weglassen dieser beyden Buchstaben litten, wäre zwar freylich groß, weil sie gemeiniglich weiter kein griechisch verstehen, als dieses; aber es wäre doch fein aufrichtig gehandelt.
Ich will noch eine Probe hersetzen, damit man desto deutlicher sehen könne, wie sehr Phädrus wider diese Regel verstossen habe. Ist wohl eine Geschichte wahrscheinlicher, als diese, daß eine häßlichgebildete Schwester sich über ihren Bruder erzürnt, welcher seine schöne Bildung gegen sie gerühmt; daß es einen jungen Menschen gegeben habe, welcher seine Gestalt im Spiegel bewundert; und daß ein Frauenzimmer um Rache geschrien, als sie wegen ihrer Häßlichkeit verspottet worden? Nimmermehr gebe ich zu, daß dieses eine Fabel sey; und wenn man mir widersprechen wollte, so behaupte ich, daß meine andächtige Nachbarinn, welche ihren Mann alle Wochen wenigstens einmal mit dem Pantoffel schlägt, auch unter die Fabeln gehört. Dieses aber wird man ihren geplagten Mann, der die wirkliche Existenz seiner Frau gar zu wohl fühlt, nimmermehr bereden. Es scheinet auch fast, als ob Phädrus seinen Fehler selber bemerkt hätte. Er spricht:
– – Illa irascitur, Accipiens (quod enim?) cuncta in contumeliam. |
Dieses quid enim? würde sich im Deutschen nicht besser ausdrücken lassen, als durch: Ist das wohl Wunder? Machen es unsre Frauenzimmer nicht alle so? Was aber unsre Frauenzimmer alle thun, das ist wohl keine Fabel.
Ich war anfänglich willens, unter diese fehlerhaften Fabeln des Phädrus seine sechste Erzählung im zweyten Buche von dem geschäfftigen Müßiggange zu rechnen. Es hat mich aber ein guter Freund davon abzubringen gesucht, weil er glaubt, es sey dieses keine wirkliche Erzählung, sondern eine Allegorie, und gehe eigentlich auf die jungen Advocaten, welchen zwar wegen ihrer Unerfahrenheit noch niemand seinen Rechtshandel anvertraut, die aber dennoch gar zu gern sehr beschäfftigt aussehen wollen, und um deswillen tüchtig durch die Gasse laufen; niemals ausgehen, ohne ein Stückchen Acten im Busen zu haben; die Richterstube belagert halten, ohne hinein zu gehen; alle Bauern, die ihnen begegnen, anreden; alle Gesellschaften mit ihrem casu in terminis quälen; von ihren gewonnenen Processen so viel Aufhebens machen, als mancher junger Officier von dem letztern Feldzuge nicht thut; welche ganz erhitzt, und tiefsinnig aussehen, wenn sie Mittags um zwölf Uhr vom Rathhause kommen, damit man glauben soll, sie hätten sich mit ihrem Gegner gezankt; mit einem Worte, welche vor langer Weile sterben müßten, wenn sie nicht die Geschicklichkeit besässen, zum Verdrusse der halben Stadt auf die geschäfftigste Art nichts zu thun. Dieses ist die Auslegung, welche mein Freund von der Fabel macht. Wie weit sie gegründet sey, will ich nicht untersuchen. Recht wahrscheinlich kömmt sie mir freylich nicht vor. Sie klingt mir gar zu deutsch, und an statt, daß ich bey deren Erzählung mit meinen Gedanken in Rom seyn sollte; so verliere ich mich unvermerkt in meiner Vaterstadt, und sehe auf dem Rathhause und auf dem Markte eine Menge junger Müssiggänger herumlaufen, welche vor großer Beschäfftigung, nichts zu thun, keichen. Gesetzt auch, es sey eine allegorische Erzählung; so kann ich doch nicht errathen, warum Phädrus eben nur eine gewisse Art junger Advocaten gemeynt habe? Könnte es denn nicht eben so wohl auf die jungen Aerzte gehen? Wenigstens kenne ich einen, welcher so ängstlich durch die Gassen läuft, als wenn ihn die Seelen der Verstorbnen verfolgten, welche an seinen Pillen haben ersticken müssen. Er thut so unruhig, als wenn er die halbe Stadt zu einem methodischen Ende zubereiten müßte. Oft besteht seine große Arbeit in weiter nichts, als daß er einen Hund aufsucht, ihn zu würgen, oder Rhabarbar holt, um eine Frau zu curiren, welche der Mann durch seine Vermittelung los zu werden sucht. Dieses sind meine Zweifel, welche ich über die eigentliche Bedeutung der Erzählung aus dem Phädrus habe. Meine Leser sollen den Ausspruch thun, ob ich oder mein Freund Recht habe, ob die allegorische Erzählung auf die jungen Advocaten, oder auf die jungen Aerzte, oder vielleicht auf noch andre Arten müßiger, und doch geschäfftiger, Gelehrten gehe? Hier sind die Worte des Phädrus selbst:
Est ardelionum quaedam Romae natio, Trepide concursans, occupata in otio, Gratis anhelans, multa agendo nihil agens, Sibi molesta, et aliis odiosissima. |
Gl – –