Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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15.
Die Leidenschaft siegt

Es war Adrea. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, und ihre großen, müden Augen glänzten. Es war kein Traum. Sie war es wirklich!

Selbst als Paul den ersten Schrecken überwunden hatte, konnte er keine Worte finden. Es erschien ihm wie ein Wunder. Warum war sie in diese verlassene Ecke des Landes gekommen, wo um diese Zeit rauhe Stürme über das verlassene Moor und die Heide fegten und der Wind die Wogen der grauen See gegen die Klippen peitschte? Welche merkwürdigen Umstände mochten sie dazu gebracht haben, sich von dem Lärm und dem Komfort Londons zu trennen und sich in dieses einsame Haus zurückzuziehen? Seine Gedanken waren zu verwirrt, um ihn zur Klarheit kommen zu lassen. Der nächstliegende Schluß, daß sie hierhergekommen war, um ihn zu sehen, kam ihm merkwürdig vor.

Als er sich etwas gefaßt hatte, blickte er zu der alten Dame, die Adrea ihre Stieftochter genannt hatte. Aber sie war verschwunden. Sie mußte das Zimmer durch die gegenüberliegende Tür verlassen haben. Das Gefühl, daß er mit Adrea allein war, machte ihn freier.

»Adrea, sind Sie es wirklich?«

Diese banale Frage brach das Schweigen. Sie lachte leicht und trat näher in den Raum.

»Ja, ich bin es. Glauben Sie, ich sei eine Fee aus dem Elfenland?«

Er ging ihr entgegen und nahm ihre Hände in die seinen. Ein merkwürdig sanfter Blick lag in ihren Augen, als sie ihn ansah; und es war ihm, als ob sie darauf wartete, daß er sie in seine Arme schloß. Die Versuchung für ihn war so groß, als er ihr schönes Gesicht mit dem verlangenden und doch etwas spöttischen Mund so nahe sah. Er mußte wieder den alten Kampf kämpfen, und er war nicht stärker als früher.

Sie schien den Konflikt in seinem Innern zu bemerken. Mit einer plötzlichen Bewegung entzog sie ihm ihre Hände und wandte sich von ihm ab. Ein tiefes Rot stieg in ihre dunklen Wangen und ihr Blick leuchtete merkwürdig. Paul, der niemals die Frauen und die Art, wie sie sich gaben, kennengelernt hatte, sah sie erstaunt an und war ein wenig verletzt.

»Sie sind erstaunt, mich hier zu finden?« sagte sie und ließ sich in einem Sessel nieder. »Nun das kam ganz zufällig. Ich schrieb Ihnen einen unvernünftigen Brief. Aber Sie müssen nicht denken, daß ich Ihnen deshalb hierher gefolgt bin!«

»Nein, der Gedanke ist mir nicht gekommen«, erwiderte er schnell.

»Ich möchte Ihnen erklären, warum wir dieses Haus mieteten«, fuhr sie fort, ohne sich um seine Unterbrechung zu kümmern. »Ich erhielt plötzlich Besuch von einer Verwandten aus Übersee, die in einer sehr schweren Lage war. Sie wollte sich für einige Zeit irgendwohin zurückziehen, ohne daß man etwas von ihr erfuhr. Ich selbst war auch nicht bei bester Gesundheit, und da die Ärzte mir vollständige Ruhe verordneten, gingen wir zu einem Hausagenten und trugen ihm unsere Wünsche vor. So kamen wir zu diesem Haus. Ich wußte nicht, daß Schloß Vaux in dieser Gegend lag.«

»Ich verstehe vollkommen«, entgegnete Paul jetzt ruhiger. »Aber ich fürchte, daß es hier zu einsam und zu ruhig für Sie sein wird.«

Sie wandte das Gesicht von ihm ab und biß sich auf die Lippe.

»Nein, Sie verstehen mich nicht – Sie werden mich nie verstehen. Es wird mir hier nicht zu einsam sein.«

»Verzeihen Sie Adrea – ich . . .«

»Nein, schweigen Sie«, unterbrach sie ihn plötzlich heftig. »Sie denken, daß ich viel zu leichtfertig und vergnügungssüchtig bin, um mich von dem Leben in der Großstadt trennen zu können. Für Sie bin ich eben eine Tänzerin, weiter nichts. Widersprechen Sie nicht. Ich hasse Ihre ernste und kalte Art, mit der Sie mich immer bevormunden. Ich möchte aber wissen, wie Sie herausgefunden haben, daß ich hier wohne? Warum sind Sie hierhergekommen?«

»Ich habe auf der Jagd meinen Weg verloren. Und da ich glaubte, den Major hier zu treffen, kam ich ins Haus. Ihre Stiefmutter war sehr liebenswürdig und gastfrei zu mir.«

Adrea sah ihn merkwürdig an.

»War sie wirklich freundlich und lieb zu Ihnen? Wer hat Ihnen denn gesagt, daß sie meine Stiefmutter ist?«

»Sie selbst.«

»Es ist sonderbar, daß sie freundlich zu Ihnen war. Sie hat wirklich keinen Grund dazu.«

»Warum denn nicht?«

Sie zuckte die Schultern.

