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Pünktlich um neun Uhr am nächsten Morgen trat der Gerichtshof wieder zusammen; Doktor Ward war der erste Zeuge. Er berichtete, er sei fünf Minuten nach seiner Benachrichtigung in der Pension von Frau Lane angekommen, hätte Lloyd untersucht und gefunden, daß es für ihn keine Hoffnung mehr gäbe; dann hätte er sich dem Major zugewandt, ihn verbunden und mit Symonds Hilfe auf das Bett gelegt. Aufgefordert, eine genaue Beschreibung zu geben, wie er den Major vorgefunden hätte, fuhr der Arzt fort:
»Major Goddard lag mit seinem Kopfe am Kamin – im Fallen hatte er augenscheinlich die eine Seite des Kopfes an der scharfen Ecke des eisernen Gitters verletzt; es war eine unregelmäßige Wunde, die sehr stark blutete. Ohne Zweifel hatte ihn dies betäubt, aber ich glaube, daß seine lange Bewußtlosigkeit auf eine heftige Blutung aus der Nase zurückzuführen ist.«
»Was glauben Sie, war die Ursache seines Falles?«
»Möglicherweise ein plötzlicher Schwindel – der Blutsturz deutet darauf hin; er war durch seine vorhergegangene Verwundung noch sehr geschwächt.«
»Ist der Major ganz blind?«
»Gegenwärtig ja, Herr Hauptmann.«
»Ist Aussicht vorhanden, daß er sein Augenlicht wieder erhält?«
»Das ist nicht ganz unmöglich. Sein Blick wanderte zu Nelly. »Ich halte seinen Fall nicht für hoffnungslos,« und er lächelte teilnehmend, als ihre Augen aufleuchteten.
»Ich ließ eine Pflegerin holen,« fuhr Ward auf Befragen fort; »dann half ich Symonds beim Suchen der Depesche und der Brieftasche, doch vergeblich.«
»Was taten Sie nach Ankunft des Generalprofoß?«
»Ich beriet mich mit ihm wegen des Hauptmanns; mit Rücksicht auf das Geheimnis, das seinen plötzlichen Tod umgab, hielten wir beide es für richtig, sofort eine Sektion vorzunehmen – so wurde sein Körper nach dem Städtischen Leichenschauhause gebracht.«
»Nahmen Sie selbst die Sektion vor?«
»Jawohl, Herr Hauptmann, in Gegenwart des Coroners und des Chirurgen Mc Bride; ich habe hier den Bericht über das Ergebnis.« Er übergab dem öffentlichen Ankläger ein Blatt Papier, welches dieser, ehe er es in sein Protokoll eintrug, laut vorlas. Es besagte, daß die Aerzte nach einer langen und sorgfältigen Untersuchung keinerlei Zeichen von Gewalt oder Gift vorgefunden hätten, sie müßten also annehmen, daß der Hauptmann aus einer ihnen unbekannten Ursache gestorben sei. Es läge wohl die Möglichkeit vor, daß die Anstrengungen seiner letzten Tage eine Herzlähmung hervorgerufen hätten, welche ja auch keine Spur hinterließe.
»Ich sehe, Sie haben den Bericht nicht mit unterzeichnet, Herr Doktor?« warf Foster überrascht ein.
»Ich war nicht ganz derselben Meinung wie meine Kollegen,« erklärte Ward; »ich behaupte nämlich, die Symptome würden dieselben sein, wenn Hauptmann Lloyd durch Chloroform oder ein ähnliches Betäubungsmittel getötet worden wäre.«
»Verspürten Sie denn den Geruch davon im Zimmer?«
»Nein, aber Chloroform verflüchtigt sich rasch, und das Fenster stand offen.«
»Fanden Sie eine Flasche, die Chloroform hätte enthalten haben können?«
»Nein, aber erst nach der Sektion suchte ich nach einer solchen.«
»Hätte sie inzwischen entfernt werden können?«
»Möglich, obgleich ich es kaum für wahrscheinlich halte, da das ganze Haus streng bewacht wurde.«
»Ich habe Sie nichts weiter zu fragen, Herr Doktor. Herr Senator, wollen Sie den Zeugen jetzt vernehmen?«
Warren schrieb etwas auf und händigte es Foster ein; dieser las laut:
»Ist es möglich, Herr Doktor, daß der Hauptmann an einem Schlaganfall starb?«
»Nein; ich untersuchte das Gehirn und fand kein Anzeichen hierfür, obgleich an der Basis des Gehirns eine ganz, ganz leichte Blutüberfüllung bemerkbar war.«
Warren schrieb rasch eine andere Frage auf.
