Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Kapitel.

Robert Goddard war mit sich und der Welt zufrieden, als er am nächsten Morgen auf seinem Wege nach dem Kapitol die Pennsylvania-Avenue herunter schlenderte. Die halbe Nacht über hatte er dem Staatssekretär Stanton den Zustand des Landes in und um Winchester geschildert, denn er hatte bei zahlreichen Kundschaftsritten unter General Torbet das »Shenandoah-Tal«, den sogenannten Garten von Virginia, genau kennen gelernt.

Die Straße wimmelte von Menschen, hauptsächlich Soldaten, doch sah man auch viele Abgeordnete dahineilen, die emsig bemüht waren, die zahlreichen Pfützen zu vermeiden, um mit leidlich reinen Stiefeln aufs Kapitol zu kommen.

Goddard sah belustigt den Anstrengungen einiger Neger zu, einen einspännigen Wagen aus dem Schmutz zu ziehen, in dem er stecken geblieben war. Plötzlich winkte ihm jemand aus dessen geöffneter Türe, und der junge Mann erkannte Frau Bennett. Mit einem wehmütigen Blick auf sein tadelloses Schuhwerk arbeitete er sich zu ihr hin.

Sie empfing ihn mit lauten Klagen über den schlechten Zustand der Straßen, die allerdings durch das ewige Hindurchmarschieren von Kavallerie- und Artilleriemassen schon mehr gepflügten Feldern glichen.

»Schon letzten Sonntag ging es mir ähnlich, und mein Mann mußte mich auf das Trottoir tragen,« jammerte sie.

»Darf ich Ihnen denselben Dienst erweisen, gnädige Frau?« erkundigte sich Goddard.

»Sie sind wirklich sehr liebenswürdig, aber – ah, da kommt ja mein Mann.«

Ein großer militärisch aussehender Mann trat zu ihnen, und mit Hilfe der beiden Herren wurde Frau Bennett aus ihrer unangenehmen Lage befreit. Goddard verabschiedete sich von dem Ehepaar und setzte seinen Weg fort. Als er an die Ecke des John Marshall-Platzes kam, sah er dort zwei Damen stehen und erkannte in einer von ihnen Nelly mit ihrem unvermeidlichen Hündchen neben sich. Rasch ging er auf sie zu und begrüßte sie freudestrahlend.

»Das ist mehr Glück, als ich erhoffte, denn ich beabsichtigte, Ihnen nach meiner Rückkehr vom Kapitol einen Besuch abzustatten, und nun –«

»Tante Metoaca,« lächelte Nelly schalkhaft, als sie ihre Hand aus der seinen befreite, »dies ist Major Goddard, der sich erboten hat, mich nach Winchester zu geleiten, wie ich Dir schon sagte.«

Fräulein Metoaca Newton unterwarf Goddard einer eingehenden Prüfung, nachdem sie seine tiefe Verbeugung erwidert hatte – sie gab etwas auf den ersten Eindruck. Auch der Major nahm sie in Augenschein und stellte dabei innerlich fest, daß er selten zuvor eine so eckige Gestalt und eine so große Nase gesehen hatte.

»Ich hoffe, Sie haben Ihre Einwilligung zu Fräulein Newtons Reise gegeben?« begann er eifrig.

»Ja und nein,« ließ sich Tante Metoaca vernehmen, »ich bin nicht für das viele Herumtreiben – zu meiner Zeit gab es das nicht. Man muß sich wirklich wundern, wenn man sieht, wie die Frauenzimmer heutzutage hinter Hinz und Kunz her sind. So habe ich denn beschlossen, da Nelly sich dies nun einmal in den Kopf gesetzt hat, mit ihr nach Winchester zu reisen. Ueberdies möchte ich auch gern Lindsay Page wiedersehen.«

»Bravo!« rief Goddard vergnügt, »aber wie steht's mit Ihren Pässen? Soll ich Staatssekretär Stanton darum bitten?«

»Junger Mann, wenn ich etwas brauche, gehe ich gleich selber an die richtige Quelle, darum sehen Sie mich setzt auf dem Wege zum Präsidenten Lincoln; ich denke, daß er mir Pässe ausstellen lassen wird. Aber ich danke Ihnen trotzdem,« fügte sie freundlicher hinzu, da sie sich ihrer schroffen Abwehr bewußt ward.

»Darf ich dann mit Ihnen nach dem Weißen Hause gehen?«

»Ich würde mich über Ihre Gesellschaft freuen, aber Nelly begleitet mich nicht,« versetzte sie, mit den Augen zwinkernd, als sie Goddards Enttäuschung sah, »übrigens werde ich mit dieser neuen Yankee-Einrichtung, der Pferdebahn, fahren; wir warteten gerade auf sie.«

»Da kommt sie,« rief jetzt ihre Nichte, wobei sie auf den sich langsam nähernden Wagen zeigte, der sich die Straße heraufarbeitete.

