Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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46. Die Erhebung vom 31. Mai und 2. Juni

Noch einmal bereitete das Volk selbst, wie am 10. August, den Aufstand vor. Danton, Robespierre und Marat hatten in diesen Tagen häufige Beratungen; aber sie zögerten, und die Handelnden waren wiederum ›Unbekannte‹, die im bischöflichen Palast einen Aufstandsklub gründeten und dort zum Zweck des Aufstands eine Sechserkommission wählten.

Die Sektionen nahmen an den Vorbereitungen tätigen Anteil. Schon im März hatte sich die Sektion der Quatre Nations für aufständisch erklärt und ihren Überwachungsausschuß befugt, Haftbefehle gegen die Bürger zu erlassen, die wegen ihrer gegenrevolutionären Anschauungen verdächtig waren, und andere Sektionen (Mauconseil, Poissonière) hatten offen die Verhaftung der ›brissotistischen‹ Abgeordneten verlangt. Einen Monat darauf, am 8. und 9. April, hatten die Sektionen von Bonconseil und der Halle-aux-Blés nach Dumouriez' Verrat das Einschreiten gegen die Mitschuldigen des Generals gefordert, und am 14. April faßten, wie oben gesagt, fünfunddreißig Sektionen eine Liste von zweiundzwanzig Mitgliedern der Gironde ab, deren Austreibung aus dem Konvent sie verlangten. Schon Anfang April hatten die Sektionen den Versuch gemacht, sich ohne Rücksicht auf den vorhandenen Gemeinderat noch untereinander zusammenzuschließen, und am 2. April hatte die Sektion der Gravilliers, die immer vorausging, die Anregung zur Gründung eines ›Zentralausschusses‹ gegeben. Dieser Ausschuß trat nur zeitweilig in Aktion, aber als die Gefahr nahe war, begründete er sich (am 5. Mai) von neuem, und am 29. nahm er die Leitung der Bewegung in die Hand. Der Einfluß des Jakobinerklubs war von keiner großen Bedeutung. Sie gaben selbst zu, daß der Mittelpunkt des Vorgehens in den Sektionen ruhte. (Siehe z. B. Aulard, Jacobins. Bd. V, S. 209.)

Am 26. Mai belagerten ziemlich starke Volksansammlungen den Konvent. Bald drang ein Teil von ihnen in den Sitzungssaal ein und verlangte mit Unterstützung der Tribünen die Unterdrückung des Zwölferausschusses. Der Konvent widersetzte sich jedoch dem Ansinnen, und erst nach zwölf Uhr nachts war er mürbe geworden und gab endlich nach. Der Ausschuß wurde aufgelöst.

Dieses Zugeständnis war indessen nur vorübergehend. Schon am nächsten Tage, am 27., benutzten die Girondisten, denen die Ebene zur Seite stand, den Umstand, daß viele Mitglieder der Bergpartei in Mission abwesend waren, und stellten den Zwölferausschuß wieder her. Die Erhebung war also fehlgeschlagen.

Sie war daran gescheitert, daß zwischen den Revolutionären selber keine Einigkeit herrschte. Ein Teil der Sektionen, die unter dem Einfluß der sogenannten ›Enragés‹ standen, traten für ein Vorgehen ein, das den Schrecken in die Reihen der Gegenrevolutionäre getragen hätte. Sie wollten das Volk zur Erhebung bringen und mit seiner Hilfe die wichtigsten Girondisten umbringen. Es war sogar die Rede davon, in Paris die Aristokraten niederzumachen.

Dieser Plan aber stieß auf starken Widerstand. Die Nationalvertretung war ein Pfand, das dem Volk von Paris anvertraut war: wie konnte das Volk am Vertrauen Frankreichs Verrat üben? Danton, Robespierre und Marat leisteten entschlossenen Widerstand. Der Gemeinderat und der Maire Pache lehnten es ebenso wie der Departementsrat ab, diesen Plan anzunehmen, die Volksvereine unterstützten ihn auch nicht.