»Symonds bezeugte, daß Lloyd wie schlafend im Bett lag; wenn er erstickt worden wäre, hätten da nicht Krämpfe oder Zuckungen eintreten müssen?«
»Vielleicht einige Muskelzusammenziehungen; diese wären aber nicht stark genug gewesen, um die schwere Steppdecke abzuwerfen, die ihn zudeckte.«
Es erfolgte hierauf noch eine weitere Frage Warrens.
»Halten Sie, Herr Doktor, es für möglich, daß der Hauptmann an einem natürlichen Uebel wie Herzlähmung oder etwas Aehnlichem starb?«
»Nein, Herr Senator,« erklärte Ward bestimmt, »ich bin bereit, einen Eid darauf abzulegen, daß der Hauptmann durch eine oder mehrere unbekannte Personen getötet worden ist.«
Warren biß sich auf die Lippen. »Ich habe keine weiteren Fragen zu stellen,« sagte er kurz.
Nach Vernehmung der beiden anderen Aerzte, die ihrem Bericht entsprechend aussagten, wurde Frau Lane, eine große magere Frau mittleren Alters, aufgerufen.
Nach den üblichen Förmlichkeiten erkundigte sich Foster, wie lange Hauptmann Lloyd bei ihr gewohnt habe.
»Er mietete die Zimmer Mitte Dezember vorigen Jahres, war aber nicht oft in Washington.«
»War er ein guter Mieter?«
»Ja, mein Herr, er war sehr ruhig, beklagte sich nie und bezahlte pünktlich.«
»Haben Ihre Mieter gewöhnlich Wohn- und Schlafzimmer?«
»O nein; aber der Hauptmann liebte die Zurückgezogenheit. Ich entfernte deshalb aus dem Vorderzimmer das Bett und die Kommode, stellte beides auch noch in sein Schlafzimmer, denn er hatte manchmal Besuch da, der über Nacht blieb. Das andere Zimmer richtete ich als Wohnzimmer ein, und er nahm dort seine Mahlzeiten zu sich.«
»Wann besuchte ihn Major Goddard zum ersten Male?«
»Gegen Ende Januar.«
»Haben Sie jemals gehört, daß die beiden Herren in Streit gerieten?«
»Nein, mein Herr, niemals.«
»Schienen sie während der ganzen Zeit in gutem Einvernehmen zu sein?«
»Ja, sie waren die besten Freunde; mehrere meiner Mieter wunderten sich darüber, da der Hauptmann sonst sehr finster und zurückhaltend war.«
»Vertrug sich der Hauptmann gut mit Ihren anderen Mietern?«
»Ich glaube ja, doch bekam man ihn nicht oft zu sehen.«
»Bekam er oft Besuch?«
»Nein – nur Mitglieder der Geheimen Staatspolizei oder Offiziere kamen manchmal zu ihm.«
»Wann sahen Sie ihn zum letzten Male lebend?«
»Am Nachmittag des sechsten März; ich erfuhr von seiner Ankunft erst durch die Köchin, bei der er kaltes Frühstück bestellte.«
»Warum benachrichtigte er Sie durch die Köchin?«
»Sie hatte ihn bei seiner Rückkehr ins Haus gelassen, da ich meine beiden Hausmädchen gerade an jenem Tage entlassen hatte; die neuen waren noch nicht gekommen, und so mußte die Köchin alles allein an jenem Nachmittag besorgen. Ich selbst brachte ihm das Gewünschte.«
»Fanden Sie, daß er krank aussah?«
»Nein, nur müde.«
»War Major Goddard bei ihm?«
»Nein, er war ausgefahren.«
»Ließen Sie den Major ein, als er nach Hause kam?«
»Nein, er besaß selbst einen Schlüssel.«
»Hörten Sie irgendwelchen Lärm in den Zimmern des Hauptmanns?«
»Nein, ich mußte in der Küche helfen.«
»Kennen Sie die Angeklagte?«
»Ja, mein Herr.«
»Wann und wo sahen Sie sie zuletzt?«
»Ich sah sie an dem Nachmittag des sechsten März, als sie in mein Haus kam, um ihre Freundin, Fräulein Alice Cary, zu besuchen.«
Ihre Worte verursachten eine kleine Aufregung, und der Vorsitzende mußte verschiedentlich um Ruhe ersuchen. Nelly hatte Warren in ihrer Unterredung am Sonntag von diesem Besuch erzählt, so war er also auf diese Wendung vorbereitet.
