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Armer Wilhelm! Nun war er noch ärmer. Sonntag gegen Mittag hatte er in Lamprechts Hause die Geliebte verloren und den Zutritt in das Haus ihrer Eltern. Aber er konnte sich noch mit der Hoffnung schmeicheln, daß dieses Unglück aus Mißverständnissen entstanden wäre. Vielleicht ließen sie sich aufklären! Montag mittags stand die ausgesprochene Feindschaft zwischen seinem Vater und Dorels Vater grinsend vor ihm. Er kannte »Romeo und Julie« noch nicht, obwohl er in Berlin einige Male im Theater gewesen, sonst hätte er ausrufen müssen, die Montagues und die Capulets stehen so gegeneinander, daß nichts mehr zu hoffen ist. Aber auch ohne Kenntnis des Shakespeareschen Trauerspiels erkannte er die Vernichtung. Denn namentlich das entsetzliche Wort »Hanswurst«, welches sein Vater dem Vater Dorels gewidmet hatte, war tödlich. Schon beim Mittagsessen Montags war es in der ganzen Stadt Veranlassung würdigster, tiefgerührter Ausrufungen. Solche Gemeinheit sei noch nicht dagewesen! sagte jedermann mit dem unverkennbarem Akzente des Schmerzes.
Wilhelms Wirtin, bei welcher er den Mittagstisch hatte, versorgte ihn schon bei der Suppe Montags mit dieser merkwürdigen Notiz. Sie hielt es für ihre Aufgabe, ihn genau in Kenntnis zu setzen von den Stimmungen in der Stadt.
Frau Stützig war eine Witfrau, und weil sie an verletztem Herzen litt, faßte sie alles sehr scharf auf. Sie hatte ihr Herz dem kleinen Stiefmann geschenkt, welchem man zu ihrer Entrüstung nachsagte, er sei bucklig, weil seine rechte Schulter um einen Gedanken höher war als die linke, und welchem man vorwarf, er vernachlässige seine Frau, welche schon zwei Jahre lang starb, und er mache in unanständiger Weise ihr, der Frau Stützig, den Hof. Bösartige Menschen, denen sie umsonst nachwies, der hervorragende Geschmack Stiefmanns bringe ihn lediglich in ihre Nähe. Sie hielt einen Laden für den Verkauf von Schnittwaren, und Stiefmann verstand sich, wie sie nachwies, auf die richtige Auswahl der Farben besser als sie. Das wurde hartnäckig verkannt, und deshalb war sie immer gereizt und schonte ihren Tischgenossen, den Schatten Wilhelm, gar nicht.
Dienstags konnte sie ihm schon mit Sicherheit vortragen – Mündelgelder waren nicht sicherer angelegt – daß die ganze Stadt gegen ihn sei, weil er unter anderm der Sohn seines Vaters wäre. »Denn dieser«, sagte sie messerschneidig, »hat die ganze Stadt beschimpft durch seinen Einbruch unter die würdigen Stadtverordneten und durch sein flegelhaftes Betragen gegen dieselben. Wenn Sie nicht Bauten auf dem Lande kriegen, so sind sie ›pfutsch‹, wie mein Freund, der Stiefmann, zu sagen pflegt.«
Frau Stützig war von langer, dürrer Gestalt, und sie schnupfte auch schwarzbraunen Tabak, was selbst ihr Freund, der Stiefmann, nicht loben wollte. Sie tauchte alle ihre Nachrichten in Essig und war Wilhelm recht unangenehm.
Aber ihre Nachrichten waren richtig. Es war so: die Leute, denen er begegnete, wendeten die Köpfe weg; er war geächtet.
Wie trug er das? Gerade so wie Dorel zu Anfang; der Zorn wallte in ihm auf. Wie gegen Dorels verächtliche Armbewegung im Vorübergehen der Zorn in ihm aufgesprungen war, so regte sich jetzt in ihm heftige Erbitterung gegen die Stadtbewohner, welche ihre Geringschätzung äußerten. Er meinte, das ungerechte Mädchen samt ihren Eltern entbehren zu können, und den ungerechten Stadtbewohnern wollte er bei erster Gelegenheit die Zähne zeigen.
Das hielt mehrere Tage an.
Da kam Christoph von Gelsendorf herein mit dem Befehle des Vaters, den Justizherrn Stammbach mit der Führung des Prozesses in aller Form zu betrauen.
