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»Vielleicht!« sagte Wilhelm vor sich hin und blickte im Vorübergehen zu dem Kreuze hinauf. Er blieb stehen und schüttelte, wie mißbilligend, den Kopf. Dies galt dem Christusbilde da oben, welches auf Blech gemalt war. Schlecht gemalt und dazu geschwärzt, verwittert, kaum zu erkennen als menschliche Gestalt.
Es stammte aus alter Zeit, als die Stadt noch zum katholischen österreichischen Staat gehört und als noch die geringe Anzahl katholischer Bewohner das große Wort geführt, ja die Evangelischen unterdrückt hatte.
Er wurde es nicht gewahr, daß er plötzlich mitten unter einer Schafherde stand, welche aus der Stadt kam. Alle Schafherden gehörten den Fleischhauern; diese gehörte Dorels Vater, dem Meister Lamprecht. Wilhelm sah das an dem großen L., welches mit schwarzer Pechfarbe den Schafen auf das Vlies des Rückens gedruckt war.
Außer dem Hirtenjungen war Fritze, des Wachmeisters Sohn, dabei und Gottlob, der zwölfjährige einzige Sohn Lamprechts, Dorels Bruder. Dieser grüßte Wilhelm freundlich und schlug Greif, den Fleischerhund auf den Kopf, weil er Wilhelm anknurrte.
Dieser Gottlob, ein prächtiger Junge mit dunklem Lockenkopfe, war für Wilhelm eine angenehme Erscheinung; sein Gesicht erinnerte deutlich an Dorels Antlitz, und Gottlob hatte seinerseits offenbar eine Vorliebe für Wilhelm. Der zopflose junge Baumeister, welcher da plötzlich aus der Fremde erschienen war in der Stadt, hatte den Knaben überrascht wie etwas ganz Neues und Frisches, und Gottlob war schon mehrmals stehen geblieben an der Ringecke, wo Wilhelm gleich nach seiner Heimkehr den Grund ausheben ließ für seinen neuen Hausbau. Da hatte er zugehört, wie Wilhelm so ruhig und bestimmt den Maurern Anordnung und Befehle gab und alle Einwendungen kurz, sachgemäß beseitigt hatte. Wilhelm hatte den zuschauenden Knaben bemerkt, die Ähnlichkeit mit Dorel hatte ihn lebhaft angesprochen, er hatte ihn angeredet und hatte ihm gar freundlich erklärt, wie so ein Haus von unten auf entstünde. Kurz, es bestand schon, wenn auch seit kurzer Zeit, ein trauliches Verhältnis zwischen Wilhelm und Gottlob.
Dieser fragte jetzt, was denn Herr Schatten an dem alten Kreuze zu sehen hätte?
»Eine schmutzig gewordene schlechte Malerei,« sagte Wilhelm, »die man verbessern sollte.«
»Ach, das ist ja ein katholisches Bild, das uns nichts angeht!« rief Kiesel Fritze, der beim Herumstreichen sich Gottlob und der Schafherde angeschlossen hatte, um mit auf die Weide zu ziehen und die Zeit totzuschlagen.
»Ein katholisches Bild, ja,« erwiderte Wilhelm, »aber es ist der Herr Christus, der auch unser Heiland ist. Der sollte schön und rührend aussehen, damit Vorübergehende gern hinaufblicken, wenn sie beten wollen. Ich werde ein paar Handlanger herausschicken, die verrosteten Nägel herausziehen, das Blech abnehmen und zu mir bringen lassen, um es neu zu malen.«
»Darf ich zusehen?« rief Gottlob.
»O ja. Wie geht's zu Hause? Sind alle gestern aus dem Hochwalde gut nach Hause gekommen?«
»Ja, ja! Der Vater ist lustig; nur die Dorel und die Rosel zanken sich. Ich weiß nicht warum.«
Wilhelm streichelte ihm das Haupthaar; es hatte die Farbe wie Dorels, dann sagte er ihm: »Ade!« und ging über die kleine Bodenerhöhung hinauf gegen Gelsendorf.
