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14. Kapitel.

Am nächsten Morgen schlug ganz Washington die Hände zusammen bei der Nachricht von Nellys Verhaftung und Hauptmann Lloyds plötzlichem Tode, und den ganzen Tag gab Fräulein Metoacas schwarzer Diener Jonas auf alle teilnehmenden Nachfragen den gleichen Bescheid, daß seine Herrin niemanden empfangen wolle.

Spät am Nachmittag stieg Senator Warren mit schweren Schritten die Treppe hinan. Der alte Jonas hatte ihn kommen sehen und nahm ihm Hut und Stock ab. Fräulein Metoaca, hohläugig und müde, erhob sich rasch bei seinem Eintritt und fragte, ängstlich in seinem Gesicht forschend: »Haben Sie Nachrichten?«

Er drückte sie in ihren Sitz zurück und zog einen Stuhl an ihre Seite; nach merklichem Zögern stellte er seinerseits die Frage: »Haben Sie Nelly gesehen?«

»Nein; ich ging heute morgen sofort nach dem Gefängnis und sprach mit dem Inspektor Wood, der mir aber sagte, nur mit Erlaubnis des Oberrichters könne er mir gestatten, mit Nelly zu sprechen. Ich sprach mit Richter Holt, doch dieser schlug mir meine Bitte rundweg ab; nun ging ich zum Präsidenten, der mir versprach, mit Stanton sprechen zu wollen. Da ich begriff, was das bedeutete, verlor ich keine Zeit erst mit Warten und ging deshalb wieder nach Hause.«

Warren nickte ernst mit dem Kopfe. »Ich erwartete nichts anderes. Nelly befindet sich in strenger Haft unter der schwersten Anklage, die es in Kriegszeiten geben kann; ich bezweifle, daß es mir, ihrem gesetzlichen Vertreter, möglich sein wird, eher mit ihr zu sprechen, als bis dieses Rätsel etwas aufgeklärt ist. Stanton ist schon durch die Tatsache, daß der Schlüssel zu seiner Geheimschrift außerhalb seines Bureaus bekannt ist, in die heftigste Aufregung versetzt – er wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, um zu entdecken, wie sich Nelly diese Kenntnis verschafft hat, die es ihr ermöglichte, Pegram zu benachrichtigen – sie kann betreffs dieser Anklage auf keine Milde rechnen. Baker ist ebenfalls entschlossen, zu beweisen, daß sie Lloyd die wiedererlangte Depesche entwendete, und er behauptet, daß sie auf irgend eine Weise in den geheimnisvollen Tod des Hauptmanns verwickelt ist.«

Fräulein Metoaca atmete tief auf. »Es sieht wirklich so aus, als ob es Nelly sehr schwer gemacht wird, ihre Unschuld zu beweisen,« seufzte sie. »Haben Sie eine Ahnung, wann sie vor Gericht gestellt wird?«

»Als ich mit Richter Holt sprach, war er damit beschäftigt, Offiziere für eine militärische Gerichtskommission auszuwählen.«

»Mir wurde gesagt, sie würde vor ein Kriegsgericht gestellt.«

»Das ist nicht durchaus erforderlich. Ich erkundigte mich bei Holt, und er gab mir eine Abschrift des zweiundachtzigsten Kriegsartikels aus dem Jahre 1862.« Warren zog ein Papier hervor und las: »Alle Personen, welche in Kriegs- oder Revolutionszeiten auf der Lauer liegend oder spionierend in und um Befestigungen, Posten, Quartiere oder Lager der Heere der Vereinigten Staaten aufgefunden werden, sollen vor ein Kriegsgericht oder eine militärische Gerichtskommission gestellt werden und nach Schuldigerklärung den Tod erleiden.«

Bei den letzten feierlichen Worten senkte er unwillkürlich die Stimme – Tante Metoacas Gesicht wurde aschfahl.

»Erinnern Sie sich daran, lieber Senator,« sagte sie erregt, »daß bis jetzt noch nichts gegen Nelly bewiesen ist.«

»Ganz recht; aber denken Sie auch daran, daß eine militärische Gerichtskommission so manches bereits als genügenden Beweis ansieht, was ein bürgerlicher Gerichtshof als Beweismaterial ohne weiteres verwerfen würde.«

»Aber Warren, die Depesche, von der Stanton behauptet, daß Nelly sie geschrieben hätte, ist doch überhaupt nicht aufgefunden worden – man kann sie daher doch nicht als Beweisstück gelten lassen!«