Das tat er. Stammbach versicherte ihm heiter: »Ich sorge dafür, daß die Stadt in kurzer Zeit den Prozeß verliert. Seien Sie guten Mutes! Meine Tochter wird es freuen, Sie einmal wieder zu sehen, sie beklagt sich über Sie. Treten Sie doch einen Augenblick bei ihr ein. Der Referendarius Söller ist bei ihr, der Sohn des hiesigen ersten Pastors, ein munterer Herr. Er macht ihr den Hof; aber das bedeutet nichts, er ist ein Schmetterling. Ich schreibe auf der Stelle in Sachen Ihres Prozesses und öffne Ihnen nur die Tür. Treten Sie ein.«
Wirklich saßen Amélie und Primariussens Julius, wie er genannt wurde, nebeneinander auf dem Sofa, und Amélie sprang ihm sogleich entgegen, ihm die Hand bietend und ihn sehr willkommen heißend.
»Entscheiden Sie, lieber Herr Schatten,« sagte sie, »gegen diesen Herrn Referendarius. Er hofft, in sechs Wochen Assessor zu sein, müßte es also verstehen, und er behauptet, das interessanteste Mädchen der Stadt – versteht sich nach mir – sei eine Tochter des Fleischhauermeisters Lamprecht – ich bitte Sie, eines Fleischhauers! Dorel genannt. Kennen Sie das Mädchen? Verdient sie wirklich solche Auszeichnung?«
»Ich kenne sie, aber –«
»Aber so viel möchten Sie nicht sagen. Da hören Sie's, voreiliger Herr Referendarius! Denken Sie, Herr Schatten, er wagt ferner zu behaupten, es sei ganz in der Ordnung, zwei Mädchen zu gleicher Zeit den Hof zu machen. Ist das nicht zu arg?«
»Kennt der Herr Referendarius das Mädchen?«
»Und jetzt wird er erst recht hingehen, um die Eifersucht des Fräuleins Amélie aufzustacheln«, sagte lachend Herr Julius, ein sehr hübscher eleganter Mann mit lustigen Augen.
»Eifersucht? So weit sind wir noch nicht, und ich behaupte meinerseits, nicht den Männern, sondern uns Mädchen steht es zu, bis auf einen gewissen Grad zwei Männer zu begünstigen. So lernt man sie genauer kennen und kann sich sachgemäß für die Wahl entscheiden. Das muß der leichtfüßige Herr Referendarius gestatten, aber Sie, gestrenger Herr Baumeister, werden das wohl nicht billigen. Wie?«
Glücklicherweise kam ein neuer Besuch, der Herr Stadtrichter, und enthob den bedrängten Wilhelm einer Antwort. Er benützte diese Gelegenheit, sich zu empfehlen.
Also dieser Julius kam ins Lamprechtsche Haus, welches ihm verschlossen war. Hing das zusammen mit Dorels plötzlicher Feindseligkeit gegen ihn? Grund genug zur Eifersucht bot es gewiß.
Und dabei dachte er nicht einmal daran, jetzt wird dieser Julius bei Lamprechts erzählen, daß er dich bei der fröhlichen Amélie getroffen, und wird dadurch Dorels Verachtung gegen dich noch steigern. Er konnte nicht daran denken, denn er wußte ja nicht, daß schon sein erster Besuch bei dieser Amélie den Zorn und die Verachtung Dorels erweckt hatte.
Und doch war dem so. Julius wird ihr von dem Besuche erzählen.
»Hinweg mit all diesen Unglücksfällen!« rief er, »hinweg aus dem Gedächtnisse! Suche zu vergessen! Arbeite!«
Es lag ein so starker Sinn in diesem Vorsatze, daß es wohl möglich schien, er werde über die traurigen Gedanken hinwegkommen.
Er ging ernst und schweigsam seinen Geschäften nach von Sonnenaufgang an bis Sonnenuntergang, er stellte in seinem Hausbaue Maurer an, so viel er nur auftreiben konnte, um seinen Anteil an dem rasch aufwachsenden Eigentume zu erhöhen, und des Abends las er in den kleinen Büchern, welche er von Berlin mitgebracht. Neben Goethe und Schiller war auch ein Bändchen von Lessing dabei, welches ihm Freund Regel als in sein Fach einschlagend empfohlen hatte, der Laokoon. Bisher hatte er diesem Buche keinen Geschmack abgewinnen können, es war ihm zu schwer gewesen. Jetzt zwang er sich, es zu verstehen, und fand mühsam, daß es mit seiner Unterscheidung zwischen Dichtkunst und Malerei doch auch die Verzierung in der Baukunst berühre, und daß es ihm gründlich zu denken gebe. Gerade das wollte er, um seiner anderen Gedanken los zu werden. Am Ende gelang dies auch bis zu einem gewissen Grade. Denn man kann eine Gedankenreihe von sich entfernen, wenn man eine andere Gedankenreihe an die Stelle setzt.
