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»Ich freue mich sehr, Sie bei mir zu sehen, Herr Major Goddard,« sagte Frau Warren liebenswürdig, als sie den jungen Offizier in der Halle ihres Hauses begrüßte. »Nur schade, daß Sie nicht zum Abendessen kommen konnten.«
»Ich bedauerte es selber sehr,« erwiderte er, ihr warm die Hand drückend, »aber ich mußte unbedingt auf dem Kriegsministerium vorsprechen. Bitte entschuldigen Sie meine unbeabsichtigte Unhöflichkeit.«
»Aber selbstredend; kommen Sie nur,« und sie führte ihn in den Salon. Zum ersten Male machte der junge Mann eine Festlichkeit in Washington mit, und zwar in dem Hause des Senators Warren, an den er durch gemeinsame Freunde im Norden empfohlen war. Dieser hatte ihn, ohne seinen formellen Besuch erst abzuwarten, in herzlichen Worten zu dem heutigen Abendessen eingeladen, zu dem er aber aus dem erwähnten Grunde verspätet eintraf. Die schönen Räume waren mit einer zahlreichen Gesellschaft gefüllt, und in einer entfernten Ecke des Salons saß eine Dame am Flügel, in der Goddard Nelly Newton wiedererkannte. Seine freundliche Wirtin wollte ihn gerade mit einigen anderen Gästen bekannt machen, als Nelly nach einigen einleitenden Akkorden mit klarer volltönender Stimme ein wehmütiges Lied aus dem Kriegsleben zu singen begann.
Unwiderstehlich angezogen von dem Reiz ihrer Stimme, hatte sich Goddard langsam dem Flügel genähert, bis er der Sängerin gegenüberstand. Unverwandt schaute er in ihr gesenktes Gesicht, auf die weiße Stirn und den ausdrucksvollen Mund, bis sie ihre Augen zu ihm erhob. Für einen kurzen Augenblick tauchte Seele in Seele, dann schlug sie die braunen Augen vor dem eindringlichen Blick der grauen nieder, und während ihre Wangen sich röteten, erhob sich ihre Stimme wieder in glockenreinen Tönen.
Stille folgte der letzten Note, denn das Lied ging allen zu Herzen; ob die Anwesenden nun dem Süden oder dem Norden anhingen, allen stieg es heiß in die Kehle, wenn sie ihrer Lieben draußen im Streit gedachten, die vielleicht das gleiche Schicksal ereilte. Nur leise erklang der Beifall.
»Bei Gott, Nelly, das ist ein trüber Singsang,« äußerte Dr. Boyd, zu ihr tretend; »bitte, jetzt etwas Aufheiterndes.«
»Gewiß,« erklärte Frau Warren, »meinetwegen den ›Yankee Doodle‹, wenn Sie wollen, aber erst möchte ich die Herrschaften mit einander bekannt machen, liebe Nelly. Miß Newton, Dr. Boyd, und dies ist unser Freund, Major Goddard, der hier seinen Urlaub verbringt.«
Das junge Mädchen verbeugte sich schweigend, doch Dr. Boyd streckte ihm lebhaft seine Hand entgegen. »Freue mich, Sie zu treffen, Herr Major – nicht wahr, Sie waren es doch, der uns heute morgen verhaften wollte, was, Nelly?«
»O nein, Herr Doktor,« widersprach der junge Mann hastig, »wir wollten nur –«
»Entschuldigen Sie sich nicht,« fiel der Arzt ein, »Stanton würde mich nur zu gern ins alte Kapitolgefängnis stecken, aber man kann mich nicht entbehren und läßt mich meines Berufes wegen frei herumlaufen.«
»Worüber brummen Sie schon wieder, lieber Doktor?« fragte Senator Warren, als er Goddard die Hand schüttelte. »Hat meine Frau Sie der Ungnade unseres guten Doktors ausgeliefert? Kommen Sie, ich mache Sie mit Frau Oberst Bennett bekannt.« Und er führte ihn einer sehr hübschen Frau mit etwas gezierten Manieren zu, die ihn huldvoll begrüßte und ihm Platz neben sich machte. Sie überschüttete ihn mit Komplimenten wegen seines tapferen Verhaltens an der »Zedernbucht«, das in allen Berichten erwähnt worden wäre. »Und dies hier ist Frau Arnold, deren Neffe John Gurley so oft von Ihnen gesprochen hat,« fuhr sie fort, sich an ihre Nachbarin, eine große, starke Dame, wendend. Diese streckte Goddard eine fette, ringgeschmückte Hand entgegen und begrüßte ihn mit strahlendem Lächeln.