»Ich bin dessen nicht so ganz sicher, denn obgleich sie nur Symonds Wort haben, wird seine Erzählung doch als direkter Beweis gelten, und ich fürchte, es wird sehr schwer sein, seine Zeugenaussage zu erschüttern.«

Die alte Dame schwieg bekümmert. Nach einer Weite fragte sie jedoch von neuem:

»Hat man nichts herausgefunden, was Licht auf den plötzlichen Tod Lloyds wirft?«

Der Senator rückte näher an sie heran und sagte leise: »Das Geheimnis wird immer undurchdringlicher. Auf Befehl des Präsidenten ist es mir erlaubt worden, das Ergebnis der Leichenöffnung, die heute morgen stattfand, zu erfahren.«

»Nun?« fragte das alte Fräulein fast atemlos.

»Nach einer langen und sorgfältigen Untersuchung erklärten die Aerzte, daß sie weder eine Wunde noch ein Zeichen von Gewalttätigkeit an Lloyds Körper finden könnten – auch keine Spuren von Gift in seinen Organen. Sie wären deshalb genötigt, anzunehmen, daß er aus einer ihnen unbekannten Ursache starb.«

»Nun, genügt das nicht, um diese widersinnige Anklage gegen Nelly zu entkräften?«

»Ich habe Ihnen noch nicht alles gesagt,« fuhr Warren rasch fort. »Die Aerzte meinten ferner, es sei vielleicht möglich, daß die fünf letzten Tage im Sattel, ohne genügende Nahrung und Schlaf ihn so erschöpft haben könnten, daß eine Herzlähmung eingetreten wäre – doch hielten sie dies für sehr unwahrscheinlich.

»Ich nenne dies keine schlechten Nachrichten« – das Gesicht der alten Dame hellte sich auf.

»Unglücklicherweise behauptet Dr. Ward, daß die Symptome dieselben wären, als wenn Lloyd durch irgend ein Betäubungsmittel, Chloroform zum Beispiel, erstickt worden wäre.«

»Man müßte doch aber den Geruch davon verspürt haben.«

»Da Lloyd schon seit Stunden tot war und das Fenster offen stand, konnte sich dieser bereits verflüchtigt haben.«

»Sie wollen doch nicht damit sagen, daß diese Dummköpfe auf so nichtige Beweise hin glauben könnten, Nelly habe Lloyd getötet!« rief Fräulein Metoaca voller Wut aus. »Denken Sie nur, ein junges, zartes, hochgebildetes Geschöpf wie Nelly sollte kaltblütig einen solchen Mord begangen haben?«

»Nellys Geschlecht wird sie nicht beschützen, wenn die Leidenschaften der Menschen erst einmal erregt sind; wird sie mit dem auf ihr ruhenden Verdacht der Spionage in unseren schweren Tagen nicht ein Gegenstand des allgemeinen Hasses werden?«

Fräulein Metoaca nickte trübe; sie wußte nur zu gut, daß man in Baltimore und Washington alle diejenigen, die den Rebellen ihre Teilnahme zuwandten, mit Schmach und Verachtung überhäufte, und mußte die Nichtigkeit von Warrens Urteil einsehen.

»Heutzutage geschehen keine Wunder,« fuhr Warren fort; »und die Wahrscheinlichkeit, daß Lloyd aus natürlichen Ursachen starb, gerade als sein Tod Nelly von Nutzen war, ist nicht eben groß – hierzu kommt noch das Verschwinden der wichtigen Depesche. Das erste, worum es sich stets bei der Aufklärung eines Mordes handelt, ist der Beweggrund für das Verbrechen, und so wird gerade der passende Zeitpunkt von Lloyds Tod am meisten gegen Nelly sprechen. Die Kommission wird ohne Zweifel glauben, daß Nelly, da sie wußte, Lloyd könnte ihre Spionage beweisen, ihre letzte Zuflucht zu dem Morde desjenigen Mannes nahm, der sie zu vernichten vermochte.«

»Es ist eine Schande!« rief Fräulein Metoaca aufgebracht.

