Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

18. Kapitel.

Als Frau Warren, die ängstlich am Abend die Rückkehr ihres Mannes erwartete, ihn die Haustür öffnen hörte, ging sie ihm eilig entgegen.

»Ist irgend etwas Neues vorgefallen, Lieber?« fragte sie, als er sie küßte. Er entledigte sich seines Mantels und antwortete dann:

»Wir wollen erst in mein Zimmer gehen;« dort fuhr er ernst fort: »Goddard ist in strenge Haft genommen worden.«

»Mein Himmel! warum?« Seine Gattin drückte ihn in einen Lehnstuhl. »Komm, ruh Dich aus, Du siehst ja ganz erschöpft aus.«

»Ich bin es auch.« Müde ließ sich Warren in den Sessel fallen und streckte sich behaglich. »Baker besteht darauf, daß er dem Tatbestand nach ein Mitschuldiger ist.« Er zündete sich eine Zigarre an, und Frau Warren setzte sich dicht zu ihm. »Auch Foster ist fest davon überzeugt, daß Goddard mehr weiß, als er zugeben will.«

»Dem muß ich zustimmen,« meinte Frau Warren; »es war heute nachmittag nur zu klar, daß er Nelly zu schützen suchte.«

»Er hat ihr dadurch mehr geschadet als genützt, und, was das Schlimmste ist, er hat damit deutlich gezeigt, daß er selbst sie für schuldig hält.«

»Wie sehr muß er sie lieben, Tom!«

»Ja –« Warrens Gesicht nahm einen weichen Ausdruck an; »er log wie ein Held – ich wünschte, er wäre nicht überführt worden.«

»Tom, nicht wahr – Du glaubst nicht an Nellys Schuld?« stieß sie hervor.

Warren entgegnete zögernd: »Sie hat mir geschworen, daß sie unschuldig an diesem Mord sei, aber je tiefer wir in den Fall eindringen, desto mehr Beweise finden sich, daß nur sie allein ihn begangen haben kann.«

»Aber Tom, bis jetzt hat man nur die anklagende Seite gehört – Deine Verteidigung wird gewiß manches zugunsten von Nelly vorbringen.«

Wieder zögerte Warren und strich mit unruhigen Fingern durch seinen Bart, dann brach er aus:

»Ich gebe nicht so viel auf meine Verteidigung –« er schnippte mit den Fingern – »Luise, mit Ausnahme von Fräulein Metoaca habe ich keinen Zeugen zu Nellys Gunsten. Gott möge ihr helfen! Meine einzige Hoffnung besteht darin, die Aussagen der anderen Zeugen zu erschüttern und zu widerlegen.«

Er sah das entsetzte Gesicht seines Weibes und fuhr hastig fort: »Wir wollen einmal zusammenfassen, was alles gegen Nelly spricht, und zugeben, daß die Anklage einen Beweggrund für den Mord gefunden hat. Nun ist bewiesen worden, daß erstens die Unterhaltung Lloyds mit Symonds behorcht werden konnte und daß nur Nelly zu verstehen vermochte, wer eigentlich gemeint war, da keine Namen genannt wurden; zweitens, daß Nelly sich zur selben Zeit in dem darüberliegenden Stockwerk befand; drittens, daß sie gesehen wurde, wie sie von dem hinteren Korridor herkam, in welchen die Tür des Schlafzimmers mündet; viertens, daß diese Tür nicht verschlossen war; fünftens, daß Nelly ihren Hund bei sich hatte; sechstens, daß dieser Hund in dem Schlafzimmer war, und zwar wahrscheinlich zur selben Zeit, als der Hauptmann ermordet wurde. Nelly gab ja Frau Lewis eine glaubhafte Erklärung für ihre Gegenwart in dem unteren Stockwerk an, aber ich zweifle, ob ich die Wahrheit dieser Angabe beweisen kann – ich sprach schon mit der Köchin und fragte sie, ob Nelly oder der Hund an jenem Nachmittag in der Küche gewesen wären – das einzige, was ich aus ihr herausbringen konnte, war, daß sie sich nicht genau erinnerte.«

»Das sind alles nur Indizienbeweise,« widersprach seine Gattin.

