Edward Phillips Oppenheim
Das Geheimnis von Cruta
Edward Phillips Oppenheim

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24.
Der abgelehnte Antrag

Paul hatte das Licht nicht angedreht und außer dem Kaminfeuer lag das Zimmer in Dunkelheit. Pater Adrian saß im Schatten und Paul konnte nur die Umrißlinien seiner Gestalt sehen. Er schürte deshalb mit dem Feuerhaken die Flammen auf, so daß er das Gesicht des Priesters sehen konnte.

Alles Blut schien aus den Wangen des Mannes gewichen, und die dunklen, brennenden Augen ließen seine Blässe noch mehr hervortreten. Seine schmalen Lippen zitterten und seine Blicke verrieten seine innere Erregung. Paul hatte das Gefühl, daß der Pater persönlich von dieser Geschichte berührt wurde, obwohl er das zu verbergen suchte. In den Zügen des Priesters zeigte sich starke Ergriffenheit. Wer war dieser Priester und warum war er den weiten Weg hierher gekommen, um diese Geschichte zu erzählen? Paul fühlte, daß hinter alledem ein tiefes Geheimnis liegen mußte.

»Sie müssen nicht denken«, begann Pater Adrian langsam, »daß Ihr Vater mir die ganze Geschichte seines Lebens erzählte. Es war nur eine Episode die ihm schwer auf die Seele fiel, als die Schatten des Todes ihm nahten. Er hat mir auch nicht alles gesagt, was damit zusammenhing. Ich will versuchen, alles genau wiederzugeben, was er mir berichtete.

Am Tage vor Ihrer Ankunft ließ er mich gegen Nachmittag an mein Lager rufen. Ein paar Stunden vorher hatten wir ihm gesagt, daß er sterben müsse, und seit dieser Zeit hatte er geschwiegen. Als ich in sein Zimmer trat, kniete ich neben seinem Bett nieder und begann zu beten. Aber er unterbrach mich.

»Hören Sie mir zu, ich muß Ihnen eine der bösesten Begebenheiten meines Lebens erzählen«, sagte er mit leiser Stimme. Während der letzten Tage war er immer schwächer geworden. »Die Erinnerung daran hat mich stets verfolgt, und deshalb bin ich auch zu dieser Insel gekommen. Ich lege Ihnen keine Beichte ab, aber wenn ich Ihnen diese Geschichte erzählt habe, so möchte ich, daß Sie für mich beten.

Vor dreißig Jahren hielt ich mich in Palermo auf und machte dort die Bekanntschaft des Grafen von Cruta. Wir trafen uns mehreremal, und als er abfuhr, lud er mich ein, eine Woche mit ihm auf die Jagd zu gehen und Seevögel zu schießen. Ich hatte damals nichts Besonderes vor und reiste zu meinem Vergnügen. Deshalb zögerte ich nicht lange und nahm seine Einladung an. Wir reisten dann zusammen hierher.

Der Graf war Witwer und hatte eine Tochter, Irene. Ich war damals noch jung, aber die Frauen hatten noch keinen großen Eindruck auf mich gemacht, und ich hatte mich bis dahin wenig um sie gekümmert. Aber nun verliebte ich mich in Irene. Nach kaum einer Woche gestand ich ihr meine Liebe, und als ich eines Abends nach dem Essen mit ihrem Vater allein war, hielt ich um ihre Hand an. Trotz des großen Altersunterschiedes waren wir gute Freunde, aber zu meinem größten Erstaunen lehnte er meinen Antrag sofort ab. Der Grund seiner Absage überraschte mich. Er sagte, Irene sei bereits mit einem rumänischen Grafen verlobt, der in einiger Zeit kommen würde, um sich mit ihr zu verheiraten. Aber ganz abgesehen davon würde er niemals die Einwilligung zu unserer Verbindung gegeben haben, da wir verschiedenen Religionen angehörten. Ich versuchte, ihn zu überreden, aber es war alles vergeblich. Am nächsten Morgen fragte ich Irene, und bei ihr hatte ich mehr Erfolg. Sie gestand mir, daß sie mich liebte, und war sofort mit meinem Vorschlag einverstanden, von Cruta zu fliehen. In größter Eile und Heimlichkeit trafen wir unsere Vorbereitungen. Meine Jacht lag im Hafen, und um Mitternacht schlich sich Irene zum Ufer hinunter, wo ich sie traf und sie mit einem Ruderboot an Bord brachte. Gleich darauf lichteten wir den Anker. Die alten, verrotteten Kanonen des Schlosses feuerten nutzlos auf uns.

