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Der Winter verging so in dumpfen Kämpfen zwischen den Revolutionären und den Gegenrevolutionären, die mit jedem Tag das Haupt kühner erhoben.
Im Anfang des Monats Februar machte sich Robespierre zum Wortführer einer Bewegung gegen gewisse in die Provinzen entsandte Konventsdelegierte, die, wie Carrier in Nantes und Fouché in Lyon, mit einer verzweifelten Wut gegen die aufständischen Städte vorgegangen waren, ohne zwischen den Rädelsführern dieser Erhebungen und den Menschen aus dem Volke, die sich hatten fortreißen lassen, zu unterscheiden.Man weiß, daß der junge Jullien sich offen über das maßlose Vorgehen der Konventsdelegierten und insbesondere Carriers gegen ihn geäußert hatte. Siehe ›Une mission en Vendée‹. Er forderte Berichterstattung von seiten dieser Delegierten. Er bedrohte sie mit Verfolgungen. Diese Bewegung führte jedoch zu nichts. Am 5. Ventôse (23. Februar) wurde Carrier vom Konvent amnestiert, und das bedeutete, daß alle Akte aller in die Provinzen entsandten Konventsdelegierten, wie groß auch ihre Fehler gewesen sein mochten, verziehen sein sollten. Die Hébertisten triumphierten; Robespierre und Couthon waren krank und nicht zu sehen.
Mittlerweile war Saint-Just von den Armeen zurückgekehrt und hielt am 8. Ventôse (26. Februar) eine große Rede, die einen starken Eindruck machte und alle Karten durcheinanderbrachte. Weit entfernt, von Milde zu sprechen, eignete sich Saint-Just das terroristische Programm der Hébertisten an. Auch er drohte, und stärker als sie. Er versprach ausdrücklich, die Partei der ›Verbrauchten‹ anzugreifen und zeigte damit die Dantonisten, die ›politische Sekte‹, die ›mit langsamen Schritten geht‹, die ›alle Parteien an der Nase führt‹ und die Rückkehr der Reaktion vorbereitet, die von Milde spricht, ›weil diese Männer sich zum Schrecken nicht tugendhaft genug fühlen‹, als nächste Opfer der Guillotine an. Hier hatte er leichtes Spiel, da er im Namen der republikanischen Sittlichkeit sprach, während die Hébertisten – wenigstens in Worten – sich darüber lustig machten und so ihren Feinden die Möglichkeit gaben, sie mit dem Schwarm der ›Profitmacher‹ der Bourgeoisie zu verwechseln, die in der Revolution nur das Mittel sahen, reich zu werden.
Hinsichtlich der wirtschaftlichen Fragen war es Saint-Justs Taktik, in seinem Bericht vom 8. Ventôse einige der Ideen der Enragés in sehr unbestimmter Weise zu übernehmen. Er gestand, daß er bisher an diese Fragen noch nicht gedacht hatte. ›Die Macht der Tatsachen‹ sagte er, ›führt uns vielleicht zu Resultaten, an die wir nicht gedacht hatten.‹ Aber heute, wo er daran denkt, will er trotzdem nicht den Reichtum an sich antasten; er will ihn nur darum antasten, weil die Feinde der Revolution ihn in Händen haben: ›Das Eigentum der Patrioten ist heilig, aber die Güter der Verschwörer sind für die Unglücklichen da.‹ Er entwickelt trotzdem einige Ideen über das Grundeigentum. Er will, daß die Erde dem gehört, der sie bestellt, daß man dem, der ein Grundstück zwanzig oder fünfzig Jahre lang nicht bestellt hat, das Land wegnimmt. Er träumt von einer Demokratie tugendhafter kleiner Besitzer, die in einem bescheidenen Wohlstand leben. Und er verlangt endlich, man solle die Ländereien der Verschwörer konfiszieren, um sie ›den Unglücklichen‹ zu geben. Es kann keine Freiheit geben, solange es Unglückliche und Notleidende gibt und solange die bürgerlichen (wirtschaftlichen) Beziehungen zu Bedürfnissen führen, die im Gegensatz zur Regierungsform stehen. ›Ich glaube nicht‹, sagte er, ›daß die Freiheit sich einbürgert, wenn es möglich ist, daß man die Armen gegen den neuen Stand der Dinge aufwiegeln kann; ich glaube nicht, daß man der Not ein Ende machen kann, wenn man nicht dafür sorgt, daß jeder Grundbesitz hat . . . Man muß die Armut durch die Verteilung der Nationalgüter an die Armen abschaffen.‹ Er spricht auch von einer Art nationaler Versicherung: von einem ›Nationaleigentum, das eingerichtet werden soll, um die Mißgeschicke im Körper der Gesellschaft wiedergutzumachen‹. Es wird dazu dienen, die Tugend zu belohnen, das Unglück der einzelnen Personen wiedergutzumachen, es wird zur Erziehung verwandt werden können. – Und mit alledem vermischt ist viel vom Schrecken die Rede. Es ist der hébertistische Schrecken, der leicht mit Sozialismus gefärbt ist. Aber dieser Sozialismus ist zusammenhangslos. Es sind eher Grundsätze als Entwürfe zur Gesetzgebung. Man sieht, daß Saint-Just nur eins im Auge hat: zu beweisen, wie er selbst gesagt hat, daß ›der Berg immer der Gipfel der Revolution bleibt‹. Der Berg wird nicht dulden, daß ihn jemand überflügelt. Er wird die Enragés und die Hébertisten guillotinieren, aber er wird das und jenes von ihnen entlehnen.
