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Das Kaminfeuer war heruntergebrannt und verbreitete nur noch einen spärlichen roten Schein. Paul hatte dem Bericht atemlos gelauscht und seufzte jetzt schwer auf.
»Es muß hier in diesem Raum gewesen sein«, fuhr Pater Adrian fort und sah sich um. »Hier haben sich Ihr Vater und Graf Hirsfeld getroffen. Aber ich will die Geschichte möglichst mit den Worten Ihres Vaters zu Ende führen.
»Es schien sich alles um mich zu drehen, als ich diese Nachricht hörte.«
»Das ist eine Lüge«, rief ich atemlos. »Wir standen doch zusammen an ihrem Grabe. Sie ist längst gestorben!«
Das Gesicht des Grafen leuchtete triumphierend auf.
»Das haben Sie gedacht! Sie ließen sich so leicht von uns täuschen. Aber hören Sie, was ich Ihnen zu sagen habe!
Sie glaubten, es wäre eine Kleinigkeit, die Tochter des letzten Grafen von Cruta zu entführen. Die Tat selbst war ja auch leicht genug, aber Sie haben sich Feinde gemacht, die sich an Ihnen rächten. Einer war der alte Graf, dessen Tochter Sie entehrt und dessen Stolz Sie tödlich verletzt haben. Der andere war ich, ihr Verlobter, den sie heiraten sollte und der sie liebte. Glauben Sie, daß ich diese Schmach vergessen hätte, weil ich Sie nicht niederschoß, wie Sie es verdient hatten? Die Bewohner der Insel, die ihrem Herrn blindlings ergeben sind, hätten Sie verfolgt und wären Ihnen überallhin gefolgt, bis sie Sie ermordet hätten. Er hat sie zurückgehalten, auf meinen Rat hin. Ein plötzlicher Tod wäre eine zu leichte Strafe für Sie gewesen. Ich zeigte ihm einen anderen Weg, und so wartete er.
Ich überredete Irene, Sie zu verlassen und zu ihrem Vater zurückzukehren. Ich zeigte ihr, wie selbstsüchtig Sie an ihr gehandelt hatten, und entfachte in ihr den Glauben, sich an Ihnen zu rächen. Ich habe die List erdacht, der Sie ohne weiteres zum Opfer fielen.
Es war ja alles so einfach. Irene sollte Mutter werden. Sie aber glaubten, daß Sie sterben sollte, und heirateten sie. Am nächsten Tage wurde das Kind geboren. Es war Ihr Sohn. Inzwischen starb Irenes Zofe, die seit langem an Schwindsucht gelitten hatte, und ihrem Begräbnis wohnten Sie bei. Irene selbst wurde wieder gesund, sie war niemals in wirklicher Gefahr. Sie lebt bei ihrem alten Vater, und der Sohn lebt ebenfalls. Wir warteten, und wirklich trat auch das ein, was kommen mußte. Wir lasen, daß Sie sich verheiratet hatten, und der Graf wollte nun den Schlag gegen Sie führen. Aber ich sagte Nein. Die Zeit verging, und wir erfuhren, daß Ihnen ein Sohn und Erbe geboren wurde. Wir lasen in den Zeitungen auch von dem großen Fest, das zu Ehren dieses Ereignisses gegeben wurde. Irene hielt ihren Sohn in den Armen und schwur Rache. Jetzt ist es Zeit, sagte sie, gehen Sie und sagen Sie Martin de Vaux, daß sein erstgeborener Sohn und Erbe hier auf Cruta lebt. Sagen Sie, daß seine Frau und sein Sohn sich nach ihm sehnen. Und so bin ich hierher gekommen!«
Ein tiefes Schweigen folgte. Meine Lippen waren trocken. Graf Hirsfeld beobachtete mich mit verschränkten Armen. Das war seine Rache!
»Das ist nicht wahr«, sagte ich schließlich mit stockender Stimme. »Ich glaube es nicht. Irene ist tot.«
Ich versuchte, mit Überzeugung zu sprechen, aber es gelang mir nicht. Im Innersten glaubte ich an die Worte des Grafen.
Er zuckte die Schultern.
»Sie haben allen Grund, mir nicht zu glauben. Aber kommen Sie nach Cruta. Sie werden sich selbst überzeugen. Dort können Sie auf dem Grabstein lesen: Hier ruht Maria, die treue Dienerin der Gräfin Irene von Cruta. Sie können auch den Arzt sprechen, der das Mädchen behandelt hat, zu gleicher Zeit mit Ihrer Frau. Aber noch besser wäre es, Sie könnten Ihre Frau und Ihren Sohn sehen. Was sagen Sie zu diesem Vorschlag?«
»Ich will nichts sehen«, rief ich leidenschaftlich. »Das war der gemeinste Verrat, der an mir verübt wurde!«
»Gegen Schurken und Schufte kann man nur mit Hinterlist kämpfen«, entgegnete er. »Es ist Ihnen nur mit gleicher Münze heimgezahlt worden.«
Ich sank in einen Stuhl.
»Wenn es wahr ist, was verlangt Irene dann von mir? Ich will nicht zurückgehen zu ihr, auch erkenne ich sie in keiner Weise an. Geld ist alles, was ich ihr geben würde!«
»Natürlich müssen Sie sie unterstützen«, entgegnete Graf Hirsfeld. »Sie müssen ihr eine große Summe zur Verfügung stellen, damit sie Ihren Sohn seiner Stellung gemäß erziehen lassen kann!«
»Das Geld soll sie haben und alles, was sie sonst verlangt«, erklärte ich. »Aber ich werde niemals meinen Sohn oder sie rechtlich anerkennen. Wenn er den Namen de Vaux annimmt oder sich mir irgendwie aufdrängt, werde ich gegen ihn kämpfen. Die englischen Gerichte werden diese Eheschließung für ungültig erklären.«
»Ich bin anderer Meinung«, sagte er kühl. Außerdem stammt Ihre jetzige Frau aus einer sehr alten Adelsfamilie. Sie ist die Tochter eines Herzogs. Ein solcher Prozeß würde Sie in eine unangenehme Lage bringen! Und was Ihren Sohn anbetrifft –«
Ich war wütend und hinderte ihn am Sprechen.