Frau Lane berichtete, daß sie Fräulein Newton eingelassen habe, gerade als das Mittagessen aufgetragen wurde, und daß sie in das Zimmer ihrer Freundin gegangen sei, um dort auf Fräulein Cary zu warten, da diese noch nicht zu Hause war; sie hatte aber hinterlassen, daß sie um halb fünf zurückkommen würde. Ihr Zimmer befand sich im zweiten Stock, und da die beiden Damen eng befreundet waren, war es nichts Ungewöhnliches, daß Fräulein Newton in ihrem Zimmer anstatt im Salon wartete – sie verbrachten oft ganze Tage zusammen, entweder bei den Newtons oder in der Pension.«
»Hatte die Angeklagte ein Paket bei sich?«
»Ja.«
»War es eine Flasche?« kam die nächste Frage. Alle horchten gespannt auf.
»Das kann ich nicht sagen, mein Herr. Es schien mir eine Schachtel mit Süßigkeiten zu sein.«
»Warum dachten Sie dies?«
»Weil ihr Hund daran herumschnüffelte und das Paket die Form einer Schachtel hatte.«
»Begleitete der Hund die Angeklagte ins Haus?«
»Ja – Misery ist ein guterzogener Hund und macht einem keine Mühe.«
Warren wurde gefragt, ob er etwas zu bemerken habe. Er wünschte zu wissen, was der Hauptmann gegessen habe, und Frau [Lane] sagte aus, daß er seinen Kaffee, kaltes Fleisch und Brot mit großem Appetit verzehrt habe, ohne das geringste übrig zu lassen.
Frau Lane wurde hierauf entlassen.
Frau Warren, die zusammen mit Frau Bennett gekommen war, wurde recht traurig, sah sie doch ein, daß ihr Mann gegen eine große Uebermacht von scheinbaren Beweisen anzukämpfen hatte; ein Blick hier, ein Flüstern dort, zeigten deutlich, daß alle Nelly jetzt für schuldig hielten.
Nun war die Reihe an Frau Lewis, einer gebrechlichen alten Dame, deren ängstliche Stimme kaum zu hören war, als sie vereidigt wurde. Durch viele Fragen erfuhr man, daß sie im zweiten Stock nach vorn heraus wohne, und da sie Nelly und ihre Tante gut kenne, habe sie sie begrüßt, als sie ihr nach dem Essen im ersten Stock begegnet wäre; Nelly wäre aus dem hinteren Korridor gekommen und habe ihr erzählt, sie sei die Hintertreppe hinuntergelaufen, um ihren Hund zu suchen, der nach der Küche geschlichen wäre. Zusammen seien sie nach dem zweiten Stock hinaufgestiegen, worauf sie in ihr Zimmer gegangen sei. Kurze Zeit danach habe Nelly an ihre Tür geklopft und sie gebeten, Fräulein Cary zu bestellen, daß sie nicht länger habe warten können; diesmal sei sie in Begleitung ihres Hundes gewesen.
Foster fragte nun mit Nachdruck: »Hatte die Angeklagte eine Flasche und eine Brieftasche in der Hand?«
»Ich – ich weiß nicht,« stammelte Frau Lewis zweifelnd; »es war schon dunkel und ich bin kurzsichtig.«
»Wie war sie gekleidet?«
»Sie war im Hut, aber ohne Mantel, als ich sie zuerst sah; nachher war sie fertig zum Ausgehen.«
»Bemerkten Sie irgend etwas Ungewöhnliches an ihr?«
»Sie sah aufgeregt und erschrocken aus und sehr blaß.«
Der Ankläger lächelte befriedigt – das Belastungsmaterial gegen Nelly häufte sich; doch das Lächeln machte einem Stirnrunzeln Platz, als er Warrens erste Frage las.
