Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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13.
Der Pfad, der zum Wahnsinn führt

Eine Regenperiode mit Wind und Sturm hatte plötzlich im Norden eingesetzt. Der Wind hatte von der See herauf dunkle Regenwolken vor sich hergetrieben. Die Jagdgesellschaft von Schloß Vaux hatte sich nach allen Richtungen zerstreut, und die Teilnehmer ritten nun so schnell als möglich nach Hause. Der Himmel hatte schon den ganzen Tag grau und drohend ausgesehen, und bei der hereinbrechenden Dämmerung fiel der Regen plötzlich in heftigen Strömen.

Die Reiter hatten die Kragen hochgeschlagen und rauchten ihre Zigarren. So ritten sie nach dem Dorf zu, dessen Lichter in der Entfernung aus dem dunklen Tal herüberschienen. An einem Kreuzweg trennte sich Paul von ihnen, schlug die Straße nach dem Schloß ein und rief den anderen ein Lebewohl zu.

»Wollen Sie nach Hause, de Vaux?« fragte Captain Westover, indem er an seine Seite ritt. »Kommen Sie doch mit zu uns und bleiben Sie zum Essen. Wenn es zu regnen aufhört, fahren Sie mit dem Wagen heim. Ihr Pferd kann bei uns gut verpflegt werden. Kommen Sie mit!«

Paul schüttelte den Kopf.

»Ich danke Ihnen für Ihre freundliche Einladung, aber ein paar Regentropfen machen mir nichts aus. Ich habe ja nur einen kurzen Ritt von wenigen Kilometern.«

Captain Westover zuckte die Schultern.

»Ganz wie Sie wollen. Meine Familie hätte sich aber sehr gefreut, wenn Sie mit mir gekommen wären. Nebenbei bemerkt, hatten Sie versprochen, einen Besuch bei uns zu machen. Meine Schwester fragte heute morgen, wo Sie eigentlich seien. Kommen Sie doch morgen abend zum Essen!«

»Besten Dank. Wenn ich nicht inzwischen andere Nachricht schicke, bin ich morgen abend bei Ihnen. Gute Nacht!«

Captain Westover wandte sich wieder zu den anderen und Paul entfernte sich in der entgegengesetzten Richtung. Er ritt aber nur im Schritt, mit gesenktem Kopf und losem Zügel. Adreas Brief war in seiner Tasche. Es war noch keine Woche vergangen, seitdem er ihn erhalten hatte. Und jetzt, nachdem die Aufregung der Jagd vorüber war, dachte er wie gewöhnlich daran. Es schien ein vergeblicher Kampf zu sein. Den ganzen Tag hatte er sich bemüht, sie zu vergessen. Er hatte weder sich noch sein Pferd geschont, um sich durch körperliche Anstrengung so zu erschöpfen, daß er nicht mehr denken mußte. Er wollte diese quälenden Erinnerungen loswerden, aber es war alles vergeblich. Sein roter Rock, der bei Beginn der Jagd so tadellos glänzte, war mit Schmutz bedeckt. Und sein Pferd, das zweite, das er an diesem Tage ritt, war kaum fähig, noch einen Fuß vor den anderen zu setzen. Aber trotzdem hatte er seinen Zweck nicht erreicht. Er fühlte keinen Hunger und keine Ermüdung. Wo er auch immer hinschaute, in den grauen Nebel, der von dem Moor heraufzog, oder auf die unebene Straße, oder zum bedeckten Himmel, immer stand Adreas Brief vor ihm, Wort für Wort, Satz für Satz. Und es war ihm, als ob er ihre Stimme hörte, die diese Worte sprach. Er sah ihr Gesicht, sah die Tränen in ihren dunklen Augen und glaubte, ein leidenschaftliches Zittern in ihren verhaltenen Worten zu hören. Tag für Tag hatte er einen verzweifelten Kampf mit sich geführt, um seinem Verlangen zu widerstehen. Immer war er versucht, einen Wagen zur nächsten Stadt zu beordern, um von dort mit dem nächsten Zug nach London zu eilen. Wie würde sie ihn empfangen? Und was sollte er zu ihr sagen? Seine Gedanken stürmten wild durcheinander.

