Pjotr Alexejewitsch Kropotkin
Die Große Französische Revolution 1789-1793 – Band II
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin

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50. Die endgültige Abschaffung der Feudalrechte

Als das Königtum gestürzt war, mußte sich der Konvent schon in seinen ersten Sitzungen mit den Feudalrechten beschäftigen. Da sich aber die Girondisten der Abschaffung dieser Rechte ohne Ablösung widersetzten und da sie keine Form der Ablösung, die für den Grundherrn obligatorisch gewesen wäre, vorschlugen, blieb alles in der Schwebe, obwohl das für halb Frankreich die Hauptfrage war. Sollte der Bauer, wenn die revolutionäre Periode an ihrem Ende angelangt war, wieder unter das Feudaljoch zurückkehren und sollte er von neuem Hunger leiden?

Nachdem die girondistischen Führer aus dem Konvent ausgestoßen waren, beeilte sich der Konvent, wie wir oben sahen, das Dekret zu beschließen, das den Gemeinden ihre Gemeindeländereien zurückgab. Aber er zögerte noch, sich über die Feudalrechte auszusprechen, und erst am 17. Juli 1793 entschloß er sich endlich, den großen Streich zu führen, der die Revolution besiegelte, indem er sie in einem seiner beiden Hauptgegenstände legalisierte – der endgültigen Abschaffung der Feudalrechte.

Das Königtum hatte am 21. Januar 1793 aufgehört. Jetzt, am 17. Juli 1793, hörte das Gesetz in Frankreich auf, die Rechte des Feudalherrn, die leibeigene Abhängigkeit des Menschen von einem andern Menschen, anzuerkennen.

Das Dekret vom 17. Juli war durchaus schlüssig. Die Unterscheidungen, die die früheren Nationalversammlungen in der Hoffnung, einen Teil der Feudalrechte beibehalten zu können, zwischen verschiedenen Arten dieser Rechte gemacht hatten, wurden umgestoßen. Jedes Recht, das aus dem Feudalverhältnis hervorging, hörte ganz und gar und ohne Ausnahme auf.

›Alle ehemaligen grundherrlichen Leistungen, alle festen und bei besonderen Gelegenheiten erhobenen Feudallasten, auch die, die das Dekret vom 25. August v. J. bestätigte, werden ohne Entschädigung aufgehoben‹, sagt der Artikel 1 des Dekrets vom 17. Juli 1793. Es gibt nur eine Ausnahme: das sind die Zahlungen oder Leistungen auf Grund von reiner Pacht oder reinem Kauf des Bodens, die also keinerlei feudalen Charakter haben, die noch bleiben (Art. 2).

So ist also die Verschmelzung der Feudalrenten mit den Grundrenten, die 1789 und 1790 vorgenommen worden war, völlig abgeschafft. Wenn eine Rente oder irgendeine Verpflichtung feudalen Ursprung hat, gleichviel, welchen Namen sie führt, ist sie unwiderruflich und ohne Entschädigung abgeschafft. Das Gesetz vom Jahre 1790 bestimmte, daß jemand, wenn er ein Stück Land gepachtet hatte, unter der Bedingung, eine gewisse Jahrespacht zu zahlen, diese Pacht ablösen konnte, wenn er eine Summe zahlte, die den zwanzig- bis fünfundzwanzigfachen Betrag der Jahrespacht ausmachte. Aber, hatte das Gesetz hinzugefügt, wenn außer dieser Bodenpacht der Eigentümer früher irgendeine Abgabe von feudalem Charakter erhoben hatte – zum Beispiel einen Tribut, der von Verkäufen oder Erbschaften zu zahlen war, irgendeine Lehensgebühr oder ein Feudalzins, der eine persönliche Verpflichtung des Pächters gegen den Eigentümer vorstellte (zum Beispiel die Verpflichtung, die Mühle oder Kelter des Grundherrn zu benutzen, oder eine Beschränkung im Recht, die Erzeugnisse zu verkaufen, oder einen Tribut von den Erzeugnissen), oder wenn es nur ein Tribut war, der im Augenblick der Aufhebung des Pachtverhältnisses oder im Fall, daß das Land den Eigentümer wechselte, bezahlt wurde –, so mußte der Pächter diese Feudalverpflichtung zugleich mit der Bodenpacht ablösen.