Ach, wie weit läßt das die Liebe zu? Nicht weit. Aber wenn ihn die Flöte lockte, so schob er sie weg. Er fürchtete sich vor ihr, er fürchtete, sie werde ihn erweichen und ihm den Laokoon verleiden. Übrigens hatte ihn Frau Stützer mit Recht aufmerksam gemacht auf die Landbauten. In den Dörfern kümmerte man sich nicht um das Vorurteil gegen ihn; die hereinkommenden Bauern sahen nur mit Staunen, wie unerhört rasch sein Hausbau von statten ging. Er marschierte also eifriger als bisher aufs Land hinaus, und die starken Fußpartien halfen auch seine Stimmung bessern.
Trotzdem stieg zuweilen die Sehnsucht in ihm auf, und einmal hatte er ihr nachgeben müssen; er war hinausgegangen in den Klosterbusch, hatte sich aufs Moos gesetzt und den Wildenten zugeschaut, hatte alles wieder erlebt, was seine erste Begegnung mit Dorel enthalten, und war in eine tiefe, weiche Stimmung verfallen. Nein! hatte er gerufen, nicht mehr hierher! Das macht dich erbärmlich. Und nun verdoppelte er seine Wege nach den Dörfern draußen.
So sahen ihn die Bauern öfter, und der Bauer macht alles persönlich ab. Bald aus diesem, bald aus jenem Dorfe kam ein Zweifelhafter, kratzte sich den Kopf und fragte: »Wieviel, Herr Baumeister, möchte es kosten, wenn ich meine baufällige Hofereuthe« – so nannte man den ganzen Umfang von Gebäuden – »ganz aufbauen ließe?« Wilhelm, des Wortes von Frau Stützer eingedenk, machte in zutraulichem Tone mäßige Preise, und so kam es, daß er nach Verlauf eines Monats zahlreiche Bauten für die Bauern auszuführen hatte. Die Dörfer lagen weit auseinander, und er war bald nicht mehr imstande, sie als Fußgänger regelmäßig zu besuchen. Da erinnerte er sich, daß sein Vater in seiner jüngeren Zeit einen kleinen Rappen geritten, um rascher herumzukommen, und er entschloß sich, ein Reitpferd zu kaufen.
In der ganzen Stadt gab es kein Reitpferd. Er fuhr also in die zwei kleine Meilen entfernte Nachbarstadt. Dort wurde ein Pferdemarkt abgehalten, und dort wohnte jetzt auch sein Freund Regel, sein Berliner Kamerad, welcher ja auch in der Tierarzneischule zu Hause gewesen und sich auf Pferde verstand. Er hatte sich als Arzt in der Nachbarstadt häuslich niedergelassen, und er konnte ihm mit gutem Rate beistehen zum Ankaufe eines passenden Rosses. So geschah's denn auch. Ein mittelgroßer, strammer Schwarzschimmel wurde mit Sattel und Zaum erworben, und auf ihm kehrte Wilhelm eines Abends heim. Die untergehende Sonne beschien ihn noch, als er durchs Wassertor in die Stadt ritt.
Ein Reiter! Alle Welt stürzte an die Haustüren, und die Mütter seufzten einhellig: Himmlischer Vater, nun werden sich alle jungen Mädchen in diesen schlimmen Baumeister verlieben, denn sie haben noch nie einen Reiter gesehen. Kräutel, der alte Postillion, reitet seit zehn Jahren nicht mehr, und er saß auch immer nur auf dem Sattelpferde am Wagen und war stets ein verbogener, garstiger Kerl. Jetzt aber, dieser bedenkliche Schatten Wilhelm mit einem neumodischen runden Hute, dessen Krempe das stramme, gesunde Antlitz vor der Sonne schützt, und der so kerzengerade im Sattel sitzt, wie wird der verlocken, wohl gar verführen! Denn er soll ja gewaltsam sein wie sein Vater. Ja, auch die Väter hinter den Müttern sahen neidisch zu ihm hinauf und sagten: Wer schafft uns endlich dies wilde Schattengeschlecht zum Tore hinaus! Er hält's ja auch gar mit den Katholischen.