Und es war noch etwas zu beachten. Man mußte mit der Bourgeoisie rechnen, die zu der Zeit in Paris schon sehr stark war: die Bataillone ihrer Nationalgarden hätten den Aufstand zu Boden geschlagen, wenn es um die Verteidigung ihres Eigentums gegangen wäre. Man mußte ihnen dafür bürgen, daß man nicht daran rühren würde. Darum suchte bei den Jakobinern Hassenfratz, der erklärte, er hätte im Prinzip nichts gegen die Plünderung der ›Bösewichte‹ – so nannte er die Reichen –, trotzdem zu verhindern, daß der Aufstand mit Plünderung verbunden wäre. ›Es sind hier hundertsechzigtausend Menschen ansässig, die bewaffnet und imstande sind, die Diebe zurückzutreiben. Es ist klar, daß es eine völlige Unmöglichkeit ist, das Eigentum anzutasten‹, sagte Hassenfratz im Jakobinerklub; und er forderte alle Mitglieder dieser Gesellschaft auf, ›sich feierlich zu verpflichten, lieber zu sterben, als einen Angriff auf das Eigentum zu dulden‹.

Der nämliche Schwur wurde in der Nacht zum 31. in der Kommune und selbst im bischöflichen Palast von den ›Enragés‹ geleistet. Die Sektionen taten dasselbe.

Eine neue Klasse von bürgerlichen Besitzenden war in der Tat in diesem Zeitpunkt in Bildung begriffen – die Klasse, deren Zahl im Laufe des neunzehnten Jahrhunderts so außerordentlich gestiegen ist –, und die Revolutionäre sahen sich genötigt, sie zu schonen, um sie nicht gegen sich zu haben.

Am Tage vor einem Aufstande weiß man nie, ob die Masse des Volkes sich erheben wird oder nicht. Dieses Mal war auch noch zu fürchten, die extremen Elemente könnten sich dazu fortreißen lassen, die Girondisten im Konvent zu töten, wodurch Paris die Departements heftig gegen sich aufgebracht hätte. Drei Tage verstrichen so in Verhandlungen, bis darüber Einverständnis erzielt war, der Aufstand sollte von der Gesamtheit der revolutionären Kreise geleitet werden: dem Gemeinderat, dem Departementsrat und dem revolutionären Generalrat im bischöflichen Palast; es sollte keine Gewalttat gegen Personen begangen werden; das Eigentum sollte respektiert werden. Man wollte sich auf einen moralischen Zwang beschränken, auf eine Volkserhebung zum Zwecke des Druckes auf den Konvent, der gezwungen werden mußte, die Abgeordneten, die schuldig waren, dem Revolutionstribunal auszuliefern.

Diese Parole verkündete Marat, als er aus dem Konvent kam, am Abend des 30. im bischöflichen Palast und darauf in der Kommune. Um Mitternacht war er es, scheint es, der, ohne sich um das Gesetz zu kümmern, das jeden, der die Sturmglocke zog, mit der Todesstrafe bedrohte, als erster die Alarmglocke des Rathauses in Bewegung setzte.

Der Aufstand fing an. Abgesandte des bischöflichen Palastes, wo der Mittelpunkt der Bewegung war, setzten zuerst, wie es am 10. August geschehen war, den Maire und den Gemeinderat ab; aber sie setzten diesmal den Maire nicht in Arrest und ernannten keinen andern Gemeinderat, sondern setzten den einen und die andern wieder in ihr Amt ein, nachdem sie ihnen hatten schwören müssen, sich dem Aufstand anzuschließen. Ebenso machten sie es mit dem Departementsrat, und noch in der Nacht taten sich die Revolutionäre des Bischofspalastes, das Departement und die Kommune zu einem ›revolutionären Generalrat‹ zusammen, der die Leitung der Bewegung übernahm.

Dieser Rat ernannte einen Kommandanten eines Bataillons der Nationalgarde (des Bataillons der Sektion der Sans-Culottes), Hanriot, zum Oberbefehlshaber der Nationalgarde. Die Sturmglocke läutete, der Generalmarsch wurde geschlagen.

An diesem Aufstand fällt einem indessen die Unentschiedenheit auf.

Selbst nachdem um ein Uhr mittags die Alarmkanone, die auf dem Pont-Neuf stand, zu donnern angefangen hatte, schienen die bewaffneten Sektionsmitglieder, die auf die Straße gestiegen waren, keinen festen Plan zu haben. Zwei Bataillone, die zu den Girondisten hielten, waren als erste zum Konvent geeilt, und stellten sich den Tuilerien gegenüber auf. Hanriot schloß mit den achtundvierzig Kanonen der Sektionen die Nationalversammlung ein.

