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9. Kapitel.

Es war kein angenehmer Aufenthalt in dem dumpfen Wartezimmer; Tante Metoaca hatte sich aber in das Unvermeidliche gefügt und war eifrig mit einer Strickarbeit beschäftigt, die sie immer bei sich trug, während Nelly in Gedanken versunken dasaß. Endlich unterbrach der schrille Pfiff einer Lokomotive die Stille, und der Extrazug sauste in die Halle. Lloyd sprang heraus, von Symonds und dem Leutnant empfangen; letzterer erstattete ihm Bericht, und der Detektiv nickte befriedigt. Goddard, dessen Blut kochte, übersah seine ausgestreckte Hand und fragte in bitterem Tone:

»Was soll diese willkürliche Beschimpfung bedeuten, Herr Hauptmann Lloyd?«

Lloyds Augen flammten auf. »Ich bitte Dich, Bob, unsere Freundschaft auf keine zu harte Probe zu stellen; Dein Urteil wird durch Deine augenscheinliche Verblendung getrübt, und ich mache Dich hiermit darauf aufmerksam, daß Du bei der geringsten Einmischung Deinerseits in diese Angelegenheit verhaftet werden wirst.«

Ohne ein weiteres Wort verließ ihn Goddard, und Lloyd wandte sich zu den zwei Frauen, die geduldig wartend abseits standen. »Bitte, Fräulein Watt, folgen Sie mir.« Zusammen gingen sie nach dem Wartezimmer, dessen Tür von dem Leutnant geöffnet wurde, indem er meldete: »Herr Hauptmann Lloyd.«

»Was wünschen Sie?« fragte Tante Metoaca und maß ihn von Kopf bis zu Fuß, während Nelly ihm keinerlei Beachtung schenkte.

»Den Bericht, den Herr Oberst Mitchell gestern abend verloren hat.«

»Habe nie ein solches Ding gesehen!« schnauzte das alte Fräulein ihn an.

Lloyd wandte sich jetzt an die schweigsame Nelly. »Ich glaube, Fräulein Newton, wir haben uns schon getroffen.«

Sie streifte ihn kurz mit den Blicken. »O ja, ich glaube, Sie ein- oder zweimal gesehen zu haben.«

Lloyd brach in ein kurzes Lachen aus. »Zweimal? Da habe ich ein besseres Gedächtnis als Sie, mein Fräulein; was meinen Sie zu dem 27. Dezember?«

»Sie sprechen in Rätseln, mein Herr.«

»Vielleicht könnten Sie dieses hier lösen,« und er zeigte auf eine Narbe an seiner Schläfe, »der Schlag von Ihrem Revolver brachte mich für längere Zeit ins Krankenhaus.«

»Ich glaube, mein Herr, Sie sind wahnsinnig!« rief jetzt Tante Metoaca entrüstet aus.

»Gestehen Sie, Fräulein Newton, leugnen wird Ihnen nichts helfen,« bemerkte Lloyd jetzt ungeduldig. »Ich weiß, daß Sie eine Spionin der Rebellen sind ,...«

»Kennen Sie die Bedeutung dieses Wortes?« fragte Nelly hitzig.

»Gewiß, und ich frage zum letzten Male, ob Sie mir den Bericht geben wollen?«

Nelly zuckte die Achseln. »Es ist unmöglich, etwas zu geben, was man nicht hat.«

Jetzt ging Lloyd kurz entschlossen auf die Tür zu, ließ die beiden Frauen, die in der Halle standen, eintreten und gab ihnen den Befehl, die Damen gründlich zu durchsuchen; die Tür dröhnend hinter sich zuwerfend, entfernte er sich.

Nach anfänglichem großen Widerstreben gab Tante Metoaca, die eine sehr kriegerische Miene aufsetzte, schließlich dem Zureden Nellys und der beiden weiblichen Detektive nach und ließ die Durchsuchung über sich ergehen. Nichts entging der Aufmerksamkeit der Beamtinnen; die Kleider wurden gegen das Licht gehalten, um zu sehen, ob zwischen dem Futter etwas verborgen wäre, Nähte aufgetrennt, die Schuhe untersucht – es fand sich nichts.

»Bitte, lösen Sie Ihr Haar!« ersuchte sie jetzt Fräulein Watt, und ohne auf die erneuten Klagen der alten Dame zu achten, fuhr sie mit geschickten Fingern durch Nellys reiche Haarwellen und Tante Metoacas spärliche graue Locken.

»Sie können Ihre Kleider wieder anlegen,« bemerkte sie dann freundlicher und half Tante Metoaca bei ihrer Toilette sowie bei ihrer Frisur.