Die Herde mit den drei Jungen und dem Greif zog links nach der Niederung. Plötzlich aber kam Gottlob dem Wilhelm nachgesprungen, Greif bellend neben ihm – er bellte, weil Gottlob sprang – und Gottlob sagte hastig: »Kommen Sie doch morgen nachmittag zu uns in den Garten. Die Mädel halten Kirschenfest. Des Primarius Julius kommt auch.«
»Das geht wohl nicht, Gottlob. Ich bin in eurem Hause noch fremd. Deine Eltern kennen mich noch nicht.«
»Ach, das tut nichts. Vater und Mutter kommen nicht hinaus.«
»Und wie kommt es denn, daß du jetzt hier herauskommst? Habt ihr denn keine Schule?«
»Ich schwänze,« rief Gottlob lachend, »nein, nein! seien Sie nicht böse. 's ist Sonnabend, da wird nur wiederholt, und Herr Brendel hat gesagt, ich wüßte schon alles, ich könnte wegbleiben. Aber kommen Sie doch morgen!«
»Frage zu Hause, ob mir's erlaubt ist, und bringe mir morgen vormittags Bescheid.«
»Ja. Und darf ich zusehen, wenn Sie den Herrn Christus neu malen?«
»Das darfst du.«
»Prächtig! Adje! Nein, streicheln Sie erst den Greif, damit er Sie kennen lernt und nicht immer knurrt. Greif ist ein guter Kerl.«
Wilhelm tat es, und Greif ließ sich's gefallen. Dann sprang Gottlob davon.
Es war ein schmaler Fahrweg, welcher durch braunen Sand nach Gelsendorf führte. Links und rechts weithin sproßte sparsam mageres Korn. Kein Baum weit und breit, nur rechts drüben die Spitzen des Klosterbusches, welcher tiefer lag.
Wilhelm hatte einen niederdrückenden Eindruck davon, und dieser wurde noch verstärkt, als er an einen noch schmäleren Seitenweg kam, der links hinüberführte nach dem Dorfe Rippen und den sein Vater den Totenweg nannte. »Dort werden sie mich bald hinüberfahren«, pflegte der Alte zu sagen. Denn Gelsendorf hatte keinen Kirchhof, wie man den Friedhof dort nennt, wenn auch keine Kirche in der Nähe ist. Die Gelsendorfer wurden in Rippen beerdigt.
»Ach!« seufzte Wilhelm, »wie traurig ist hier alles, wenn man nicht eine Herzensfreude gewinnt. Gott sei Dank – nein!« fuhr er fort, »man könnte immerhin dem sorgsamen Pfefferküchler folgen, der sich hier auf dem kargen Boden einen großen Garten aufgezogen hat. Wenn man nur trachten und arbeiten wollte.«
Ja, rechts am Eingange von Gelsendorf hatte sich Herr Keller, der Pfefferküchler – so heißt hier der süddeutsche Lebzelter – einen Garten und eine Baumschule angelegt. »Es war also doch möglich, in der trägen Stadt etwas zustande zu bringen«, sagte Wilhelm vor sich hin und schritt durch das leblos scheinende Dorf, an dessen Ende links das Bauerngut des Vaters lag, in öder Einsamkeit.
Stallungen, Scheunen und Wohnhaus bildeten ein weites, längliches Viereck, in der Mitte eine breite Mistgrube, daneben das türmchenartige Taubenhaus und unter diesem die Hundehütte, wo der Hofhund an der Kette lag. Er winselte jetzt vernehmlich, als er Wilhelm, seinen alten Bekannten, kommen sah, und heulte laut, als ihn dieser streichelte.
Das Wohnhaus stand rechts, und als er in die weite Wohnstube eintrat, fand er die Mutter allein. Sie schnitt Lauch, Schnittlauch geheißen, welcher aus dem kleinen Küchengärtchen hinter der Wohnstube stammte, und wischte sich die Augen, als sie nach dem Eintretenden blicken wollte. Ihre Augen waren gerötet, und die hochgewachsene Frau war überhaupt selten gesund. Wenigstens pflegte der Vater zu sagen: »Die Mutter ist ja immer krank.«
Sie hatte ein kleines verschwommenes Antlitz, in welchem man die Züge suchen mußte. Übrigens war sie gutmütig, und so begrüßte sie auch jetzt ihren ältesten Sohn mit den Worten: »Endlich einmal!«
»Wie geht's, Mutter?«
»Lieber Gott, wie immer.«
»Ist er draußen?«
»Freilich.« Unter »er« verstand man immer den Vater.
