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1. Kapitel.

Es war bitterlich kalt in jener Dezembernacht 1864, und der Wind heulte unheimlich durch die Wälder von Maryland; manchmal brach der Mond durch zerrissenes Gewölk, und dann war die darauffolgende Finsternis umso düsterer. Plötzlich tönte das Getrappel galoppierender Pferde durch die tiefe Stille, und zwei Reiter bogen von der Landstraße in die Wälder zu ihrer Linken. Der kleinere von ihnen stieß einen Fluch aus, als sein Pferd auf dem unebenen Boden stolperte.

»Vorsicht, Symonds,« rief sein Gefährte hastig und bückte sich vor den kahlen Zweigen eines großen Baumes. »Wie weit ist es noch bis Poolesville?«

»Ungefähr sieben englische Meilen auf der Landstraße,« war die mürrische Antwort, »aber auf diesem Richtwege werden wir bald dort sein – und nicht zu früh –« mit einem Blick auf die müden Pferde. »Aber, Herr Hauptmann Lloyd, wir haben diese Nacht doch wenigstens etwas Ordentliches vor uns gebracht.«

»Ich denke auch, daß Oberst Baker zufrieden sein wird,« stimmte Lloyd zu.

»Und da Freund Schmidt nun begreifen dürfte, daß das Spiel aus ist, wird er jetzt wohl als Kronzeuge auftreten.«

»Ich glaube kaum, daß er viel weiß; er ist viel zu geschwätzig, um mit wertvolleren Nachrichten betraut zu werden.«

»Aber das Schriftstück, das Sie heute nacht bei ihm fanden, war doch sehr wichtig?«

»Allerdings, es enthielt aber nichts Näheres über die Person des Spions in Washington. Schmidt ist nur ein Zwischenträger wie andere Marketender auch, und dieses Schriftstück ist wahrscheinlich schon durch mehrere Hände gegangen, ehe er es durch die feindlichen Linien schmuggeln sollte.«

»Nun, Baker wird Schmidt schon zum Sprechen bringen,« warf Symonds ein. »Sagen Sie mir doch, Herr Hauptmann, warum gerade ist Poolesville unser Bestimmungsort?«

»Ich suche meinen Mann in den höheren Gesellschaftsschichten und hoffe, in oder um Poolesville eine Spur des Spions aufzufinden.«

»Möglich,« gab der Beamte der Geheimen Staatspolizei zögernd zu, »aber man behauptet, jede beabsichtigte Bewegung von Mc Clellans Heer würde über dieses Dorf nach Leesburg hin weiter berichtet.«

»Ich weiß das.« Die beiden Männer sprachen trotz ihres eiligen Rittes nur leise. »Hat man jemals entdeckt, wer die Depesche von Burnside wegen der Pontonbrücken auffing?«

»Niemals, aber ich vermute, daß ein und dieselbe Person dieses und noch so manches andere bewerkstelligt hat.«

»Und gerade um dieses herauszubekommen, bin ich durch Pinkerton von der Front abberufen und der Abteilung des Geheimdienstes unter Baker zugeteilt worden.«

»Innerhalb der Stadt sind wohl die meisten Kundschafter verhaftet oder aus Furcht geflüchtet, « bemerkte Symonds. »Jetzt ist Washington äußerst gut bewacht, ganz im Gegensatz von vor zwei Jahren; es könnte wohl kaum eine Brieftaube über den Potomac fliegen, ohne weggeschossen zu werden.«

Hier stolperte Symonds Pferd abermals, kam zwar sofort wieder in die Höhe, blieb aber nach einigen Schritten stehen. Im Nu war der Reiter zu Boden geglitten und befühlte die Fesseln des Tieres. »Es hat sich eine Sehne verrenkt,« bemerkte er, »ich muß es deshalb am Zügel auf die Landstraße führen. Bitte, reiten Sie voran, Herr Hauptmann, es ist ein Glück, daß ich das Gelände so gut kenne.«

Als die beiden Männer den Saum des Waldes erreicht hatten, klangen entfernte Hufschläge an ihr Ohr.

»Hinüber auf die andere Seite des Weges,« flüsterte Lloyd, »stellen Sie sich hinter jenen Baum und lassen Sie Ihr Pferd hier.«

Kaum hatte Symonds dies getan, als ein Reiter an der Krümmung des Weges erschien, und sofort erscholl Lloyds Anruf:

»Halt oder ich schieße,« und im selben Augenblick warf er sein Pferd quer über den Weg.