»So,« sagte diese darauf mit einem tiefen Atemzug. »Nelly, sehe ich nicht aus wie eine Vogelscheuche? Dies ist das schlimmste, was ich seit langem erlebt habe. Bitte, Fräulein Watt, melden Sie dem Hauptmann, daß ich ihn sprechen möchte.«

Lloyd eilte herbei und war sehr enttäuscht, als er erfuhr, daß sich keine Spur des Gesuchten gefunden hätte; auch die gründliche Durchsicht des Gepäcks der beiden Damen hatte nichts Belastendes zutage gefördert, und so blieb ihm nichts übrig, als sie freizulassen.

»Wenn ich Sie belästigt habe, geschah es nur in Ausübung meiner Pflicht, und ich bitte die Damen um Entschuldigung,« mit diesen Worten wandte er sich an die beiden. Alsdann stellte er ihnen und Goddard frei, den Extrazug, mit dem er weiter nach Winchester fuhr, ebenfalls zu benutzen, und sie setzten alle zusammen ihre Reise fort. Doch wurde es eine recht schweigsame Fahrt; der blutige Bruderkrieg hatte das ganze Tal verödet, und der Anblick der zerstörten Häuser und verwüsteten Felder stimmte traurig – so atmeten alle auf, als der Zug endlich seinen Endpunkt in Stephenson, in der Nähe von Winchester, erreichte.

Am dortigen Bahnhof befanden sich der Bahnhofsvorsteher und die übliche Abteilung Soldaten, und Goddard erfuhr auf Befragen von dem befehligenden Offizier, daß der fahrplanmäßige Zug, der mehrere Stunden vor ihnen angekommen war, wie immer von einer Bedeckung aus Winchester abgeholt worden wäre.

»Herr Hauptmann Gurley war sehr aufgeregt darüber, daß man die beiden Fräulein Newton, die er abholen wollte, zurückgehalten hätte, und da er leider nach Winchester zurückkehren mußte, hat er hinterlassen, er würde eine Bedeckung für die Damen schicken, falls er telegraphischen Bescheid erhielte, daß diese noch heute abend hier eintreffen würden.«

»Gibt es denn hier irgend eine Fahrgelegenheit, um die Damen nach Winchester zu bringen?« erkundigte sich Goddard.

»O, das alte Fräulein Page hat ihnen ihren Wagen mit den Maultieren geschickt,« bemerkte jetzt der Bahnhofsvorsteher, »und Herr Hauptmann Gurley hat Ihr Pferd hier gelassen, Herr Major; es ist dort an jenem Schuppen angebunden, in welchem auch wohl Fräulein Pages unnützer Negerjunge sein Schläfchen halten wird.«

Goddards Stute begrüßte ihren Herrn mit freudigem Gewieher, als er sie freundlich streichelte; auch der offene zweisitzige Wagen mit den Maultieren fand sich vor, von dem schwarzen Kutscher war aber keine Spur zu erblicken.

»Symonds, Sie werden wohl kutschieren müssen,« sagte Goddard, während er den Sattelgurt seines Pferdes fester schnallte; dann half er den Damen in den Wagen und hüllte sie in die warmen Decken, die sich in diesem vorfanden. Mit angeborener Höflichkeit wandte Fräulein Metoaca sich zuletzt an Lloyd und bot ihm den noch übrigen Sitz auf dem Kutscherbock an, den dieser auch dankend annahm; er bemerkte das spöttische Lächeln Nellys und murmelte: »Wollen wir nicht einen bewaffneten Waffenstillstand schließen?« Ohne ihre Antwort abzuwarten, setzte er sich neben Symonds und die Fahrt begann. Aber nur langsam kamen sie vorwärts, denn die Tiere waren alt und kümmerlich genährt, und trotz vieler Peitschenhiebe und ermunternder Zurufe war es unmöglich, sie in eine raschere Gangart zu bringen.

Der Wintertag neigte sich seinem Ende zu, und die Dämmerung brach herein, als sie die letzten Häuser hinter sich ließen. Sie hatten schon eine kleine Strecke zurückgelegt, als Goddard eine Abteilung Kavallerie von Winchester her nahen sah, die gemächlich im Schritt ritt; ihre blauen Uniformen beruhigten ihn, und er ritt dem Wachtmeister entgegen, wobei er auch die Abzeichen seines Regiments auf dessen Uniform erkannte.

»Sie sind wohl die Begleitmannschaft, die Herr Hauptmann Gurley herschickt?« fragte er den salutierenden Wachtmeister.