Da ich diese Geschichte so kurz als möglich erzählen möchte, will ich auch mein Verhalten nicht entschuldigen oder es irgendwie beschönigen. Irene hatte sich mir anvertraut, aber ich hinterging ihr Vertrauen und heiratete sie nicht. Trotzdem verließ sie mich nicht und machte mir niemals Vorwürfe. Aber es war, als ob ein schwerer, schwarzer Schatten über unserem Leben hing. Nach und nach änderte sich ihr Charakter, und sie versuchte, ihr Gewissen dadurch zu betäuben, daß sie sich einem heiteren Leben hingab. Wir stürzten uns in einen Strudel von Vergnügungen und Unterhaltungen. Unser Leben in Paris gab uns dazu reichlich Gelegenheit.

Der alte Graf von Cruta machte zweimal den Versuch, seine Tochter zurückzuholen. Das erstemal kam er persönlich, und sein gerechtfertigter Zorn beschämte mich.

»Geben Sie mir meine Tochter wieder!« fuhr er mich an und bedrohte mich mit der Pistole, während er mit dem Rücken gegen die geschlossene Tür lehnte. Ich klingelte, und Irene kam. Sie hatte sich bereits für den Abend gekleidet und trällerte eine Operettenmelodie.

Damals sah ich, wie weit ich sie heruntergezogen hatte, und schauderte vor mir selbst. Sie hörte die stürmischen und wilden Anklagen ihres Vaters an und zuckte dann nur leicht die Schultern. Sie sagte ihm, daß sie vollkommen glücklich sei und lieber sterben als zu dem traurigen Leben nach Cruta zurückkehren wolle. Als ob nichts vorgefallen sei, fragte sie ihn dann, ob er nicht bleiben und mit uns essen wollte. Der Graf fuhr zusammen und die Worte erstarben auf seinen Lippen. Er sah sie lange schweigend an, und seine Blicke maßen sie von Kopf bis zu Fuß, während sie in ihrem weichen, weißen Kleid vor ihm stand. Aber dann brach seine Wut los.

»Mädchen«, rief er, »du hast einen der stolzesten Namen Europas in den Staub getreten. Und Sie haben sich dadurch zu einem Schuft gemacht!« wandte er sich an mich.

Er hatte recht. Ich hatte unehrenhaft gehandelt, und hätte er mich in diesem Augenblick nicht so beschimpft, so hätte ich ihm versprochen, Irene am nächsten Morgen zu heiraten. Ich hatte die Worte schon auf den Lippen, aber er hatte mich zu sehr gekränkt, und der gute Vorsatz kam nicht zur Ausführung.

»Sie hätten sie mir geben sollen, als ich um ihre Hand anhielt«, erwiderte ich. »Die ganze Schuld fällt auf Sie. Wenn einer unehrenhaft handelte, so waren Sie es.« Ich sah ihm fest in die Augen. »Wenn Sie nicht ein so alter Mann wären, würde ich Sie die Treppe hinunterwerfen. Gehen Sie jetzt. Irene hat Ihnen nichts weiter zu sagen und ich auch nicht.«

Er zögerte noch einen Augenblick auf der Schwelle und betrachtete uns mit Geringschätzung und Verachtung. Im innersten Herzen schämte ich mich.

»Ja, Sie haben es mir eben gesagt. Ich bin ein alter Mann und leider habe ich keinen Sohn, der Sie züchtigen könnte, wie Sie es verdienten. Aber alte Leute können manchmal in die Zukunft sehen. Hören Sie auf mich, Martin de Vaux. Sie werden noch tiefen Kummer und Reue fühlen, weil Sie dies getan haben. Sie mögen jetzt über mich spotten und meine Worte geringschätzen, aber der Tag wird sicher kommen. Jagen Sie nur Ihren Vergnügungen nach, Ihrem Geschick können Sie nicht entgehen!«

Mit diesen Worten verließ er uns. Ich sah Irene an, aber sie knöpfte in aller Ruhe ihre Handschuhe zu.

»Der Wagen wartet unten«, sagte sie kühl.

Ich reichte ihr lachend den Arm und wir fuhren zur Oper.«

 


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