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10. Kapitel.

Für den Wachtposten war die Zeit der Ablösung gekommen; er rieb seine müden Augen und sah auf die bewegungslosen Schläfer rings um ihn her. Selbst Lloyd war in einen schweren Schlaf gesunken, wie er sich in den Morgenstunden einzustellen pflegt. Der Krieger blickte einen Augenblick lang nach den schattenhaften Gestalten der anderen Wachen und setzte dann seinen Weg fort. Plötzlich fuhr er herum – er hatte einen schwachen Laut in den Wäldern zu seiner Linken gehört – bewegte sich da nicht etwas zwischen den Bäumen?

Sofort erscholl sein Anruf: »Wer da? Halt, oder ich schieße!« Ein Blitz – ein Knall! Tucker erwachte und sprang auf, als gleichzeitig auch schon das ganze Lager alarmiert war.

»Auf, Leute!« schrie er. »Haltet die Gefangenen fest, und dann zu Pferde!«

Goddard stand einen Augenblick wie betäubt, dann stürzte er nach Nellys Zelt. Ein großer Soldat wollte ihm wehren und ergriff ihn an der Schulter, doch ein wohlgezielter Schlag ließ ihn zurücktaumeln. Der Major eilte weiter; Nelly mußte geschützt werden.

»Halt, Goddard!« donnerte Tucker. »Sie gaben Ihr Wort.«

»Wenn es sich darum handelt, jemandem beizustehen, so gilt kein Wort!« keuchte Goddard. »Hierher, Lloyd!«

Aufgeschreckt durch den Tumult und das Feuern, waren die Frauen aus dem Zelt getreten und standen nun da, unschlüssig, wohin sie sich wenden sollten. Zu seinem Entsetzen sah der Major, wie Nelly rauh von einem Soldaten gepackt und nach den wild um sich schlagenden, erschreckten Pferden hingezerrt wurde. Laut schrie Fräulein Metoaca auf.

Mit einem Satz warf sich Goddard auf den Mann, der das junge Mädchen heftig beiseite stieß, um den Bundesoffizier besser angreifen zu können. Hin- und herschwankend, rangen die beiden Männer in enger Umarmung. Der Guerillasoldat packte eine alte Pistole mit der rechten Hand und machte verzweifelte Versuche, sie zu gebrauchen; doch Goddard drückte die Mündung nach oben und bezwang allmählich den Mann, der den Arm gegen seine Brust gestemmt hatte. Plötzlich stolperte der Soldat nach rückwärts und fiel, wobei er seinen Feind mit sich riß. Die Pistole entlud sich mit betäubendem Knall vor seinem Kopfe. Die glutrote Flamme versengte Goddards Gesicht, und er wurde bewußtlos.

Tucker, dessen einer Arm hilflos herabhing, machte die größten Anstrengungen, seine Leute zu sammeln. Diese hatten irgendwie Deckung gesucht und erwiderten wütend das feindliche Feuer. Doch ehe noch seine Befehle recht befolgt werden konnten, brachen die Bundestruppen schon durch das Gebüsch; zwar erhielten diese noch eine Salve in ihre vordringenden Reihen, dann stürzten aber die Guerillakrieger zu ihren Pferden. Ein Augenblick höchster Verwirrung, und sie ritten in wilder Flucht davon, verfolgt von den frohlockenden Feinden, während Tucker, die Nutzlosigkeit seines Widerstandes einsehend, seinem Pferde nun auch die Sporen gab und seinen Leuten nachsetzte.

»Bob, Bob, wo sind Sie?« schrie eine mächtige Stimme, und ein hochgewachsener Mann rannte auf das Lagerfeuer zu.

»Hier!« rief Nelly. Sie kniete neben Goddards Körper. Hauptmann Gurley eilte auf sie zu.