Das Kreuzbild am Gelsendorfer Wege nämlich wirkte heftig gegen Wilhelm. Er hatte es nebenher fertig gemacht und draußen wieder anschlagen lassen. Es war kein Meisterstück; er war ja kein eigentlicher Maler. Aber in den frischen Farben leuchtete es doch jetzt sehr erbaulich, und einige alte Frauen von den Katholischen gingen jeden Morgen hinaus, knieten nieder und beteten ihren Rosenkranz. Da kommt der ganze Götzendienst wieder – hieß es – welchen Friedrich der Große vertrieben, und wer ist schuld? Dieser Schatten Wilhelm. Stiefmann wurde hinaufgeschickt – Wilhelm wohnte eine Treppe hoch bei Frau Stützer – um an seiner Stubentür nachzuschauen, ob dort die katholischen drei Buchstaben schon angeschrieben stünden, die Buchstaben C. M. B.
Das waren die Anfangsbuchstaben der drei Könige aus dem Morgenlande, Caspar, Melchior, Balthasar, und sie standen angekreidet auf den Stubentüren der Katholiken. Stiefmann berichtete zwar, Caspar, Malcher, Balzer – so las man sie – wären noch nicht da, Frau Stützer würde das auch nicht dulden; aber man beruhigte sich doch nicht.
So übel war die Stimmung gegen ihn. Auch der kleine Gottlob ließ sich nicht mehr bei ihm sehen. Wie lieb war ihm der Junge! Nicht bloß wegen der Augen, welche den Augen Dorels glichen. In den ersten Wochen nach der Ausweisung aus dem Lamprechtschen Hause hätte er es wohl gescheut, an Dorels Augen erinnert zu werden, denn da erfüllte ihn Zorn. Aber allmählich, jetzt nach so vielen Wochen war der Zorn niedergefallen. Jetzt, als er zu Roß heimkehrte, es in den Stall gebracht, welcher im neuen Hause fertig war, und es einem Handlanger zur Fütterung und Pflege übergeben, jetzt in sein Zimmer hinaufsteigend, dachte er sehnsüchtig: Wenn doch der Gottlob einmal wieder käme! Es muß ja doch ein Mißverständnis sein. Durch ihn könntest du doch vielleicht erfahren, warum man dich so gemißhandelt oder wenigstens warum sich Dorel so abgewendet hat.
Ach, wohl ihm, daß er nicht erfuhr, wie es um Dorel stand. Gerade an diesem Abende ereignete sich im Lamprechtschen Hause eine traurige Szene, traurig für ihn und für Dorel.
Herr Lamprecht kam an diesem Abende heim aus dem Kegelgarten, welchen er nachmittags zu besuchen pflegte, und tat sehr unwirsch.
»Was ist denn?« fragte die Frau.
»Schick' die Mädel 'naus!« erwiderte er, »die brauchen's nicht zu hören.«
Dies geschah. »Na, was ist denn?«
»Zu Pferde ist er jetzt eben in die Stadt gekommen, gerade wie ein Prinz, der Bauernsprößling, der Herr Baumeister! Ich bin rot geworden vor Ärger, als ich ihn beim Wassertor gesehen. Der Pfefferküchler, der Keller, ging neben mir. Der ist ein ganz gescheiter Mann, das wissen wir ja alle, und was hat er gesagt? Er hat gesagt: ›Lamprecht, sorgt für Eure zweite Tochter! Ich hab' sie gestern gesehen; die sieht aus wie der blanke Jammer.‹ – ›Was?‹ sag' ich. – ›Seht sie nur an! Macht, daß sie unter die Haube kommt! Wenn die den Schatten Wilhelm so reiten sieht, da bricht ihr das Herz. Gebt sie ihm beizeiten!‹ – ›Seid ihr verrückt?‹ sag' ich. – ›Nein, Gevatter, das bin ich nicht. Aber ich war damals mit im Hochwalde beim Waldfeste, und ich hab' zugesehen, wie sie mit ihm unter die Bäume ging, weit hinein unter die Linden, und ich hab' sie angesehen, als sie zurückgesprungen kam.‹ – ›Gesprungen? Sie war ja lahm,‹ sag' ich. – ›Keine Spur!‹ sagt er, ›die war gar nicht lahm, aber seelenvergnügt sah sie aus. Ich sag' Euch, der Schatten Wilhelm ist ihre Amuhr.‹ – ›Himmeltausend-Donnerwetter!‹ sag' ich. – ›Die helfen nicht‹, sagt er. ›Sie geht Euch drauf. Nur eine Hochzeit hilft da manchmal, wenn's auch nicht die rechte ist. Wollt Ihr sie also dem Schatten Wilhelm absolut nicht geben‹ – ›absolut nicht‹, sag' ich – ›dann gebt sie‹, sagt er, ›geschwind Primariussens Julius, sonst kriegt Ihr ein Begräbnis.‹ Lotte, was sagst du dazu? Du hast nichts gemerkt?«