»War er heute morgens guter Laune?«
»Ach, wann wäre er das einmal. Auf die richtige Brotsuppe hat er heute früh geschimpft, und ich muß ein paar Bohnen mehr zur Zichorie nehmen, damit's beim Kaffee nicht wieder losgeht.«
Nun versuchte es Wilhelm, die Heiratsfrage in Rede zu bringen, und erfuhr zu seinem Schrecken, daß er sich da alle Stadtgelüste vergehen lassen müßte. Ein Mädel aus der Stadt würde der Alte nie als Schwiegertochter annehmen. Und gar jetzt! Der Kunert aus Stohnsdorf, woher ja der Vater stamme, sei vorgestern dagewesen und habe seine Rieke für den Wilhelm angetragen. Das sei dem Vater ganz recht gewesen, denn Kunerts Gut sei das größte in Stohnsdorf und hätte insbesondere schöne Wiesen, die Rieke aber sei das einzige Kind und erbe alles. Bruder Christoph sei gestern hinüber, um sich die Gebäude und das Mädel anzusehen.
»Das Mädel ist wie eine saftige Kirsche; die nehm' ich gleich, wenn der Wilhelm zu vornehm ist.«
Dies sprach der jüngere Bruder Christoph, welcher eben von Stohnsdorf zurückgekommen und eingetreten war. Er setzte hinzu: »Beim Kunert ist alles in prächtigem Stande wie auf einem Rittergute.«
Dieser jüngere Bruder Christoph, kleiner als Wilhelm und recht unansehnlich, mit gedrückter Nase, ganz rotem Gesichte, ganz kleinen Augen und starren lichtgelben Haaren, war eigentlich der Liebling des Alten. Vielleicht weil er ganz Bauer war. Aus dem Maurerhandwerke war er zeitig ausgeschieden wegen Ungeschicklichkeit, und doch – sagte der Vater – hat er eine schönere Handschrift als der vornehm tuende alte Junge – so wurde Wilhelm genannt – und ist auf der »Hufe« besser zu brauchen. Er widerspricht wenigstens nicht.
»Hol sie dir getrost!« sagte Wilhelm. Und während er auseinandersetzte, daß die Rieke für ihn nicht taugte, und während die Mutter dem hungrigen Christoph was zu essen brachte, bellte der Hofhund, und alle drei riefen: »Da kommt er!«
Er trat ein, der alte Bärbeiß. Ein kaum an die Mittelgröße reichender Mann, eine Pelzmütze auf dem kahlen Scheitel, eine graue Flanelljacke tragend, darunter eine abgeschabte schwarze Manchesterhose und grobwollene graue Strümpfe. Das Antlitz wie von brauner Bronze, ehern und kantig, von weißen Bartstoppeln eingerahmt, welche des Barbiers harrten, alles aber erleuchtet von einem großen hellblauen Auge, welches kräftig dreinschaute.
»Holla!« – rief er – »der alte Junge einmal da? Viel Ehre!«
Er schien gar nicht verdrossen zu sein, wie die Mutter gesagt hatte. Im Gegenteile. »Du hast« – fuhr er fort – »damals, als du noch ein dummer Junge warst, einmal einen guten Gedanken gehabt, Wilhelm, als du zu mir sagtest, du hättest die schwarzen Steine draußen an der Rippener Grenze ordentlich angesehen, und du hieltest sie für Eisen.«
»Allerdings. Raseneisen.«
»Richtig. Ich sage dir: das tut gut. Wir haben heute auf der Lippwitzer Seite ein neues Feld angeackert, und da strotzt es von Rasenstein. So kommt doch endlich einmal Bargeld in den Kasten.«
Dies sagend, war er in eine kleine Stube getreten – das Wort »Zimmer« wurde auch in der Stadt nie gebraucht – welche nach dem Gärtchen hin rechts an die Wohnstube stieß. Dort standen ein Bett, ein Tisch und ein Möbel, welches man Kanapee nannte, mit hölzernem Geländer hinten und an einer Seite und mit einer Polsterung, welche gar keine Polsterung war, sondern ein mit Leinwand überzogenes Brett. Daneben ein kleines Gestell mit einem angeschraubten breiten, kurzen Messer. Es wurde gehandhabt wie eine Guillotine. Zu ihm ging der Alte, hob eine auf dem Boden stehende Tabakrolle – Tabakwürste, übereinandergereiht wie Schiffstaue – in die Höhe und schnitt ein Stück ab mit jenem Messer. Das abgeschnittene Stück dieses Stangenknasters bearbeitete er dann weiter mit diesem Schneideinstrumente so gut es ging, um kleine Fetzen zu gewinnen. Sie gerieten ungleich, und es waren große Stücke darunter; das störte ihn nicht.