»Meine Frau und ich glauben auch an ihre Unschuld,« erklärte Warren warm, »und ich gebe Ihnen mein Wort darauf, daß ich alles aufbieten werde, um ihr beizustehen.«

»Gott segne Sie!« Die alte Dame drückte ihm dankbar die Hand. »Sie geben mir neuen Mut.« Als sie bemerkte, daß Warren nach der Uhr auf dem Kamin sah, fügte sie rasch hinzu: »Sagen Sie mir noch, ob Sie etwas von Major Goddard gehört haben.«

»Ich erkundigte mich diesen Morgen in der Pension, doch wurde mir der Zutritt nicht gestattet; glücklicherweise traf ich Dr. Ward, der Goddard eben gesehen hatte, und er erzählte mir, daß der Major zwar wieder bei Besinnung, aber noch sehr schwach und unfähig zu sprechen wäre. Ich fuhr dann bei dem Gefängnis vor, und Wood versprach mir, Nelly davon zu benachrichtigen, daß es dem Major besser ginge. Ich hoffe, diese Botschaft hat das arme Mädchen etwas getröstet.«

»Hören Sie, Warren,« – Fräulein Metoaca senkte die Stimme – »der Major und Nelly waren täglich in Winchester zusammen – er tat uns beiden so leid, und Nelly unterhielt ihn oder las ihm während seiner Genesung vor. Nach und nach überzeugte ich mich davon, daß Goddard Nelly über alles liebte – könnte er nun nicht vielleicht gehört haben, wie Lloyd zu Symonds sagte, er besäße ein Papier, das Nellys Untergang herbeiführen würde?«

»Gewiß!« gab der Senator zu.

»Um der Liebe eines Weibes willen ist schon manches Unheil angerichtet worden. Ich möchte gewiß keinen Verdacht gegen einen Unschuldigen erregen, aber, könnte nicht Goddard ,...?«

»Seinen Freund getötet und das Papier entwendet haben?« vollendete der Senator, als sie stockte. »Möglich, aber nicht wahrscheinlich. Männer haben schon manches Verbrechen aus Liebe vollbracht, aber nicht das Unmögliche. Sie glauben also, daß Goddard das Schlafzimmer betrat, Lloyd chloroformierte und dann die Brieftasche stahl, die die Depesche enthielt?«

Das Fräulein nickte, ohne zu sprechen.

»Wie hätte ein Blinder dieses alles ausführen können, ohne irgend etwas im Zimmer umzuwerfen?« fragte Warren ruhig.

»Und woher wissen Sie, daß nichts umgeworfen wurde?«

»Symonds erklärte aufs bestimmteste, daß sich in dem Zimmer nicht das geringste Zeichen von Unordnung vorfand; bei längerem Nachdenken muß man sich auch sagen, daß der Blinde doch erst an Lloyds Körper herumtasten mußte, was doch sicherlich den schlafenden Mann aufgeweckt hätte.«

»Warten Sie – Lloyd hätte darin nichts Besonderes gefunden, seinen Freund neben sich zu sehen. Nachdem er mit ihm gesprochen hatte, ist er wahrscheinlich wieder eingeschlafen.«

Als Warren schweigend zu ihrer Darlegung nickte, fuhr Fräulein Metoaca eifrig fort: »Warum sollte Nelly die ganze Brieftasche mitnehmen, da sie nur ein Papier daraus brauchte – Goddard aber ist blind – für ihn war es nötig, die Brieftasche zu stehlen, um sich der Depesche zu bemächtigen.«

»Das leuchtet ein,« gab Warren zu, »aber ebenso gut kann man annehmen, daß Nelly in der Furcht, in Lloyds Zimmer überrascht zu werden, nicht wagte, nach dem Papier zu suchen, und deshalb die Tasche mitnahm.«

Als er die enttäuschte traurige Miene des alten Fräuleins sah, fuhr der Senator herzlich fort: »Ich will das Aeußerste tun, um Nelly von diesen schrecklichen Anklagen zu reinigen; aber Goddard für schuldig zu erklären, wird wohl keinen Zweck haben. Symonds und der Arzt durchsuchten seine Kleidung, fanden aber keine Spur von dem vermißten Papier.«

»Wie erklären Sie sich, daß Goddard bewußtlos im Zimmer lag?«

»Ja –« Warren strich sich nachdenklich den grauen Bart – »vielleicht hat er einen Schwindelanfall gehabt oder – aber dies ist nur eine vage Vermutung – er und Lloyd sind in Streit geraten, und der letztere schlug ihn nieder, ohne an die Blindheit seines Freundes zu denken.«

»Und die Erregung hierüber hat vielleicht seinen Tod herbeigeführt,« fiel Fräulein Metoaca erregt ein.