Jetzt aber führt der Konvent einen wahrhaft revolutionären Schlag. Er will von diesen Spitzfindigkeiten nichts wissen. Trägt ein Pächter eines Landes eine Verpflichtung feudalen Charakters, dann wird sie, wie sie auch immer heißen mag, ohne Entschädigung aufgehoben. Oder ein Pächter zahlt dem Eigentümer eine Bodenpacht, die an sich nichts Feudales an sich hat. Aber außer dieser Pacht hat der Eigentümer ihm einen Lehnszins, irgend so eine Feudallast auferlegt? So wird er Eigentümer dieses Grundstücks, ohne dem früheren Grundherrn etwas schuldig zu sein.

Aber, wird der Eigentümer sagen wollen, das war eine unbedeutende Verpflichtung, es war nur eine Ehrenleistung. Um so schlimmer, wird ihm geantwortet. Du wolltest jedenfalls aus deinem Pächter einen Vasallen machen – jetzt aber ist er frei, im Besitz des Landes, an das die Feudalverpflichtung geknüpft war, und ist dir nichts mehr schuldig. Einfache Bürgersleute, wie Sagnac sagt (S. 147), ›haben ebenfalls, entweder aus Eitelkeit oder unter dem Zwang des Brauches, diese Formen, die jetzt geächtet werden, angewandt, haben in ihre Pachtverträge mäßige Gülten oder niedrige Abgaben für Kauf und Verkauf aufgenommen‹ – sie haben lediglich ›den Herrn spielen wollen‹.

Um so schlimmer für sie. Der Bergkonvent fragt sie nicht, ob sie den Herrn spielen oder sich zum Herrn machen wollten. Er weiß, daß alle Feudalabgaben im Anfang mäßig und niedrig gewesen sind und mit der Zeit sehr drückend wurden. Dieser Vertrag trägt den Flecken des Feudalismus wie alle, die jahrhundertelang den Bauer leibeigen gemacht haben; er sieht auf ihm den Stempel der Hörigkeit und gibt die Erde dem Bauern, der das Grundstück gepachtet hatte, ohne irgendeine Entschädigung von ihm zu verlangen.

Noch mehr. Er ordnet an (Art. 6), daß ›alle Urkunden, in denen Rechte, die jetzt aufgehoben sind, anerkannt sind, verbrannt werden sollen‹. Grundherren, Notare, Kommissare, die die Verzeichnisse der Pachtgüter und Zinsleute geführt, alle sollen sie binnen drei Monaten all diese Urkunden, all diese Patente, die die Gewalt einer Klasse über eine andere verbriefen, in die Kanzlei ihrer Gemeindeverwaltung einliefern. Das alles soll zu einem Haufen gelegt und verbrannt werden. Was die aufständischen Bauern im Jahre 1789 auf die Gefahr hin, aufgehängt zu werden, getan haben, das soll jetzt auf Grund des Gesetzes geschehen. ›Fünf Jahre Zuchthaus werden jedem angedroht, der die Originalurkunden oder Ausfertigungen dieser Akten in Verwahrung hat und überführt ist, sie versteckt, entfernt oder verheimlicht zu haben.‹ Viele dieser Akten stellen das Eigentumsrecht des Staates über diese Feudalbesitzungen fest, denn der Staat hatte ehemals seine Leibeigenen und später seine Vasallen gehabt. Tut nichts! Das Feudalrecht muß verschwinden und wird verschwinden. Was die Konstituierende Versammlung für die feudalen Titel getan hatte – Fürst, Graf, Marquis –, das tut der Konvent jetzt für die pekuniären Rechte des Feudalismus.

Ein halbes Jahr später, am 8. Pluviôse des Jahres II (27. Januar 1794), erklärte sich der Konvent angesichts zahlreicher Beschwerden hauptsächlich von Seiten der Notare, die in denselben Büchern, oft auf denselben Seiten die reinen Grundverpflichtungen und die Feudalabgaben eingeschrieben hatten, damit einverstanden, dieser Wirkung des Artikels abzuhelfen: die Gemeindeverwaltungen durften solche gemischten Urkunden in ihren Registraturen aufbewahren. Aber das Gesetz vom 17. Juli blieb unverändert in Kraft, und noch einmal bestätigte der Konvent am 29. Floréal des Jahres II (18. Mai 1794), daß alle Zinsen, ›die mit dem geringsten Kennzeichen des Feudalismus behaftet‹ waren ohne Entschädigung aufgehoben waren.