»Wie ist es möglich, daß Sie in der Dunkelheit bemerken konnten, daß Fräulein Newton aufgeregt, erschrocken und blaß aussah, wenn Sie nach Ihrer Aussage zu kurzsichtig sind, um einen so großen Gegenstand wie eine Flasche oder eine Brieftasche wahrzunehmen?«
»Ich glaube, daß ich dachte, sie sähe so aus,« gab die alte Dame widerstrebend zu.
»Es ist gut,« erklärte Warren, und die Zeugin konnte abtreten.
Foster gab in halblautem Tone einem Gerichtsdiener einen Befehl, worauf dieser sich entfernte; Warren warf Nelly einige ermutigende Worte zu und lehnte sich in seinen Stuhl zurück – unruhig beschäftigte er sich mit seinen Papieren, ab und zu heimlich einen Blick auf Nelly werfend. Gewiß – ihre furchtlosen Augen, ihr ruhiges Wesen verbargen kein Verbrechen und doch ,... Aergerlich, sich auf einem Zweifel zu ertappen, sah er auf seine Uhr – es war dreiviertel zwei.
Jetzt kam der Gerichtsdiener zurück und überbrachte Foster eine Botschaft; dieser erhob sich und kündigte an, daß der nächste Zeuge Major Robert Goddard sein würde. Alle Augen wandten sich dem Eingang zu, als sich die Flügeltüren öffneten und Goddard, gestützt auf seinen Wärter, das Zimmer betrat.
Abgemagert von der Krankheit, hing seine Uniform lose um ihn – er sah so verändert, bleich und erschöpft aus, daß Nelly mit Mühe ihre Tränen zurückhielt; sein Wärter führte ihn rasch nach dem Zeugensitz hin und zog sich dann zurück. Nachdem er vereidigt war, wandte er langsam den Kopf, ob vielleicht sein Ohr ihm die Anwesenheit von jemand Vertrautem verriete; Warren las seine Gedanken von seinem Gesichte ab, und mitleidig redete er Nelly mit ihrem Namen an. Als ihre klare Stimme antwortete, drehte Goddard sich ihr zu, und ein leuchtendes Lächeln überflog seine eingefallenen Züge. Es war fast, als wolle Nelly sich erheben – erst Warrens Hand, die sie zurückhielt, erinnerte sie daran, wie viele neugierige Augen auf sie gerichtet waren, und sie errötete tief. Mit grimmiger Befriedigung bemerkte Foster ihre Verwirrung.
Nach den einleitenden Fragen und nachdem Goddard ausgesagt, daß er fünfunddreißig Jahre alt sei, fragte Foster:
»Wo sahen Sie die Angeklagte zum ersten Male?«
»Ich lernte Fräulein Newton im Hause des Senators Warren am dreißigsten Januar kennen.«
»Und wie lange kannten Sie den Hauptmann Lloyd?«
»Wir waren Schulkameraden in New York, ich kannte ihn wohl seit zwanzig Jahren.«
Er fuhr dann fort zu erzählen, daß ihre verschiedenen Berufe sie gehindert hätten, sich sehr oft zu sehen; daß er ihm damals geschrieben habe, er käme auf Urlaub für einige Tage nach Washington und daß Lloyd ihm vorgeschlagen habe, bei ihm zu wohnen. Der Hauptmann habe ihm mitgeteilt, daß er die Angeklagte der Spionage für verdächtig halte, er habe darin nicht mit ihm übereingestimmt. Foster fragte weiter:
»Sahen Sie irgend etwas an dem Benehmen der Angeklagten, was Sie auf die Vermutung gebracht hätte, diese handele als Spionin?«
»Nein, Herr Hauptmann – ich sah nichts Derartiges.« Nur Warrens scharfes Ohr fing den leichten Nachdruck auf dem Wort »sah« auf, und er atmete auf, als Foster die Frage nicht weiter verfolgte.
Goddard erzählte weiter, daß er die beiden Fräulein Newton nach Winchester geleitet habe und daß sie ihn oft während seiner Genesung dort besucht hätten; er habe sie aber nach ihrer gemeinsamen Rückkehr nicht wiedergesehen.