»Nur die Zeit und – Goddard kann dies aufklären.«

Der Senator erhob sich, und sie geleitete ihren Besucher in die Vorhalle. »Wann wird die Verhandlung stattfinden?«

»Sobald der Major eine Zeugenaussage machen kann. Und nun, mein liebes Fräulein Metoaca, grämen Sie sich nicht zu sehr –« er nahm erschrocken die Veränderung in ihrem kummervollen Gesicht wahr, als er sie deutlicher in dem Licht der offenen Tür sah. »Sobald sich etwas Neues ereignet, lasse ich es Sie sofort wissen.«

»Seien Sie aber vorsichtig mit Ihren Nachrichten,« mahnte sie ihn, »dies Haus wird fortgesetzt bewacht. Den ganzen Morgen waren Leute von der Geheimpolizei hier, um Nellys Sachen zu durchsuchen; außerdem durchforschten sie das ganze Haus. Unsere ganze Garderobe ist einfach ruiniert. Leben Sie wohl, mein Freund, und grüßen Sie Ihre liebe Frau. Nie kann ist Ihnen genug danken für alle Ihre Güte.« Ihre Lippen zitterten und ihre Augen füllten sich mit Tränen.

»Bitte – nicht,« bat Warren ganz verlegen, »Sie und Nelly haben gute Freunde, die mit Ihnen durch dick und dünn gehen – werden Sie also nicht mutlos!«

»Mutlos?« wiederholte sie heftig blinzelnd. »Wenn ich mir meine liebe Nelly an jenem schrecklichen Orte denke – dann – dann könnte ich beinahe selbst jemanden ermorden!« Und sie warf kräftig die Haustür ins Schloß, um ihre überreizten Gefühle ein wenig zu erleichtern.

* * *

Ungefähr um dieselbe Zeit ging Oberst Baker wenig befriedigt und ziemlich verdrießlich die F-Straße entlang; der Verlauf der Dinge war durchaus nicht nach seinem Sinne. Das Ergebnis der Leichenschau hatte ihn verblüfft, und die Haussuchung bei den Newtons hatte ebenfalls keinen Erfolg gehabt. Auf einmal sah er Symonds über die Straße eilen.

»He, Symonds, was gibt es Neues?« rief er ihn an.

»Der Major ist wieder bei Besinnung, Herr Oberst.«

»Das ist gut!« Er zögerte einen Augenblick, dann wandte er sich entschlossen um. »Kommen Sie mit mir.« Und er führte ihn nach Frau Lanes Pension. Die Wache ließ sie eintreten, und ohne sich aufzuhalten gingen sie nach Lloyds Wohnzimmer. Baker klopfte leise an, worauf eine Krankenschwester in der Tür erschien.

»Was wünschen Sie?« fragte sie.

»Ich muß Ihren Patienten, den Major Goddard, sprechen – ich habe gehört, daß er wieder zu sich gekommen ist.«

»Das ist ganz unmöglich!« Sie trat zurück, um die Tür zu schließen.

»Einen Augenblick!« Sehr bestimmt fuhr er fort: »Ich bin Oberst Baker vom Geheimdienst – ich muß unbedingt den Major sprechen; lange werde ich nicht dableiben.« Die junge Schwester war noch nicht lange im Dienst, und Bakers Wesen versetzte sie in Furcht, deshalb murmelte sie:

»Dr. Ward hat es zwar verboten, aber – wenn Sie nur kurze Zeit bleiben –« Widerstrebend trat sie beiseite, und die beiden Männer schritten in das Zimmer. »Beunruhigen Sie sich nicht,« bemerkte der Oberst jetzt freundlich, »ich werde dem Doktor alles erklären; wo ist der Kranke?«

»Im Nebenzimmer; er hat den ganzen Nachmittag geschlafen, ist jetzt aber wach.«

Geräuschlos betrat Baker das nächste Zimmer und setzte sich auf einen Stuhl neben Goddards Bett; in dem Zimmer war nichts verändert worden, nur hatte man einen schwachen Versuch gemacht, die Blutspuren auf dem Boden zu beseitigen. Goddard bewegte sich unruhig und wandte sein Gesicht Baker zu; sein scharfes Ohr hatte ein schwaches Geräusch vernommen, als sich der Ankömmling setzte.

»Sind Sie es, Schwester?« Seine Stimme war leise wie ein Hauch.

»Nein, Herr Major, ich bin es, Oberst Baker.«

»Baker? Baker?« Goddard sprach halb zu sich selbst – »doch nicht Oberst Baker vom Geheimdienst?« und er versuchte sich im Bette aufzurichten.

»Jawohl, aber Sie brauchen sich nicht aufzuregen; kommen Sie, ich lege Ihnen diese Kissen in den Rücken, dann sitzen Sie bequem.« Er stützte ihn und Symonds half die Kissen ordnen.

