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Vorbemerkung des Herausgebers.

Wer Laubes Erinnerungen, die Vorworte zu seinen Dramen und obendrein noch seine Reisenovellen gelesen hat, der wird in dieser seiner geschichtlichen Erzählung »Schatten Wilhelm« manchem Bekannten begegnen. Denn es ist Laubes Heimat, die er hier zum Schauplatz einer einfachen und doch in ihrer Schlichtheit ergreifenden Erzählung gemacht hat. Die kleine Stadt, die so fern von aller Welt abgeschnitten, auf eintöniger Ebene daliegt, in der die Menschen noch in einer altväterlichen patriarchalischen Sinnesart aufwachsen, wo die sonntägliche Predigt, das Schützenfest und ähnliche Ereignisse allein den ruhigen Lauf des Jahres unterbrechen, wo es noch kein Klavier, kein Reitpferd, keine Droschke gibt, wo in der erbärmlichen Fron eines nur vegetierenden Daseins alle Lebensfreude erstickt und nicht einmal der helle Klang eines Liedes sich hervorwagt, dieses »Kleinweltwinkel« ist das schlesische Städtchen Sprottau, wo Laube geboren wurde. Früh schon war er der Vaterstadt entwachsen; mit vierzehn Jahren war er aufs Gymnasium nach Glogau gekommen, von da nach Schweidnitz, hatte dann studiert und sich sehr gegen den Willen seiner Eltern eine Existenz errungen, von deren Möglichkeit sich in seinem Geburtsorte wohl kaum jemand auch nur eine Vorstellung machen konnte. Welche Aufregung hatte es da gegeben, wenn der Student in den Ferien nach Hause kam, wenn sich wie ein Lauffeuer die Nachricht verbreitete: »Laube Heinrich – so pflegte man die Namen landläufig umzustellen – ist mit Extrapost angekommen!«

Aber diese Ferienwochen brachten nicht nur das Glück des Wiedersehens mit den teuern Hütern seiner Kindheit, mit den Geschwistern und Gespielen und all den vertrauten Orten unbekümmerter Jugendtage; sie waren auch nicht frei von bitterer Empfindung, denn sie zeitigten immer wieder die herbe Erfahrung, daß der junge Theologiestudent, der Hallesche Bursch und schließlich der freie Schriftsteller, der aus der Hülle gekrochen war, der Heimat fremd geworden sei, daß er in diese engen Stuben und Gassen und unter diesen engen Horizont ihrer Bewohner nicht mehr hingehöre. Die humorvollen liebenswürdigen Kapitel der »Reisenovellen«, die er seiner Heimat, der Beschreibung der kleinstädtischen Festlichkeiten, des Pfingstschießens usw. widmet, schließen mit der wehmütigen Betrachtung: »Ade du kleine Welt, Pfingstschießen mit deinen kleinen Reizen, ich gehöre nicht mehr zu dir, weil ich keine Zukunft in dir suchen kann – und noch am selbigen Abend fuhr ich von dannen, Tränen im Auge, Weh im Herzen.« Als Laube dies schrieb, hatte er die mancherlei Entbehrungen seiner Unabhängigkeit in einem selbstgewählten Berufe schon reichlich erfahren, und er stand unmittelbar vor einer gefährlichen Wende seines Schicksals, über deren Folgen er sich keinem leichtsinnigen Übermut mehr hingeben konnte; es war im Sommer 1834, und die preußische Polizei war dem Burschenschafter, dem Redakteur der »Eleganten Zeitung« und dem Verfasser des »Neuen Jahrhunderts« bereits auf den Fersen. Und dennoch trieb es ihn auch aus innern Gründen aus der Heimat fort, weil er sich bei jedem neuen Besuche dort sagen mußte, daß er hier keine Zukunft finden könne. Ehe er zu dieser Erkenntnis kam, wie oft mochte er sich da mit dem Gedanken getragen haben, ob es nicht doch behaglicher sein werde, heimzukehren wie der verlorene Sohn und an dem Orte ein kleines bescheidenes Dasein zu gewinnen, wo seine Eltern und Voreltern ja auch ihr einfaches Leben, in ihrem Sinne vielleicht auch glücklich, hingebracht hatten!