»Ich wiederhole Ihnen noch einmal, daß ich weder Irene noch ihn rechtlich anerkenne. Geld können Sie haben, und ich will für die Zukunft des Kindes sorgen. Aber er erhält keinen Pfennig von mir, wenn er es wagt, den Namen de Vaux zu führen!«
»Ich bin nur ein Bote und bin gern bereit, Ihrer Frau Ihre Antwort zu überbringen. Sie werden dann ihre Entscheidung hören!«
Mit diesen Worten ging er fort, und vierzehn Tage lang schwebte ich in Ungewißheit. Nach Ablauf dieser Zeit kam ein Brief, der mit »Irene« unterzeichnet war. Er war kühl und kurz abgefaßt, und sie teilte mir darin mit, daß sie nicht beabsichtige, die Stellung meiner Frau zu beanspruchen. Sie verlangte nur, daß ich ihr regelmäßig eine Unterstützung für ihren Lebensunterhalt auf eine Bank in Palermo einzahle, von der sie auch die Erziehung ihres Sohnes bestreiten wollte. Was dessen Zukunft anbeträfe, könnte sie sich zu nichts verpflichten. Wenn die Zeit gekommen sei, sollte er selbst entscheiden, was er werden und ob er seinen rechtmäßigen englischen Titel führen wollte.
Sie würde ihn in Unkenntnis erziehen, aber an seinem fünfundzwanzigsten Geburtstag wollte sie ihm die ganze Geschichte erzählen und ihm alle nötigen Dokumente übergeben. Wenn er auf Grund dieser Papiere den Besitz der Familie de Vaux beanspruchte, so würde es ihm leicht fallen, seine Anforderungen durchzusetzen. Wenn er anderseits sich dazu entschließen würde, das zu bleiben, was er zur Zeit wäre, so würde sie keinen Versuch machen, ihn in seiner Entscheidung zu beeinflussen. Der Brief war eine große Erleichterung für mich. Fünfundzwanzig Jahre waren eine lange Gnadenfrist. Inzwischen konnte der Junge sterben oder es konnten sich tausend Dinge ereignen. Ich war bestrebt, dieses Kapitel meines Lebens als vollständig abgeschlossen zu betrachten und lebte so, als ob es nicht geschehen sei.
Trotzdem fünfundzwanzig Jahre eine lange Zeit sind, vergingen sie doch. Eines Morgens erhielt ich einen Brief und erkannte sofort die Handschrift Irenes. Es waren nur ein paar Zeilen. Sie teilte mir mit, daß ihr Sohn seinen richtigen Namen angenommen habe und seine Stellung in der Gesellschaft einzunehmen gedenke. Er führte den Namen de Vaux und wollte bei meinem Tode Titel und Erbe für sich in Anspruch nehmen. Ich las den Brief und entschloß mich, sofort zu handeln. Eine Woche später ging ich mit meinem Sohn Paul an Bord meiner Jacht und fuhr nach dem Mittelmeer. In Palermo trennten wir uns. Paul wollte den Grafen Hirsfeld aufsuchen. Er wußte zwar seinen Aufenthalt noch nicht. Ich bot diesem Mann eine große Summe, wenn er Irene dazu veranlassen könnte, ihren Vorsatz zu ändern. Ich selbst fuhr nach Cruta, um sie aufzusuchen.«
*
»Dies ist das Ende der Erzählung Ihres Vaters«, fuhr Pater Adrian fort. »In Cruta wohnte er dann in dem Kloster, wo er später krank lag. Er schrieb einen dringenden Brief an Sie und gleich darauf ging er zum Schloß. Das Übrige habe ich Ihnen erzählt.«
*
Der Morgen dämmerte herauf, und das bleiche graue Licht schien durch die Fenster. Das Feuer im Kamin war vollständig erloschen. Im Park stiegen graue Nebel auf, und im Zimmer wurde es kühl und kalt. Paul stützte sich auf den Kamin. Er hatte den Kopf in den Händen vergraben, und als er aufschaute, zitterte er. Pater Adrian erhob sich.
»Ich fürchte, es war für Sie eine schreckliche Nacht. Es tut mir leid, daß ich Ihnen so viel Schmerz verursachen mußte.«
»Ich danke Ihnen«, erwiderte Paul verstört. »Ich mußte es unter allen Umständen wissen. Warum haben Sie mir dies nicht schon alles in Cruta erzählt?«
»Es schien mir genug, daß Sie schon den Tod Ihres Vaters zu erleben hatten. Vielleicht war es nicht richtig von mir.«
Paul antwortete nichts. Seine Gedanken schienen in weiter Ferne zu weilen. Pater Adrian beobachtete sein eingesunkenes Gesicht mit kalten, erbarmungslosen Blicken.
»Es hat Sie sehr mitgenommen«, sagte er leise. »Aber ich habe Ihnen noch mehr zu sagen. Es handelt sich jedoch nicht um die Geschichte Ihres Vaters. Kann ich morgen oder übermorgen kommen?«
»Kommen Sie in einer Woche. Dann werde ich ruhiger sein.«
Pater Adrian zögerte.
»Nun gut. Leben Sie wohl!«