»Nelly,« keuchte er, »gerettet! Gott sei Dank; aber wo ist Bob?«

»Hier!« und Nelly bog sich zu dem stillen Mann nieder. »Ich – ich fürchte – er ist tot.« Der hoffnungslose Jammer in ihrer Stimme entging Gurley, der sich bereits neben Goddard niedergelassen hatte.

»Hier, dieses Licht kann Ihnen vielleicht nützen!« rief Fräulein Metoaca und erschien mit einer Kerze, die sie aus ihrer Reisetasche hervorgesucht hatte. »Bei dieser ungenügenden Beleuchtung kann man ja nicht erkennen, wie es mit dem Major steht. – Ah, John, wo kommen Sie denn her?«

»Von Winchester,« antwortete Gurley, während er Goddard sorgsam untersuchte. »Ihre Gefangennahme wurde von Belden, einem der Spione von Oberst Young, beobachtet; er folgte Ihnen eine Weile, um zu sehen, welche Richtung Sie einschlugen, dann erstattete er uns im Winterquartier Bericht. Ich wurde zur Verfolgung kommandiert, und da Belden, den ich mitnahm, diese Gegend genau kennt, so war es uns möglich, den Feind zu überrumpeln.«

»Großartig haben Sie das gemacht,« erklärte Lloyd, der sich jetzt auch genähert hatte. »Wir sind Ihnen zu großem Danke verpflichtet,« und als er das überraschte und argwöhnische Stutzen Gurleys sah, beeilte er sich hinzuzufügen: »Hauptmann Lloyd von der Geheimen Staatspolizei. Ist Bob schlimm verletzt?«

»Das kann ich noch nicht sagen,« brummte Gurley.

Nelly wusch sanft das rauchgeschwärzte und blutende Gesicht mit etwas Wasser, das Symonds ihr gebracht hatte. Vorsichtig berührte ihn Gurley und sagte dann: »Ich glaube, er ist nur betäubt; denn die Kugel ist nicht eingedrungen, und dies sind nur Fleischwunden; das Pulver hat auch seine Augenbrauen versengt. Fräulein Metoaca, haben Sie vielleicht etwas Verbandzeug?«

Diese eilte in ihr Zelt und brachte das Nötige herbei; und so gut er konnte, verband Gurley die Wunden.

»Würde ihm dies nicht gut tun?« erkundigte sich die alte Dame und entkorkte eine kleine Flasche; Lloyd flößte dem Verwundeten etwas von dem Kognak ein, und das Belebungsmittel wirkte sofort. Zitternd bewegten sich seine Augenlider.

»Er wird sich schon erholen,« rief Gurley erleichtert aus. »Wann können Sie zum Aufbruch bereit sein, Fräulein Metoaca?«

»Sofort,« war die rasche Antwort; »denn wir blieben die Nacht über angekleidet und haben auch nichts ausgepackt.«

»Dann rasch fort, damit wir uns so bald wie möglich wieder innerhalb unserer Linien befinden; wenn Mosby erst von diesem Scharmützel hört, kann er leicht eine größere Truppe auf uns loslassen. Major Goddard können wir ja in den Wagen betten; und was beginnen Sie, Herr Hauptmann Lloyd?«

»Mit Ihrer Erlaubnis werde ich Bobs Pferd besteigen, falls es noch da ist; Symonds, mein Gehilfe, kann ja die Damen wieder fahren.«

»Gut!« Gurley nickte höflich. »Bitte, helfen Sie den Damen. Ich muß nachsehen, ob meine Leute Verluste hatten.«

Die Retter kehrten jetzt von der Verfolgung zurück und sammelten sich um ihren Leutnant, der die Gefangenen zählte.