»Jawohl, Herr Major.«

Goddard drehte sich um und winkte Symonds heran, der den Wagen angehalten hatte; dann fragte er scharf: »Warum lassen Sie Ihre Leute so auseinandergezogen reiten, ziehen Sie sie doch zusammen.«

Der Wachtmeister grüßte wieder und lenkte sein Pferd hinter das von Goddard; dann befahl er seinen Reitern, sich zusammenzuschließen, und sofort umgaben diese den Wagen von allen Seiten.

»Wie weit ist es noch bis Winchester, Bob?« fragte Lloyd.

»Ungefähr ,...« Die Worte erstarben dem Major auf der Zunge, denn eine starke Hand ergriff seinen Zügel, und er sah den Revolver des Wachtmeisters auf sich gerichtet. Im Nu erfaßte er mit der rechten Hand seinen eigenen und feuerte, doch durch das Aufbäumen seines erschrockenen Tieres verfehlte er sein Ziel. Im nächsten Augenblick entriß ihm ein anderer Reiter die Waffe, und seine Hände wurden ihm auf den Rücken gebunden; zu gleicher Zeit bedrohte man Symonds und Lloyd mit Revolvern und hielt die Maultiere an, worauf diese einsehen mußten, daß Widerstand nutzlos wäre, und sie sanken hilflos auf ihren Sitz zurück.

»Zum Henker, wer sind Sie?« donnerte Goddard, als man ihn mit unsanfter Hand nach weiteren Waffen untersuchte.

»Hauptmann Willard Tucker von den Konföderierten, unter Oberst Mosbys Befehl,« war die ruhige Antwort; »wir waren im Aufklärungsdienst, als wir Sie trafen, Herr Major, und Sie uns aufforderten, Sie einzuschließen.«

Goddard fluchte innerlich über seinen Irrtum, denn er erinnerte sich jetzt, leider zu spät, daß sich die Guerillatruppen Mosbys mit Vorliebe in Bundesuniformen verkleideten, um die Post und die Züge zu überfallen.

»Und wohin werden wir geführt?« fragte er, als der Trupp bei einer Teilung des Weges nach links abschwenkte.

»Zu Mosby,« war die kurze Antwort.

Alsdann wurden ihre Namen und Persönlichkeiten festgestellt, und Tucker ritt an den Wagen heran; er bedauerte, den Damen Unbequemlichkeiten zu bereiten, doch müsse er auch sie ins Hauptquartier führen. Diese hatten wie erstarrt der Festnahme Goddards zugesehen, und Tante Metoaca bemerkte jetzt mit Ergebung: »Ich sehe schon, es ist für mich ebenso schwer nach Winchester zu kommen, wie für unsere Truppen in Richmond einzuziehen.« Tucker lachte und wandte sich dann strenge an Symonds und Lloyd, die entwaffnet worden waren, wobei er mit sofortiger Erschießung drohte, falls sie irgend einen Fluchtversuch unternehmen sollten. Ein solcher war auch ganz aussichtslos, denn sie waren nur drei Mann gegen zwanzig von der Guerillatruppe und die letztere zudem gut beritten. Goddard ritt mit gebundenen Armen dahin, von beiden Seiten von Reitern bewacht, die sein Pferd am Zügel führten.

Nach einstündigem Ritt über holperige Feldwege wandten sie sich nach Osten, bis sie einen Bach erreichten. Tucker befahl seinen Leuten abzusitzen und redete Tante Metoaca höflich an: »Wir werden drüben in den Wäldern ein Biwak aufschlagen, nahe bei dieser Furt, denn es ist uns unmöglich, Mosby heute abend zu erreichen.«

Bald war das Lager errichtet und ein besonderes Zelt den beiden Damen an der linken Seite des Lagerfeuers eingeräumt; diese beobachteten mit lebhaftem Interesse alle Vorbereitungen und setzten sich so nahe wie irgend möglich an das Feuer, froh über die Wärme, die dieses verbreitete, während eine eilige Mahlzeit zubereitet wurde.

Lloyd hatte von dem Augenblick ihrer Gefangennahme an Nelly wie ein Luchs beobachtet, und nicht eine Bewegung ihrer Hände war ihm entgangen. Hatte sie diesen Ueberfall geplant, und wie würde Tucker sie behandeln? Als Freund oder als Feind? Sie waren sich als Fremde gegenübergetreten.

