Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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17.
Die Bedingung

Paul und sein Begleiter gingen schweigend nebeneinander die lange Allee entlang und bogen dann in den engen, steinigen Weg ein, der über die Heide führte. Der Sturm war vorüber und es regnete nicht mehr. Über ihnen schienen nur schwach die Sterne, als ob sie durch ein feines Spitzengewebe verschleiert wären. In der Ferne hörte man die Brandung des Meeres. Die vom Sturm aufgepeitschten Wogen donnerten gewaltig gegen die harten Klippen.

Paul war nicht in der Stimmung, zu sprechen. Er war davon überzeugt, daß das Geschehene den weiteren Verlauf seines Lebens in neue Bahnen lenken würde.

»Ich muß mit Ihnen sprechen, Paul de Vaux.«

Paul zuckte zusammen und kam plötzlich wieder zur Gegenwart zurück.

»Ja, ich warte darauf.«

Pater Adrian sprach langsam und behielt seinen Begleiter dauernd im Auge.

»Vor einigen Abenden traf ich Sie in den Ruinen Ihrer alten Abtei. Ich sprach damals zu Ihnen von den letzten Stunden Ihres Vaters und von der merkwürdigen Geschichte, die er mir anvertraute. Es war eine Geschichte von Sünde und Kummer, die schwere Schatten in die Zukunft wirft. Denken Sie noch daran, was ich Ihnen sagte?«

»Ja.«

»Sie glaubten, ich müßte sie geheimhalten, weil sie mir als einem Priester der heiligen Kirche anvertraut wurde. Aber das Geständnis wurde mir nicht als Priester, sondern als Mensch gemacht, der kein Glied unserer heiligen Kirche ist. Ich kann damit tun, was mir beliebt.«

»Wenn es irgendwie mich oder meine Familie betrifft, dann sollten Sie es mir sagen. Vielleicht kann ich ein Unrecht wieder gutmachen, das er begangen hat. Wahrscheinlich sind Sie zu diesem entlegenen Winkel gekommen, um mir alles zu erzählen. Also sprechen Sie!«

»Ihr Leben wird sich verdunkeln!«

»Das glaube ich nicht. Auf jeden Fall will ich selbst darüber urteilen. Also bitte, sprechen Sie!«

Der Priester sah seitlich in das Dunkel, und seine Stimme klang leise und heiser, als er begann.

»Sie wissen nicht, was Sie verlangen. Ich werde es Ihnen jetzt noch nicht sagen, und zwar um Ihrer selbst willen. Manchmal ist mir schon der Gedanke gekommen, wieder zu gehen und überhaupt zu schweigen.«

»Aber warum denn? Sie kamen doch aus gar keinem anderen Grunde hierher?«

Pater Adrian schüttelte den Kopf.

»Da irren Sie sich, ich kam nicht hierher, um Ihnen die Geschichte zu erzählen. Ich kam hierher, um Ihr Haus zu sehen. Vor vielen hundert Jahren war die Abtei Vaux ein Kloster, das den Namen des Heiligen trug, dessen Name ich auch trage. Mein Besuch hier war halb und halb eine Wallfahrt! Aber seit meiner Ankunft hier bin ich oft in die Versuchung gekommen, den schweren Schlag zu führen, zu dem ich die Macht habe. Sie führen einen Namen, der seit Jahrhunderten einer der glänzendsten in der Geschichte unserer heiligen Kirche ist. Seit vielen Generationen waren die de Vaux gute Katholiken und Wohltäter ihrer Kirche. Die Kapelle Ihres Schlosses war reich geschmückt, und immer amtierten fünf Priester dort, solange der alte Sir Roland de Vaux lebte. Und was ist jetzt aus dieser Kirche geworden, die früher zu den schönsten Englands gehörte? Sie liegt in Trümmern, ebenso wie Ihr Glaube. Ich bin durch die Dörfer gewandert, die zu Ihrem Besitz zählen, aber ich habe überall nur ketzerische Kirchen gesehen. Der wahre Glaube ist verlassen. Und wer ist für dies alles zu tadeln? Wer hat die Schuld? Ihre Familie, die zuerst von dem wahren Glauben abließ. Die die eifrigsten Verfechter sein sollten, sind mit der Strömung der Zeit gegangen, ohne sich ein Gewissen daraus zu machen. O, es ist eine entsetzliche Ketzerei, daß ein de Vaux achtlos in seinem Schlosse lebt und sich nicht mehr um den alten, großen Glauben seiner Vorfahren kümmert. Ich bin in den prachtvollen Ruinen, die auf Ihrem Grund und Boden liegen, umhergegangen. Sie sind künstlerisch schön, und trotzdem eine immerwährende, brennende Anklage. Und ich frage mich, ob es recht von mir ist, mit Ihnen Frieden zu halten und Sie nicht zu bekämpfen. Und dennoch kann ich es Ihnen nicht sagen, ich kann es nicht!«