»Neun Gefangene, Herr Hauptmann!« meldete er. »Der Feind hatte fünf und wir drei Tote.«

»Wurde von unseren Leuten jemand verwundet?«

»Niemand ernstlich.«

»Dann begraben Sie die Toten so rasch wie möglich. Wachtmeister, lassen Sie Herrn Major Goddard von einigen Ihrer Leute nach jenem Wagen tragen.«

Symonds hatte eines der langen Wagenkissen herausgenommen, und Goddard wurde mit größter Sorgfalt darauf gebettet. So hoben sie ihn in den Wagen.

»Nelly, setzen Sie sich hierher und stützen Sie Bob, sonst, fürchte ich, fällt er heraus,« ordnete Gurley an.

Und nach besten Kräften versuchte das junge Mädchen, es dem Verwundeten so bequem wie möglich zu machen; ihre Tante nahm den Sitz neben Symonds ein.

Gurley ließ jetzt zum Aufsitzen blasen, und Mann hinter Mann ritten sie auf den Weg hinaus, wo sich die Kolonne rasch ordnete. Noch einige kurze Befehle, und die Truppe setzte sich in Bewegung, den Wagen, dem die berittenen Gefangenen folgten, in ihrer Mitte.

* * *

Hauptmann Gurley stieß ungeduldig das gebrechliche Tor auf und betrat mit klirrenden Sporen und rasselndem Säbel den Weg, der zum Hause der Familie Page führte. Das weitläufige, alte Gebäude mit seinen schiefen Fensterläden und dem abbröckelnden Putz legte beredtes Zeugnis von dem Vermögensverfall seines Eigentümers ab.

Der alte schwarze Diener meldete, daß Fräulein Page den Herrn Hauptmann bäte, im Salon zu warten, Fräulein Nelly würde sogleich herunterkommen. Als diese endlich erschien, war sie bereits zum Ausgehen gekleidet.

»Glauben Sie, daß es mir gestattet wird, ein Telegramm abzusenden, John?« fragte sie nach einigen begrüßenden Worten.

»Ich weiß es nicht, Nelly, denn Oberst Smith ist sehr genau. Aber ich will ihn dieserhalb fragen. Ist es denn sehr wichtig?«

»Meine Tante hat soeben erfahren, daß das Haus ihrer Cousine, Frau Green, bis auf den Grund niedergebrannt ist, sie somit heimatlos wurde; und Tantchen möchte ihr nun gern telegraphieren, sie solle zu uns kommen, wir kehrten nach Washington zurück.«

Gurley war betroffen. »Tun Sie mir das doch nicht an, Nelly! Frau Green tut mir ja sehr leid, aber können Ihre Diener nicht ebenso gut für sie sorgen?«

»Frau Green ist kränklich, und wir fürchten, daß der Schreck über das Unglück ihr ernstlich geschadet hat; Tante möchte sie auch sonst noch unterstützen, falls sie weitere Verluste erlitten haben sollte.«

»So will ich Sie begleiten, Nelly, und zusehen, daß Ihre Depesche sofort abgesandt wird. Aber ich nenne das wirklich Pech,« murrte Gurley. »Ich habe Sie ja kaum zu sehen bekommen, denn immer sind Sie mit Bob zusammen –«

»Und lese ihm vor,« ergänzte Nelly. Sie hatten das Haus verlassen und bogen nun in die Hauptstraße der Stadt ein. »Das ist doch das wenigste, was ich für ihn tun kann, wenn ich bedenke, daß er meinetwegen verwundet wurde.«

»Ich wollte nur, ich wäre durch das Losgehen jener Pistole erblindet!« rief Gurley bitter aus. »Dann dürfte ich mich wenigstens auch vielleicht einmal Ihrer Gesellschaft erfreuen!«

»Schämen Sie sich, John!« Nelly sah ihn entrüstet an. »Glauben Sie, daß ihn die Gesellschaft irgend eines Menschen für seine vernichtete Laufbahn entschädigen kann? Möchten Sie für Ihr ganzes Leben zur Abhängigkeit von andern verurteilt sein und den Rest Ihrer Tage in Finsternis zubringen?«