Durch diesen Bericht erlangte Saint-Just vom Konvent zwei Dekrete. Das eine entsprach denen, die Milde verlangten. Dem Sicherheitsausschuß wurde die Erlaubnis gegeben, ›die gefangenen Patrioten‹ in Freiheit zu setzen. Das andere schien dazu bestimmt, den Hébertisten den Rang abzulaufen und zugleich die Käufer der Nationalgüter zu beruhigen. Das Eigentum der Patrioten wurde für geheiligt erklärt; aber die Güter der Feinde der Revolution sollten zugunsten der Republik eingezogen werden, und diese Feinde selbst sollten bis zum Friedensschluß gefangen bleiben und dann verbannt werden. Die also, die wollten, daß die Revolution vorwärtsmarschierte, waren betrogen. Es waren von dieser Rede nur Worte übriggeblieben.
Nunmehr beschlossen die Cordeliers zu handeln. Am 14. Ventôse (4. März) verhüllten sie die Tafel, auf der die Menschenrechte standen, mit einem schwarzen Schleier. Vincent sprach von der Guillotine, und Hébert sprach gegen Amar vom Sicherheitsausschuß, der zögerte, einundsechzig Girondisten vor das Revolutionstribunal zu schicken. Mit versteckten Worten bezeichnete er sogar Robespierre – nicht als ein Hindernis für ernsthafte Umgestaltungen, sondern als Verteidiger Desmoulins. Es drehte sich also immer nur um den Schrecken. Carrier sprach das Wort Aufstand aus.
Aber Paris rührte sich nicht, und die Kommune lehnte es ab, die hébertistischen Cordeliers anzuhören. Dann wurden in der Nacht des 23. Ventôse (13. März) die hébertistischen Führer – Hébert, Momoro, Vincent, Ronsin, Ducroquet und Laumur – verhaftet, und der Wohlfahrtsausschuß ließ durch Billaud-Varenne alle möglichen Märchen und Verleumdungen über sie verbreiten. Sie wollten, sagte Billaud, in den Gefängnissen die Royalisten allgemein niedermachen lassen; sie wollten die Münze plündern; sie hatten Lebensmittel aufspeichern lassen, um Paris auszuhungern!
Am 28. Ventôse (18. März) verhaftete man Chaumette, den der Wohlfahrtsausschuß am Tag vorher abgesetzt und durch Cellier ersetzt hatte. Der Bürgermeister Pache war ebenfalls von diesem Ausschuß seines Amtes entsetzt worden. Anacharsis Cloots war schon am 8. Nivôse (28. Dezember) unter der Anschuldigung, sich erkundigt zu haben, ob eine Dame auf der Verdächtigtenliste stand, verhaftet worden. Leclerc, der aus Lyon gekommen war, der Freund Chaliers und Mitarbeiter von Roux, wurde ebenfalls in den Prozeß verwickelt.
Die Regierung triumphierte.
Die wahren Gründe dieser Verhaftungen der Mitglieder der radikalen Partei kennen wir noch nicht. Hatten sie eine Verschwörung vorbereitet, um mit Hilfe von Ronsins Revolutionsarmee die Macht in die Hand zu bekommen? Es ist möglich, aber wir wissen nichts Genaues darüber.