»Ach, ich weiß es nicht. Ich sagte das nur so. Monsieur Paul, Sie haben mich geärgert. Ich bin ein so seltsames Mädchen, ich weiß es. Denken Sie, ich habe alle meine Engagements zur nächsten Saison abgesagt. Vielleicht werde ich überhaupt nicht mehr tanzen.«

»Das freut mich.«

»Aber ich gehe zur Bühne.«

»Aber das haben Sie doch nicht nötig!«

»Sie meinen, es ist nicht nötig, daß ich meinen Unterhalt verdiene? Das mag richtig sein. Aber was sollte ich denn sonst machen? Ich bin mit dem Leben, das eine junge Dame hier in England führt, nicht zufrieden. Ich bin ehrgeizig. Ich liebe die Kunst, und ich muß Licht und Farbe um mich haben.«

Paul war sehr ernst geworden. Er verstand diese neue Adrea nicht. Es lag eine merkwürdige Härte in ihrem Ton, eine Rücksichtslosigkeit, die ihm fremd erschien und der gegenüber er sich vollkommen hilflos fühlte. Er konnte jetzt nicht mehr die Rolle eines Vormundes spielen und ihr Vorhaltungen machen. Er hätte ja kaum gewußt, was er sagen sollte. Er stand vor dem Kamin und spielte verlegen mit seiner langen Reitpeitsche. Er wußte, daß sie sich über ihn ärgerte, und obgleich er gern alle Mißverständnisse aus dem Wege geräumt hätte, ahnte er doch, daß er sich auf gefährlichem Boden befand.

»Adrea, ich fürchte, daß ich als Ratgeber und Mentor nicht recht tauge«, sagte er langsam. »Aber ich halte es doch für richtig, daß Sie Vertrauen und Umgang mit Frauen suchen.«

Sie lachte, aber es klang hart und verächtlich.

»Umgang mit Frauen! Mir hat sich in England noch niemand freundschaftlich genähert. Warum haben Sie nicht dafür gesorgt?«

»Sie haben es mir sehr schwer gemacht.«

Sie sah ihn zornig an.

»Nun, jetzt weiß ich, woran ich bin. Sie wollten damit sagen, daß ich mich durch meine Handlungsweise selbst verfemt habe, daß ich nicht wert bin, mit Damen aus Ihren Kreisen zu verkehren. Ich danke Ihnen für diese Aufklärung, Monsieur Paul. Ich glaube, unsere Unterhaltung hat lange genug gewährt. Lassen Sie mich gehen.«

Er trat zur Tür und versperrte ihr den Ausgang. Er war dunkelrot, und seine Augen blitzten. Ihre letzten Worte hatten ihn aufgestachelt.

»Adrea, Sie sprechen wie ein unvernünftiges Kind«, sagte er streng. »Sie wissen selbst sehr gut, wie unrecht Sie mir tun! Setzen Sie sich!«

Sie gehorchte ihm. Sein verändertes Wesen hatte sie so erschreckt, daß sie sich unwillkürlich der Macht dieses stärkeren Willens beugte.

Er neigte sich über ihren Stuhl, und als er sprach, klang seine Stimme milder.

»Adrea, Sie sind sehr unfreundlich und undankbar mir gegenüber. Wollen Sie mich tatsächlich unglücklich machen? Die ganze letzte Woche habe ich an kaum etwas anderes denken können als an unser letztes Zusammensein in London. Und wenn ich Sie jetzt nicht fast gewaltsam daran gehindert hätte, wären Sie wieder in Zorn von mir gegangen.«

Sie sah zu ihm auf, und ihr Blick war jetzt mild und weich.

»Haben Sie wirklich an mich gedacht?« fragte sie leise. »Waren Sie meinetwegen unglücklich?«

»Ja, sehr unglücklich!«

Er gab das etwas widerwillig zu, und ihre Stimmung wurde wieder feindlich.

»Ich will Ihnen sagen, warum Sie unglücklich waren. Sie schämten sich, weil Sie an mich dachten. Sie, Paul de Vaux, ein Mitglied des hohen Adels, ein Mann von Welt, sollten an eine arme Tänzerin denken . . . Ihre Eitelkeit war dadurch verletzt!«

Sie war aufgestanden, stampfte mit dem Fuß auf den Boden und ihre Stimme zitterte vor Leidenschaft. Paul schwieg, denn er wußte im Augenblick nicht, was er auf ihre Anklagen entgegnen sollte. Was sie sagte, stimmte nicht, und doch lag eine gewisse Wahrheit darin.

»Wovor fürchten Sie sich denn?« fuhr sie etwas ruhiger fort. »Wogegen kämpfen Sie? Ich weiß, daß Sie den Wunsch hatten, mich in Ihre Arme zu schließen. Aber Sie haben sich beherrscht und sind weggelaufen, als ob Sie sich davor fürchteten. Warum? Sie haben Angst, sich mit mir zu kompromittieren. Meinen Sie, ich wollte Sie heiraten? Das würde doch gegen jedes Herkommen verstoßen. Sie reichen mir nicht einmal die Hand zum Gruß, weil ich nicht zu Ihrer Gesellschaft gehöre?«

Ein tiefes Schweigen trat ein. Im Schein des Kaminfeuers sah Paul bleich und erregt aus. Seine Augen glänzten unheimlich, und plötzlich packte er Adreas Hand.

»Adrea, liebst du mich wirklich?«

Wieder ging eine Wandlung mit ihr vor, und ihre dunklen Augen strahlten ihn sanft an.

»Ja«, erwiderte sie mit einem leuchtenden Lächeln.

Er breitete die Arme aus. Sein Widerstand war besiegt, er wehrte sich nicht mehr gegen diese verzehrende Leidenschaft. Er hielt Adrea fest und preßte ihren warmen Körper an sich. Es war ihm, als ob die dunkle Kluft zwischen ihnen sich jetzt geschlossen hätte. Sein früheres Leben war für ihn tot. Er war ein neuer Mensch mit einer neuen Persönlichkeit.

 


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