»Es muß schrecklich sein,« gab Gurley reuevoll zu; »ich sprach eben recht gedankenlos, Nelly. Hat der Arzt Hoffnung, daß Bob jemals sein Augenlicht wiedererlangt?«

»Er hat ihm geraten, sich von Dr. Boyd untersuchen zu lassen, und wahrscheinlich wird er sich bald nach Washington in dessen Behandlung begeben.«

»Ich hoffe aufrichtig auf seine völlige Genesung,« versetzte Gurley ernst. »Nelly, können Sie nicht wenigstens noch bis zur Fuchsjagd dableiben? Alles ist schon vorbereitet, und es verspricht, sehr interessant zu werden. Bleiben Sie doch noch bis zum März hier!«

»Ich täte es sehr gern, John, doch fürchte ich, es ist leider ausgeschlossen.«

Sie waren vor dem Hause angelangt, in dem das Feld-Telegraphenamt untergebracht war, und der Posten gestattete ihnen den Eintritt, nachdem er den Hauptmann erkannt hatte. Dann führte Gurley Nelly in das Dienstzimmer.

Das Mädchen überblickte rasch die kahlen Wände, die abgenutzten Möbel und die Telegraphenapparate. Ein halbes Dutzend Männer befand sich in dem Zimmer, die ihre Röcke anzogen und die Hüte abnahmen, als sie eine Dame vor sich sahen. Das setzte Nelly etwas in Verlegenheit. Doch Gurley half ihr und trug ihr Anliegen einem großen, grauhaarigen Offizier vor, der am Ofen lehnte und ihr bei Nennung von Fräulein Metoacas Namen warm die Hand schüttelte. Er bemerkte, er kenne die Dame ja bereits, und hörte hierauf aufmerksam Nellys nähere Erklärungen an.

»So bald die Drähte frei sind, soll Ihre Depesche abgesandt werden, gnädiges Fräulein,« sagte er. »Bitte, nehmen Sie Platz, hier ist Tinte und Papier, um mit Muße Ihr Telegramm aufzusetzen.«

»Ich danke Ihnen, Herr Oberst.« Nelly neigte ernst ihren Kopf gegen die Herren, die ihr Platz machten, und setzte sich. Erst schrieb sie die augenblickliche Adresse von Frau Green in Washington auf und dachte dann einen Augenblick nach, während sie mit dem Federhalter spielte. Unaufhörlich tickten die Apparate. Beinahe unbewußt horchte sie auf den ihr zunächst befindlichen. Der Absender schien zunächst etwas zögernd die Depesche herüberzutelegraphieren, dann aber arbeitete der Apparat ohne zu stocken, und unter Herzklopfen wurde sich das Mädchen dessen bewußt, daß sie eine Botschaft von höchster Bedeutung mit derselben Leichtigkeit ablas wie der Beamte, der das Telegramm in Empfang nahm. Ihre früheren Unterrichtsstunden im Kriegsministerium zu Richmond waren also nicht umsonst gewesen.

Nur mit Mühe beherrschte sie sich äußerlich und blieb mit unbeweglichem Gesichte sitzen. Dann hörte der Apparat zu ticken auf, und die Depesche wurde einer wartenden Ordonnanz übergeben. Nelly schrieb nun rasch einige Worte auf ein Stück Papier und unterzeichnete im Namen ihrer Tante; alsdann erhob sie sich.

Inzwischen hatten der Oberst und Gurley sich in eine Unterhaltung vertieft; jetzt traten sie wieder zu ihr.

»Ich hoffe, daß das Telegramm nicht zu lang ist,« bemerkte sie und überreichte dem Oberst das Papier. »Ich gab mir Mühe, so viel wie möglich zu kürzen.«

Nochmals gab ihr der höfliche Offizier die Versicherung, daß alles aufs beste besorgt werden würde, trug ihr Grüße für ihre Tante auf und begleitete sie bis an die Tür.

