Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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38. Der Prozeß des Königs

Die zwei Monate, die von der Eröffnung des Konvents bis zum Beginn des Gerichtsverfahrens gegen den König verstrichen, sind bis heute für die Geschichte ein Rätsel geblieben.

Die erste Frage, die sich sofort nach dem Zusammentritt für den Konvent erheben mußte, war sicher: Was sollte mit dem König und seiner Familie, die im Temple gefangen saßen, geschehen? Sie da auf unbestimmte Zeit lassen, bis die Invasion vertrieben und eine republikanische Verfassung angenommen und vom Volk akzeptiert war, das war unmöglich. Wie konnte die Republik errichtet werden, solange sie einen König und seinen legitimen Nachfolger in ihren Gefängnissen hatte, ohne zu wagen, hinsichtlich ihrer etwas zu unternehmen?

Überdies erschienen Ludwig XVI., Marie Antoinette und ihre Kinder, die einfache Privatleute geworden waren, die ihren Palast verlassen hatten und als Familie ein Gefängnis bewohnten, als interessante Märtyrer, für die die Royalisten sich begeisterten und mit denen die Bürger und selbst die Sansculotten, die im Temple die Wache bezogen, Mitleid hatten.

Eine solche Situation konnte nicht so weitergehen. Und trotzdem erhitzte man sich fast zwei Monate lang im Konvent über alle möglichen Dinge, ohne diese erste Konsequenz des 10. August, das Schicksal des Königs, zu berühren. Dieses Zögern muß nach unserer Meinung ein absichtliches gewesen sein, und wir können es uns nur erklären, wenn wir annehmen, daß man während dieser Zeit in geheimen Verhandlungen mit den europäischen Höfen stand, Verhandlungen, die noch nicht veröffentlicht worden sind, aber die sicher an die Invasion anknüpften, und deren Ausgang von der Wendung abhing, die der Krieg nahm.

Man weiß bereits, daß Danton und Dumouriez Verhandlungen mit dem Führer der preußischen Armee gehabt hatten, um ihn zu bestimmen, sich von den Österreichern zu trennen und seinen Rückzug anzutreten. Und man weiß auch, daß eine der Bedingungen, die der Herzog von Braunschweig gestellt hat (und die wahrscheinlich nicht angenommen wurde), lautete: Ludwig XVI. dürfte nicht angetastet werden. Aber es muß noch mehr gewesen sein. Ähnliche Verhandlungen schwebten wahrscheinlich auch mit England. Und wie sollte man sich das Stillschweigen des Konvents und die Geduld der Sektionen erklären, wenn man nicht annimmt, daß es darüber zwischen dem Berg und der Gironde ein Einverständnis gegeben hat?

Indessen steht es uns heute fest, daß Verhandlungen dieser Art keinen Erfolg haben konnten, und zwar aus zwei Gründen. Das Schicksal Ludwigs XVI. und seiner Familie interessierte den König von Preußen und den König von England und sogar den Bruder Marie Antoinettes, den Kaiser von Österreich, nicht so stark, daß sie den persönlichen Interessen der Gefangenen des Temple die politischen Nationalinteressen zum Opfer gebracht hätten. Das ersieht man deutlich aus den Verhandlungen, die später über die Freilassung von Marie Antoinette und Madame Elisabeth geführt wurden. Und andererseits fanden die koalierten Könige in der gebildeten Klasse Frankreichs nicht die übereinstimmenden republikanischen Gefühle, die ihre unsinnige Hoffnung, das Königtum wiederherzustellen, hätten verlöschen können. Im Gegenteil fanden sie die Intellektuellen des Bürgertums sehr geneigt, entweder den Herzog von Orléans (den Großmeister des Freimaurerordens, dem alle bekannten Revolutionäre angehörten) oder seinen Sohn, den Herzog von Chartres, den künftigen Louis-Philippe, oder sogar den Dauphin als König zu akzeptieren.

