Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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66. Robespierre und seine Gruppe

Man hat von Robespierre oft als von einem Diktator gesprochen. Seine Feinde im Konvent nannten ihn ›den Tyrannen‹. Und je mehr sich in der Tat die Revolution ihrem Ende nähert, einen um so größeren Einfluß erlangt Robespierre, so daß man ihn schließlich in Frankreich und im Ausland als die bedeutendste Persönlichkeit der Republik betrachtet.

Es wäre jedoch gewiß falsch, Robespierre als Diktator hinzustellen. Daß viele seiner Bewunderer eine Diktatur gewünscht haben, ist sicher.So wenig historischen Wert die Notes historiques sur la Convention nationale von Marc Antonin Baudot (Paris 1893, S. 13) haben, daß Saint-Just, wie Baudot sagt, vorgeschlagen habe, Robespierre zur Rettung der Republik zum Diktator zu ernennen, hat nichts Unwahrscheinliches an sich. Buonarroti spricht davon wie von einer bekannten Tatsache. Aber man weiß auch, daß Cambon auf seinem Spezialgebiet, im Finanzausschuß, einen großen Einfluß ausübte und daß Carnot für den Krieg, trotz dem Übelwollen Robespierres und Saint-Justs gegen ihn, sehr weitgehende Vollmachten hatte. Der Sicherheitsausschuß klammerte sich zu sehr an seine Polizeigewalt, als daß er sich nicht einer Diktatur widersetzt hätte, und einige seiner Mitglieder haßten Robespierre. Und wenn es schließlich im Konvent eine Anzahl Mitglieder gab, die den überwiegenden Einfluß Robespierres nicht ungern sahen, so hätten sie sich doch nicht der Diktatur eines Mannes vom Berg unterworfen, der so streng wie er in seinen Prinzipien war.

Und doch besaß Robespierre in Wirklichkeit eine ungeheure Macht. Noch mehr: fast alle fühlten, und seine Feinde wie seine Bewunderer erkannten es an, daß das Verschwinden von Robespierres Gruppe den sicheren Sieg der Reaktion bedeuten müßte, – wie es ja auch in der Tat dann der Fall war.

Wie also soll man sich die Macht dieser Gruppe erklären?

Sie kam daher, daß Robespierre inmitten so vieler anderer, die sich von den Anlockungen der Macht oder des Reichtums verführen ließen, unbestechlich blieb – und das ist in einer Revolution etwas überaus Wichtiges. Während die meisten unter ihnen nach der Beute der Nationalgüter, der Spekulation usw. begierig waren und Tausende Jakobiner sich beeilten, Stellen in der Regierung zu ergattern, blieb er als gestrenger Richter vor ihnen stehen, erinnerte sie an die Prinzipien und drohte denen mit der Guillotine, die am lüsternsten nach der Beute waren. Aber noch mehr. In allem, was er in den fünf Jahren des revolutionären Sturmes gesagt und getan hat, fühlt man noch heute – und seine Zeitgenossen müssen es noch mehr gefühlt haben –, daß er einer der sehr seltenen Politiker der Zeit war, die in ihrem Glauben an die Revolution und in ihrer Liebe zur demokratischen Republik nie gewankt haben. In dieser Hinsicht stellte Robespierre eine wahrhafte Macht dar, und hätten ihm die Kommunisten eine ebenbürtige Macht des Geistes und des Willens entgegenstellen können, hätten sie sicher der Großen Revolution den Stempel ihrer Ideen viel tiefer aufprägen können.

Diese Eigenschaften Robespierres jedoch, die auch seine Feinde ihm zuschreiben müssen, hätten für sich allein nicht genügt, um die ungeheure Macht, die er gegen das Ende der Revolution besaß, zu erklären.

Diese kam daher, daß er, mit dem Fanatismus ausgerüstet, den ihm die Reinheit seiner Absichten inmitten so vieler ›Profitmacher‹ gab, geschickt daran arbeitete, seine Macht über die Geister zu befestigen, selbst wenn er dafür über die Leichen seiner Gegner schreiten mußte, und daß er darin von der entstehenden Bourgeoisie, sowie sie in ihm den Mann der revolutionären Mittelstraße erkannt hatte, der gleich weit von den ›Exaltierten‹ und den ›Gemäßigten‹ entfernt war, mächtig unterstützt wurde. Die Bourgeoisie sah in ihm den Mann, der ihr die beste Garantie gegen die ›Maßlosigkeiten‹ des Volkes bot. Sie begriff, daß er der Mann war, der durch die Achtung, die er dem Volke einflößte, durch seinen gemäßigten Geist und sein Verlangen nach der Macht am geeignetsten war, die Begründung einer Regierung vorzubereiten – der revolutionären Periode ein Ende zu machen, – und sie ließ ihn gewähren, solange sie die radikalen Parteien zu fürchten hatte. Aber nachdem Robespierre ihr geholfen hatte, diese Parteien zu vernichten, stürzte sie nunmehr ihn, um das girondistische Bürgertum wieder in den Konvent einzusetzen und die reaktionäre Orgie des Thermidor zu beginnen.

Robespierres Geistesbeschaffenheit machte ihn zu dieser Rolle überaus geeignet. Man lese nur in der Tat den Entwurf, den er für die Anklage gegen die Gruppe von Fabre d'Eglantine und Chabot geschrieben hat und der nach dem 9. Thermidor unter seinen Papieren gefunden wurde.Für die Anklage gegen diese Gruppe hatte Robespierre den Entwurf gemacht. Er ließ die Anklage von Saint-Just vorbringen. Siehe diesen Entwurf in den Papiers inédits trouvés chez Robespierre, Saint-Just, Payan etc., supprimés ou omis par Courtois, précédés du rapport de ce dernier à la Convention nationale. Paris 1828, Bd. I, S. 21 ff. Dieses Schriftstück charakterisiert den Mann besser als alle Erörterungen.

