Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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20.
Artur de Vaux

Von allen Menschen war Artur der letzte, den Paul in diesem Augenblick zu sehen wünschte.

Tiefes Schweigen folgte. Artur stand bleich auf der Schwelle. Seine Augen blitzten von leidenschaftlicher Wut und Enttäuschung. Er hatte allerhand Gerüchte über Paul und Adrea gehört, aber er wollte nicht daran glauben. Er hatte stets in unbegrenztem Vertrauen zu seinem älteren Bruder aufgesehen. In seinem Bruder verkörperte sich für ihn alles, was ehrenhaft und ritterlich war. Aber auch jetzt noch mußte sich alles aufklären!

Paul war in den Schatten zurückgetreten, so daß man sein Gesicht kaum sehen konnte. Die große Überraschung hatte ihm die Sprache genommen.

»Paul«, rief Artur, »wie kommt es, daß ihr beide hier zusammen seid? Sage mir, was das bedeutet. Ich habe ein Recht zu dieser Frage, und ich will es wissen.«

Artur war fest entschlossen gewesen, ruhig zu bleiben und alles wie ein Mann zu ertragen. Aber das Schweigen der beiden trieb ihn zum Wahnsinn. Adrea zeigte überhaupt keine Zeichen von Schuld und Verwirrung, sie sah ihn nur kalt und fragend an. Sie war auch nicht schuld daran. Paul mußte sich vor ihm verantworten, Paul mußte sprechen, der jetzt im Dunkeln stand und sich vor ihm verbarg.

»Bist du plötzlich stumm geworden?« rief er wütend. »Du siehst doch, wer ich bin! Sage mir, ob die Gerüchte wahr sind, die ich gehört habe und denen niemand widerspricht?«

Diese erregten Worte brachten Paul wieder zu sich. Er trat jetzt mitten ins Zimmer und sah seinem Bruder voll ins Gesicht.

»Ich weiß nicht, wer dich hierhergeschickt hat oder welche Gerüchte du gehört hast. Aber unter allen Umständen erscheint es mir besser, daß ich dir Erklärungen, wenn ich sie überhaupt geben soll, zu Hause gebe.«

Artur schlug mit seiner Reitpeitsche heftig auf die Tischplatte.

»Ich will nicht warten«, rief er. »Hier stehen wir einander gegenüber und hier sollst du zu mir sprechen. Ich bin verraten und hintergangen worden, von dir, Adrea, und von meinem eigenen Bruder! Es ist schandbar. Nie hätte ich geglaubt, daß du so hinterlistig sein könntest, Paul! Wenn ich noch daran denke, wie du nach London kamst und mir Vorhaltungen darüber machtest, daß ich meine Zeit mit einer Tänzerin vertändele!«

Aber je leidenschaftlicher und hitziger Artur wurde, desto ruhiger und gefaßter wurde Paul. Adreas Wangen brannten. Sie stellte sich plötzlich zwischen die beiden.

»Artur, du bist wahnsinnig«, rief sie mit zornblitzenden Augen. »Wie darfst du sagen, daß ich dich getäuscht habe? Habe ich jemals dein Liebesgestammel erhört? Nein! Du bist in meinen Augen nur ein Junge, der nicht weiß, was er tut, der sich verliebt und darüber den Verstand verloren hat. Vorher habe ich dich noch mit anderen Augen betrachtet, aber da du nun deinen wahren Charakter in seiner ganzen Häßlichkeit gezeigt hast, verachte ich dich. Geh fort aus diesem Hause!«

Artur stand bleich und zitternd vor ihr. Ihre Worte hatten ihn aufs tiefste verwundet und getroffen. Er wandte sich schwankend um und taumelte zur Tür, als ob seine Augen verschleiert wären.

»Du hast recht«, sagte er mit stockender Stimme. »Ich war nur durch meine Leidenschaft verblendet – aber jetzt verstehe ich!«

Die Tür öffnete und schloß sich wieder. Gleich darauf hörten sie ihn davonreiten. Paul war es, als ob die ganze Welt über ihm zusammengebrochen sei. Aber Adrea fühlte sich nun erleichtert. Sie sah ihn bittend und verführerisch an, aber er rührte sich nicht. Schweigend und bewegungslos starrte er aus dem Fenster. Die in der Ferne verklingenden Laute bedeuteten soviel für ihn. Sie würde es niemals verstehen!

Das Bewußtsein ihrer Nähe war ihm im Augenblick peinlich. Er wandte sich um und fühlte ihren heißen Atem auf seinen Wangen. Ihre sanften weichen Arme schlangen sich um seinen Hals.

»Paul«, flüsterte sie zärtlich, »sieh doch nicht so trostlos traurig aus. Komm, sprich zu mir.«

Sie zog ihn näher an sich, und er sah sie hilflos an. Der Druck ihrer leichten Arme erschien ihm wie eine schwere eiserne Kette, die ihn tiefer und immer tiefer hinabzog – in den Abgrund!

Er hatte ihr für immer Lebewohl sagen wollen, denn er fühlte, daß die Worte Pater Adrians, obgleich sie nur unbestimmt und dunkel waren, doch eine ganz bestimmte Meinung und Drohung enthielten. Aber als sie ihn jetzt noch näher an sich zog und er ihre weichen Lippen auf den seinen spürte, vergaß er alle Vorsätze. Die unheimlichen Worte des Priesters klangen wie ein weit entferntes Echo. Die Leidenschaft hatte ihn wieder vollkommen gepackt und alles andere war für ihn versunken. Er sah nur noch diese unheimlich anziehenden Augen und fühlte diese weichen Arme, die sich um ihn schlossen.

 


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