Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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4.
Adreas Tagebuch

Heute hat mein eigentliches Leben begonnen, und deshalb beginnen auch heute meine Memoiren. Alles, was ich vorher erlebte, hat keine Bedeutung mehr.

Nachdem ich mich aus freiem Entschluß von jeder Gesellschaft getrennt habe, stehe ich nun einsam und ohne Freund in der Welt. Die Männer könnte ich wohl leicht für mich gewinnen, aber den Frauen liegt sicher wenig an mir. Und ich bin froh darüber, denn ich hasse die Frauen, vielleicht auch die Männer. Jedenfalls wird niemand mein Vertrauter sein, und deshalb führe ich Tagebuch.

Heute war für mich ein ereignisvoller Tag. Ich habe zum erstenmal vor einem Publikum getanzt. Und Paul de Vaux war bei mir in diesem Hause. Wir waren beide ganz allein. Zu seltsam, daß ich ihn in dieser großen Stadt gleich das erstemal treffen mußte. Er hat sich verändert, seitdem ich ihn zum letztenmal im Konvent gesehen habe, und auch ich bin eine andere geworden. Und doch hat er mich wiedererkannt! Wie bleich und ernst sah er aus, als er vor dem Kamin stand und meinen Namen nannte! Er ist sehr schön – schöner noch als damals, als mein Vater ermordet wurde, und er seinem Mörder nicht in den Arm fiel. Ach, Paul de Vaux, das war ein böser Tag für dich. Kam dir niemals der Gedanke, daß das kleine, braune Mädchen, wie du es damals nanntest, eines Tages erwachsen sein würde? Glaubtest du jemals, daß sie hätte vergessen können? Ach, die Männer sind doch zu einfältig!

Er hat sich noch an mich erinnert. Sein Gesicht war ernst, aber seine Stimme klang zart! Er hat nicht vergessen, daß er mein Vormund, und ich sein Mündel war. Wie entsetzt und ängstlich sah er mich an. Was wollte er alles wissen! Ob ich allein lebte, ob ich Freunde hätte.

Als ich im Stuhl saß, kam er ganz dicht zu mir und neigte sich so nahe zu mir, daß sein Kopf beinahe den meinen berührte. Als ich zu ihm aufschaute, glaubte ich zuerst, daß er mich umarmen wollte. Ich lächelte ihn an.

Er hat nichts weiter gesagt. Ich lud ihn ein, mit mir zu speisen und versprach ihm, nachher allein für ihn zu tanzen. Ich legte meine Hand einen Augenblick auf seine Schulter, aber er nahm seinen Hut und ging aus dem Zimmer. Es war unhöflich, aber charaktervoll. Er hat sich nicht im mindesten geändert. Ach, Paul de Vaux, du magst kämpfen, soviel du willst, am Ende wirst du doch mein sein!

 


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