Während er diesen Gedanken nachhing, dachte Goddard an Flucht, doch da er die beiden Damen nicht im Stiche lassen konnte, mußte er erst eine günstige Gelegenheit abwarten und sehen, was das wechselnde Kriegsglück bringen würde. Hier unterbrach Tucker sein Sinnen mit dem Anerbieten ihn loszubinden, falls er, wie Lloyd, sein Wort gäbe, keinen Fluchtversuch zu machen. Goddard bedachte sich einen Augenblick und sagte dann widerstrebend: »Gut, ich verspreche es – bis morgen früh.«

Er wurde alsbald seiner Fesseln entledigt und rieb die steifen Glieder, bis sein Blut wieder rascher zu kreisen begann.

»Kommen Sie an das Feuer und nehmen Sie auch einen kleinen Imbiß ein,« schlug der Rebellenführer vor, welcher Aufforderung er dankbar Folge leistete; er eilte zu seinen Freunden, und Nelly machte ihm neben sich Platz.

»Seien Sie nicht traurig,« flüsterte sie, »wir können sicher irgendwie entwischen.«

»Sie sind ein tapferes Mädchen,« erwiderte er mit einem bewundernden Aufleuchten seiner Augen; »wie viele hätten wohl die heutigen Erlebnisse mit so viel Mut wie Sie ertragen!«

»Glauben Sie nur, innerlich zittere ich vor Furcht, was die Zukunft noch bringen kann,« antwortete sie mit sanftem Lachen und warf ängstliche Blicke auf die rauhen Männer um sie her.

Jetzt rief Hauptmann Tucker über das Feuer hinweg: »Fräulein Newton, bitte, singen Sie uns doch ein Liedchen; wir nehmen so selten Damen gefangen und sehnen uns nach dem Klang einer Frauenstimme.«

»Bitte, schlagen Sie es nicht ab,« flüsterte der Major an ihrem Ohr.

Sie besann sich einen Augenblick, ehe sie antwortete: »Gern, Herr Hauptmann, aber machen Sie den Anfang,« worauf Tucker sich bereit erklärte und mit seinem weichen Tenor nach kurzem Nachdenken begann:

»Jahre sind's, daß wir geschieden,
Ob wir je uns wiedersehn?
Hab' gekämpft, hab' Dich gemieden,
Konnt' Dir doch nicht widerstehn.
Winde flüstern Deinen Namen,
Tag und Nacht denk' ich an Dich;
Jahre gingen, Jahre kamen,
Immer seh' Dein Lächeln ich.«

Als die vertrauten Klänge des berühmten Rebellengesanges an ihr Ohr schlugen, sammelten sich die Soldaten um das Lagerfeuer, doch nur wenige stimmten ein; sie gedachten ihrer Weiber und Bräute in der Ferne. Tuckers Blicke schweiften zu Nelly hinüber, als er den zweiten Vers sang, doch sie hielt ihr Gesicht abgewandt:

»Ferne führte mich mein Leben,
Wanderte durch Wüstensand,
Sah den Sturmwind sich erheben,
Einen Riesen, wutentbrannt.
Meere habe ich durchmessen,
Doch zur Heimat zog es mich –
Konnte niemals Dein vergessen,
Immer seh' Dein Lächeln ich.«

Die Töne verklangen und alle spendeten lauten Beifall; dann rief Tucker: »Ruhig, Ihr Leute!« und wandte sich an Nelly mit der Bitte, ihr Versprechen einzulösen. Das Mädchen blickte umher; das Feuer war am verlöschen, und in der Dunkelheit sah man nur undeutlich die Gesichtszüge der Männer bei dem flackernden Licht der glimmenden Kohlen, doch der Ausdruck in Goddards Augen machte sie stutzen. Sie las nur zu deutlich in ihnen und errötete tief, doch gleich darauf dachte sie mit leisem Schmerz an das, was sie trennte – sie war eine Rebellin – eine Spionin, und er – ein Yankee, ein – freilich nicht gehaßter Feind. Unmöglich durfte sie ihn ermutigen, das wollte sie wenigstens nicht auf sich laden, und gern wollte sie den Schmerz tragen, wenn nur er nicht litt. So stimmte sie mit ihrer zum Herzen dringenden Stimme ein Lied an von Entsagung und Trennung, wobei sie innerlich hoffte, er würde sie verstehen.