Die Hébertisten wurden vor das Revolutionstribunal gestellt, und man trieb die Ungerechtigkeit so weit, daß man das machte, was man ein ›Amalgam‹ nannte. Man verhandelte gleichzeitig gegen Bankiers, deutsche Agenten und gegen Momoro – der sich schon 1789 durch seine kommunistischen Ideen ausgezeichnet hatte und der alles, was er besaß, der Revolution gab –, gegen Leclerc, den Freund Chaliers, und Anacharsis Cloots, ›den Redner der Menschheit‹, der schon 1793 die Republik der Menschheit ins Auge gefaßt und davon zu sprechen gewagt hatte.
Am 4. Germinal (24. März) wurden alle nach einem Prozeß, der drei Tage dauerte, aber nur pro forma stattfand, guillotiniert.
Man kann sich denken, welches Fest dieser Tag für das Lager der Royalisten war, deren es eine Menge in Paris gab. Die Straßen waren voll von Stutzern, die sich aufs köstlichste ausstaffiert hatten und die die Verurteilten verhöhnten, während man sie zum Revolutionsplatz führte. Die Reichen zahlten verrückte Preise, um ganz nahe bei der Guillotine Platz zu bekommen und sich am Sterben des Verfassers des ›Père Duchesne‹ zu erquicken. ›Der Platz wurde zum Theater‹, sagt Michelet. Und ›ringsherum eine Art von Jahrmarkt, die Champs Elysées voll lachender Menschen mit allerlei Gauklern und kleinen Händlern‹. Das Volk blieb düster zu Hause und zeigte sich nicht. Es wußte, daß man seine Freunde tötete.
Chaumette wurde später, am 24. Germinal (13. April) zusammen mit dem früheren Bischof Gobel guillotiniert – das Verbrechen, dessen sie beide beschuldigt wurden, war Irreligion. Die Witwe Desmoulins' und die Witwe Héberts wurden gleichzeitig hingerichtet. Pache wurde geschont, aber an seine Stelle als Bürgermeister kam der unbedeutende Fleuriot-Lescaut, und der Prokurator Chaumette wurde zuerst durch Cellier und dann durch Claude Payan ersetzt, der Robespierre ganz und gar ergeben war und sich mehr um das höchste Wesen kümmerte als um das Volk von Paris.Das Gesetz vom 14. Frimaire (4. Dezember), das die ›revolutionäre Regierung‹ begründete, hatte die gewählten Kommuneprokuratoren durch sogenannte ›Nationalanwälte‹ ersetzt, die vom Wohlfahrtsausschuß ernannt wurden. Chaumette, den man in seinem Amt bestätigt hatte, war also ein solcher Staatsanwalt geworden. Nunmehr, an dem Tage, wo man die Hébertisten verhaftete, am 23. Ventôse (13. März), hatte der Wohlfahrtsausschuß im Konvent ein Gesetz annehmen lassen, das ihm erlaubte, die erwählten Beamten der Kommune, die er abgesetzt hatte, vorläufig zu ersetzen. Nachdem der Ausschuß Pache abgesetzt hatte, ernannte er auf Grund dieser Vollmacht Fleuriot-Lescaut zum Bürgermeister von Paris.
Der Sicherheits- und der Wohlfahrtsausschuß hatten endlich den Sieg über die Kommune von Paris errungen. Der lange Kampf, den dieser Herd der Revolution seit dem 9. August 1792 gegen die offiziellen Vertreter der Revolution geführt hatte, war zu Ende. Die Kommune, die seit neunzehn Monaten für das revolutionäre Frankreich eine Fackel gewesen war, sollte jetzt ein Rad in der Staatsmaschine werden. Damit war der Zusammenbruch unausbleiblich geworden.