»Herr Major, sind Sie mit der Angeklagten verlobt?«
»Ich habe nicht diese Ehre!« Diesen mit ruhiger Würde gesprochenen Worten folgte ein Beifallsklatschen unter den Zuschauern. Goddards Augen sahen nach der Richtung, in der Nelly saß, aber sie konnten nicht wahrnehmen, daß eine helle Röte ihr blasses Gesicht überflog.
Auf Fosters fernere Fragen gab er an, er habe den Hauptmann zuletzt in Winchester gesehen; an jenem Nachmittage des sechsten März sei er mit seinem Wärter ausgefahren und erst nach vier Uhr heimgekehrt.
»Berichten Sie, was sich nach Ihrer Rückkehr zutrug.«
»Unter Beistand meines Wärters Donnally ging ich gleich nach meinem Zimmer, denn ich hatte weder Appetit noch Lust, beim Essen mit Fremden zusammenzukommen; dort entließ ich ihn an der Tür, damit er zu seinem Essen hinunterginge, und sagte ihm, ich würde klingeln, falls ich ihn benötigte. Im Wohnzimmer tastete ich mich nach einem Stuhl hin, der beim Kamin stand; es befanden sich nur wenige Möbel darin, und das Zimmer war mir vertraut genug, um mich ohne Schwierigkeiten zurechtzufinden –« hier zögerte er.
»Weiter –« drängte Foster – »erzählen Sie nur auf Ihre Weise weiter.«
»Ich weiß nicht, wie lange ich dort saß, ob fünf Minuten, ob eine halbe Stunde, denn ich war in Gedanken versunken; plötzlich fing meine Nase an zu bluten, wie das seit meiner Verwundung häufig geschah. Da die Klingel im nächsten Zimmer war, suchte ich den Weg dorthin ,...«
»Einen Augenblick,« unterbrach ihn Foster. »War die Tür geschlossen?«
»Ja, Herr Hauptmann – aber nicht verschlossen; ich denke, ich war auf halbem Wege nach dem Kamin, wo, wie ich wußte, die Klingel hing, als es mir zum Bewußtsein kam, daß sich noch jemand außer mir in dem Schlafzimmer befand. Ich kann Ihnen nicht genau sagen, was mich auf diesen Gedanken brachte – ich blieb stehen, drehte mich langsam um, um auf den schwachen, sehr schwachen Laut zu horchen, den ich gehört zu haben glaubte – dann verlor ich die Richtung. Ich erinnerte mich nicht mehr, wo die Tür und wo der Kamin war.«
»Warum riefen Sie nicht?« fragte Foster scharf.
»Ich war zu verwirrt dazu – nur ein Blinder kann dieses Gefühl überwältigender Hilflosigkeit verstehen,« erwiderte Goddard ernst. »Ich trat einen Schritt vor, stolperte und, ehe ich es hindern konnte, fiel ich mit meiner ganzen Schwere gegen das Eisengitter. Weiter weiß ich nichts, bis ich am nächsten Tage im Bett wieder zur Besinnung kam und mich in der Pflege einer Krankenschwester fand.«
Mit atemlosem Interesse war jeder der Erzählung Goddards gefolgt – Nelly ließ kein Auge von ihm und saß wie gebannt da.
»Worüber stolperten Sie, Herr Major?« erkundigte sich Foster.
Nach einer kleinen Pause kam die Antwort:
»Ueber einen Schemel.«
»Konnten Sie unterscheiden, ob das Geräusch, welches Sie vernahmen, von einem Manne oder einer Frau herrührte?«
»Nein – dazu war es viel zu schwach.«
Hiermit war seine Vernehmung durch Foster beendet – es folgten einige Fragen Warrens, die Goddard daraufhin beantwortete, daß er nichts von der Rückkehr Lloyds gewußt habe, noch daß er sich im Nebenzimmer schlafen gelegt hatte.