Aber das Volk wurde ungeduldig. Die Volksvereine in ganz Frankreich verlangten, daß man den Prozeß des Königs nicht länger verschöbe, und am 19. Oktober erschien auch die Kommune vor den Schranken des Konvents und überbrachte ihm diesen Wunsch von Paris. Endlich geschah am 3. November ein erster Schritt. Es wurde ein Bericht zur Verlesung gebracht, in dem verlangt wurde, Ludwig XVI. in Anklagezustand zu versetzen, und am nächsten Tag wurden die Hauptpunkte der Anklage formuliert. Am 13. November wurde die Debatte eröffnet. Indessen hätte sich die Sache noch in die Länge gezogen, wenn nicht am 20. November der Schlosser Gamain, der früher Ludwig XVI. die Schlosserei gelehrt hatte, bei Roland die Existenz eines Geheimschrankes in den Tuilerien angezeigt hätte, den der König mit Hilfe Gamains in einer der Wände untergebracht hatte, um dort Papiere zu verwahren.

Man kennt diese Geschichte. Eines Tages im August 1792 ließ Ludwig XVI. Gamain von Versailles kommen, damit er ihm helfe, in einer Mauer unter einer Holzverkleidung eine eiserne Tür anzubringen, die er selbst verfertigt hatte und die dazu dienen sollte, eine Art Geheimschrank zu verschließen. Nach geendigter Arbeit brach Gamain in der Nacht wieder nach Versailles auf, nachdem er ein Glas Wein getrunken und ein Biskuit gegessen hatte, das ihm die Königin gegeben hatte. Unterwegs wurde er von heftigen Kolikanfällen ergriffen und fiel um; seitdem war er krank. Da er glaubte, er sei vergiftet worden – vielleicht aber auch, weil er Angst hatte –, denunzierte er Roland die Existenz des Geheimschrankes. Dieser bemächtigte sich, ohne irgend jemandem ein Wort zu sagen, sofort der Papiere, die er enthielt, nahm sie mit sich nach Hause, sah sie mit seiner Frau durch und brachte sie, nachdem er jedes Stück mit seiner Unterschrift versehen hatte, in den Konvent.

Man begreift, welch tiefen Eindruck diese Entdeckung hervorbringen mußte, besonders als man aus diesen Papieren erfuhr, daß der König die Dienste Mirabeaus gekauft hatte, daß seine Agenten ihm vorgeschlagen hatten, elf einflußreiche Mitglieder der Gesetzgebenden Versammlung zu kaufen (man wußte schon, daß Barnave und Lameth für seine Sache gewonnen worden waren), und daß Ludwig XVI. die entlassenen Garden, die in den Dienst seiner Brüder in Koblenz getreten waren und die jetzt mit den Österreichern gegen Frankreich marschierten, bis zuletzt immer noch bezahlte.

Erst heute, wo man so viele Dokumente in den Händen hat, die den Verrat Ludwigs XVI. feststellen, und wo man die Mächte sieht, die sich trotzdem seiner Verurteilung entgegenstellten, versteht man, wie schwer es für die Revolution war, einen König zu verurteilen und hinzurichten. Alles, was es an Vorurteilen, an offener und versteckter Servilität in der Gesellschaft, an Furcht für die Vermögen der Reichen und an Mißtrauen gegen das Volk gab, vereinigte sich, um den Prozeß zu verschleppen. Die Gironde, der treue Spiegel dieser Befürchtungen, tat alles, um zu verhindern, zunächst, daß der Prozeß stattfand, dann, daß er zu einer Verurteilung führte und daß diese Verurteilung die Todesstrafe war, und schließlich, daß das Urteil vollstreckt wurde.Während des Prozesses schrieben girondistische Abgeordnete, hauptsächlich des Departements Calvados, an ihre Wähler, der Berg wollte den Tod des Königs nur, um dem Herzog von Orleans zum Thron zu verhelfen. Paris mußte dem Konvent mit dem Aufstand drohen, um ihn zu zwingen, in dem begonnenen Prozeß sein Urteil zu sprechen und die Vollstreckung nicht zu verzögern. Und wieviel pathetische Worte, wieviel Tränen bei den Historikern, wenn sie von diesem Prozeß sprechen! Um was handelte es sich denn aber in der Tat? Wenn irgendein General überführt worden wäre, das getan zu haben, was Ludwig XVI. getan hatte, um die Invasion des Auslandes herbeizurufen und sie zu unterstützen, welcher Historiker unserer Zeit – die alle Anhänger der Staatsräson sind – hätte einen einzigen Augenblick gezögert, für diesen General die Todesstrafe zu verlangen? Aber warum dann soviel Gejammer, wenn der Verräter der Befehlshaber aller Armeen war?