»Ja, meine Liebe, aber stark genug, um sie zu überführen; ich habe keinen Zeugen, der diese Beweise widerlegt.«

»Kann Nelly nicht selbst zu ihren Gunsten aussagen?«

»Gewiß kann sie den Sachverhalt darlegen, aber das wird nicht zu Protokoll genommen – außerdem, was besagt dies gegen ein Dutzend Zeugen?« fügte Warren bitter hinzu.

Hoffnungsvoll sagte Frau Warren: »Der Coroner bezeugte, daß Lloyd vielleicht an Herzlähmung gestorben sei – möglicherweise ging Nelly nur in das Zimmer, um nach dem Papier zu suchen, fand den Hauptmann bereits tot vor und wagt nur nicht, dies offen einzugestehen.«

»Dann würde sie ja sofort als Spionin verurteilt werden, meine Liebe,« erwiderte Warren traurig, »denn wenn sie das Papier stehlen wollte, würde sie damit doch zugeben, daß Lloyds Anklage auf Richtigkeit beruhte.«

»Das ist ja die reine Szylla und Charybdis!« rief Frau Warren aus. »Aber Tom, Du vergißt, daß Lee besiegt ist.«

»Joe Johnston bisher aber nicht; der Krieg ist noch nicht vorüber. Wenn Nelly erst einmal wegen einer solchen Anklage verurteilt ist, kann sie keine Milde erwarten. Ich komme eben von Fräulein Metoaca ,...«

Hier unterbrach ihn ein Klopfen an der Tür, und sein Diener meldete den Doktor Ward. Frau Warren erklärte, daß sie sich zurückziehen wolle, um die beiden Herren nicht zu stören, und so empfing der Senator Doktor Ward allein.

Sie schüttelten sich herzlich die Hände; der Arzt entschuldigte die späte Stunde seines Besuches, doch habe er ihn durchaus noch sprechen müssen. Warren fragte ihn, ob er schon von Goddards Verhaftung gehört habe; Ward bejahte.

»Die ganze Stadt weiß es bereits, und Stanton wird vielfach getadelt; der Major hat sich die Sympathie der Leute erworben.«

Der Senator fand dies nicht überraschend, denn seine Blindheit, sein ritterliches Bestreben, die Angeklagte zu schützen, und seine offenbare Liebe für diese appellierten an die romantischen Gefühle in der menschlichen Natur. Alsdann sagte Ward:

»Darf ich die Tür zuschließen? Ich habe Ihnen Wichtiges mitzuteilen.«

»Aber gewiß.« Warren wollte sich erheben, doch schon kam Ward zurück und setzte sich wieder.

»Heute abend machte ich eine überraschende Entdeckung,« begann er; »eigentlich müßte ich sie wohl Foster mitteilen, aber ich bin überzeugt, daß Sie eine Unschuldige verteidigen, und meine Nachricht kann Ihnen dabei helfen, sie zu entlasten.« Er zog seinen Stuhl näher heran – Warren hatte seine Müdigkeit vergessen und hörte aufmerksam zu.

»Sie erinnern sich, daß Lloyd an einem Montag Abend tot aufgefunden wurde – ich besuchte den Major am nächsten Morgen und nochmals am Nachmittag. Zu meiner großen Entrüstung fand ich Baker im Gespräch mit ihm vor; Sie wissen ja das Resultat. Sein Zustand war derartig, daß ich die ganze Nacht bei ihm bleiben mußte; als ich fortgehen wollte, übergab mir die junge Schwester meine Morphiumspritze, die ich an jenem Morgen zurückgelassen hatte. Ich steckte sie in die Tasche meines Ueberziehers und dachte nicht mehr daran; da das Wetter milde wurde, hatte ich ihn gar nicht wieder gebraucht, aber heute abend durchsuchte ich die Taschen desselben nach einem Brief und entdeckte dabei die Spritze. Nun hatte ich seitdem viele Einspritzungen gemacht, war also äußerst überrascht; ich fand denn auch in der Tasche des Anzugs, den ich trug, die Spritze, die ich fortwährend in Gebrauch gehabt hatte. Ich hielt sie nun für die andere, welche ich für den Notfall in meiner Instrumententasche bei mir trage, öffnete diese, um sie dort wieder hineinzulegen und fand auch darin zu meiner großen Verwunderung bereits eine Spritze vor. Sofort setzte ich mich nun hin und stellte eine genaue Untersuchung mit jener Spritze an, welche mir die Schwester gegeben hatte – sie enthielt Reste einer Substanz; ich machte verschiedene Analysen und entdeckte, daß es eine Lösung von Kurare war.«

»Kurare!« wiederholte Warren.

