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»Sind Sie auch sicher, keinen Fehler begangen zu haben, Lloyd?« flüsterte Oberst Baker seinem Gefährten zu.
»Völlig sicher, Herr Oberst, dazu sind meine Pläne zu sorgfältig überlegt.«
Die beiden Männer kauerten sich hinter einer baufälligen Mauerecke zusammen; von dort aus hatten sie ein altes Wohnhaus, welches etwas entfernt von der B-Straße stand, gerade vor Augen. Die auf der Südseite befindlichen Galerien gingen auf eine sich wellenförmig bis zum Potomacflusse hinunterziehende Wiese herab.
»Haben Sie denn Beweise gegen das Mädchen?«
»Leider noch keine handgreiflichen, obgleich ich fest davon überzeugt bin, daß sie die klügste Spionin von allen ist.«
»Warum verhaften Sie sie nicht auf den bloßen Verdacht hin?«
»Ohne wirklichen Beweis ihrer Schuld würde das nichts nützen, da ihre Freunde und ihre Familie zu den einflußreichsten Bürgern im ganzen Bezirk gehören und wir sie auf bloßen Verdacht hin nicht einmal zwei Tage lang festhalten könnten.«
Dieses Vorgehen gefiel dem Obersten Baker keineswegs, aber da er erst kürzlich von keinem geringeren als dem Präsidenten selbst wegen seiner willkürlichen Maßnahmen verwarnt worden war, schwieg er.
»Ich möchte, daß sie selbst sich uns ausliefert, und fürs erste ist mein Anschlag auch geglückt,« fuhr Lloyd fort. »Ich wußte, daß Herr und Frau Senator Warren mit dem Obersten Mitchell bei Gautier zusammen speisen wollten und daß auch Fräulein Newton daran teilnehmen würde. Nun muß sie die Gefühle des Obersten auf irgendeine Weise verletzt, vielleicht seine Eitelkeit verwundet haben, denn er ging bereitwillig auf meinen kleinen Plan ein, dem ich, wohlgemerkt, rein patriotische Beweggründe gab. Er schrieb also einen falschen Bericht, der angeblich von dem General-Adjutanten herstammte und den er dann verlieren sollte, wobei er Fräulein Newton Gelegenheit gab, den Zettel aufzuheben und an sich zu bringen. Ich sah, allerdings nur von weitem, daß das Ganze von Mitchell sehr geschickt ausgeführt wurde, und überzeugte mich nach ihrem Fortgange, daß das Papier verschwunden war.«
»Warum haben Sie sie nicht sofort festgenommen?«
»Weil ich ihr Verfahren, sich mit den Rebellen in Verbindung zu setzen, ausfindig machen möchte; sie könnte ja einen Verbündeten haben, der ihre Pläne trotz ihrer Festnahme ausführt, und wir wären dann so klug wie zuvor. Ich dachte mir, sie würde sofort, nachdem sie das Papier gelesen, versuchen, ihre Freunde zu benachrichtigen, und habe mich darin auch nicht getäuscht.«
»Weiter, weiter,« flüsterte Baker ungeduldig.
»Symonds und ich folgten ihr bis zu ihrem Hause, dort wechselte sie ihr Kleid und kam dann auf einem Umwege hierher. Das Haus, in dem sie sich seit ungefähr zehn Minuten befindet, ist von meinen Leuten umstellt, und jetzt gebe ich ihr nur noch kurze Zeit, bevor wir ihr Spielchen stören.«
Irgendwo in der Nachbarschaft schlug ein Hund an, aber nichts rührte sich in dem Hause, nur ein loser Fensterladen klappte manchmal melancholisch in dem schneidenden Ostwinde auf und zu. Kein Stern erhellte die Nacht, und die beiden Männer starrten angestrengt in das Dunkel. Plötzlich aber erschien ein Licht an dem Fenster über dem Südportale, erst links, dann rechts, und wurde schließlich in die Höhe gehoben, wobei es einen hellen Schein auf die einsamen Galerien warf.
»Bei Gott, das sind Signale,« wetterte Baker, »rasch hinein, Mann!«
Doch Lloyd zog ihn zurück.