Auf der Straße fragte Gurley: »Wollen Sie mich zu Oberst Edwards begleiten, Nelly? Ich habe etwas mit ihm zu besprechen.«

»Gewiß, gern.«

»Dann bitte, hier. Haben Sie Hauptmann Lloyd noch manchmal gesehen?«

»Nein –« Nelly war im Innern sehr froh darüber. »Warum?«

»Er hat eine entfernte Aehnlichkeit mit jemandem, den ich früher gekannt habe, auf dessen Namen ich mich aber durchaus nicht besinnen kann. Es kommt mir auch so vor, als ob er mir auswiche.«

In diesem Augenblick kam ihnen ein ärmlich gekleideter Mensch in schlotteriger Haltung entgegen; als er beiseite trat, um sie vorüber zu lassen, richtete er sich etwas auf und sah dem Mädchen gerade ins Gesicht. Sie erbleichte.

»Was meinen Sie, Nelly?« fragte Gurley, der die belebte Straße hinabgeblickt hatte.

Sie mußte ihre trockenen Lippen mit der Zunge befeuchten, ehe sie antworten konnte.

»Vielleicht kann Ihnen Herr Major Goddard Auskunft geben, er und Lloyd scheinen ja gute Freunde zu sein.«

»Richtig, das ist ein guter Gedanke.«

Sie waren inzwischen an dem alten Hause angekommen, wo Oberst Edwards Quartier genommen hatte. Gurley führte Nelly durch die Halle in ein Seitenzimmer und bemerkte, daß sie dort ungestört auf ihn warten könne, er würde bald zurückkehren. Dann entfernte er sich, sorgfältig die Tür hinter sich schließend.

Nelly ging ans Fenster und sah auf die Straße hinaus. Vor dem Hause stand jener Fremde in den schäbigen Kleidern und sprach mit dem wachthabenden Unteroffizier, dem er ein beschmutztes Papier vorzeigte. Darauf wurde ihm bedeutet, daß er eintreten könne.

Nelly, die ihrer Sache sicher war, daß er sie gesehen hatte, trat ins Zimmer zurück und schrieb, Papier und Bleistift hervorziehend, in fliegender Eile. Kaum war sie fertig, als auch schon die Tür nach der Halle vorsichtig geöffnet wurde. Das Geschriebene in der Hand zusammendrückend, trat sie dem Eindringling entgegen, der leise die Tür hinter sich schloß.

»Georg, bist Du wahnsinnig? Wenn man Dich erkennt!« stieß sie flüsternd hervor.

»Das ist nicht wahrscheinlich; ängstige Dich nicht, Nelly.« Mit diesen Worten eilte der Mann auf sie zu und ergriff ihre ausgestreckten Hände. »Wir nahmen einen der Youngschen Spione gefangen, und ich benutzte seinen Paß und seine Kleider. Tucker sagte mir, daß Du hier wärest, und ich arbeitete meinen Plan sorgfältig aus, damit Du nicht hineingezogen würdest, falls man mich erkennt. Hast Du Nachrichten für uns?«

»Soeben kam diese Depesche von Sheridan an; sie ist von wesentlicher Bedeutung.« Hiermit entfaltete sie das von ihr Geschriebene. »Sie ist in Geheimschrift, denn ich hatte noch keine Zeit, sie zu übersetzen – so habe ich die Worte nur rasch hingeworfen und den Schlüssel darunter geschrieben.«

»Sehr gut!« Er nahm das Papier und verbarg es auf seiner Brust. »General Lee hat vorgeschlagen, die Schwarzen zu bewaffnen.«

»Was?«

»Es ist unbedingt nötig. Columbia hat sich Sherman ergeben; wir haben Charleston geräumt, und die Stadt ist von den Yankees unter General Gilmore besetzt worden, die die ganzen dort aufgestapelten Kriegsvorräte und die Munition zerstört haben. Wir sind in großer Verlegenheit, denn wir finden nirgends Geld, um diese Verluste zu ersetzen,« fuhr er bitter fort. »Die Frauen und Kinder leiden unter den täglichen Entbehrungen.«