»Ja, ein tödliches Gift, das keine Spuren hinterläßt, wenn man es in das Blut oder in eine Wunde einführt.«

Der Senator starrte ihn an. »Und was denken Sie?« fragte er hastig.

»Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß Lloyd durch eine Einspritzung dieses Giftes getötet wurde,« erklärte Ward bestimmt; »alles weist darauf hin.« Dann fuhr er fort: »Als mir klar wurde, worauf ich gestoßen war, erkundigte ich mich nach dem Aufenthalt jener Schwester, Mary Phelps – sie befand sich im Zentralkrankenhause. Dort suchte ich sie auf, und sie erzählte mir, jene Spritze habe sie zwischen der Matratze und dem Kopfende von Goddards Bett gefunden, als sie das Bettzeug wechselte – sie hätte geglaubt, ich hätte sie die Nacht vorher dorthin versehentlich fallen lassen.«

Ward verstummte und in großer Erregung sprang Warren auf.

»Das muß uns helfen, aber ich sehe noch nicht ein, wie – sagen Sie, Doktor, haben Sie sich eine Meinung gebildet, die uns einen Aufschluß geben kann?«

»Ja,« gab Ward langsam zu, »und zwar eine, die sehr ernste Folgen haben kann. Kurare ist ein Gift, von dem wir bis jetzt wenig wissen – die Indianer von Südamerika benutzen es, um ihre Pfeilspitzen hineinzutauchen. Wenn man eine kleine Dosis davon verschluckt, schadet es nichts; es ist fast unmöglich, dieses Gift hierzulande zu erhalten, und ich kenne nur eine Person, die eine geringe Menge davon besitzt.«

»Den Namen,« drängte Warren, »den Namen!«

Als Ward noch zögerte, rief er heftig: »Bedenken Sie doch, daß eine Unschuldige vielleicht gerichtet wird, wenn Sie den Namen nicht enthüllen!«

»Es war dies, was mich bewog, heute abend zu Ihnen zu kommen, Herr Senator,« entgegnete Ward widerstrebend, »der einzige Mensch, welcher meines Wissens dieses Gift besitzt, ist mein Lehrer, Doktor Boyd!«

»Boyd!« rief Warren. »O, wie unsinnig!«

»Das dachte ich auch – zuerst.«

»Aber Mensch – Doktor Boyd würde niemals so etwas tun; er ist ja ein hitziger, leidenschaftlicher alter Südländer –«

»Ganz gewiß, Herr Senator, und ist auch bereits angeklagt worden, Berichte durchgeschmuggelt zu haben – wieder und wieder ist ihm mit Verhaftung gedroht worden.«

Warren trocknete sein heißes Gesicht. »Fahren Sie fort, und erklären Sie sich deutlicher.«

»Doktor Boyd liebt Fräulein Newton sehr, er hat sie bei vielen Gelegenheiten unterstützt –« Ward stockte in seiner hastigen Rede, er wünschte nicht, Warren davon zu überzeugen, daß Nelly eine Spionin sei; damit würde er ihr keinen Dienst erweisen. »Sehen Sie, Herr Senator,« fuhr er rasch fort, »Doktor Boyd ist der einzige Mensch in der Stadt, der das Gift besitzt – das kann ich beschwören; vielleicht hat Fräulein Newton ihm anvertraut, daß sie Lloyd fürchtete, und der Doktor hat möglicherweise die Unterhaltung zwischen Lloyd und Symonds gehört. Er behandelte mehrere von Frau Lanes Pensionären und befand sich vielleicht gerade zu dieser Zeit im Hause.«

»Halt, nicht so rasch,« warnte ihn Warren; »es sieht Doktor Boyd nicht ähnlich, ein solches Gift bei sich zu tragen, und wie sollte es ihm zudem möglich gewesen sein, mit demselben gerade im erforderlichen Augenblick dort anwesend zu sein?«

»Sie vergessen, daß er ganz in der Nähe von Frau Lane wohnt; er hätte nicht einmal fünf Minuten gebraucht, um das Gift zu holen und zurückzukehren – außerdem –« Warren starrte ihn immer noch ungläubig an – »seit jener Nacht ist Doktor Boyd verschwunden, und man hat nichts wieder von ihm gehört.«


 << zurück weiter >>