Nach allen Traditionen und allen Fiktionen, die unsre Historiker und unsre Juristen brauchen, um die Rechte des ›Staatsoberhauptes‹ festzustellen, war der Konvent in diesem Augenblick der Souverän. Ihm, und lediglich ihm, stand das Recht zu, den Souverän zu richten, den das Volk vom Thron gestoßen hatte, wie ihm allein das Recht der Gesetzgebung zustand, das seinen Händen genommen war. Wenn Ludwig XVI. vom Konvent gerichtet wurde, waren seine Richter – um in ihrer Sprache zu sprechen – seine Pairs. Und diese hatten, nachdem sie die moralische Gewißheit von seinem Verrat erlangt hatten, keine Wahl. Sie mußten die Todesstrafe aussprechen. Selbst die Gnade konnte nicht in Frage kommen, wo das Blut an der Grenze in Strömen floß. Die verbündeten Könige wußten es selbst, sie begriffen es vortrefflich.

Gegen die Theorie, die Robespierre und Saint-Just entwickelten, wonach die Republik das Recht hätte, in Ludwig XVI. ihren Feind zu töten, protestierte Marat mit großem Recht. Das hätte während oder unmittelbar nach dem Kampf vom 10. August geschehen können, aber nicht drei Monate nach der Schlacht. Jetzt gab es keine Wahl mehr, als Ludwig XVI. mit aller möglichen Öffentlichkeit vor Gericht zu stellen, damit die Völker und die Nachwelt selbst seine Übeltaten und seinen Jesuitismus beurteilen konnten.

Über die Tatsache des Hochverrates, den Ludwig XVI. und seine Frau begangen haben, hat der Konvent, das müssen wir, die die Korrespondenz Marie Antoinettes mit Fersen und dessen Briefe an verschiedene Personen in Händen haben, anerkennen, richtig geurteilt, obwohl er nicht die erdrückenden Beweise hatte, die wir heute besitzen. Aber er hatte so viele Tatsachen, die sich im Laufe der letzten drei Jahre angesammelt hatten, so viele Geständnisse, die den Royalisten und der Königin entwischt waren, so viele Handlungen Ludwigs XVI. von seiner Flucht nach Varennes an, die zwar von der Verfassung von 1791 amnestiert worden waren, aber doch dazu dienten, seine späteren Handlungen zu erklären, daß alle die moralische Gewißheit seines Verrates hatten. Niemand, auch unter denen niemand, die Ludwig XVI. zu retten versuchten, bestritt die Tatsache des Verrats. Auch das Volk von Paris hatte keinen Zweifel darüber.

In der Tat begann der Verrat mit dem Brief, den Ludwig XVI. an demselben Tag, an dem er im September 1791 unter den begeisterten Zurufen des Pariser Bürgertums den Eid auf die Verfassung schwor, an den Kaiser von Österreich schrieb. Dann kommt die Korrespondenz Marie Antoinettes mit Fersen, die dem König völlig bekannt war. Nichts Abscheulicheres als diese Korrespondenz. Die beiden Verräter, der König und die Königin, sitzen in den Tuilerien, rufen die Invasion herbei, bereiten sie vor, zeigen ihr den Weg, unterrichten sie über die militärischen Streitkräfte und Pläne. Den triumphierenden Einzug der verbündeten Deutschen in Paris und den Massenmord der Revolutionäre bereitet Antoinette mit ihrer zarten und geschickten Hand vor. Das Volk beurteilte die, die es ›die Medici‹ nannte und die die Historiker uns heute als armes, leichtsinniges Weib hinstellen wollen, ganz richtig.Fersen, der Freund Marie Antoinettes, hat in seinem Tagebuch niedergelegt, was diese Verbündeten den französischen Patrioten antun wollten. Der preußische Botschafter, Baron von Beck, mißbilligte es sehr stark, daß man die Jakobiner in den Städten, durch die man marschierte, nicht umgebracht hat. Graf von Mercy empfahl große Strenge, Paris müßte an allen vier Ecken angezündet werden. Am 11. September schrieb Fersen an den Baron von Breteuil: ›Das besiegte Land gibt nur der Macht nach, und die Milde scheint mir äußerst verderblich. Es ist der Augenblick, in dem die Jakobiner vernichtet werden müssen.‹ Die Führer an allen Plätzen, durch die man marschierte, zu erschießen, scheint ihm das beste Mittel. ›Man darf sich nicht einbilden, sie durch Milde zu gewinnen; man muß sie austilgen, und jetzt ist der Augenblick dazu da.‹ Und Breteuil antwortet ihm, er habe mit dem Herzog von Braunschweig darüber gesprochen. Aber der Herzog von Braunschweig ist zu mild. Der König von Preußen scheint günstiger gesinnt. ›Varennes z. B. muß in diesen Tagen seine Strafe bekommen.‹ Le comte de Fersen et la Cour de France. Extrait des papiers . . . publié par son petit-neveu, le baron R. M. de Klinckowstroem. Paris 1877, Bd. II, S. 360 ff.