»Bitte, Georg, nimm mich mit Dir nach Richmond,« unterbrach ihn Nelly leidenschaftlich. »Mit Freuden will ich alle Unbequemlichkeiten ertragen, denn ich bin es müde, meinen Freunden, die mir vertrauen, Geheimnisse zu entlocken, und diejenigen auszuhorchen, die mich beschützen.«

Georg Pegram sah sie entsetzt an. »Nelly, Nelly, was sagst Du da?« Und sie schärfer anblickend, fuhr er fort: »Kind, Du bist nervös überreizt – nach einer guten Nachtruhe wirst Du anders darüber denken.«

»Du sprichst von Ruhe, und ich lebe im Schatten des Strickes. Nachts träume ich davon, daß sich die Schlinge um meinen Hals legt, und fühle im Erwachen noch den Strick.«

»Armes Kind,« erwiderte er und streichelte beruhigend ihr Haar. »Du hast uns unschätzbare Dienste geleistet, und Lee sagte mir, daß er die größte Bewunderung für Dich hege.«

Nelly lächelte verloren. »Ich danke Dir, Georg, doch ich fürchte, daß ich Euch nichts mehr nützen kann, denn ich werde bereits ernstlich beargwöhnt. Da ist der Hauptmann Lloyd von der Geheimen Staatspolizei, der mir auf Schritt und Tritt folgt, um mich bei einem verhängnisvollen Fehler meinerseits zu ertappen; allerdings bis jetzt noch ohne Erfolg. Aber Du weißt, der Krug geht so lange zum Wasser ,...«

»Ich will Dir helfen, es mit jedem Manne aufzunehmen. Aber, Nelly, ich glaubte nicht, Dich so mutlos zu finden.«

Aufs äußerste verwundert richtete sie sich auf. »Wie kannst Du so etwas sagen; nicht die Gefahr schreckt mich, sondern es ist dieses Leben der Lüge, das mich langsam zermürbt.«

»Das Endziel rechtfertigt diese Mittel. Nelly – gedenke Deines Eides!«

»Immer habe ich daran gedacht, habe mein Geschlecht vergessen, und wie ein Mann gehandelt, aber,« fügte sie ruhiger hinzu, »jetzt kann ich nichts mehr für Euch tun, da ich bereits verdächtig bin.«

»Du irrst Dich, Nelly; wir müssen Zeit gewinnen, bald, sehr bald, wird die Konföderation von den fremden Staaten anerkannt werden. Lee ist zu dem Entschlusse gekommen, Petersburg und Richmond aufzugeben, denn der Krieg kann nur in den Gebirgsgegenden an den Grenzen von Virginia und Nord-Carolina in die Länge gezogen werden. So möchte er sein Heer sicher aus Petersburg herausziehen, und zu diesem Zwecke müssen wir Grants Pläne kennen, um ihnen entgegenarbeiten zu können. Dein Platz ist also in Washington, Nelly. Dein Vater ließ sein Leben für unsere Sache. Willst Du weniger tun?«

»Er starb einen ehrenvollen Tod – während ich –« ihre Stimme brach, dann fuhr sie jedoch in einem anderen Tone fort: »Georg, Du mußt gehen, jede Minute länger vermehrt die Gefahr. Sage General Lee, daß ich nach wie vor für unsere Sache kämpfe.«

»Für unsere Sache!« wiederholte ihr Gefährte feurig. »Sie fordert das Höchste von uns allen! Gott segne Dich, Nelly.«

Er drückte sie an sich und küßte sie auf die weiße Wange, um dann wie angewurzelt stehen zu bleiben, denn die Tür öffnete sich langsam und ein Bundesoffizier trat über die Schwelle. Mit angstvollen Augen sah Nelly unverwandt auf den Ankömmling, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen.