»Sein Hut und Mantel wurden später im Wohnzimmer gefunden – haben Sie nichts davon bemerkt?«
»Sie müssen bedenken, daß ich nicht sehen kann; auch berührte ich natürlich nicht alle Möbel in dem Zimmer, sonst hätte ich sie wohl gefunden.«
»Aber Ihr Wärter Donnally hätte sie sehen können.«
»Gewiß, aber Donnally betrat das Zimmer nicht.«
»Und wann hörten Sie zuerst von Lloyds Tode?«
»Durch Oberst Baker am nächsten Nachmittag.«
Hiermit erklärte sich Warren für befriedigt, nachdem er sich mit Nelly beraten hatte.
Donnally, der nächste Zeuge, bestätigte alle Aussagen Goddards – er setzte noch hinzu, daß er von den Ereignissen, die sich in den Zimmern seines Herrn abgespielt hätten, erst erfahren habe, als Symonds ihn habe holen lassen – während der ganzen voraufgegangenen Zeit habe er sich in der Küche aufgehalten, denn Goddard hätte nicht gestört sein wollen. Dann kam Symonds wieder an die Reihe.
»Erinnern Sie sich, ob die Tür, welche von dem Schlafzimmer des Hauptmanns in den hin[teren] Korridor führte, an jenem Abend verschlossen war?«
»Nein – im Gegenteil; sie stand halb offen, als ich dahinstürzte und nach Hilfe rief, nachdem ich entdeckte, daß der Hauptmann tot war; es steckte auch kein Schlüssel in dem Schloß. Ich fand ihn nachher auf dem Kamin hinter der Uhr im Vorzimmer – Doktor Ward wollte das Zimmer abschließen, um neugierige Personen am Eintritt zu verhindern.«
»Und Sie wissen bestimmt, daß keines der Möbel im Schlafzimmer in Unordnung war, Symonds?«
»Ganz bestimmt, Herr Hauptmann.«
Symonds wurde entlassen und einer Ordonnanz befohlen, Frau Lane zu holen.
Es war nach drei Uhr, aber das Wesen Fosters war so voll unterdrückter Erregung, daß Oberst Andrews davon absah, die Sitzung zu vertagen.
»Ich will Sie nicht lange aufhalten, Frau Lane,« begann Foster, nachdem diese Platz genommen hatte, »beschreiben Sie bitte, welche Möbel das Schlafzimmer des Hauptmanns enthielt.«
»Zwei Betten, zwei Stühle, einen Waschtisch am Fenster und zwei Kommoden,« erwiderte Frau Lane ohne zu zögern.
»Ist das wirklich alles?«
»Jawohl, mein Herr.«
»Wohin führt die Tür des Schlafzimmers?«
»In den hinteren Korridor, wo die Hintertreppe ist, welche zur Küche hinunterführt.«
»Geht diese Hintertreppe bis in den zweiten Stock?«
»Nein, nur bis in den ersten.«
»Man muß also immer an dem Schlafzimmer vorbeigehen, wenn man die Küche durch die Hintertreppe erreichen will?«
»Jawohl, mein Herr.«
»Es ist gut, Frau Lane, Sie können gehen.«
Er befahl einer Ordonnanz, Goddard zu holen, der bald darauf erschien und von Donnally zu dem Zeugenstuhl geführt wurde.
»Herr Major, Sie sagten aus, daß Sie bei dem Versuch sich zurechtzufinden, über einen Schemel gestolpert wären. Frau Lane hat eben bezeugt, daß sich ein solcher nicht in dem Schlafzimmer befand, auch Symonds sagte aus, daß im Zimmer nicht das geringste in Unordnung gewesen wäre. Wollen Sie also bitte dem Gerichtshof mitteilen, worüber Sie in Wirklichkeit gefallen sind, und denken Sie daran,« fuhr er in strengem, verwarnendem Tone fort, »daß Sie geschworen haben, die Wahrheit zu sagen, die reine volle Wahrheit.«
Goddard erbleichte bis in die Lippen und spielte unruhig mit dem Griff seines Degens. Foster wiederholte seine Frage; noch immer kam keine Antwort.
»So will ich die Frage anders stellen –« und seine anklagende Stimme tönte durch die tiefe Stille:
»Fielen Sie etwa über einen Hund, der der Angeklagten gehört? Ich verlange eine klare Antwort, ja oder nein?«
Für einen kurzen Augenblick wandte sich Goddard zu Foster hin, dann verbarg er sein Gesicht in seiner zitternden Hand und murmelte »Ja.«