Sein Gewissen sagte ihm, daß er andere Verpflichtungen hätte. Er hatte einen ehrlichen, wahren Charakter und sträubte sich gegen die Leidenschaft, die seine Sinne verzehrte. Wenn auch das Blut in seinen Adern sang, wenn seine Jugend ihr Recht forderte, so stemmte sich doch die alte Tradition seiner Familie gegen die Natur. Er lächelte bitter. Wie war es möglich, daß er May liebte und doch Adrea leidenschaftlich begehrte? Wäre es möglich, daß er Adrea Tag für Tag sehen könnte, ohne die Scheidewand niederzureißen, die er jetzt zwischen ihnen beiden errichtet hatte? Früher hatte er seinen Weg deutlich vor sich gesehen, und nun schwankte ihm der Boden unter den Füßen.

Er war beinahe eine Stunde mit losem Zügel geritten und hatte sich darauf verlassen, daß sein Pferd selbst den Weg zum Stall zurückfinden würde. Plötzlich blieb das Tier stehen und Paul sah sich erstaunt um. Zuerst wußte er nicht, wo er war. Aber an dem tiefen, dumpfen Geräusch, das zu ihm herübertönte, erkannte er, daß er sich ganz in der Nähe der Küste befand. Statt den schmalen Weg landeinwärts nach Schloß Vaux zu nehmen, war das Pferd immer geradeaus gegangen, und Paul hatte sich auf diese Weise nahezu drei Stunden von seinem Ziel entfernt. Seine Lage war nicht gerade angenehm. Das Pferd war vollständig ermüdet und konnte unmöglich den langen Heimweg zurücklegen. Es zitterte an den Knien, wandte den Kopf und schaute ihn kläglich an. Paul selbst war bis auf die Haut durchnäßt. Als er abstieg, um seine steifen Glieder zu bewegen, zitterte auch er leise. Der graue Nebel verdichtete sich, und der Weg war vom Regen so aufgeweicht, daß man tief in den Boden einsank.

Paul sah sich um und erkannte ungefähr, wo er war. Sein Pferd hatte in der Ermüdung einen Privatweg eingeschlagen, der zu der Besitzung des alten pensionierten Majors Harcourt führte. An dem Hause selbst war er schon vorübergeritten. In einiger Entfernung sah er ein geschlossenes Zauntor vor sich, durch das man durch ein Kieferngehölz zum Meere kam. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als zu dem Hause zurückzugehen und dort für eine Weile um Unterkunft zu bitten.

»Da sitzen wir schön in der Patsche«, sagte er und streichelte den Hals seines Pferdes. Dann streifte er den Zügel über den Arm. »Komm, Mag, wir wollen sehen, ob wir nicht einen festen Stall und etwas Hafer bei Major Harcourt finden.«

Er ging nur langsam vorwärts, denn das Pferd hinkte und blieb häufig stehen. Paul lächelte grimmig. Es erschien ihm fast symbolisch, daß ihn die Gedanken an Adrea in diese Lage gebracht hatten.

Plötzlich spitzte Mag die Ohren und wieherte. Paul sah in kurzer Entfernung die Umrißlinien des Hauses und beschleunigte seine Schritte.

Paul war einigermaßen gut bekannt mit Major Harcourt, und obgleich er ihn in der letzten Zeit nicht gesehen hatte, fand er es doch natürlich, bei ihm Unterkunft zu suchen. Er führte sein Pferd den Gartenzaun entlang und klingelte an der Haustür.

»Major Harcourt«, begann Paul, als die Tür geöffnet wurde, brach aber dann plötzlich ab. Der Diener, der ihm geöffnet hatte und nun auf der Schwelle in die Dunkelheit hinausschaute, war ihm bekannt. Es war Gomez!

 


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