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2. Kapitel.

Die dreizehnte Straße entlang kam ein trauriger Zug langsam marschierender Soldaten, die in die New Yorker Avenue einbogen; sie gingen mit gesenkten Gewehren und zusammengerollten Fahnen. Plötzlich vernahm man von einer Ecke, wo eine Schar junger Mädchen beisammenstand, andauerndes, lautes Gelächter. Sogleich lenkten zwei Offiziere ihre Schritte auf die Gruppe zu.

»Verzeihung, meine Damen,« sagte Lloyd strenge, »warum lachen Sie bei dem Begräbnis eines Soldaten?«

»Unsinn, Lloyd,« rief sein Begleiter, Major Goddard. »Ich bin sicher, daß die jungen Damen hierbei keine böse Übsicht hatten.«

»Ganz recht, mein Herr,« ertönte eine helle Stimme aus dem Hintergrunde, und ein junges Mädchen trat vor. »Wir gaben nicht acht auf dieses leider nur zu häufige Schauspiel.«

»Und darf ich nach dem Grunde Ihrer Heiterkeit fragen?«

»Gewiß, wir lachten über Misery.«

»Misery?« wiederholte Lloyd ärgerlich – er fürchtete, sich lächerlich zu machen.

»Misery ist mein Hündchen.« Die sanften hellbraunen Augen blickten die beiden Männer voll an.

Lloyd forschte mit wachsendem Interesse in dem Gesicht der jungen Dame. Eine unbestimmte Aehnlichkeit ließ ihn stutzen, und ihm war es, als habe er diese Stimme schon einmal irgendwo gehört. Ihre rotgoldenen Haare flimmerten in der Wintersonne.

»Wer soll denn hier verhaftet werden?« vernahm man jetzt eine ruhige Stimme hinter Lloyd, und ein Herr, der sich schwer auf seinen Stock stützte, gesellte sich zu ihnen. Die kleine, hinkende Gestalt war in Washington wohlbekannt, und Lloyd, der den berühmten Chirurgen zum ersten Male in der Nähe sah, machte ihm achtungsvoll Platz. Der Arzt hatte sich die Lebhaftigkeit der Jugend bewahrt, und wenn seine scharfen Augen, sein borstiger grauer Bart und sein beißender Witz Fremden auch Scheu einflößen mochten, so wurde er doch von seinen Patienten vergöttert.

»Was, Nelly Newton, Sie hier?« redete der Arzt jetzt das junge Mädchen an; »haben Sie unsere militärischen Freunde hier zum besten gehabt?«

»Nein, keineswegs, Dr. Boyd,« protestierte diese, »aber die Herren hier scheinen es zu glauben.«

Major Goddard trat vor und griff grüßend an seine Mütze.

»Die junge Dame irrt sich; wir glauben ihr, obgleich wir ihren Hund bisher noch nicht gesehen haben.« Und er blickte sie lächelnd an.

»Also Misery!« lachte nun auch der Doktor. »hat mein vierbeiniger Freund Sie schon wieder in eine Patsche gebracht? Da ist er ja!«

Um die Ecke der zwölften Straße kam mit würdevoller Miene ein schöner rotbrauner Wachtelhund getrottet. Ungestüm dann seine Herrin umspringend, schenkte er Major Goddard, der ihn an sich zu locken versuchte, keinerlei Beachtung.

»Du alter Sünder,« sagte Nelly, ihn streichelnd, »aber nun komm! Das heißt – wenn Sie uns nicht länger zurückhalten?« wandte sie sich an Lloyd.

»Bitte, Sie können gehen,« und er verbeugte sich steif.

»Halt, Nelly, wenn Sie Zeit haben, begleiten Sie mich. Ich will Ihnen eine Arznei für Ihre Tante mitgeben. Guten Abend, meine Herren.«

Die Gruppe zerstreute sich nach allen Seiten, und das Mädchen begab sich mit Dr. Boyd nach dessen Wohnung.

»Gehen Sie einen Augenblick ins Wartezimmer, liebe Nelly,« bat der Doktor, »ich schreibe rasch die Vorschriften auf das Schild der Medizinflasche.«

Nelly gehorchte und sah sich dann aufmerksam um; das Zimmer war leer. Rasch nahm sie ihrem Hunde das Lederhalsband ab und zog aus einer Höhlung in diesem, die geschickt durch eine Schnalle verdeckt war, eine winzige Rolle Seidenpapier hervor. Sie faltete sie auseinander und las nun das Nachfolgende:

 

Suche Sheridans künftige Truppenbewegungen zu erforschen.
Aeußerst wichtig.

Georg Pegram.

 

Nelly kniete vor dem offenen Kamin nieder und verbrannte den Papierstreifen bis auf den kleinsten Rest.