»Fliehe und suche den Frieden,
Mir laß die Bürde allein!«

Keiner rührte sich, als sie diese letzten Verse gesungen. Goddard saß in sich zusammengesunken da, und seine Lippen preßten sich aufeinander, dann raffte er sich auf und warf Nelly einen beschwörenden Blick zu, vor dem sie die Augen senkte. Man bestürmte sie, noch mehr zu singen, doch Tante Metoaca erhob sich jetzt und erklärte, sie hätten einen sehr anstrengenden Tag hinter sich und seien sehr erschöpft. Sie bat Tucker um Erlaubnis, sich zurückziehen zu dürfen, die dieser bereitwilligst erteilte; er gestattete ihnen, sich frei durch das ganze Lager zu bewegen, nur dürften sie sich nicht den ausgestellten Posten nähern.

Fräulein Metoaca dankte trocken, und allen eine gute Nacht wünschend, stolzierte sie mit soviel Würde, als es der unebene Grund erlaubte, ihrem Zelte zu; ihre Nichte erhob sich ebenfalls, verabschiedete sich höflich von Tucker und folgte, von Goddard begleitet, ihrer Tante. Beim Zelte angelangt, streckte sie ihm abschiednehmend die Hand entgegen; er ergriff sie und umschloß sie mit den seinen.

»Einen Augenblick, flehte er leise – »hatte Ihr Lied für mich eine besondere Bedeutung?« Und als Nelly nur traurig nickte, atmete er tief auf und sagte fest: »Niemand und nichts soll uns trennen.«

»Sie vergessen, mein Herr, daß ich nach Belieben meine Freunde wählen kann,« versetzte sie hart.

»So hassen Sie mich?« fragte er und sein gebräuntes Gesicht erbleichte.

»Ja!«

Er konnte nicht erkennen, mit welcher Anstrengung sie das Wort hervorstieß; in bitterer Enttäuschung ließ er ihre Hand fahren und Nelly wandte sich hastig ab. Hierbei stolperte sie über eine Baumwurzel und wäre gefallen, hätte Goddard sie nicht aufgefangen und gehalten. Ihr weiches Haar streifte seine Wange ,... ein atemraubender Augenblick – dann preßte er sie an sich und drückte heiße Küsse auf das an seiner Schulter ruhende Antlitz. Verzweifelt rang das Mädchen sich endlich los und verschwand in dem Zelt, während Goddard mit leuchtenden Augen und fieberhaft klopfenden Pulsen an das Feuer zurückkehrte.

Einige Stunden später erwachte Goddard aus unruhigem Schlummer, rings um ihn her ertönte das Schnarchen der schlafenden Soldaten – hatte ihn dieses geweckt? Seine Gedanken flogen zu Nelly und er blickte nach der Richtung hin, in der in einiger Entfernung zur Linken ihr Zelt lag. Als sich seine Augen an das Dunkel gewöhnt hatten, sah er undeutlich die Umrisse einer Gestalt, die sich diesem näherte und hinter ihm verschwand.

Sofort war er ganz wach und wickelte sich aus seiner Decke; leise, leise stahl er sich zu dem Zelte hin, auf Händen und Füßen kroch er vorsichtig um dieses herum und wollte sich gerade erheben, als eine Hand ihn an der Kehle packte und ein schwerer Körper auf ihn fiel. Schweigend rangen die beiden Männer miteinander in der kleinen Lichtung; schon rang Goddard keuchend nach Luft, und mit verzweifelter Anstrengung riß er die umklammernden Hände herunter.

»Lloyd, Lloyd,« stöhnte er leise, und der Angreifer schnellte in die Höhe.

»Bei Gott, Du bist es, Bob,« flüsterte Lloyd erschrocken und half ihm, sich erheben.

»Warum, zum Kuckuck, griffst Du mich an?« fragte Goddard nun mit heiserer Stimme und rieb sich den schmerzenden Hals.

»Ich konnte ja nicht wissen, daß Du es warst, Bob, aber ich hörte ein schwaches Geräusch, und da ich dachte, es wäre Tucker, der sich mit Fräulein Newton in Verbindung setzen wollte, so schlich ich hierher; dann kamst Du um die Ecke gekrochen, und ich sprang auf Dich los!«

»Also, das hast Du immer noch im Kopf!« sagte der Major vorwurfsvoll. »Komm lieber und laß uns schlafen.«

Da sein Rat gut war, folgte ihm Lloyd. Beide Männer entfernten sich vorsichtig und hüllten sich wieder fest in ihre Decken ein.

Drinnen aber saß ein Mädchen an die Zeltwand gelehnt, und ihre Finger fügten geschickt die beiden Hälften eines ihrer birnenförmigen Ohrringe wieder aneinander. Die kleine Höhlung in seinem Inneren war jetzt leer. Lange lag sie dann noch wach und sann ihren traurigen Gedanken nach.


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