›Zwei feindliche Gruppen kämpfen seit einiger Zeit zum Ärgernis‹ – so beginnt er. ›Die eine neigt zur Mäßigung, die andere zu Maßlosigkeiten, die tatsächlich gegenrevolutionär wirken. Die eine erklärt allen tatkräftigen Patrioten den Krieg, predigt Nachsicht gegen die Verschwörer; die andere bringt schleichende Verleumdungen gegen die Verteidiger der Freiheit vor und will jeden Patrioten, der sich einmal verirrt hat, bis ins kleinste verfolgen, während sie zugleich vor den verbrecherischen Umtrieben unserer gefährlichsten Feinde die Augen schließt . . . Die eine sucht ihr Ansehen oder ihre Anwesenheit im Nationalkonvent [die Dantonisten], die andere ihren Einfluß in den Volksgesellschaften zu mißbrauchen [die Kommune, die Enragés]. Die eine will den Konvent überrumpeln und ihn zu gefährlichen Dekreten oder Unterdrückungsmaßregeln gegen ihre Widersacher bringen; die andere läßt gefährliche Rufe in den öffentlichen Versammlungen ertönen . . . Der Triumph der einen wie der anderen Partei wäre für die Sache der Freiheit und der Autorität der Nation in gleicher Weise verhängnisvoll.‹ – Und nun erklärt er, wie die beiden Parteien den Wohlfahrtsausschuß seit seiner Gründung angegriffen haben.

Nachdem er Fabre beschuldigt hat, er rufe nach Milde, um seine Verbrechen zu verdecken, fährt er fort:

›Der Augenblick war ohne Zweifel günstig gewählt, um eine feige und erbärmliche Lehre selbst Männern guten Willens zu verkünden: alle Feinde der Freiheit drängten zu einer höchst schädlichen Maßlosigkeit; eine feile Philosophie, die sich der Tyrannei verkauft hat, bekämpfte die Altäre statt der Throne, brachte die Religion in einen Gegensatz zum Patriotismus,Aus der Schrift Aulards ›Le culte de la Raison et le culte de l'Être suprême 1793–1794‹ (2. Auflage, Paris 1904) geht hervor, wie sehr im Gegenteil die antireligiöse Bewegung mit dem Patriotismus zusammenhing. die Moral in Widerspruch mit sich selbst, identifizierte die Sache des Kultus mit der des Despotismus, die Katholiken mit den Verschwörern und wollte das Volk zwingen, in der Revolution nicht den Triumph der Tugend, sondern des Atheismus, nicht die Quelle seines Glückes, sondern die Zerstörung seiner moralischen und religiösen Überzeugungen zu sehen.‹

Man sieht aus diesen Auszügen, daß Robespierre zwar in der Tat nicht die Weite des Blicks und die Kühnheit des Denkens hatte, die notwendig sind, um ein ›Führer‹ in einer Revolution zu werden, daß er dafür aber die Kunst, die Mittel zu handhaben, durch die man eine Versammlung gegen einen bestimmten Menschen aufbringt, in Vollendung besaß. Jeder Satz dieser Anklagerede ist ein vergifteter Pfeil, der treffen muß.

Besonders muß uns die Tatsache auffallen, daß Robespierre und seine Freunde nicht merken, welche Rolle ›die Gemäßigten‹ sie spielen lassen, solange diese sie noch nicht für reif zum Sturze halten. ›Es gibt ein System, das das Volk dazu bringen will, alles gleichzumachen‹, schreibt sein Bruder an ihn, ›wenn man sich nicht vorsieht, wird alles durcheinanderkommen.‹ Maximilien Robespierre hat keinen weiteren Horizont als sein Bruder. Er sieht in den Bestrebungen der radikalen Parteien nur ihre Angriffe gegen die Regierung, der er angehört. Wie Brissot beschuldigt er sie, Werkzeuge der Kabinette von London und Wien zu sein. Die Versuche der Kommunisten sind für ihn nur Erzeugung des Durcheinanders. Man muß ›sich vorsehen‹, sie vernichten – durch den Schrecken.

›Was gibt es für Mittel, dem Bürgerkrieg ein Ende zu machen?‹ fragt er sich in einer Notiz. Und er antwortet:

›Die Verräter und Verschwörer, hauptsächlich die schuldigen Abgeordneten und Mitglieder der Verwaltung, zu bestrafen, patriotische Truppen unter patriotischen Befehlshabern hinzuschicken, um die Aristokraten von Lyon, Marseille, Toulon, der Vendée, des Jura und all der anderen Gegenden, in denen die Fahne der Empörung und des Royalismus aufgepflanzt worden ist, zu unterwerfen, und an allen Frevlern, die sich gegen die Freiheit vergangen und das Blut der Patrioten verspritzt haben, schreckliche Exempel zu statuieren.‹Papiers inédits, Bd. II, S. 14.

Man sieht, hier spricht ein Regierungsmann die Sprache aller Regierungen, aber es spricht kein Revolutionär. So bleibt denn auch seine ganze Politik vom Sturz der Kommune bis zum 9. Thermidor völlig unfruchtbar. Sie hindert die Katastrophe, die sich vorbereitet, in keiner Weise; sie tut viel, um sie zu beschleunigen. Sie wendet die Dolche nicht ab, die im Dunkel geschliffen werden, um die Revolution zu treffen; sie tut alles, um ihre Stöße tödlich zu machen.


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