»Dann ist es mir, als ob wir alte Freunde wären.«
»Ich danke Ihnen, gnädige Frau,« erwiderte der Major, »John ist sehr beschäftigt, seitdem er seine Truppe bekommen hat.«
»Er ist ein reizender Bursche, und mein Mann war sehr eifersüchtig auf ihn, als er im November auf Krankenurlaub seine Tante besuchte,« bemerkte jetzt Frau Bennett kokett. »Zu spaßig! Ah, Doktor Boyd, mein alter Widersacher!«
Dieser nahm einen Stuhl und setzte sich zu ihr. »Und auch noch ungebessert, meine Gnädige,« gab er mit seinem spöttischen Lächeln zurück. Dann ließ er seine durchdringenden alten Augen über die glänzende Versammlung schweifen, und sie wurden ihm feucht bei dem Gedanken an all den Kummer und die Angst, die diese Menschen hier unter lächelnden Mienen verbargen.
Bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges gehörte Washington in seiner politischen Ueberzeugung fast ganz zum Süden; nach der Beschießung von Fort Sumter teilte es sich jedoch in zwei Parteien, Bruder focht nun gegen Bruder, und die armen Frauen mußten ihre Angst unter einem lächelnden Antlitz verbergen und einen Heroismus beweisen, der der Tapferkeit der Männer auf dem Schlachtfelde nichts nachgab.
»Wie schön sieht Nelly Newton heute abend wieder aus,« wandte sich der Arzt den beiden Damen zu.
»Das finde ich durchaus nicht.« Frau Bennetts schmachtende Augen belebten sich, und ihre Stimme verlor den einschmeichelnden Klang; »diese Rosen in ihrem roten Haar sind doch etwas zu gewagt für einen guten Geschmack.«
»Gewagt,« echote Frau Arnold, »ich finde das Mädchen geradezu herausfordernd. Denken Sie nur, sie besuchte sogar Festlichkeiten, die von den Offizieren hier herum in den Feldlagern gegeben wurden – in meiner Jugend wäre so etwas nicht geduldet worden.«
»Damals gab es auch so etwas nicht,« bemerkte Dr. Boyd trocken, »und sie stand dabei doch unter Frau Warrens Schutz; ist der denn nicht genügend?«
»Dann allerdings,« stotterte die Dame; »trotzdem – es wird viel über sie gesprochen.«
»Von einer Gesellschaft von Lästermäulern,« rief der Arzt hitzig aus.
»Hören Sie, Herr Doktor,« girrte Frau Bennett, »man flüstert sich zu, daß das Mädchen in dem Verdacht steht, dem Feinde Dienste zu leisten.«
»Und was besagt das? Halb Washington beschuldigt die andere Hälfte, Schmuggelwaren durch die feindlichen Linien zu schicken. Zum Beispiel bezweifle ich nicht, daß einige unserer untadeligen Freunde Chinin in ihrer Kleidung verborgen haben.«
»Glauben Sie das wirklich, Herr Doktor?« rief Frau Arnold, und ihr Gesicht war so rot wie ihr Kleid.
»Ja, ein solcher Krieg bringt seltsame Gewohnheiten mit sich,« entgegnete der Arzt barsch, »es tut mir leid, meine Damen, Sie zu verletzen, aber Sie müssen nicht allen Klatsch glauben.«
»Ueber welchen Skandal sprechen Sie denn?« fragte Nelly von einem nahen Fenstersitz aus.