Vom Standpunkt der Gesetzlichkeit aus kann also dem Konvent nichts vorgeworfen werden. Und hinsichtlich der Frage, ob die Hinrichtung des Königs nicht schlimmere Folgen hatte, als seine Anwesenheit inmitten der deutschen oder englischen Armeen hätte haben können, ist nur eine Bemerkung nötig. Solange die Gewalt des Königs von den Besitzenden und den Priestern als das beste Mittel betrachtet wurde, alle, die die Macht der Reichen und der Priester verringern wollten, im Zaume zu halten, wäre der König, tot oder lebendig, gefangen oder frei, enthauptet und heiliggesprochen oder als irrender Ritter bei anderen Königen, immer der Gegenstand einer rührenden Legende gewesen, die von der Geistlichkeit und allen Interessierten verbreitet wurde.

Damit jedoch, daß der Konvent Ludwig XVI. aufs Schafott schickte, tötete er vollends ein Prinzip, das die Bauern in Varennes zu töten begonnen hatten. Am 21. Januar 1793 verstand der revolutionäre Teil des französischen Volkes sehr gut, daß die Hauptstütze der ganzen Gewalt, die seit Jahrhunderten das französische Volk unterdrückt und ausgebeutet hatte, gebrochen war. Die Zertrümmerung der mächtigen Organisation, die das Volk knechtete, begann damit; ihr Hauptpfeiler war gebrochen, und die Volksrevolution nahm einen neuen Aufschwung.

Seitdem hat sich das Königtum von Gottes Gnaden in Frankreich nicht wiederherstellen können, selbst nicht mit dem Beistand des koalierten Europa, selbst nicht mit Hilfe des furchtbaren weißen Schreckens der Restauration. Und die Königtümer, die aus den Barrikaden oder einem Staatsstreich hervorgingen, haben sich, wie man 1848 und 1870 gesehen hat, auch nicht halten können. Das Prinzip des Königtums ist in Frankreich getötet.

Alles wurde indessen von den Girondisten getan, um die Verurteilung Ludwigs XVI. zu hindern. Sie nahmen alle möglichen juristischen Argumente zu Hilfe, sie benutzten alle möglichen parlamentarischen Ränke. Es gab sogar Augenblicke, wo es so aussah, als sollte sich der Prozeß des Königs in einen Prozeß gegen die Bergpartei verwandeln. Aber es half alles nichts. Die Logik der Situation siegte über die Listen der parlamentarischen Taktik.

Man schützte zunächst die Unverletzlichkeit des Königs vor, die in der Verfassung ausgesprochen sei; darauf wurde überzeugend geantwortet, daß diese Unverletzlichkeit nicht mehr existierte, seit der König die Verfassung und sein Vaterland verraten hatte.

Dann verlangte man ein Sondergericht, das aus Vertretern der dreiundachtzig Departements zusammengesetzt sein sollte; und als es sicher war, daß dieser Vorschlag abgelehnt würde, wollten die Girondisten, das Urteil sollte der Genehmigung der sechsunddreißigtausend Gemeinden und der Bürgerversammlungen durch namentlichen Aufruf jedes Bürgers unterbreitet werden. Das hieß, die Errungenschaften des 10. August und der Republik in Frage stellen.