Besonders bemerkenswert ist, daß die Reaktion nicht imstande war, die Wirkung dieser revolutionären Maßnahme aufzuheben. Es ist klar, daß, wie wir schon einmal gesagt haben, ein weiter Weg ist von dem geschriebenen Gesetz bis zu seiner Verwirklichung an Ort und Stelle. Wo sich die Bauern nicht gegen ihre Herren erhoben hatten, wo sie, wie sie es in der Vendée taten, unter der Führung eben dieser Herren und der Priester gegen die Sansculotten zogen; wo ihre Dorfgemeindeverwaltungen in der Hand der Priester und Reichen blieben – da wurden die Dekrete vom 11. Juni und vom 17. Juli nicht durchgeführt. Die Bauern bekamen den Besitz ihrer Gemeindeländereien nicht wieder. Sie nahmen nicht von den Ländereien Besitz, die sie von ihren früheren Feudalherren in Pacht hatten. Sie verbrannten die Feudalurkunden nicht. Sie kauften nicht einmal die Nationalgüter, aus Furcht, von der Kirche verflucht zu werden.

Aber in der guten Hälfte Frankreichs kauften die Bauern die Nationalgüter. Da und dort übernahmen sie sie in kleinen Parzellen. Sie ergriffen Besitz von den Ländereien, die sie von ihren früheren Feudalherren abgepachtet hatten, pflanzten Maibäume und zündeten mit all den feudalen Papieren Freudenfeuer an. Sie nahmen den Mönchen, den reichen Bürgern und den adligen Grundherren die Gemeindeländer ab. Und in diesen Gegenden hatte die Rückkehr der Reaktion keinerlei Einfluß auf die wirtschaftliche Revolution, die vollzogen war.

Die Reaktion kehrte am 9. Thermidor zurück, und mit ihr kam der blaue Schrecken der reichen Bourgeoisie. Später kamen das Direktorium, das Konsulat, das Kaiserreich, die Restauration, und sie fegten die meisten demokratischen Einrichtungen der Revolution wieder hinaus. Aber dieser Teil des Werks, das die Revolution vollzogen hatte, blieb: er widerstand allen Stürmen. Die Reaktion konnte bis zu einem gewissen Grade die politische Arbeit der Revolution zerstören; aber seine wirtschaftliche Arbeit blieb am Leben. Und es blieb auch die neue umgewandelte Nation, die sich während des revolutionären Kampfes gebildet hatte.

Und noch etwas. Wenn man die wirtschaftlichen Ergebnisse der großen Revolution erforscht, so wie sie sich in Frankreich vollzogen hat, versteht man den außerordentlichen Unterschied zwischen der Abschaffung des Feudalismus, die auf bureaukratischem Wege vom Feudalstaat selbst vorgenommen wurde (in Preußen nach 1848 oder in Rußland 1861), und der Abschaffung, die eine Volksrevolution vornahm. In Preußen und in Rußland sind die Bauern nur unter der Bedingung von den feudalen Abgaben und Fronden befreit worden, daß sie einen beträchtlichen Teil der Ländereien, die sie besessen hatten, verloren und daß sie eine drückende Ablösung akzeptierten, die sie zugrunde gerichtet hat. Sie haben sich arm gemacht, um ein freies Eigentum zu bekommen; die Herren dagegen, die zuerst von der Reform nichts hatten wissen wollen, haben aus ihr (wenigstens in den fruchtbaren Gegenden) einen unverhofften Gewinn gezogen. Fast überall in Europa hat die Reform die Macht der Adelsherren vermehrt.

Nur in Frankreich, wo die Abschaffung des Feudalismus auf revolutionärem Wege vor sich gegangen war, wandte sich die Neugestaltung gegen die Herren als wirtschaftliche und politische Kaste und zum Vorteil der großen Masse der Bauern.


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