»Warten wir noch,« warnte er, und widerstrebend folgte ihm Baker. Endlich nach zehn Minuten unruhigen Lauschens wurde ihre Wachsamkeit belohnt, und Lloyd flüsterte: »Wenn mich nicht alles täuscht, kommt dort jemand als Antwort auf das Signal.«
Baker blickte die verlassene Straße hinab und sah undeutlich, wie ein Mann sich langsam näherte. Dieser befand sich fast dem Eingangstor gegenüber, als aus einer Seitentür, die behutsam geöffnet wurde, eine Gestalt herausstürzte und mit dem Herankommenden zusammenprallte.
Die Geheimagenten waren zu weit entfernt, um etwas hören zu können, sahen aber, wie die beiden sich die Hände schüttelten. Lloyds Leute hatten ebenfalls das Zusammentreffen beobachtet und näherten sich dem Paare, das jetzt gerade auf die beiden Offiziere zuging.
»Sie sind in unserer Hand,« frohlockte Baker und sprang vorwärts, wobei er den Ankömmling mit keinem zu sanften Griffe packte: »Jetzt haben wir Dich, mein Sohn!«
Der Mann reckte sich in die Höhe und blieb stehen.
»Ja, ja, es scheint so,« sagte eine ruhige Stimme hierauf, »und was gedenken Sie mit mir anzufangen?«
»Ein Licht,« brüllte Baker.
Einer der herbeigeeilten Soldaten zündete ein Streichholz an und schützte es mit der Hand vor dem Winde. Die kleine Flamme beleuchtete hell das Gesicht von Bakers Gefangenen und –
»Mein Gott! Der Herr Präsident!« keuchte der Oberst, und seine Hand fiel kraftlos nieder. Dann sah er fassungslos um sich, erst auf den Präsidenten, der sich fester in seinen alten, grauen Schal hüllte, auf Lloyd, der Nelly am Arm gefaßt hielt, und auf die Soldaten, die sich um sie versammelten. Es wäre unmöglich gewesen, seine Gefühle zu schildern!
»Wie lange wollen Sie mich noch hier festhalten?« erkundigte sich Lincoln geduldig, »und warum sprangen Sie wie ein Comanchen-Indianer auf mich los?«
»Sie halten wir nicht einen Augenblick, Herr Präsident,« stotterte Baker; »wir hatten es nur auf diese junge Dame abgesehen.«
»Und warum, Baker?« fragte Lincoln.
»Sie ist eine Spionin der Rebellen und hat soeben von diesem Hause aus Signale gegeben.«
»Ich leugne dies,« rief Nelly und versuchte sich freizumachen, doch Lloyds starke Hand hielt sie fest.
»Bitte um einen Augenblick Gehör, Herr Präsident,« fügte er jetzt mit tiefem Ernst hinzu, so daß Lincoln sich ihm zuwandte. Einer von den Soldaten hatte ein halbabgebranntes Licht in seiner Manteltasche gefunden, und der Präsident sah bei dessen schwachem Scheine Lloyds Hand auf Nellys Schulter.
»Lassen Sie die Dame los,« gebot er strenge, »und dann erzählen Sie Ihre Geschichte.«
Zögernd tat Lloyd wie ihm befohlen und berichtete über den Vorfall bei Gautier, den Verdacht gegen Nelly, in Verbindung mit den Rebellen zu stehen, ihr Hierherkommen und die beobachteten Signale, wie auch, daß Baker und er geglaubt hätten, sein Kommen stände im Zusammenhang mit den letzteren.
»Sie hielten mich also für einen Rebellenspion?«
»Ich bedaure allerdings meine Uebereilung sehr, Herr Präsident,« verteidigte sich Baker, »aber ich versuchte nur, meine Pflicht zu tun.«
»Meine Schulter und mein Arm haben allerdings Ihren Eifer fühlen müssen,« lächelte Lincoln. »Aber nun, Fräulein Nelly, was haben Sie auf alle diese Beschuldigungen zu erwidern?«
»Herr Präsident, als ich heute von Gautier zurückkam, fand ich eine Botschaft von meiner alten Kinderfrau Tante Polly vor, die mich bat, sie zu besuchen, da sie sehr krank sei; sie wohnt dort in jenem Hause mit ihrem Sohne Jasper, der dieses während der Abwesenheit von Herrn Perry in Ordnung hält, so ,...«
»Verkleideten Sie sich und kamen durch Seitenstraßen hierher,« unterbrach sie Lloyd in beleidigendem Tone.
