Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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14.
Berauschendes Gift

Gomez erkannte Paul nicht, denn dieser stand noch im Schatten.

»Kennen Sie mich nicht wieder?« fragte der müde Mann und trat vor. »Ich bin Paul de Vaux.«

Ein Schatten glitt über die Züge des Dieners. Er legte die Hand aufs Herz, als ob er einen plötzlichen Schmerz spürte, trat zur Seite und hielt die Tür auf.

»Ich bitte um Verzeihung, Monsieur Paul. Ich kann Ihr Gesicht draußen nicht sehen. Bitte treten Sie näher.«

Paul ließ den Zügel fallen und ging hinein. Die große Halle mit dem weißen Marmorfußboden und dem Kaminfeuer sah warm und einladend aus. Irgendwo im Hause hörte er das Klappern von Tassen.

»Was machen Sie denn, Gomez?« fragte Paul und schüttelte den Regen ab. »Ich dachte, Sie hätten eine Anstellung beim Gericht gefunden?«

»Highes ist noch nicht pensioniert. So lange muß ich noch warten. Ich habe hier inzwischen die Stelle eines Hausverwalters bei Major Harcourt angenommen.«

»Ist der Major denn nicht hier, daß Sie sein Haus verwalten müssen?«

Gomez schüttelte den Kopf und sah Paul sonderbar an.

»Major Harcourt bringt den Winter nicht hier zu. Er hat sein Haus möbliert vermietet.«

»Das ist aber unangenehm. Wer wohnt denn jetzt hier?« fragte Paul schnell. »Sie sehen ja, in welcher Verfassung ich bin. Mein Pferd ist noch viel schlechter daran. Wir haben den Weg verloren und uns hierher verirrt.«

»Eine Dame hat das Haus gemietet«, entgegnete Gomez zögernd. »Sie ist erst gestern abend gekommen.«

Paul zuckte enttäuscht die Schultern.

»Nun gut, gehen Sie gleich zu ihr und erzählen Sie ihr, wie es mit mir steht. Ich bitte für die Nacht um einen Platz im Stall für mein Pferd und um die Erlaubnis, daß ich mich hier etwas ausruhen und später mit einem Wagen nach dem Schloß fahren darf. Wenn sie meinen Namen hört, wird sie nichts dagegen haben. Wer ist es denn eigentlich?«

Gomez schwieg einen Augenblick, nahm dann Paul mit sich zur Haustür und zeigt in die Dunkelheit hinaus.

»Monsieur Paul«, sagte er schnell und mit heiserer Stimme, »hinter der Hecke führt ein Weg direkt zum Schloß, ohne alle Umwege. Es sind etwas mehr als zehn Kilometer. Ich will Ihnen zeigen, wie Sie gehen müssen. Sie sind müde, aber darauf dürfen Sie jetzt nicht achten. Nehmen Sie meinen Rat und glauben Sie, daß es zu Ihrem Besten ist. Verlassen Sie dieses Haus so schnell als möglich. Ich will mich um Ihr Pferd bemühen, das kann hierbleiben. Morgen früh können Sie es hier abholen lassen.«

Paul sah ihn erstaunt an.

»Das ist doch Unsinn, Gomez. Wissen Sie denn, was Sie sagen? Ich bin vollkommen erledigt und am Verhungern. Hier bin ich, und hier bleibe ich, es sei denn, daß die Dame, die das Haus gemietet hat, ebenso ungastlich ist wie Sie.«

Gomez verneigte sich und schloß die Tür.

»Nun gut, ich habe Sie gewarnt. Denken Sie immer daran, daß ich nur Ihr Bestes wollte. Folgen Sie mir, bitte. Ich werde dafür sorgen, daß Ihr Pferd in den Stall gebracht wird. Die Dame, die das Haus gemietet hat, ist Madame de Merteuil.«

Paul wußte nicht, was er zu alledem sagen sollte. Es war ihm nicht wohl zumute, als er durch die Halle ging. Gleich darauf trat er in ein langes Wohnzimmer, das viele Ecken und Winkel hatte. Es war etwas altmodisch, aber geschmackvoll eingerichtet. Der Kronleuchter war mit einem bunten Seidenschirm bedeckt und so tief heruntergezogen, daß der Raum im Halbdunkel lag. Ein helles Feuer brannte im Kamin und verbreitete eine angenehme, belebende Wärme.

Zuerst glaubte er, daß niemand anwesend sei. Aber einen Augenblick später erhob sich eine große blasse Dame mit wunderbar dunklen Augen und braunem Haar aus einem Sessel hinter dem Klavier und sah ihn fragend an.

»Ich fürchte, daß ich Sie sehr störe«, sagte Paul mit einer Verbeugung. »Als ich nach Hause ritt, verlor ich den Weg, und mein Pferd ist so erschöpft, daß ich nicht weiter kann. Sie sehen, daß es mir selbst nicht besser geht. Ich sah die Lichter des Hauses, und da ich Major Harcourt kenne und ich nicht wußte, daß er sein Haus vermietet hat, kam ich auf gut Glück hierher. Ich bin Paul de Vaux, und wenn auch das Schloß in einiger Entfernung liegt, so sind wir doch nächste Nachbarn.«

Die Dame hatte während seiner Erklärung schweigend und wie versteinert dagestanden und ihn mit weitgeöffneten Augen angestarrt. Paul sah, daß eine ungewöhnliche Furcht sich ihrer bemächtigt hatte. Sie mußte nicht ganz bei Sinnen sein, dachte er. Gomez hätte ihm das doch vorher sagen können. Aber als er sich schon nach dem Ausgang umsah, sprach sie zu ihm.