»Was ist das wieder für eine mangelhafte Einrichtung,« stöhnte Tante Metoaca, die mit Entrüstung auf den knietiefen Schmutz zwischen sich und der Bahn blickte, »warum können sie nicht herkommen und ihre Fahrgäste abholen? Was nützt mir ein Gleis, was da drüben liegt? Nelly, nimm den verflixten Hund unter meinem Rocke fort,« – ihr Reifrock machte eine gefährliche Biegung – »und daß er mir ja nicht nachläuft, er soll mir mein neues Kleid nicht beschmutzen.«

Mit großer Mühe gelangte sie endlich mit Goddards Beistand bis an den Wagen, auf dessen Treppe nach dem Verdeck ein grinsender Negerjunge stand.

»Wohin geht dieser Schwarze?« fragte sie den Schaffner.

»Aufs Verdeck, Madame,« antwortete dieser respektvoll.

Ihre Frage veranlaßte einen Geistlichen, dem sie sich gegenübersetzte, sie anzureden und in strengem Tone zu bemerken:

»Sie vergessen augenscheinlich, Madame, daß auch die Neger Gottes Kinder sind und als ebenso gute und freie Amerikaner wie wir die Berechtigung haben, überall hinzugehen, wohin sie wollen.«

»Wenn der liebe Gott diese unnützen Schwarzen uns hätte gleich machen wollen, so hätte er sie ausgebleicht,« war Tante Metoacas scharfe Entgegnung, und ihre Augen funkelten kampflustig. Mehr vernahm der Major nicht – er beeilte sich, den Wagen zu verlassen, und ging dann mit Nelly in der Richtung nach dem Kapitolhügel weiter.

»Da ich hier fremd bin,« begann er, »wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir einiges über die Leute erzählten, die ich gestern abend traf.«

»Also, da war z. B. Dr. John Boyd; er ist der bärbeißigste und zugleich netteste Mensch, den ich je getroffen habe; seine Patienten lieben ihn, aber er hat auch viele Feinde.«

»Das geht starken Charakteren wohl oft so, und man muß ja auch zugeben, daß er eine scharfe Zunge hat,« lachte Goddard.

Ihr Geplauder fortsetzend, erzählte ihm das junge Mädchen, daß die Arnolds durch große Tuchlieferungen an den Staat beim Ausbruch des Krieges zu großem Wohlstand gekommen wären und daß sie ein großes Haus mit einem Ballsaal gebaut hätten, das nächstens eingeweiht werden sollte. Frau Arnold und Frau Oberst Bennett wären unzertrennliche Freundinnen, letztere interessiere sich auch für Literatur, und man erzähle sich, daß sie ein Buch über die Stadt Washington schreibe. »Es dürfte äußerst unterhaltend werden,« setzte Nelly lächelnd hinzu, »denn sie glaubt ohne weiteres, daß jeder Mann in sie verliebt sei; ihr eigener Mann, der sehr nett ist und beim General-Quartiermeisteramt steht, ist ganz vernarrt in sie. Sie sind seit zwei Jahren verheiratet, und man weiß sehr wenig über ihre Herkunft.«

Sie hatten sich inzwischen dem Kapitol genähert, und Goddard betrachtete mit Bewunderung den stattlichen Bau, der das Parlament beherbergte. In ihre Unterhaltung vertieft, achtete der Major nicht weiter auf die Richtung, die sie einschlugen, bis Nelly seine Aufmerksamkeit auf ein unscheinbares, weitläufiges Gebäude an einer Straßenecke lenkte. »Das alte Kapitolgefängnis,« erklärte sie; »1800 war es ein Wirtshaus und nach der Niederbrennung des Kapitols durch die Engländer wurde es erst als Parlamentsgebäude und dann später als Gefängnis benutzt; daher auch der Name.«

Als Goddard stehen blieb und seine Augen über die Reihen der mit Eisenstangen geschützten Fenster glitten, fiel ihm das Benehmen einer der Schildwachen auf.

»Irgend etwas ist dort nicht in Ordnung,« wandte er sich zu Nelly, »bitte, warten Sie hier auf mich, bis ich mich erkundigt habe.«

Er ging über die Straße und sprach den Mann an. »Nun, was gibt's hier?«

Der Soldat fuhr herum, und nachdem er die Uniform und den Rang des Offiziers erkannt hatte, grüßte er vorschriftsmäßig.