»Er wird immer härter, der teure Tabak!« murmelte er und nahm eine lange, recht unsaubere Pfeife aus dem Winkel der Stube. In den Porzellankopf derselben stopfte er nun die Fetzen und griff nach dem brennenden Fidibus, welchen ihm Christoph mit einem brennenden dünnen Talglichte herbeigeholt hatte. Es war eine anstrengende Arbeit, das Anzünden des groben Krauts im Pfeifenkopfe; er aber, der sonst wenig Geduld hatte, bewältigte sie ganz geduldig mit aller Lungenanstrengung und setzte sich dann, als es notdürftig gelungen war, auf besagtes Kanapee, um Kaffee zu trinken. Die Mutter hatte ihn gebracht und in braunem Geschirr auf den Tisch gesetzt. Mit schweren Zügen Rauch pumpend und langsam trinkend, schwieg er noch eine Weile still. Dann erhob er das große blaue Auge auf Wilhelm, und alle drei, die Mutter und beide Brüder, erwarteten aufmerksam seine Äußerung. Sie waren gewohnt, sich ganz schweigend zu verhalten, während er seine Pfeife in Tätigkeit setzte. Jetzt endlich rauchte sie beträchtlich, und er sprach:
»Wie gesagt, es ist wieder Vorrat da von Eisenstein, und ich hab' dir auftragen wollen, Wilhelm, draußen in der Heide – der Ausdruck Heide bedeutete Wald oder Forst – anzufragen, nämlich in Sperrdorf, wo du einen Schornstein aufzumauern kriegen wirst, wieviel man dort für den Zentner zahlen will. Vielleicht zahlt man mehr als in Stromau.«
»Ja,« sagte Wilhelm, »die Fuhren nach Sperrdorf wären vorzuziehen. Sie gehen gleich hinten vom Gute aus in die Heide, und man sieht sie nicht so, wie die nach Stromau.«
»Man sieht sie nicht so? Na, was stehst du da, Christoph, und hast Maulaffen feil! Marsch! Anspannen und hinausfahren! Die Steine sind schon in Haufen zusammengerafft, aufladen und nach Stromau fahren!«
»Dann deckt wenigstens die Wagen zu mit einer Plaue« – anderwärts sagt man Plane – »damit man nicht sieht, was drin liegt«, sagte Wilhelm.
»Was soll denn das heißen, das Nichtsehenlassen?«
»Das wird leider wichtig. Der Rat in der Stadt ist aufmerksam geworden auf den Eisenstein, welchen Sie auf Ihrem Felde gefunden, und auf den Verkauf desselben an die Hütte in Stromau.«
»Meinethalben! Was weiter?«
»Er behauptet, das stünde Ihnen nicht zu.«
»Was?!«
»Was unter der Erde liege, das gehöre nicht dem Bauer, sondern dem Landesherrn, und der Magistrat der Stadt vertrete hiebei den Landesherrn, das heißt den Staat.«
»Bist du verrückt? Mir soll nicht gehören, was sich auf meinem Eigentume findet, auf meinem Grund und Boden!«
»O ja, aber nicht, was sich unter Ihrem Grunde und Boden befindet. Das gehöre ins Bergrecht des Staates. Die Metalle gehörten dem Lande, nicht dem einzelnen Grundbesitzer.«
»Das ist ja nichtsnutziges Zeug, was du da auskramst« – und jetzt blies er dicke Rauchwolken strengen Geruchs von sich – »Unsinn ist's! Mit solchen niederträchtigen Auslegungen sollten sie mir kommen, ich würde sie jagen!«
»Sie werden kommen.« – »Was?!«
»Sie werden kommen und den Eisenstein mit Beschlag belegen, und wenn Sie sich, Vater, widersetzen, so werden sie einen Prozeß anstrengen.«
»Schockschwerenot! Was lauft einem Bauer alles über den Weg von diesen Stadtherren!« Dabei stand er auf und schob den Tisch weg, daß das braune Geschirr bedenklich wackelte.