»Heißen Sie wirklich Paul de Vaux?«

Er verneigte sich und sah sie jetzt interessierter an. Sein Name schien ihr vertraut zu sein. Im nächsten Augenblick war die unnatürliche Starrheit von ihr gewichen, und sie unterhielt sich mit ihm, wenn auch in einer etwas sonderbaren Weise.

»Verzeihen Sie, ich war zuerst etwas bestürzt. Bitte bleiben Sie hier.«

Sie klingelte, und Gomez trat ein.

»Bringen Sie etwas frischen Tee, belegte Brote und Wein. Und sagen Sie im Stall, daß das Pferd dieses Herrn gut gepflegt werde.«

Gomez nahm den Auftrag schweigend und mit düsterem Gesicht entgegen.

Paul sah ihm erstaunt nach.

»Er scheint nicht sehr erfreut zu sein, daß er mich wiedersieht«, bemerkte er. »Ich möchte nur wissen, was der Mann gegen mich hat.«

»Das ist seine Art«, erwiderte sie freundlich. »Er stand doch schon in den Diensten Ihres Vaters?«

»Ja. Woher wissen Sie denn das?« fragte Paul schnell. »Ach, er hat es Ihnen natürlich erzählt. Sie haben einen treuen Diener an ihm.«

Sie nickte nur, ohne etwas zu erwidern. Paul fand es sehr schwer, eine Unterhaltung mit ihr zu führen. Auf alle seine Bemerkungen gab sie nur kurze Antworten, sah ihn aber dauernd mit ihren dunklen Augen merkwürdig und weltentrückt an, als ob sein Gesicht und seine Züge sie an etwas erinnerten. Paul fühlte sich etwas unbehaglich und war froh, als Gomez ein Tablett mit Erfrischungen hereinbrachte.

Sie reichte ihm schweigend eine Tasse Tee, und er machte wieder einen Versuch, mit ihr ins Gespräch zu kommen.

»Wie Sie mir vorhin sagten, sind Sie in diesem Teil des Landes fremd. Wir, die wir unser ganzes Leben hier verbracht haben, lieben unsere Heimat. Ich fürchte, es wird Ihnen am Anfang hier langweilig und einsam vorkommen. Es wohnen nur wenig Leute hier, mit denen man verkehren kann, und auch die sind nicht sehr gesellschaftlich.«

»Wir wünschen keinen Verkehr«, sagte sie schnell. »Wir kamen hierher – wenigstens ich – um vollständig abgeschlossen zu leben. Ebenso ist es mit meiner Stieftochter. In London war sie gezwungen, nachts lange aufzubleiben, und darunter hat ihre Gesundheit gelitten. Der Arzt hat ihr vollkommene Ruhe verordnet. Und da ich mich auch ausruhen wollte, kamen wir hierher. Ein Hausagent in London hat die Sache vermittelt.«

Also hatte sie noch eine Stieftochter, die in London wohnte und dort viel ausging. Das war wenigstens ein Anknüpfungspunkt zu einer weiteren Unterhaltung.

»Ich bin gespannt, ob ich Ihrer Tochter einmal in der Gesellschaft begegnet bin«, sagte er liebenswürdig. »Ich bin häufig in London und habe viele Bekannte.«

Die Frage schien ihr unangenehm zu sein, denn sie wurde unruhig und sah ihn nicht länger an, sondern blickte in die Flammen des Kaminfeuers.

»Das ist sehr unwahrscheinlich«, meinte sie und bewegte die Hände nervös. »Ich glaube nicht, daß Sie sie getroffen haben. Sie hat wahrscheinlich nicht in Ihren Kreisen verkehrt. Und sie kennt nur wenige Menschen – ach, da kommt sie.«

Sie schrak zusammen, aber es trat nur Gomez ein, um abzuräumen. Es herrschte ein tiefes Schweigen, während er damit beschäftigt war. Paul wußte nicht recht, was er noch sagen sollte. Das Benehmen seiner Gastgeberin war ihm ein Rätsel. Vielleicht war ihre Stieftochter, deren Namen sie so ängstlich zu verheimlichen suchte, geisteskrank, und sie hatte sie hierhergebracht, um sie hier zu pflegen, weil sie sie nicht in einer Anstalt unterbringen wollte. Vielleicht war auch diese ältere Dame selbst geisteskrank. Aber diesen Gedanken gab er gleich wieder auf, als er sie jetzt heimlich von der Seite betrachtete. Obgleich ihr Gesicht eingefallen und merkwürdig bleich war, machte sie doch nicht den Eindruck einer Irren. Sie mußte aber viel Sorgen und Kummer durchlebt haben, denn die Spuren davon waren in ihren Zügen zu sehen.

Es lag irgendein Geheimnis über dieser Frau. Aber es war ja nicht seine Sache, es zu enthüllen. Es blieb ihm nichts übrig, als aufzustehen und sich zu verabschieden. Unmöglich konnte er die Unterhaltung in der Weise fortführen, daß er nur Fragen stellte, die ihr unangenehm und peinlich waren.

»Ich bin Ihnen zu größtem Dank verbunden«, sagte er, indem er sich erhob und ihr die Hand reichte. »Ich bin jetzt vollkommen erholt. Vielleicht darf ich Sie bitten, mein Pferd bis morgen hier ausruhen zu lassen, ich lasse es dann durch meinen Diener abholen.«

»Ja, ich bin vollkommen damit einverstanden«, antwortete sie schnell. »Ach – «

Sie schrak zusammen, hielt sich an der Lehne des Stuhles fest und sah entsetzt zur Tür.

Auch Paul hatte sich umgewandt und einen leisen Ausruf ausgestoßen. Sein Herz schlug, und das Zimmer schien sich plötzlich um ihn zu drehen. Seine Blicke hingen an der Gestalt an der Türe.

 


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