Frau Bennett zuckte zusammen. »Mein liebes Kind,« fragte sie scharf, »sitzen Sie schon lange dort?«
»Fräulein Newton und ich kamen eben aus dem hinteren Salon,« äußerte jetzt deren Begleiter, ein hochgewachsener Artillerieoffizier. Er wurde von Frau Bennett festgehalten, und Goddard benutzte die Gelegenheit, sich dem jungen Mädchen zu nähern.
»Sind Sie vielleicht der Freund von John Gurley, der im November einige Zeit bei seiner Tante, Frau Arnold, zubrachte?«
»Jawohl – er steht in meinem Regiment, und wir sind Kameraden.«
»Wir verlebten eine sehr vergnügte Zeit miteinander, obgleich seine Tante unsere Freundschaft mißbilligt, und er bittet mich immer wieder, nach Winchester zu kommen, um meine Verwandten, die Pages, zu besuchen, was ich diesen schon lange versprochen habe.«
»Warum tun Sie es nicht?« fragte Goddard eifrig. »Sie würden sich sehr gut amüsieren, denn obgleich es an jungen Damen sehr mangelt, haben wir doch im Offizierskasino wöchentlich ein Tänzchen veranstaltet, und es ließe sich auch noch manches andere unternehmen.«
»Ich habe immer noch gezögert, weil General Sheridan jeden Augenblick aus dem Tale ausbrechen kann, und ich möchte nicht gern von Early gefangen genommen werden.«
»Wir werden noch längere Zeit dort bleiben,« warf der Major vertraulich ein, »denn die Landstraßen sind jetzt nicht für Kavallerie und Artillerie passierbar, und so werden wir unsere Winterquartiere erst später verlassen.«
»Dann will ich meine Tante um ihre Einwilligung bitten.«
»Wahrscheinlich kehre ich übermorgen zurück und würde Sie mit dem größten Vergnügen nach Winchester begleiten.« Und als Nelly zögerte, bat er: »Darf ich Sie besuchen und Ihre Tante überzeugen, daß Sie ganz ruhig diese kleine Reise unternehmen können?«
»Unter Ihrem Schutz,« lachte Nelly. Wieder empfand er die Zauberkraft ihrer Augen und fühlte sein Herz rascher schlagen. »Nehmen Sie sich in acht, mein Herr, Sie wissen nicht, was für eine ernste Verantwortlichkeit Sie vielleicht auf sich laden.«
»Ich bin zu jedem Wagnis bereit,« entgegnete er warm, »wann erfahre ich Ihren Entschluß?«
Wie zerstreut spielten ihre Finger mit einer blauen Schleife, die sie an ihrem Kleide trug; sie löste sich, und Goddard umschloß sie mit seiner Hand. »Kommen Sie morgen zu uns,« flüsterte Nelly ihm zu, »wir wohnen in der C-Straße 306.«
»Es tut mir leid, Sie zu unterbrechen,« ließ sich in diesem Augenblick des Senators Stimme vernehmen, »aber da ist ein Freund von Ihnen, Herr Major, der Sie in dienstlichen Angelegenheiten sprechen möchte.«
Rasch hatte Goddard die Schleife in seinem Rock verborgen und ließ seine Augen suchend umherschweifen; sie trafen auf einen Mann, der hell beleuchtet gerade unter dem Kronleuchter in der Halle stand. Es war Lloyd.
Goddard nahm hastig Abschied, und beide entfernten sich; sie waren so vertieft in ihr Gespräch, daß keiner von beiden auf den plötzlichen Lärm achtete, der sich hinter ihnen erhob.
»Rasch, Herr Doktor, sie ist in Ohnmacht gefallen!« rief Frau Warren ängstlich, und der Arzt beugte sich helfend über die regungslose Gestalt auf dem Boden.