»Ich danke Ihnen – wer ist denn sonst noch da?«

»Symonds.«

»Symonds!« Seine Lider zitterten über seinen armen Augen; plötzlich raffte er sich auf. »Womit kann ich Ihnen dienen, Herr Oberst?«

»Mir nur einige Fragen beantworten über das, was gestern hier vorfiel – Sie brauchen nicht lange zu sprechen.«

»Ich – ich bin noch nicht sehr kräftig,« stammelte Goddard leise.

»Sie haben einen bösen Fall getan und viel Blut verloren, ehe Symonds Sie auffand,« sagte Baker teilnehmend.

»Mich auffand? wo?«

»Dort auf dem Boden, mein Herr,« fiel Symonds ein, »ich hatte einen tüchtigen Schreck, denn Sie sahen mehr tot als –« er stockte, als er Bakers warnendem Blicke begegnete – »lebendig aus,« vollendete er zögernd.

Hier kam die Schwester aus dem Wohnzimmer und berührte Bakers Arm. »Sie müssen gehen, der Major darf nicht beunruhigt werden.«

»Gleich, Schwester.« Ungeduldig stieß er ihre Hand zurück und wandte sich wieder an Goddard. »Haben Sie lange mit Lloyd gesprochen, ehe Sie hinfielen?«

Nach einer Pause kam ein leises Flüstern: »Ich – ich – kann mich nicht erinnern.«

Keineswegs entmutigt fuhr der Offizier in seinem Fragen fort. »Sagte Ihnen der Hauptmann nicht, daß ihm ein wichtiges Papier, ein Beweisstück, wonach Fräulein Newton eine Spionin wäre, gestohlen sei?«

Es dauerte so lange, bis eine Antwort kam, daß Baker ängstlich auf die stille Gestalt herabsah. Goddards Gesicht war so weiß wie sein Kissen; er mußte wohl Bakers forschenden Blick fühlen, denn er bewegte sich, und wieder ließ sich dasselbe Flüstern vernehmen: »Ich kann mich nicht erinnern!«

»Nun hören Sie zu!« Baker sprach lauter.

Goddard hob seine zitternde Hand. »Warten Sie, Oberst – Sie vergessen, ich bin krank – vielleicht später –« Er rang nach Atem. »Warum fragen Sie nicht Lloyd?«

»Aus dem einfachen Grunde, weil Lloyd tot ist,« erwiderte Baker feierlich.

»Tot?« Goddard erhob sich halb und sank dann wieder, vor Anstrengung keuchend, zurück.

»Ja, tot,« fuhr Baker fort und sah ihn scharf an; »hinterlistig ermordet – gestern abend.«

Goddards blutlose Lippen formten ein fast unhörbares »Wo?«

»Hier in diesem Zimmer, während er schlief – und nun, Herr Major, bestehe ich darauf, zu wissen ,...«

Er sprach zu tauben Ohren; Goddard war in Ohnmacht gefallen.

Eine feste Hand legte sich auf seine Schulter. »Zum Kuckuck, was hat das zu bedeuten, daß Sie meiner Pflegerin bange machen und hier eindringen!« rief Dr. Ward hitzig – »und, mein Gott, was haben Sie mit Goddard angefangen?« Er hatte dessen geisterhaftes Gesicht erblickt. »Schwester, sehen Sie nach Ihrem Patienten – und nun, mein Herr, hinaus mit Ihnen;« dabei schob er ihn zur Tür. »Und Sie ebenfalls, Symonds.« Dieser stand unschlüssig da und wußte augenscheinlich nicht, ob er den Oberst in seinen Bemühungen, im Zimmer zu bleiben, unterstützen sollte oder nicht.

»Ich habe vollkommen das Recht, hierher zu kommen,« wetterte Baker und stemmte seine untersetzte Gestalt gegen den Türpfosten; »ich habe diesen Mord zu untersuchen und brauche die Aussage des Majors. Sie vergessen wohl, Herr Doktor, daß ich an der Spitze des Geheimdienstes dieser Stadt stehe.«

»Ich kümmere mich keinen Deut darum, wer Sie sind oder nicht sind,« herrschte ihn Ward leidenschaftlich erregt an; »im Krankenzimmer nehme ich von niemandem Befehle an – der Zustand des Majors ist kein derartiger, daß er befragt werden kann. Sorgfältig habe ich alle aufregenden Nachrichten von ihm ferngehalten, aber durch Ihre unglaubliche Dummheit wird er nun wahrscheinlich einen Rückfall bekommen, wenn er erst dazu imstande ist, wird er schon vor Gericht sein Zeugnis ablegen. Bis dahin aber – gehen Sie!« Hiermit schloß er die Tür hinter dem entrüsteten Baker.


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