»Blicken Herr Major nur dorthin,« sagte er, auf eine Frau deutend, die sich aus einem offenen Fenster des Erdgeschosses so weit, als es die Stangen erlaubten, herausbog. »Sie hört weder auf mich, noch auf den wachthabenden Unteroffizier, und dabei ist es jedem Gefangenen streng verboten, sich dem Fenster zu nähern. Ich werde laut Vorschrift wohl auf sie schießen müssen,« und dabei trocknete er sein erhitztes Gesicht. »Also zum letzten Male,« rief er mit erhobener Stimme, »Madame, zurück vom Fenster, oder ich zähle bis drei und schieße. Eins –« Er hatte das Gewehr angelegt und zielte. Die Frau stand ohne sich zu rühren, – »zwei –«

»Warten Sie,« flüsterte Goddard, dann rief er laut: »Sehen Sie, Madame, eine Maus!«

Mit einem Aufschrei sprang das Weib zurück. Die Schildwache setzte das Gewehr ab und wandte sich dankbar an Goddard. »Das nächste Mal lasse ich eine wirkliche Maus los, Herr Major,« und grinsend nahm er seine Runde von neuem auf.

Goddard gesellte sich wieder zu Nelly, und während sie ihren Weg fortsetzten, verabredeten sie alles Nähere über ihre Reise; dann trennten sie sich an einem einfachen Hause in der A-Straße, wo Nelly einen von Dr. Boyds armen Patienten besuchen wollte. Goddard kehrte auf demselben Wege nach dem Kapitol zurück, beschloß dann aber, nach seiner Wohnung zu gehen; unterwegs begegnete er einem Regimente neu eingestellter Rekruten, die mit Begeisterung ein Freiheitslied sangen, in das auch die sich rasch sammelnde Menge einstimmte. Plötzlich fühlte er eine schwere Hand auf seiner Schulter, und sich umwendend, sah er in das ernste Gesicht von Lloyd.

»Komm mit mir mit,« bemerkte dieser kurz und führte ihn in eine stillere Straße. Dann schnaubte er ihn wild an:

»Eigentlich müßte ich Dich gleich verhaften.«

Goddard starrte ihn verblüfft an.

»Und warum, wenn ich fragen darf?«

»Du hilfst dem Feinde und unterstützest ihn.«

Goddards Gesicht hellte sich auf. »Du bist verrückt,« sagte er kurz und bündig.

»Nun, wir werden ja sehen. Ich habe Dich doch vor Fräulein Newton als einer Spionin gewarnt.«

»Wollen wir nicht lieber Fräulein Newtons Namen aus unserem Gespräche lassen?« bemerkte Goddard jetzt hochmütig, um dann aber in einem freundlicheren Tone fortzufahren: »Was sollen diese törichten Beschuldigungen, die Du durch nichts beweisen kannst!«

»Und wenn ich das doch könnte?«

»Bitte, erkläre Dich deutlicher,« entgegnete Goddard mit finsterem Gesicht.

»Also höre, vor einer halben Stunde standest Du vor dem alten Kapitolgefängnis und warst einer Schildwache behilflich, mit einer Frauensperson fertig zu werden. Nun, das war eine abgekartete Geschichte, denn während Du und die Wache auf diese Weise beschäftigt waret, verständigte sich Miß Newton durch Zeichen mit einem anderen Gefangenen in demselben Stockwerk.«

Goddard schüttelte ungläubig den Kopf. »Woher weißt Du das?«

»Ich war Euch beiden gefolgt und sah dies alles von weitem, war aber leider zu entfernt, um noch einschreiten zu können. Es ging alles ausgezeichnet. Auf irgend eine Weise hatte sie mit der Frau verabredet, die Aufmerksamkeit des Wachtpostens abzulenken – was sagst Du nun?«

Statt aller Antwort fragte Goddard nur: »Was gedenkst Du zu tun?« und setzte dann eigensinnig hinzu: »Sieh Dich vor, Lloyd, ich glaube immer noch an Fräulein Newtons Unschuld. Viele Bewohner von Washington sind aus geringfügigen Ursachen in Haft genommen, und vielleicht war es nur ein Freund von ihr, der ihr zuwinkte, als er sie dort stehen sah.«

Über Lloyd schwieg hartnäckig still, und der Major wiederholte seine Frage: »Was wirst Du tun?«

»Ich werde sie als verdächtig verhaften, oder nein« – nach kurzer Ueberlegung – »noch will ich sie auf freiem Fuße belassen, doch wird sie scharf überwacht werden. Ich sage Dir, Bob, dieses überkluge Mädchen wird sich noch selbst dem Henker ausliefern.«


 << zurück weiter >>