»O ja.«
»Mit dem –?! Und doch« – fuhr er fort – »kommt der Julius seit Wochen Tag für Tag zu uns, und sie läßt sich's gefallen. 's ist also doch wohl eine Dummheit von dem Keller, was?«
»Das möcht' ich nicht sagen. Die Dorel gefällt mir auch schon lange nicht. Es geht was vor in ihr. Ich hab' dir nichts gesagt, weil du ja durchaus gegen 's Verheiraten bist und jedenfalls erst die Älteste, die Lorel, kopuliert sein müßte.«
»Gegen die und den Walter hab' ich ja immer nachgegeben; aber zwei auf einmal –«
»Nicht zwei auf einmal, sondern hintereinander.«
»Die Weiberwirtschaft macht einen zum Kinde. Ich wär' zum Auslachen!«
»Wenn wir nur erst wüßten! – Das Mädel muß reden. Unglücklich machen wollen wir sie doch nicht.«
»Wer sagt denn das!«
»Hanne!« – rief die Frau zur Tür hinaus – »Dorel soll gleich hereinkommen, wenn sie da ist!«
»Sie ist eben heimgekommen vom Besuche bei der Muhme in der Wassergasse.«
»Da hat sie ihn gesehen, Kreuzelement!« sprach Lamprecht mit gedämpfter Stimme.
Dorel trat ein. Sie sah geradezu verstört aus.
»Wir haben dich einmal ordentlich fragen wollen« – sagte die Mutter – »was du denn eigentlich zu Herrn Julius sagst. Wir haben euch nichts in den Weg gelegt, daß ihr euch täglich gesehen und gesprochen habt. Das Ding muß nun ein Gesicht kriegen. Der Vater, sonst gegen jedes Verheiraten, will nachgeben, wenn's nötig scheint.«
»Er ist jetzt Referendarius und kann alle Tage Assessor werden« – sagte Lamprecht, ohne Dorel anzusehen – »dann kriegt er 600 Taler Gehalt und kann sich eine Hauswirtschaft einrichten. Im übrigen ist er unseres Herrn Primarius Sohn, also –«
»Also« – nahm die Mutter das Wort, da Lamprecht stockte – »also fragt sich's, ob du ihn so gern hast, daß du ihn heiraten möchtest.«
Dorel fuhr zusammen und schwieg.
»Du kannst vor deinen Eltern treuherzig mit der Sprache heraus, Kind« – fuhr die Mutter fort – »kannst sogar sagen, ob du etwa einen andern lieber hast.«
»Nein, Mutter.«
»Ist das aufrichtig?«
»O ja!« – erwiderte sie fast trotzig, denn sie erinnerte sich der Nachricht von Julius, daß er den Wilhelm wieder bei der schönen Amélie angetroffen.
»Nun dann« – fuhr Lamprecht heftig heraus – »mögen all meine Grundsätze zum Teufel fahren, und du magst den Julius meinethalben morgen heiraten.«
»Langsam, langsam« – sagte die Mutter – »eins nach dem andern. Erst die Lorel und der Walter. Allenfalls vierzehn Tage darauf – man hat da noch Vorräte – du, Dorel, und der Julius.«
Dorel zitterte, aber sie sagte kein Wort.
»Aber warum redest du denn gar nichts?« sagte die Mutter. »Ist dir's noch nicht ganz recht, daß der gute Vater so nachgibt? Hast du noch sonst was auf dem Herzen? – Du schüttelst den Kopf? Na, dann frisch heraus mit der Sprache: willst du den Herrn Julius heiraten?«
Ein schwerer Kampf schien das Innere dieses trotzigen Mädchens zu bewegen. Der Trotz schien obzusiegen: sie machte eine nachdrückliche Bewegung mit dem rechten Arme von oben nach unten und sprach fest: »Meinethalben!«
Dann wendete sie sich jählings, wohl um keine Schwäche zu zeigen, denn der Atem schien ihr zu versagen, und ging rasch hinaus.