Die Stunden verstrichen, aber noch immer war nichts geschehen. Ganz Paris war in Bewegung, aber die Volksmasse kam nicht und übte keinen Druck auf den Konvent aus, so daß der Girondist Vergniaud, der sah, daß der Aufstand nicht vom Flecke kam, die Resolution durchbrachte, die Sektionen hätten sich um das Vaterland verdient gemacht. Er hoffte wahrscheinlich, damit ihre Feindschaft gegen die Gironde abzuschwächen. Der Tag schien verloren, als am Abend neue Volksmassen anlangten und den Sitzungssaal des Konvents überfluteten. Jetzt fühlte sich die Bergpartei stark genug, und Robespierre verlangte nicht nur die Unterdrückung des Zwölferausschusses und die Erhebung der Anklage gegen seine Mitglieder, sondern noch weiter die Anklage gegen die Hauptführer der Girondisten, die man die zweiundzwanzig nannte und die nicht zu dem Ausschuß gehörten.

Dieser Antrag wurde jedoch nicht diskutiert. Alles, was der Konvent zu tun beschloß, war, den Zwölferausschuß von neuem aufzulösen und dafür zu sorgen, daß seine Papiere dem Wohlfahrtsausschuß überliefert wurden, der binnen drei Tagen über sie Bericht erstatten sollte. Außerdem billigte der Konvent einen Beschluß der Kommune, wonach die Arbeiter, die bis zur Wiederherstellung der öffentlichen Ruhe in Waffen blieben, täglich vierzig Sous erhalten sollten – worauf die Kommune den Reichen eine Steuer auferlegte, um imstande zu sein, den Lohn für drei Tage Aufstand sofort auszuzahlen. Man beschloß, die Tribünen des Konvents sollten dem Volk geöffnet sein, ohne daß man sich vorher Eintrittskarten verschaffen mußte.

All das war recht wenig. Die Gironde war geblieben, sie hatte immer noch die Mehrheit – der Aufstand war fehlgeschlagen. Das Volk von Paris sah auch ein, daß noch nichts erreicht war, und begann eine neue Erhebung für den übernächsten Tag, den 2. Juni, vorzubereiten.

Das revolutionäre Komitee, das aus dem Generalrat der Kommune hervorgegangen war, ordnete die Verhaftung Rolands und seiner Frau an (da er fortgereist war, wurde sie allein verhaftet) und verlangte vom Konvent ohne Umschweife, er sollte siebenundzwanzig seiner girondistischen Mitglieder verhaften lassen. Am Abend ertönte wieder die Sturmglocke, und man hörte in bestimmten Zeitabständen die Schüsse der Alarmkanone.

Nunmehr, am 2. Juni, erhob sich ganz Paris, um dieses Mal reinen Tisch zu machen. Mehr als hunderttausend Bewaffnete belagerten den Konvent. Sie hatten 163 Geschütze bei sich. Sie verlangten, die Girondisten sollten entweder zurücktreten oder, wenn das nicht geschähe, müßten zweiundzwanzig von ihnen – später siebenundzwanzig – vom Konvent ausgestoßen werden.

Die furchtbaren Nachrichten, die aus Lyon eintrafen, verstärkten die Volkserhebung. Man erfuhr, daß sich am 23. Mai das ausgehungerte Volk von Lyon erhoben hatte, daß aber die Gegenrevolutionäre – die Royalisten, die von den Girondisten unterstützt wurden – die Oberhand gewonnen und die Ordnung wiederhergestellt hatten: achthundert Patrioten waren dabei umgebracht worden!

Das war leider nur zu wahr, und der Anteil der Girondisten an der Gegenrevolution in Lyon stand unzweifelhaft fest. Diese Nachricht versetzte das Volk in Wut, sie sprach der Gironde das Urteil. Das Volk, das den Konvent belagerte, erklärte, es würde so lange, als der Ausschluß der Girondistenführer nicht so oder so erklärt worden wäre, niemanden herauslassen.