Als die Unmöglichkeit, den Prozeß so auf die Schultern der Bürgerversammlungen abzuladen, erwiesen war, fingen die Girondisten, die selbst wütend zum Krieg gedrängt und denselben bis aufs Messer gegen ganz Europa verlangt hatten, an, von der Wirkung zu sprechen, die die Hinrichtung Ludwigs XVI. auf Europa machen müßte. Als ob England, Preußen, Österreich, Sardinien auf den Tod Ludwigs XVI. gewartet hätten, um ihre Koalition von 1792 zu schließen! Als ob die demokratische Republik ihnen nicht verhaßt genug gewesen wäre; als ob der Köder der großen Handelshäfen Frankreichs, seiner Kolonien und seiner östlichen Provinzen nicht genug gewesen wäre, um die Könige gegen Frankreich zu koalieren und sich den Augenblick zunutze zu machen, wo die Ausbildung einer neuen Gesellschaft seine Widerstandskraft nach außen schwächen konnte!

Als die Girondisten auch in diesem Punkt vom Berg geschlagen waren, machten sie eine Schwenkung und griffen den Berg selbst an, indem sie verlangten, man sollte ›die Urheber der Septembertage‹, worunter sie Danton, Marat und Robespierre, die ›Diktatoren‹, das ›Triumvirat‹ verstanden, in Anklagezustand versetzen.

Mitten in diesen Debatten hatte indessen der Konvent am 3. Dezember beschlossen, Ludwig XVI. selbst zu richten; aber kaum war das ausgesprochen, als von einem der Girondisten, Ducos, alles in Frage gestellt wurde und die Aufmerksamkeit des Konvents in eine andere Richtung gelenkt wurde. Er verlangte die Todesstrafe für ›jeden, der vorschlägt, die Könige oder das Königtum, unter welchem Namen auch immer, in Frankreich wiederherzustellen‹, und die Gironde warf damit auf die Mitglieder der Bergpartei einen Verdacht, der sagen sollte, diese wollten den Herzog von Orléans auf den Thron setzen. An die Stelle des Prozesses gegen Ludwig XVI. wollten sie so einen Prozeß gegen den Berg setzen.

Am 11. Dezember endlich erschien Ludwig XVI. vor dem Konvent. Man unterwarf ihn einem Verhör, und seine Antworten mußten auch noch die letzten Sympathien, die zu seinen Gunsten bestehen konnten, vernichten. Michelet fragt sich, wie es möglich war, daß ein Mensch so lügen konnte wie Ludwig. Und er kann sich diese Verlogenheit nur mit der Tatsache erklären, daß die ganze Tradition der französischen Könige und der Einfluß der Jesuiten, unter dem Ludwig XVI. gestanden hatte, ihn an den Glauben gewöhnt hatten, daß die Staatsräson einem König alles erlaubte.

Der Eindruck, den dieses Verhör machte, muß so schlecht gewesen sein, daß die Girondisten, die einsahen, daß es unmöglich war, Ludwig XVI. zu retten, eine neue Schwenkung machten und die Verbannung des Herzogs von Orléans verlangten. Der Konvent ließ sich sogar darauf ein und beschloß die Verbannung, aber er nahm seinen Beschluß am Tage darauf zurück, nachdem er im Jakobinerklub mißbilligt worden war.

Inzwischen ging der Prozeß seinen Gang weiter. Am 26. Dezember erschien Ludwig XVI. ein zweites Mal vor dem Konvent, begleitet von seinen Advokaten und Räten, Malesherbes, Tronchet und Desèze; man hörte seine Verteidigung, und es war kein Zweifel mehr, daß er verurteilt werden würde. Es war keine Möglichkeit mehr, seine Handlungen als eine irrige Auffassung oder einen leichtsinnigen Streich zu interpretieren. Es war bewußter und abscheulicher Verrat, wie Saint-Just am Tag darauf hervorhob.

Konnte sich indessen der Konvent und das Volk von Paris eine richtige Meinung über Ludwig XVI. bilden – über den Herrscher und den König –, so ist es begreiflich, daß das in den Städten und Dörfern der Provinz nicht so war. Und man kann sich denken, welche Leidenschaften entfesselt worden wären, wenn das Urteil den Bürgerversammlungen überlassen worden wäre. Die meisten Revolutionäre waren bei den Waffen, und so hätte man, wie Robespierre (am 28. Dezember) sagte, die Entscheidung ›den Reichen, den geborenen Freunden der Monarchie, den Egoisten, den Feigen und Schwachen‹ überlassen, ›allen hochmütigen und aristokratischen Bürgern, allen Menschen, die dazu geboren sind, unter einem König zu kriechen und zu bedrücken‹.