Nelly warf den Kopf zurück. »Meine Erklärungen sind an den Herrn Präsidenten gerichtet, nicht an Sie!« Kühl fuhr sie dann fort: »Ich fand Herrn Dr. Boyd dort, und er ordnete an, daß Tante Polly in ein wärmeres, nach Süden gelegenes Zimmer gebracht werden sollte. Dr. Boyd und Jasper trugen sie dorthin und ich ging mit der Lampe voraus ,...«
»Mit der Sie dann Signale gaben,« erklärte Lloyd rauh.
»Keineswegs,« versetzte das Mädchen heftig; »ich versuchte, einen geeigneten Platz für die Lampe zu finden – das war alles. Der Doktor sagte mir dann, daß er mich nicht mehr brauche, und ich wollte nun möglichst rasch nach Hause eilen, um meine Tante nicht zu beunruhigen – dabei stieß ich mit Ihnen, Herr Präsident, zusammen.«
»Tante Polly kenne ich auch,« bemerkte Lincoln; »wir unterhalten uns manchmal, wenn ich hier durchkomme und sie im Garten arbeitet oder den Fahrweg fegt.«
»Und ich kann die Wahrheit von Nellys Geschichte bezeugen,« ließ sich jetzt Dr. Boyds Stimme vernehmen, der zu ihnen getreten war. »Ich hatte eine kleine Operation bei Tante Polly vorzunehmen, und diese bestand darauf, daß Nelly zugegen wäre; wenn meine Pflichten im Hospital mich nicht abgehalten hätten, so würde ich sie selbst hergebracht haben.«
Lincoln nickte. »Schon gut, lieber Doktor,« setzte er begütigend hinzu; »ich glaube Fräulein Nelly und nehme an, unser Freund hier, Oberst Baker, tut es auch.«
Dieser sah das Mädchen zweifelnd an. »Jawohl,« versetzte er unfreundlich, »Fräulein Newton hat alles aufgeklärt.« Er drehte sich nach Lloyd um, doch dieser war verschwunden.
»Dann wollen wir gehen, es ist kalt hier. Ihre Tante besuchte mich heute morgen, Fräulein Nelly.«
Diese sah den Präsidenten dankbar an und versuchte sich seinen langen Schritten anzupassen: »Es war sehr freundlich von Ihnen, uns die Pässe nach Winchester auszustellen; ich hoffe nur, der Wechsel wird meiner Tante gut tun.«
An der Ecke der New York-Avenue und der siebzehnten Straße stieß Lloyd wieder zu ihnen; er flüsterte Baker zu: »Das Mädchen hat augenscheinlich seine Spuren diesmal gut verdeckt; Symonds und ich haben das Haus durchsucht und nichts Verdächtiges gefunden.«
»Geben Sie es doch auf,« brummte Baker, dessen Laune nach seiner vorherigen Heldentat sehr bedrückt war.
»Niemals,« erwiderte Lloyd zähneknirschend, »und wenn es Monate dauern sollte.«
Am Kriegsministerium verabschiedete sich Lincoln von seinen Begleitern, nachdem er Nelly noch eine glückliche Reise gewünscht hatte. Er beobachtete, wie sie sich mit dem Arzte entfernte und wandte sich dann zu Baker.
»Nehmen Sie es sich nicht zu Herzen, mein Lieber; eigentlich hat es mir Spaß gemacht, wie Sie mich anfielen – es war jedenfalls etwas Neues.«
»Aber, Herr Präsident, Sie sollten wirklich nicht nachts ohne Bedeckung ausgehen, Sie sind ohne geeigneten Schutz nicht sicher,« stellte Baker ihm vor – »dann hätte so etwas auch nicht vorfallen können.«
»Baker,« meinte Lincoln gutgelaunt, »Sie erinnern mich an jenes kleine Mädchen, dem man eben von der Allgegenwart Gottes erzählt hatte und die darüber so aufgeregt wurde, daß sie ärgerlich ihren Lieblingshund anfuhr: ›Geh ins Haus, Peggy, es ist schon schlimm genug, daß der liebe Gott immer um einen herum ist.‹ Gute Nacht, Baker,« und er verschwand im Kriegsministerium.