»Aber nicht doch,« sagte er plötzlich ruhiger – »nicht doch! Ich glaub's nicht. Grund und Boden ist ja mein. Käm's aber zum Prozesse, so führte ich ihn, straf mich Gott, durch hundert Instanzen bis zum Könige hinauf, auch wenn es mich mein letztes Hemd und mein letztes Stück Acker kosten sollte. Aber ich glaub' die ganze Geschichte nicht.«
»Es ist ein fremder Justizkommissarius des Namens Stammbach in der Stadt angekommen; der scheint sich ansiedeln zu wollen. Zu dem werd' ich gehn und werd' ihn befragen.«
»Unnütz! Aber tu, was du willst. Zunächst will ich dich versorgen, damit du mir nicht länger auf der Tasche liegst. Das Kapital für deinen Hausbau muß das letzte sein, ja so, da fällt mir's ein: die Fassade des Hauses, welche du mir gestern geschickt, die ist ja kurios. Was heißt denn das mit dem Giebel? Das Haus hat fast gar keinen.«
»Die alten geschweiften Giebel der Stadthäuser sind nicht mehr Mode. Man nennt sie Jesuitenabfälle von den Jesuitenkirchen, und draußen heißt man sie geschmacklos.«
»Albernheit! Die Halbkreisgiebel stellten was vor. Also du baust dir mit meinem Gelde ein Haus, und du wirst dazu bald eine Hausfrau brauchen. Eine ordentliche Hausfrau, welche die Wirtschaft versteht, sparsam zu führen versteht. Ich hab' dir eine ausgesucht. Kunerts Rieke in Stohnsdorf nimmt dich. Sie ist wohlhabend und bringt blankes Geld mit der Aussteuer. Fahre dieser Tage hin und mach' die Geschichte ab.«
»Das geht nicht, Vater. Eine Bäuerin paßt nicht zu mir in die Stadt. Ich komme mit vielen Bürgern in Berührung, und die müssen in meinem Hause eine passende Ansprache finden. Eine solche kann ein Bauernmädel nicht leisten. Ich muß und will eine Bürgerstochter heiraten.«
»Oho! Das wirst du bleiben lassen! Dies faule Bürgerpack! Um elfe laufen sie zum Frühstück ins Wirtshaus, um zwölfe stochern sie im Mittagessen herum, weil sie keinen Appetit mehr haben; nachmittags kommt ein Vesperbrot und abends noch ein Essen nach der Kegelbahn. Dies Volk verfrißt und verläppert seine ganze Zeit und schimpft auch noch auf den Bauer, der im Schweiße seine Arbeit verrichtet! Die da! Ich weiß heute noch nicht, wovon sie ihr Auskommen finden. Sie hantieren ja nur spärlich und erbärmlich untereinander, haben nach außen nichts zu verkaufen und können von außen nichts kaufen, weil sie nichts bezahlen können. Mit diesem trägen und armseligen Huckepack lasse ich meine arbeitsame Bauernfamilie nicht kopulieren. Du wirst die Kunert Rieke heiraten.«
»Das kann ich leider nicht, Herr Vater, und mit schuldigem Respekt gesagt: das will ich nicht! Ich bin majorenn und bin ein selbständiger Mann, der selber wissen muß, was ihm nützt und was ihm zusteht.«
»Holla! Dafür hätt' ich den Jungen aufgezogen, mein Handwerk lernen und noch obendrein draußen studieren lassen! Nicht zu reden davon, daß ich ihm ein Haus baue, hohoho! und der stellt sich hin wie ein großer Herr, den der Vater nichts mehr angeht?!«
Jetzt stellte er die Pfeife weg, was nur bei außerordentlicher Aufregung geschah. Nach kurzer Pause trat er dicht vor Wilhelm hin und fuhr fort: »Ich schämte mich ordentlich, wenn ich jetzt vor den erbärmlichen Stadtleuten eingestehen müßte, daß mein eigener Sohn mich so stadtmäßig behandeln kann. Aber zugeben werd' ich's nie.«
»In betreff des Hauses« – antwortete Wilhelm mit sanfter Stimme – »muß ich doch einwenden, daß Sie mir das Kapital nicht geschenkt, sondern nur geliehen haben. Ich zahle fünf Prozent Interessen« – das Wort Zins wurde nie gebraucht. »Können Sie höhere Interessen finden, so werd' ich den Bau bereitwillig übergeben, oder das fertige Haus räumen.«
»Redensarten!« rief der Alte mit Heftigkeit.