Instinktmäßig nach rechts ausbiegend, sah sich der Ankömmling von Symonds mit gezogenem Revolver bedroht. So blieb ihm keine Wahl, und während er sein erschrecktes Roß zügelte, rief er seinen beiden Gegnern zu:

»Sind Sie Yankees oder Rebellen?«

Symonds senkte die Waffe; er wußte, daß kein konföderierter Vorpostenreiter es über sich bringen würde, das Wort »Rebellen« für die eigene Armee anzuwenden.

»Wir sind Yankees, und Sie?«

»Ein Freund.«

»Dann also vorwärts, Freund,« befahl Lloyd, »aber rechte Hand hoch! Und nun,« als der Reiter sich ihnen näherte, »woher und wohin?«

»Von Harpers Fähre, um dem Generaladjutanten Thomas in Washington Botschaften vom General John Stevenson, der in diesem Bezirke befehligt, zu überbringen.«

»Wie kamen Sie dazu, diesen Richtweg einzuschlagen?« forschte Symonds.

»Ich ritt den Weg längs des Flusses bis zu Edwards Fähre, dann schnitt ich hier herüber ab, in der Hoffnung, auf die große Landstraße zu treffen. Es war kalt am Fluß.« Und hierbei zog der Reiter den Kragen seines dicken blauen Ueberrocks bis hinauf zu den Ohren und dicht an seine Mütze.

Die Wolken verzogen sich jetzt, und der Platz wurde vom Mondlicht übergossen. Trotzdem die Angaben ganz wahrscheinlich klangen, betrachtete Lloyd den Reiter argwöhnisch.

»In wessen Regiment stehen Sie?« fragte er von neuem.

»Bei Oberst Henry A. Cole, im ersten Regiment der Maryland Potomac-Truppen. Ich bin dem Hauptquartier als Depeschenbote beigegeben.«

»Lassen Sie mich einmal Ihre Botschaft sehen.«

»Halt –« gab der Reiter zurück. »Erst sagen Sie mir nun auch einmal, wer Sie eigentlich sind.«

»Das ist stark!« rief Symonds. »Ich vermute, Sie werden uns Ihre Legitimation auf jeden Fall zeigen müssen – ob Sie wollen oder nicht. Es kommt mir übrigens so vor, junger Mann, als ob Ihr Pferd für einen so langen Ritt reichlich frisch wäre.«

»Wir von der Kavallerie verstehen eben zu reiten,« versetzte der andere mit einem Seitenblick auf Symonds traurige Mähre.

Jetzt erklang Lloyds energischer Befehl: »Lassen Sie uns keine Zeit verlieren; wir sind Beamte der Geheimen Staatspolizei.«

»Dann allerdings,« und der Reiter salutierte. Hierauf öffnete er seinen Mantel und tastete an seinem Gürtel herum. »Hier, mein Herr.«

Als Lloyd sich vorbog, um das Papier in Empfang zu nehmen, erhielt er statt dessen mit dem Kolben eines Revolvers einen furchtbaren Schlag gegen die Schläfe, der ihn aus dem Sattel taumeln ließ. Zugleich wurde Symonds, der das Pferd des Fremden am Zügel hielt, durch dessen plötzliches Aufbäumen mit in die Höhe gerissen, und ehe er noch zur Besinnung kam, ebenfalls auf den hartgefrorenen Boden geworfen. Halb betäubt erhob er sich zwar sofort wieder, doch der Reiter war schon eine Strecke davongesprengt.

In diesem Augenblick wurde dem Flüchtling bei einem plötzlichen Seitensprung seines Pferdes durch einen niedrigen Zweig der große Schlapphut vom Kopfe gerissen, und als das Tier erschreckt in die Mitte des Weges zurücksprang, hob sich in dem leuchtenden Mondlicht die Gestalt des Reiters scharf vom Himmel ab. Eine Flut üppigen Haares war über seinen Rücken herabgewallt.

»Beim Himmel! Es ist ein Weib!« keuchte Symonds, als er seinen Revolver abdrückte. Der Schuß ging los, gefolgt von einem unterdrückten Aufschrei, dann herrschte Stille, die nur von den allmählich schwächer werdenden Hufschlägen des Pferdes unterbrochen wurde, das in der Richtung auf Washington zu davongaloppierte.


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