Man weiß, daß der Konvent – wenigstens die Rechte, die Ebene, und selbst ein Teil des Berges – daraufhin erklärte, seine Beratungen wären nicht mehr frei, und fortzugehen versuchte: sie hofften, das Volk hinters Licht führen und sich einen Weg durch die Menge bahnen zu können. Daraufhin zog Hanriot den Säbel und gab das berühmte Kommando: ›Kanoniere, an eure Geschütze!‹

Der Konvent, der sich drei Tage gewehrt hatte, war jetzt gezwungen, sich dem Willen des Volkes zu bequemen. Er beschloß den Ausschluß von einunddreißig girondistischen Mitgliedern. Daraufhin überreichte dann eine Deputation des Volkes dem Konvent den folgenden Brief:

›Das gesamte Volk des Departements Paris entsendet uns an Sie, Bürger, Gesetzgeber, um Ihnen zu sagen, daß der Beschluß, den Sie jetzt eben gefaßt haben, die Rettung der Republik bedeutet; wir kommen, um uns Ihnen in der Zahl derer, deren Verhaftung die Nationalversammlung angeordnet hat, als Geiseln anzubieten und damit ihren Departements für ihre Sicherheit zu bürgen.‹

Und Marat hielt am 3. Juni im Jakobinerklub eine Ansprache, in der er die Bedeutung der Bewegung, die eben vor sich gegangen war, zusammenfaßte und das Recht des Wohlstandes für alle proklamierte.

»Wir haben einen großen Anstoß gegeben«, sagte er im Hinblick auf den Ausschluß der einunddreißig girondistischen Abgeordneten. »Die Aufgabe des Konvents ist es jetzt, die Grundlagen des öffentlichen Wohles zu sichern. Nichts leichter als dies: Sie müssen Ihr Glaubensbekenntnis aussprechen. Wir wollen, daß alle die Bürger, die man als Sansculotten bezeichnet, in den Genuß des Glückes und des Wohlstandes kommen. Wir wollen, daß dieser nützlichen Klasse von den Reichen nach Maßgabe ihrer Kräfte geholfen wird. Wir wollen das Eigentum nicht antasten. Aber welches Eigentum ist das geheiligteste? Das der Existenz! Wir wollen, daß man dieses Eigentum respektiere.

Wir wollen, daß alle Menschen, die weniger als 100 000 Franken Vermögen haben, daran interessiert werden, unser Werk zu behaupten. Wir werden die schreien lassen, die mehr als 100 000 Franken Rente (offenbar soll es statt ›Rente‹ ›Vermögen‹ heißen) haben . . . Wir wollen zu ihnen sagen: Gebet zu, daß wir die zahlreichsten sind, und wenn ihr uns nicht helfen wollt, jagen wir euch aus der Republik, nehmen euer Eigentum und verteilen es unter die Sansculotten.«

Und er fügte den weiteren Gedanken hinzu, der bald zur Ausführung gebracht werden sollte:

»Jakobiner«, sagte er, »ich habe Ihnen eine Wahrheit zu sagen: Sie kennen Ihre schlimmsten Feinde nicht; das sind die konstitutionellen Priester, sie schreien draußen auf dem Lande am meisten über die Anarchisten und die Unruhestifter, über den Dantonismus, den Robespierrismus, den Jakobinismus . . . Schmeicheln Sie den Irrtümern des Volkes nicht mehr; hauen Sie die Wurzeln des Aberglaubens ab! Sagen Sie offen, daß die Priester Ihre Feinde sind.«Aulard, Jacobins, Bd. V, S. 227.

In diesem Augenblick wollte Paris keineswegs den Tod der girondistischen Abgeordneten. Es wollte weiter nichts, als daß sie den revolutionären Konventsmitgliedern freie Bahn ließen, damit diese die Revolution fortführen konnten. Die verhafteten Abgeordneten wurden nicht ins Gefängnis gebracht: sie wurden in ihrer Wohnung bewacht. Man zahlte ihnen sogar die achtzehn Franken täglich weiter, die jedem Mitglied des Konvents bewilligt waren, und sie konnten in Begleitung eines Gendarmen, für dessen Verpflegung sie sorgen mußten, in Paris herumgehen.

Hätten sich diese Abgeordneten, getreu den Grundsätzen der antiken Bürgertugend, mit der sie sich so gern brüsteten, ins Privatleben zurückgezogen, so hätte man sie ohne Zweifel in Ruhe gelassen. Statt dessen aber beeilten sie sich, sich in die Departements zu begeben, um sie aufzuwiegeln. Sie sahen wohl: wenn sie die Departements gegen Paris zur Erhebung bringen wollten, mußten sie mit den Priestern und den Royalisten gegen die Revolution gemeinsame Sache machen; und sie verbündeten sich lieber mit den royalistischen Verrätern, als daß sie das Spiel verloren gaben. Sie gingen mit ihnen zusammen.

Dann, aber erst dann, im Juli 1793, stellte der gesäuberte Konvent diese Empörer außerhalb des Gesetzes.


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