Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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2.
Tanzkunst

Paul de Vaux stand in einem kleinen Erker des Empfangsalons der Lady Swindon. Er war groß, schlank und sorgfältig gekleidet, wie es die Mode in London vorschrieb.

»Paul, du siehst gerade nicht sehr glücklich aus«, sagte jemand dicht neben ihm.

Er drehte sich um und sah den anderen scharf an.

»Das kannst du auch nicht von mir erwarten, Arthur. Du weißt doch, wie ich diese Veranstaltungen liebe. Soweit ich sehen kann, ist es ein Empfang wie jeder andere. Die jungen Leute kommen hier zusammen, um sich gegenseitig etwas vorzurenommieren. Die Frauen klatschen, und dazu trinkt man schwarzen Tee. Du hast mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hierhergebracht. Wo ist denn das glänzende Schauspiel, das du mir versprochen hast?«

»Alles zu seiner Zeit. Du wirst mir noch dankbar sein. Die Vorstellung beginnt in einer Minute.«

Paul de Vaux sah seinen Bruder ungläubig an. »Das bildest du dir wahrscheinlich nur ein. Hier scheint niemand etwas Ungewöhnliches zu erwarten.«

Arthur lächelte nur und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf dem Fensterbrett. Er war etwas kleiner als sein Bruder und war ihm auch sonst wenig ähnlich. Aber auch er sah auf seine Weise gut aus und hatte sympathische Züge.

»Das ist ja gerade das Schöne. Lady Swindon überrascht ihre Gäste. Ich habe es nur zufällig von Denison im Klub erfahren. Sonst hätte ich dich überhaupt nicht hergebracht.«

»Ach, ich halte nichts von solchen Überraschungen«, entgegnete Paul gelangweilt. »Die Hälfte des Vergnügens liegt doch immer in der Erwartung. Wollen wir nicht lieber gehen? Lassen wir den anderen das Vergnügen. Komm mit in meine Wohnung, dort können wir in Ruhe eine Zigarre rauchen und dabei überlegen, was wir heute abends anfangen.«

Arthur schüttelte den Kopf und legte die Hand auf Pauls Arm.

»Du weißt eben nicht, was uns bevorsteht. Ich möchte auf keinen Fall fortgehen. Um Gotteswillen, da kommt der Bischof von Canterbury. Wer weiß, was der für ein Gesicht machen wird! Und drüben sehe ich Lady May. Wenn die dich sieht, wird sie gleich zu uns kommen.«

»Ich dachte, die Westovers wären gestern nach Norden gereist. Lady May sagte es mir«, erwiderte Paul etwas interessierter.

»Nun, sie können ihre Pläne ja etwas geändert haben – aber die Vorstellung beginnt. Du siehst jetzt die schönste Frau, die es meiner Meinung nach gibt.«

Die Unterhaltung verstummte plötzlich. Alle Anwesenden nahmen auf Stühlen Platz und blickten zu dem einen Ende des Zimmers. Schwere, schwarze Vorhänge wurden von unsichtbaren Händen zurückgezogen und enthüllten ein kleines Podium, auf dem ein dunkelroter orientalischer Teppich lag. Erwartungsvolles Geflüster ging durch die Versammelten. Gleich darauf ertönte die melancholische Melodie einer Flöte, in die sich die dumpfen Töne einer Handpauke mischten. Fasziniert lauschten die Zuhörer den traumhaften, klagenden Klängen und schauten in höchster Spannung auf die kleine Bühne, deren Hintergrund durch einen dunkelroten Vorhang geschlossen war.

Plötzlich erschien die schlanke Gestalt eines Mädchens auf dem Podium. Sekundenlang blieb sie in regloser Haltung stehen. Von oben warfen zwei Scheinwerfer helles Licht auf sie herab. Sie trug ein prachtvolles orientalisches Gewand und reichen Schmuck. Langsam schien die Melodie ihren Körper zu beleben. Sie wiegte sich leicht und begann dann zu tanzen. Leise bewegte sie den Oberkörper nach dem Rhythmus der Musik. Schlagzeug fiel ein, die Bronzestimme der Zimbeln klang auf, die Melodie wurde allmählich leidenschaftlicher, und in demselben Maße steigerten sich die Bewegungen ihres wundervollen Körpers. Der Ausdruck ihres Gesichtes war von betäubender Süße, aber sie schien keinen der Zuschauer zu sehen. Sie war in sich selbst versunken und nur ihrem Tanz hingegeben.

Für Paul war dieses Erlebnis eine nie geahnte Vision der Schönheit an Farben und Linien, an Bewegungen und Rhythmus. Es lag wie ein Bann über ihm, und viel zu schnell war der Tanz für ihn beendet. Die Tänzerin verschwand unerwartet wieder, und die Zuschauer blieben noch sekundenlang reglos sitzen. Dann erloschen die Scheinwerfer, der Kronleuchter flammte auf, und die Unterhaltung setzte wieder ein.

 


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