Der Triumph der Royalisten war jedoch nach diesen Hinrichtungen so groß, daß die Ausschüsse sich schon von der Gegenrevolution überschwemmt sahen. Man ging schon so weit, daß man jetzt sie für Brissots geliebten ›Tarpejischen Felsen‹ bestimmte. Desmoulins, dessen Verhalten bei der Hinrichtung Héberts unwürdig gewesen war (er selbst hat es erzählt), bereitete eine siebente Nummer seines Blattes vor, die ganz und gar gegen die revolutionäre Regierung gerichtet war. Die Royalisten überließen sich tollen Freudenausbrüchen und drängten Danton zum Angriff gegen die Ausschüsse. Die ganze Masse der Girondisten, die sich mit Dantons Namen deckten, war im Begriff, das Fehlen der hébertistischen Revolutionäre zu benutzen, um einen Staatsstreich zu machen, und dann war die Guillotine Robespierre, Couthon, Saint-Just, Billaud-Varenne, Collot d'Herbois und so vielen andern gewiß. Es war der Triumph der Gegenrevolution schon im Frühjahr 1794. Nunmehr entschlossen sich die Ausschüsse, einen großen Streich nach rechts zu führen und Danton zu opfern.
In der Nacht vom 30. zum 31. März (9. zum 10. Germinal) erfuhr Paris mit Schaudern, daß Danton, Philippeaux und Lacroix verhaftet worden waren. Auf einen Bericht, den Saint-Just im Konvent erstattete (der nach einem Entwurf von Robespierre, der sich bis zum heutigen Tag erhalten hat, verfaßt war), beschloß die Nationalversammlung unverzüglich den Prozeß. Der gehorsame ›Sumpf‹ stimmte, wie man es ihn hieß. Die Ausschüsse machten wiederum ein ›Amalgam‹ und schickten gemeinsam Danton, Desmoulins, Basire, Fabre, der der Fälschung, Lacroix, der der Plünderung angeklagt war, Chabot, der zugestand, hunderttausend Franken für irgendeine Sache von Royalisten erhalten zu haben (ohne sie übrigens auszugeben), den Fälscher Delaunay und den Unterhändler Julien (von Toulouse) vor das Revolutionstribunal.
Der Prozeß wurde kurz abgebrochen. In dem Augenblick, wo die machtvolle Verteidigungsrede Dantons einen Aufstand des Volkes hervorzurufen drohte, wurde den Angeklagten das Wort abgeschnitten.
Alle wurden am 16. Germinal (5. April) hingerichtet.
Man versteht, welche Wirkung der Sturz der revolutionären Kommune von Paris und die Hinrichtung von Männern wie Leclerc, Momoro, Hébert und Cloots, denen Danton und Camille Desmoulins und schließlich Chaumette folgten, auf die Bevölkerung von Paris machen mußte. Diese Hinrichtungen wurden in Paris und den Provinzen als das Ende der Revolution aufgefaßt. In den politischen Kreisen wußte man, daß Danton der Sammelpunkt für die Gegenrevolutionäre geworden war. Aber für Frankreich im allgemeinen war er der Revolutionär geblieben, der immer im Vordertreffen der Volksbewegungen gestanden hatte. – ›Wenn diese Verräter sind, wem soll man trauen?‹ fragten sich die Männer aus dem Volke. – ›Aber sind sie Verräter?‹ fragten sich die andern. ›Ist es nicht ein sicheres Zeichen, daß die Revolution zu Ende geht?‹
Gewiß, das war es. Nachdem einmal der Aufstieg der Revolution ins Stocken gekommen war, nachdem sich einmal eine Macht gefunden hatte, die ihr sagte: ›Bis hierher und nicht weiter!‹, und zwar in einem Augenblick, wo ungemein volkstümliche Forderungen nach ihrem Ausdruck suchten, nachdem einmal diese Macht den Männern die Köpfe hatte abschlagen können, die für diese Forderungen den Ausdruck zu finden gesucht hatten, sahen die wahren Revolutionäre, daß das den Tod der Revolution bedeutete. Sie ließen sich nicht von den Worten Saint-Justs fangen, der ihnen erzählte, daß er auch anfinge, so wie die zu denken, die er auf die Guillotine schickte. Sie merkten, es war der Anfang vom Ende.
In der Tat, der Sieg der Ausschüsse über die Kommune von Paris war der Sieg der Ordnung, und in der Revolution bedeutet der Sieg der Ordnung den Schluß der revolutionären Periode. Jetzt gibt es noch einige Zuckungen, aber die Revolution ist zu Ende.
Das Volk, das die Revolution gemacht hatte, fing schließlich an, das Interesse an ihr zu verlieren. Es stieg nicht mehr auf die Straße und überließ sie den Stutzern.