»Ist jemand hier?« fragte Goddard zögernd.

Nellys Spannung ließ nach – sie hatte vollständig vergessen, daß Goddard blind war. Jetzt sagte sie leise:

»Ich bin es, Nelly Newton. Es war eine solche Ueberraschung für mich, Sie ohne Verband zu sehen, daß ich im ersten Augenblick ganz sprachlos war. Ich hätte gar nicht geglaubt, daß Sie schon kräftig genug wären, um Ihre Wohnung zu verlassen.«

Die traurigen Züge des jungen Mannes hellten sich auf, und tastend machte er einen Schritt vorwärts. »Mein Bursche brachte mich hierher, da ich Oberst Edwards Lebewohl sagen wollte. Ich übe mich darin, allein meinen Weg zu finden.« Er wandte sich jetzt Georg Pegram zu, der mit atemlosem Interesse zugehört hatte, eines Winkes von Nelly gewärtig.

»Wollen Sie sich zu mir setzen?«

Sanft führte das Mädchen Goddard zu dem Sofa am Fenster, dem andern durch eine Kopfbewegung nach der offenen Tür hin bedeutend, er solle sich entfernen. Mit katzenartiger Behendigkeit stahl sich der Rebell aus dem Zimmer und schloß die Tür hinter sich. Nellys Knie bebten, und sie sank neben Goddard auf das Sofa.

»Den ganzen Tag habe ich gewartet und gehofft, Sie würden zu mir kommen.« Er suchte nach ihrer Hand, und die Kälte ihrer Finger spürend, fragte er unruhig: »Sind Sie krank?«

»O, nein,« erwiderte sie mit gutgespielter Fröhlichkeit. »Ich freue mich so, daß es Ihnen besser geht.«

»Ich danke Ihnen. Dr. Scott ist sehr zufrieden und besteht darauf, daß ich morgen nach Washington abreise, um Dr. Boyd zu befragen. Ich sollte schon vorige Woche fort, aber ich konnte Sie nicht verlassen.«

Das Mädchen errötete tief. »Meine Tante und ich fahren ebenfalls morgen nach Washington zurück – wir werden also nicht voneinander getrennt – wenigstens vorläufig noch nicht.«

»Mein Gott, wie sehr wünschte ich, es geschähe niemals, mein Liebling!« rang es sich von seinen Lippen. Dann raffte er sich zusammen: »Verzeihen Sie, Fräulein Nelly, ich vergaß mich; woran ich unter glücklicheren Verhältnissen denken durfte, ist jetzt ja unmöglich.«

Nelly wurde durch einen plötzlichen Lärm draußen und den Ruf: »Wache, hierher!« einer Antwort enthoben; die Tür wurde aufgestoßen und Lloyd, gefolgt von einer Anzahl Soldaten, stürzte ins Zimmer.

»Verhaftet –« Er stockte und sah bestürzt auf die beiden Menschen. Ein suchender Blick durch das Zimmer zeigte ihm, daß sonst niemand anwesend war.

»Was bedeutet dies?« fragte Goddard überrascht.

»Wir suchen einen Spion der Rebellen, der mit falschem Paß nach Winchester gekommen ist; der Unteroffizier versicherte, er habe vor einer halben Stunde dieses Zimmer betreten.«

»Entschuldigen Sie, Herr Hauptmann; vielleicht war es Herr Major Goddard, den ich vorhin sah – in der Halle ist es dunkel,« fiel hier der verwirrte Soldat ein.

»Bob, wie lange bist Du schon hier?«

Krampfhaft schlossen sich Nellys Finger um die Sofalehne. Goddards lichtlose Augen waren einen Augenblick auf sie gerichtet. »Beinahe dreiviertel Stunden, Lloyd,« antwortete er ruhig.


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