Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

11. Kapitel.

»Nun, Tad, ist es schon wieder der Magen? Du hast wohl gar kein anderes Organ in Deinem Körper?«

Tad Lincoln zog die Bettdecke bis über die Schultern und lächelte schuldbewußt zu Dr. Boyd hinauf. »Es waren die Eisbaisers,« murmelte er, sich verteidigend.

»Und vor vierzehn Tagen der Kandiszucker. Du bist unverbesserlich.«

Präsident Lincoln trat ein. »Nun, was ist mit Tad los, Herr Doktor?« fragte er, den heißen Kopf seines Kindes streichelnd, während er dem Arzte zuwinkte, er solle sitzen bleiben.

»Nur eine Magenverstimmung, morgen ist er wieder besser.« Der Arzt gab einige Verhaltungsmaßregeln und sagte dann zum Präsidenten gewandt:

»Ich möchte Sie bitten, mir einen Paß durch unsere Linien nach Richmond auszustellen; ich habe erfahren, daß mein Bruder gefährlich verwundet dort im Spital liegt, und ehe wir für immer scheiden, möchte ich ihn noch einmal sehen –« Die Stimme versagte ihm.

»Aber gewiß, liebster Doktor!« Lincoln trat an einen Tisch und schrieb einige Zeilen, die er dem Arzte einhändigte; dann bat er ihn noch, er möchte die Präsidentin aufsuchen, die eben den Donnerstag-Empfang abhielte, und nachdem Tad nochmals ermahnt worden war, nicht zu viel zu essen, begaben sich die beiden Männer in das »Ostzimmer«.

Dieses war, wie immer an diesen Abenden, gedrängt voll, und der Doktor, der sich hinter den Präsidenten stellte, nachdem er die besorgte Mutter ihres Kindes wegen beruhigt hatte, beobachtete mit Interesse das bunte Bild, einmal für kurze Zeit seine vielen anderweitigen Pflichten vergessend. Da waren alle Kreise vertreten. Generäle standen neben schlichten Bürgersleuten, Staatsmänner neben Tagesarbeitern, – elegante Frauen berührten sich mit solchen in verblichenen und geflickten Kleidern – und alle begrüßte der Präsident mit dem gleichen Händedruck und einem freundlichen Wort, während sie an ihm vorüberzogen.

Der Arzt lächelte spöttisch, als er den Kreis von Verehrern sah, den die hübsche Frau Bennett um sich geschart hatte – war es möglich, daß diese so kindlichen, blauen Augen, dieses süßliche Lächeln und diese gezierten Manieren nur die Maske abgaben für ihre Ränke? War sie eine Spionin der Regierung? Es schien fast unglaublich – doch wenn sie es war – konnte sie dann Nelly schaden? Jetzt kam sie gerade auf ihn zu, von der Menge vorwärts geschoben.

»Warum besuchen Sie mich niemals, Herr Doktor?« fragte sie schmollend.

»Wenn Sie mich als Arzt brauchen, Frau Bennett, komme ich sofort,« gab Boyd zurück.

»Heute abend habe ich ihn mir eingefangen,« fiel hier Lincoln ein. »Er beehrt unsere Empfänge auch nur sehr selten.«

»Mein Beruf läßt mir leider keine Zeit,« entschuldigte sich Boyd hastig.

»Ich weiß das, Herr Doktor.«

Der Präsident drückte freundlich seinen Arm. Dann begrüßte er Frau Arnold, die mit Oberst Bennett zu ihnen trat.

»Was, Herr Doktor, Sie hier?« rief diese aus. »Nun darf ich auch wohl hoffen, daß Sie am Montag zur Einweihung unseres neuen Hauses kommen?«

Boyd bedankte sich und versprach ihr das, falls er noch in der Stadt wäre; doch könne er jeden Augenblick abberufen werden und wisse nicht, wann er zurückkehre, hierauf erkundigte sich die Dame nach Major Goddard:

»Ich höre, er ist jetzt in Ihrer Behandlung?«

»Seine Gesundheit ist sehr erschüttert,« versetzte Boyd.

»Und ist keine Hoffnung vorhanden, daß er seine Sehkraft wiedererlangt?« mischte sich hier Frau Bennett ins Gespräch.

»Das kann nur die Zeit lehren.«

»Wie schrecklich – ich mag den Major sehr gern, und er tut mir so leid; darf er Besuch empfangen? Ich würde gern hingehen und ihm vorlesen.«

Der Doktor sah sie prüfend an. Woher dieses plötzliche Interesse für den Blinden? Er mußte dies herauszufinden suchen.

»Und ich möchte ihm gern etwas zur Stärkung schicken,« erbot sich Frau Arnold, »Wie ist doch seine Adresse, Herr Doktor?«

»Er bewohnt jetzt die Zimmer von Hauptmann Lloyd in der Pension der Frau Lane in der F-Straße.« Boyd zögerte merklich. War es klug, Frau Bennett diesen Besuch zu erlauben? War sie vielleicht imstande, etwas über Nellys Abenteuer in Winchester dem Major zu entlocken?

»Vielleicht wäre unser Besuch dem Hauptmann Lloyd nicht angenehm,« mutmaßte Frau Arnold, die Pause unterbrechend.

»O, Lloyd ist gar nicht hier, aber Goddard erwartet ihn in der nächsten Woche zurück.«

»So kam der Major ganz allein von Winchester zurück?« fragte Frau Bennett erstaunt.

»Nein; Fräulein Newton und ihre Nichte nahmen sich seiner unter Beihilfe eines Mannes namens Symonds an. Ich empfing ihn dann am Bahnhof und besorgte ihm einen Wärter, ohne den er jetzt ja nicht fertig wird.«

»Wie man mir sagte, hat Nelly Newton sich abscheulich gegen meinen Neffen John benommen,« bemerkte Frau Arnold ärgerlich. »Sie ist eine herzlose Kokette.«

»Ziehen Sie nicht über meine Freundin Nelly her,« warf Lincoln ein, der inzwischen andere Gäste begrüßt hatte, jetzt gerade zu ihnen zurückkehrte und die letzte Bemerkung gehört hatte. »Sie und Tad sind die besten Kameraden; er verehrt sie geradezu.«

»Ich meinte nur,« stammelte Frau Arnold, »daß Nelly erst meinen Neffen ermutigte und ihm dann ohne Scheu den Abschied gab – wegen dieses Major Goddard.«


 << zurück weiter >>