»Misery, mein Liebling, mein kleiner Pfadfinder, wenn ich nur wüßte, wohin Sam ging, nachdem er Dir diese Botschaft anvertraute, so könnte ich viel Zeit ersparen. So –« hier unterbrach Dr. Boyds Eintritt ihr Sinnen.

* * *

Lloyd und sein Freund, Major Goddard, blickten dem Mädchen und ihrem Gefährten gedankenvoll nach, dann setzten sie ihren Weg nach Wormleys Hotel fort. Im Speisezimmer setzten sie sich in eine ruhige Ecke, und während Lloyd dem Kellner seine Befehle erteilte, gesellte sich Oberst Baker zu ihnen.

»Haben Sie es schon gehört,« begann dieser eifrig; »man erzählt, General Joe Johnston sei gefangen genommen worden.« Dann flüsterte er Lloyd zu: »Stanton hat entdeckt, daß jemand sich an dem Buch zu schaffen gemacht hat, das den Schlüssel zu unserer Geheimschrift enthält. Kommen Sie bitte um fünf Uhr in mein Bureau.« Grüßend entfernte er sich.

Beim Nachtisch zündete sich Goddard eine Zigarre an und betrachtete seinen Freund, bei dem er während seiner Urlaubszeit als Gast weilte, mit warmem Interesse. Schließlich begann er:

»Ich kann nicht verstehen, lieber Lloyd, wie Du bei Deiner gesellschaftlichen Stellung und Deinen Talenten ein Berufs-Detektiv geworden bist.«

»Ja, Bob, gerade meine Fähigkeiten haben mich darauf hingewiesen. Meine höchste Freude ist es nun einmal, meinen Witz gegen den der andern zu erproben und Geheimnisse aufzudecken, die andere nur verwirren. Für mich gibt es nichts Spannenderes als die Jagd auf einen Menschen, und ich vermute, das ist so eine Art Erbschaft, denn mein Vater und Großvater waren berühmte Rechtsanwälte. Als nun Pinkerton im Jahre 61 die Abteilung des Geheimdienstes in der Armee einrichtete, ließ ich mich von ihm einstellen, um neben meinem Berufe zugleich meinem Vaterlande zu dienen. Ueberdies –« fügte er mit einem Anflug von Bitterkeit in der Stimme hinzu – »schulde ich der Gesellschaft nichts und kann sie ganz gut entbehren.«

Leise fragte Goddard teilnehmend: »Ist denn die alte Wunde noch immer nicht geheilt?«

»Sie wird nie heilen,« entgegnete Lloyd finster – und nach einer kleinen Pause: »Wie ich Dir schon sagte, Bob, wurde ich abkommandiert, um eine sehr ernste Aufgabe zu lösen. Obgleich Baker alle einer Verbindung mit den Rebellen irgendwie verdächtigen Personen verhaftet und unschädlich gemacht hat, erhält unser Feind immer noch über die beabsichtigten Bewegungen unserer Truppen von Washington aus Nachricht, und zwar gerade unter unseren Augen. Es ist daher unbedingt nötig, dieses Leck zu verstopfen, ehe noch größerer Schaden angerichtet wird. Baker und unser Generalprofoß haben bis jetzt vergebens versucht, das Verfahren und die Persönlichkeit dieses Spions zu ermitteln.«

»Und Du?«

»Bis heute hatte ich nur eine Mutmaßung; jetzt glaube ich, einen schwachen Faden entdeckt zu haben, aber –« Er sah sich zunächst vorsichtig in dem jetzt leeren Raume um; nur der schwarze Kellner Sam war in der andern Ecke beschäftigt. »Ich erzählte Dir schon von meiner Verwundung auf dem Wege nach Poolesville, ich sagte Dir jedoch nicht, daß Symonds, als dem Reiter bei seiner Flucht der Hut vom Kopfe gerissen wurde, den Spion als ein Weib erkannte.«

»Ein Weib!« Goddard ließ vor Erstaunen fast seine Zigarre fallen. »Wie fand er das heraus?«

»Er bemerkte, wie ihr aufgelöstes Haar dabei über den Rücken herabfiel, und seitdem suchte ich nun überall nach ihr; bis heute allerdings ohne Erfolg.«

»Hinterließ sie denn eine Spur?«

»Jawohl.« Er zog seine Brieftasche hervor. »Beim Untersuchen des Hutes fand Symonds diese Haare zwischen dem Futter und brachte sie mir ins Krankenhaus.« Lloyd öffnete behutsam ein schmales Papier. »Hast Du schon einmal Haare von dieser Farbe gesehen?«

Goddards Blick fiel auf einige goldige Fäden – sofort gedachte er des Auftritts in der Straße. Er sah das lächelnde Gesicht, das schöne, wellige Tizianhaar und hörte die lockende Stimme des Mädchens. Langsam hob er den Kopf, gerade noch beizeiten, um zu bemerken, wie ihr schwarzer Kellner auf das Papier in seiner Hand hinstarrte.


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