»Daß Sie mir kindliche Undankbarkeit vorwerfen, das schmerzt mich tief. Ich habe in den zwei Jahren draußen den Verkehr zwischen Eltern und Kindern vielfach beobachtet, und habe ihn wärmer und zärtlicher gefunden, als hier bei uns. Das hat mir einen starken Eindruck gemacht, und Sie können versichert sein, daß ich jederzeit redlich bestrebt sein werde, meine kindliche Dankbarkeit gegen Sie zu betätigen, wenn Sie meiner Mithilfe bedürfen sollten. Aber darum handelt sich's hier gar nicht. Sie werden ja gar nicht in Anspruch genommen bei meiner Heirat, und das Mädchen, welches ich zu gewinnen hoffe, ist von tadelloser Sittlichkeit. Um mich handelt sich's, um mich allein, um mein Lebensglück. Das muß ich mir erbauen können nach eigner Einsicht. Das muß ich mir also auch Ihnen gegenüber vorbehalten, und das behalt' ich mir vor, obwohl es mir sehr weh tun würde, wenn Sie Ihre Zustimmung versagen sollten.«
Nach diesen Worten ging er und hörte im Wohnzimmer nur noch, daß der Vater in der kleinen Stube eine heftige Gegenrede anfing, welche durch rasselnden Hustenanfall unterbrochen wurde. Dem war er immer ausgesetzt, und ein starker Schleimauswurf pflegte zu folgen. Er befand sich dabei immer wohl, im Gegenteile pflegte ihn solch ein Ausbruch zu erleichtern.
Zerrüttet in seinen Hoffnungen und recht traurig kehrte Wilhelm auf dem Wege zum Kreuze und von da nach der Stadt zurück. Besonders die Andeutung des Vaters, er könnte vor den Stadtleuten darüber reden, beängstigte ihn. Es war dem alten, zornigen Bauer darin das Ärgste zuzutrauen, und Wilhelm sah ihn schon im Lamprechtschen Hause seinen Groll entladen, wodurch natürlich der bürgerstolze Lamprecht veranlaßt sein würde, den widerwärtigen Brautwerber schnöde aus dem Hause zu weisen.
Wilhelm hatte jedoch auch etwas vom harten Schädel seines Vaters, nur daß sich diese Eigenschaft nicht so jäh bei ihm äußerte. Er hielt fest an seinem Willen. Er war wohl imstande, zuzuwarten, aber er war gar nicht geneigt, zu ändern und nachzugeben, wenn er sich im Rechte fühlte.
So faßte er jetzt keinen raschen Entschluß, sondern meinte, die Sache in sich ruhen und ausreifen zu lassen. Dann werde der Entschluß von selbst kommen.
Dennoch blieb er traurig, und dennoch wollte er zunächst die Eigentumsgefahr des Vaters zu beseitigen suchen, die Gefahr mit dem Eisensteine.
Als er bis zum Kreuz gekommen war, da war er darüber mit sich einig, sogleich den neuen Justizkommissarius aufzusuchen, welcher in der Vorstadt beim Kronenwirt eingezogen war.