Die Heftigkeit und Glut dieser Worte beeindruckten Paul stark. Er hatte immer gefühlt, daß sein Vater ihm etwas verheimlicht hatte.

»Ich möchte eine Frage an Sie richten. Was das Geheimnis, von dem Sie immer sprechen, auch sein mag, ich weiß nichts davon. Aber es scheint in einer gewissen Verbindung mit den beiden Frauen zu stehen, die wir heute abends verlassen haben. Sagen Sie mir, ob Adrea etwas damit zu tun hat?«

»Nein, sie geht es nichts an!«

»Und Madame de Merteuil?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen!«

Sie waren inzwischen in der Nähe der Ruinen angekommen und die Heide mit ihren dünnen Nebelschleiern lag hinter ihnen. Hier war der Himmel klar und die Pfeiler der alten Kirche hoben sich scharf von dem Hintergrund des Himmels und des Meeres ab. Pater Adrian blieb stehen.

»Ich will nicht weiter mitkommen. Ich fühle mich freier und wohler, wenn ich diese Ruinen nicht betrete. Aber ich möchte Ihnen zum Schlusse noch etwas sagen.«

Paul hielt ebenfalls an.

»Ich habe viele Versuchungen und Leidenschaften niedergekämpft, aber ich habe stets meine Zunge im Zaum gehalten und habe Sie verschont. Aber in Zukunft liegt Ihr Glück, ja Ihr ganzes ferneres Leben in Ihrer eigenen Hand. Ich sah, wie Ihr Vater den einzigen Verwandten, den Adrea in dieser Welt noch hatte, ermordete. Ich war Zeuge dieser gräßlichen Tat. Wir beide haben bisher darüber geschwiegen. Paul de Vaux, ich will den schweren Schlag, den ich gegen Sie führen könnte, unter einer Bedingung nicht tun. Adrea ist nicht für Sie bestimmt, sie darf weder Ihre Frau noch Ihre Freundin werden. Auch ist sie nicht länger Ihr Mündel. Sie dürfen nicht mehr mit ihr in Verbindung treten und nichts mehr mit ihr zu tun haben. Die Mordtat Ihres Vaters kann niemals ausgelöscht werden. Erheben Sie Ihre Hand zum Himmel und schwören Sie, daß Sie Adrea nicht wiedersehen wollen, oder, so wahr es einen Gott im Himmel gibt, werde ich Ihren Namen und Ihre Familie in den Staub treten und in Schande bringen!«

Schwere Schweißtropfen standen auf Pater Adrians Stirne, und seine Augen glänzten im Fieber. Dieser plötzliche, leidenschaftliche Ausbruch hatte ihm die Ruhe geraubt, die er sonst als Priester zur Schau trug. Er war in diesem Augenblick kein Heiliger, sondern ein Mensch mit aufgestörten Sinnen. Paul sah ihn ernst an.

»Ich muß darüber nachdenken. Lassen Sie mir ein paar Tage Zeit. Ich will Sie auch weiter nichts mehr fragen.«

»Eine Woche Bedenkzeit will ich Ihnen geben – in einer Woche treffen wir uns wieder hier an dieser Stelle!«

 


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