Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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7.
Eine Frage

Der Mond schien voll auf die Ruinen der Abtei Vaux. Zauberhafte Schönheit war über die Landschaft gebreitet. In der Ferne glänzte das Silberband eines Stromes, in der Nähe der Abtei leuchtete ein schilfbewachsenes Gewässer auf, und die dunklen Tannen auf den sandigen Abhängen verloren in dem Mondschein ihr düsteres Aussehen.

Zwischen den hochragenden Pfeilern der Ruinen stand der katholische Priester. Er hatte das Gesicht dem Monde zugewandt, und auch aus seinen Zügen war die Härte gewichen. Aber es quälten ihn noch Unruhe und Zweifel.

»Sechs Nächte habe ich nun in den Ruinen gebetet«, sagte er halblaut zu sich selbst, »aber diese mondhellen, stillen Nächte sind für mich wie ein Spott. Wenn es einen Gott und eine heilige Jungfrau gibt, warum haben sie dann ihre Gnade von mir abgewandt? Es ist ein trauriges, hoffnungsloses Unternehmen, daß ich hierherkam. Ich wäre besser in dem öden Kloster in Cruta geblieben und hätte dort meine Tage verbracht, ohne die Aufregungen und Versuchungen der großen Welt zu erfahren, ohne Seele, ohne Leben. Der Kampf hier draußen wird für mich ein ewiges, schreckliches Rätsel bleiben. Ich kann mit dieser Welt nicht rechten, mit ihr weinen oder lachen. Ich lebe in ihr und bin doch nicht in ihr. Warum wurde ich hierhergeschickt?«

Das Geräusch eines brechenden Zweiges störte ihn auf. Paul de Vaux kam auf ihn zu. Er hatte einen großen, weiten Mantel über seinen Frackanzug gelegt.

Pater Adrian ging ihm einige Schritte entgegen, und die beiden standen sich einen Augenblick lang schweigend gegenüber. Sie wußten, daß dies keine gewöhnliche Begegnung war. Jeder schien die Stärke des anderen zu prüfen und abzuwägen.

»Pater Adrian, wir haben uns schon früher getroffen«, begann Paul.

»Ja.

»Sie werden verstehen, daß ich überrascht bin, Sie hier in England zu sehen. Haben Sie das Kloster in Cruta verlassen?«

»Ich bin einen Monat nach Ihrer Abreise von dort fortgegangen.«

»Aber Sie haben doch ein Gelübde abgelegt. Sind Sie dadurch nicht für das ganze Leben gebunden?«

Der Pater lächelte bitter. »Meine Gelübde haben mit meinem Aufenthalt nichts zu tun. Es waren Klagen über das Kloster gekommen, und ich war damals hingesandt worden, um sie zu prüfen. Das Kloster war nur arm, und die Mönche lebten nicht nach der Regel. Jetzt ist es geschlossen worden.«

»Dann sind Sie also kein Mönch?«

Pater Adrian schüttelte den Kopf.

»Ich habe in meiner Jugend zwar die Jahre meines Noviziats durchgemacht und in einem Kloster gelebt, aber ich habe nicht das Gelübde abgelegt. Das Leben im Kloster taugt nur für heiligere und strengere Männer als mich.«

»Aber wer sind Sie dann?«

»Ich bin – Pater Adrian, Priester der römisch-katholischen Kirche. Mehr kann ich Ihnen nicht sagen.«

Das Mondlicht schien jetzt voll auf seine dunklen, ausdrucksvollen Züge. Paul sah ihn durchdringend an, aber der Pater begegnete seinem Blick ruhig und sicher.

»Was bringt Sie zur Abtei Vaux?« fragte Paul schließlich.

»Ich wollte Ihren Landsitz sehen.«

»Aber es muß Sie doch etwas mehr als gewöhnliche Neugier hierher getrieben haben?«

»Ich wollte das Heim des Engländers Martin de Vaux sehen, der in meinen Armen im Kloster Cruta starb. Sechs Nächte habe ich hier für seine Seele im Fegefeuer gebetet, denn er starb in schwerer Sünde.«

»Sind Sie nur hergekommen, um mich daran zu erinnern?« fragte Paul bitter. »Vielleicht haben Sie bereut, daß Sie bisher geschwiegen haben? Sie wollen doch nicht etwa das Herz seiner Witwe brechen, indem Sie ihr die Geschichte seiner letzten Stunde erzählen? Hat er Ihnen in diesen letzten düsteren Augenblicken das Geheimnis seines Lebens gebeichtet? Hat er Ihnen gesagt, warum er nach Cruta kam?«

»Das hat er getan«, entgegnete der Priester ernst.

»Mein Gott!« rief Paul entsetzt. Er hatte bisher nur gefürchtet, daß der tragische Tod seines Vaters bekannt und seine Mutter dadurch unglücklich werden würde. Aber nun betrachtete er Pater Adrian plötzlich mit ganz anderen Augen. Frieden und Ruhe seiner Familie hingen also von dem guten Willen dieses Mannes ab.

»Die Geheimnisse eines Sterbenden sind Ihnen anvertraut worden«, sagte er heiser. »Die Geheimnisse der Beichte sind für Sie so unverbrüchlich wie der Glaube!«

Der Pater schüttelte leicht den Kopf.

»Nein, er weigerte sich, zu beichten. Er hat mir ausdrücklich gesagt, daß er nur als Mann zum Mann zu mir spräche.«

Paul verdammte die Schwäche seines Vaters. Wenn nun dieser Priester aus gewissen Gründen zu dem Entschluß käme, dieses Geheimnis nicht zu wahren! Warum war er eigentlich hierhergekommen? Warum betrachtete er die letzten Mitteilungen eines Sterbenden nicht als Beichte? Es gab nur noch eine andere Möglichkeit. Vielleicht wollte er Geld für sein Geheimnis haben. Aber Geld bedeutete doch für einen Priester der römisch-katholischen Kirche nichts. Was könnte er dadurch gewinnen?«

»Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte Paul schließlich. »Warum sind Sie hierhergekommen?«

Pater Adrian schaute nachdenklich zur Seite.

»Sie fragen mehr, als ich Ihnen sagen kann. Die Zeit ist noch nicht gekommen. Wir werden uns wiedersehen. Leben Sie wohl!«

Er wandte sich zum Gehen, aber Paul legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Wenn Sie glauben, daß Sie mir etwas zu sagen haben, dann sagen Sie es jetzt. Ich kann alles tragen. Ich weiß nur, daß mein Vater ein Geheimnis hatte. Das Geheimnis selbst kannte ich nicht. Also sprechen Sie! Sagen Sie mir mehr!«

Der Pater machte sich frei.

»Noch nicht. Ich bin bis jetzt noch zu keinem klaren Entschluß gekommen. Ich sagte Ihnen schon, daß wir uns wiedersehen würden!«

»Aber –«

»Leben Sie wohl!«

Der Pater entfernte sich mit schnellen Schritten und verschwand in den Schatten der Nacht.

»Kommen Sie doch zurück! Ich muß mit Ihnen sprechen!« rief Paul fast verzweifelt.

Aber der Priester wandte sich nicht mehr um. Paul starrte ihm nach. Die Gefahr, die er immer gefürchtet hatte, war nun eingetreten.

 


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