Diese Jugendgedanken, die im Alter lebendiger zu werden pflegen, wenn die Leistung des Lebens bereits abgeschlossen daliegt, waren es, die dem alten Laube seine Erzählung »Schatten Wilhelm« entgegenbrachten. Was wäre aus dir geworden, wenn du wirklich einer schwachen Stunde nachgegeben und stille untergekrochen wärst unter die niedrige Decke jener kleinstädtischen Existenz? Diese Frage mag sich der Laube, der auf ein Leben voll unleugbarer Erfolge zurückblicken konnte, gar oft gestellt haben, und die Antwort gestaltete sich zu dieser Erzählung, die im Sinne ihres Dichters, mit seinen Lebensaugen betrachtet, wohl eine »geschichtliche« genannt werden konnte.

In seinen Erinnerungen ist Laube über die Zeit seiner Kindheit mit einer Art Scheu hinweggeschlüpft; als er sich im Jahre 1883 veranlaßt sah, Nachträge zu seiner Autobiographie zu schreiben, hat er einiges von dem Versäumten nachgeholt, auch nur in flüchtigen Andeutungen, denn er konnte sich da schon berufen auf die Schilderung seiner Vaterstadt, die er in dem eben vollendeten »Schatten Wilhelm« gegeben hatte. Hier hat er denn in der Tat alles zu einem einheitlichen Bilde geformt, was er, von sich selbst berichtend, kaum mit dieser frischen Anschaulichkeit und mit solch intimem Reiz hätte wiedergeben können. Wilhelm Schatten ist kein andrer als Heinrich Laube, wenn er nach dem Wunsch des Vaters ein Baumeister geworden wäre; diese Perspektive konnte der Dichter aus seinem eigenen Erleben schöpfen, um sich dann natürlich der freien selbständigen Entwicklung dieses Vorwurfs hinzugeben. Sein Großvater war früher Stadtbaumeister gewesen; aber er haßte die Stadt und hatte sich nach Niederlegung seines Amtes aufs Land zurückgezogen in den benachbarten Ort Mückendorf, der in der Erzählung Gelsendorf heißt. Die Gestalt des Großvaters verwuchs im Bedürfnis straffer Komposition mit der des Vaters, der ja auch diesem Berufe gefolgt war und als einfacher Maurermeister in Sprottau lebte. Wie der kleine Schatten hatte auch Laube schon früh gelernt, mit Kelle und Mörtel umzugehen, und er hatte dem Vater früh als kleiner unbezahlter Geselle in dem mühsamen Handwerk gedient. Auch das Innere des Lamprechtschen Hauses ist ein Laubesches Familienbild; die Mutter war die Tochter des Fleischhauerältesten gewesen und bei ihrem Schwager, dem Schlächter und »Onkel Gastwirt« im »Grünen Löwen« mag es genau so zugegangen sein, wie im Heim der naiv-liebenswürdigen Dorel. Und weiter all die charakteristischen Gestalten des kleinstädtischen Milieus, sie werden wohl alle gelebt haben, wie dies von dem Stadttrompeter »Horaz« durch die »Reisenovellen«, von der Mutter Schönknechten (Schönfeldern heißt sie in der Erzählung) durch das Vorwort zur »Bernsteinhexe« bewiesen ist. Daß dieser tüchtige »Wachmeister Kiesel« unmittelbar von dem holprigen Pflaster der Kleinstadt hergeholt ist und neben ihm manche Episodenfigur und zahlreiche Detailzüge des ganzen Bildes, darf ohne weiteres als gewiß betrachtet werden. Und ebenso hat Laube die ganze einförmige, fast öde, für das Kindesauge dennoch in tausend Reizen schillernde Landschaft ausgemalt, die seine eigenen Jugendspiele umgab, vom Bauerngut des Großvaters bis zu den Schwimmversuchen im Bober, bei denen Lamprechts Gottlieb, auch ein, gleichsam selbständig gewordenes, Stück des jungen, ebenso wilden und umherschweifenden Laube, ein so trauriges Ende nimmt.

Die Erzählung »Schatten Wilhelm« erschien 1883 im Verlage von Haessel in Leipzig und wurde von den Zeitgenossen freundlich aufgenommen; sie erlebte noch im selben Jahre eine zweite Auflage und ist auch zweifellos durch ihre geschlossene Komposition, den ungewöhnlichen Reiz des Milieus und die Wärme mitlebender Empfindung seitens des Dichters das Ansprechendste, was der alte Laube an Prosawerken geschaffen hat.

Houben.

Das Geschichtliche dieser Erzählung reicht nur siebzig und einige Jahre zurück, nämlich bis zum Jahre 1810. Trotz dieser nur mäßigen Entfernung von der Jetztzeit (1883) war die kleine Stadt so beschaffen wie folgt.


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