Man wird nie alle Intrigen entwirren, die in dem Augenblick in den Reihen der ›Staatsmänner‹ in Paris gesponnen wurden. Es genügt, zu sagen, daß Dumouriez am 1. Januar 1793 nach Paris gekommen war und daß er dort bis zum 26. blieb; er war mit heimlichen Verhandlungen mit den verschiedenen Fraktionen beschäftigt, während Danton bis zum 14. Januar bei der Armee Dumouriez' blieb.Jaurès hat hier einen wichtigen Irrtum Michelets behoben. Daunou hat am 14. Januar die Rede zugunsten des Königs gehalten, die Michelet aus Irrtum Danton zugeschrieben hat. Nach seiner Rückkehr nach Paris am 15. Januar hielt Danton im Gegenteil eine machtvolle Rede, in der er die Verurteilung Ludwigs XVI. verlangte. – Es wäre wichtig, den Beschuldigungen gegen Brissot, Gensonne, Guadet und Pétion auf den Grund zu gehen, die Billaud-Varenne in seiner Rede vom 15. Juli 1793 aussprach (Broschüre von 32 Seiten, auf Anordnung des Konvents veröffentlicht. Sammlung des Britischen Museums, Band F., 1097).

Endlich, am 14. Januar, beschloß der Konvent nach einer äußerst lärmenden Debatte, es sollte in namentlicher Abstimmung über die Fragen abgestimmt werden: ob Ludwig XVI. der ›Verschwörung gegen die Freiheit der Nation und des Attentats gegen die allgemeine Staatssicherheit‹ schuldig wäre; ob das Urteil der Sanktion des Volkes vorgelegt werden sollte, und was die Strafe sein sollte.

Die namentliche Abstimmung begann am Tag darauf, dem 15. Januar. Von 749 Mitgliedern des Konvents erklärten 716 Ludwig XVI. für schuldig (12 Mitglieder waren wegen Krankheit oder einer auswärtigen Mission abwesend und 5 enthielten sich der Abstimmung). Keiner sagte nein. Die Befragung des Volkes wurde mit 423 von 709 Abstimmenden verworfen. Paris war in dieser Zeit, hauptsächlich in den Faubourgs, in größter Erregung.

Die namentliche Abstimmung über die dritte Frage – die Art der Strafe – dauerte fünfundzwanzig Stunden hintereinander. Auch hier versuchte ein Abgeordneter, Mailhe, anscheinend unter dem Einfluß des spanischen Botschafters und vielleicht mit Hilfe seiner Piaster, Verwirrung zu stiften, indem er für einen Aufschub der Hinrichtung stimmte, und seinem Beispiel folgten 26 Mitglieder. Für die bedingungslose Todesstrafe sprachen sich 387 von 721 Stimmen aus (bei 5 Enthaltungen und 12 Abwesenden). Die Todesstrafe wurde also nur mit einer Mehrheit von 53 Stimmen beschlossen – mit nur 26 Stimmen, wenn man die Stimmen, die sich für den Aufschub aussprachen, abzieht. Und das in einem Augenblick, wo kein Zweifel daran war, daß der König Verrat geübt hatte und daß ihn am Leben lassen bedeutete, die Hälfte Frankreichs gegen die andere zu bewaffnen, einen großen Teil Frankreichs dem Ausland preiszugeben und schließlich die Revolution in dem Augenblick zum Stillstand zu bringen, wo sich nach drei Jahren der Qualen, in denen nichts Dauerndes geschehen war, die Gelegenheit bot, endlich an die großen Fragen zu gehen, die das Land leidenschaftlich bewegten.

Aber die Furcht des Bürgertums ging so weit, daß es für den Tag der Hinrichtung Ludwigs XVI. ein großes Blutbad erwartete.

Am 21. Januar 1793 starb Ludwig XVI. auf dem Schafott. Mit ihm starb das französische Königtum, und damit war eines der Haupthindernisse, das jeder sozialen Erneuerung der Republik im Wege stand, beseitigt. – Bis zum letzten Augenblick hatte, wie es scheint, Ludwig XVI. gehofft, durch einen Aufstand befreit zu werden, und ein Versuch, ihn auf dem Gang zum Schafott zu befreien, war in der Tat vorbereitet worden. Aber die Wachsamkeit der Kommune vereitelte ihn.


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