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Die schwarze Hand. An der ersten Treppenstufe steht, von vielen Tritten schon verwischt, das Kreidezeichen, seltsame Runen und Symbole eines Geheimbundes, der über das Haus die Acht verhängt hat. Hinter den Mauern im Stiegenhaus rasselt und zischt und wischt es. Geister, die unter dem Stein ihren Spuk treiben. Die Speichertüre schlägt in den Angeln hin und her wie ein gespenstischer großer Flügel, und an der Wand lehnt die schwarze Leiter des Kaminkehrers, der da oben sein Reich aufgeschlagen hat. Die Frau verwitwete Geheimsekretär Wambsgibl kraxelt empört die Stiege hinauf, denn da oben im Speicher hängen ihre Paradekissen. Das ging ihr grad noch ab! Und sie rettet die kostbaren Stücke eilends vor dem Zugriff der schwarzen Hand. Als sie an der Leiter vorbeikommt, legt sie schnell drei Fingerspitzen an eine Sprosse. Das bedeutet Glück.
»... Gel, Sie glaab'n aa dro'«, sagt die Rosi, das Doktorkocherl vom zweiten Stock, das der Frau Geheimsekretär oben begegnet. »I' hab aa grad unser' Wasch' im Speicher vor dene g'schert'n Kaminkehrerklacheln derrett'! – So oft i' a' Loater steh' siech, g'lang i's o'!« – Die scharfen geschwinden Mannsaugen der Frau Geheimsekretär gehen an der Rosi auf und nieder und bleiben an einem schwarzen Rußfleck auf Rosis Nasenspitze haften.
Sie sagt spitzig: »Aberglaub'n hin – Aberglaub'n her. Die ein' langa d'Leiter an, und de andern an Kaminkehrer ... Da, an der Nasenspitz'n ham S' Eahna voll Ruß g'macht, Fräul'n Rosi!« Und die Frau Geheimsekretär steigt mit ihren Paradekissen unterm Arm majestätisch, ernst und sittenstreng zu Tal wie Moses mit den Gesetzestafeln.
Die Frau Geheimsekretär ist das Hausauge. Sie verbringt keine kleine Zeit des Tages hinter dem runden Guckerl, und was immer an Geräuschen im Stiegenhaus laut wird, das ruft sie auf Posten. Dann geht lautlos das Deckelchen hinter der Tür seitwärts, und aus dem runden Glasauge pirschen sich die Blicke hinaus. Gasmann und Monteur, Hausierer und Bettler, Zettelverteiler und Briefträger, Zeitungsfrau und Köchin – wer immer vorüberkommt, wird länger oder kürzer »bestrahlt«. Manchmal öffnet sich der Türspalt. Pst! Pst! Die Frau Geheimsekretär lotst den Telegraphenboten heran. Sie muß es wissen, zu wem der will, auch der Geldbriefträger soll Rechenschaft geben über Wohin und Wieviel, und der Bettelmann bekommt sogar einen Zweiring, wenn er sagt, was für eine Suppe sie ihm bei Biglmaiers gegeben haben. Erbsen! Aha! Da kriegt der arme Mann mittags wieder nur Wiener Würstl! So eine kann ja kein Rindfleisch sieden!
Aber jetzt – horch! Oben werden Schritte laut! »Die Person« kommt herunter. Das ist für die Frau Geheimsekretär am Guckerl ein Affekt wie für den Weidmann das Auftauchen eines Achtzehnenders. »Die Person« ist für das Guckerl der Blick- und Angelpunkt im Stiegenhaus. Noch weiß man fast nichts von »der Person«. Sie ist alleinstehend, geschieden, elegant – die Männer, diese geschmacklosen Burschen, finden sie hübsch. – Sie soll studieren. – Schauspielerin soll sie auch gewesen sein ...
Ah! Da ist sie. – Das Auge hinterm Guckerl zielt scharf. Wieder ein neues Pelzkostüm! Woher »die Person« nur das Geld dazu hat? Die Zugehfrau, die Bachl, muß es doch noch rausbringen, was »die Person« von ihrem armen geschiedenen Mann bekommt. Gestern ist sie um neun Uhr weg und erst nachmittags um vier Uhr heimgekommen. Und Rosen hat sie dann dabeigehabt. Die – und Medizin studieren? Von so einer Person ließe sich die Frau Wambsgibl nicht einmal in den Hals schauen ... Jetzt ist sie schon die Treppe hinunter. Die Frau Geheimsekretär öffnet die Tür zu einem schmalen Spalt und schnuppert ins Treppenhaus. Natürlich wieder ein ganz ausg'schamtes Parfüm! So eine Person weiß ja, auf was die Männer fliegen. Nur fest eintröpfeln! – Eine Schand' ist's, in so einem soliden Haus ... Die Frau Geheimsekretär wird heut nachmittag um vier Uhr wieder auf Posten sein. – Das Glasauge in der Tür schließt sich für drei Minuten, nur so lang, bis Makkaroni im Tiegel umgewendet sind. – Dann ist das Stiegenhaus wieder von seinem Horchposten besetzt.
Kinder haben in der Schul' ein Stückchen Kreide mitgehen lassen. Jetzt steht unten im Flur, quer über die Wand geschrieben: »Der Biglmaier Schorsch ist ein Af. Ich Eßel muß ales leßen.« Auch Manndl und Häuseln sind daneben gemalt. – Die Hausmeisterin hat den Schlodererbuben stark im Verdacht. Denselben, der immer übers Geländer rutscht, der im Hausgang Raketen und Frösche abbrennt und den Kitt von den neueingeglasten Fenstern kratzt.
»Derwischen wenn i'n halt a'mal tua, den Saubuam, seine Pratz'n schlag' i eahm weg. – So oaner bringt oan no' unter d'Erd'n! Aber waar ja a Wunder, wenn von so a'ra Bagasch was G'scheid's kemmat ...«
Die Frau Schloderer hat das harte Wort »Bagasch« durch einen der hundert Ratsch- und Tratschkanäle des Hauses angeschwemmt erhalten. Deshalb findet auf dem dritten Treppenabsatz ein Meinungsaustausch statt: Schloderer kontra Hausmeister.
»... Eahner geb'n ma no' lang koa Bagasch ab, Sie ordinäre Hausmoasterlarva! – Schaug'n S' nur auf Eahna Anni auf, über de fallt ma auf d' Nacht im Hausgang nüber, wenn s' mit dem ihrigen in der Eck rumpussiert. – Mei Maxi tuat koaner Fliag'n was o' ...«
»... Den siech i no a'mol, Eahnern Maxi, mit dem könna S' no was erleb'n, daß der auf Numero Sicher aufg'hob'n is. A solches G'schwerl im Haus g'hörat ...«
»Sepp! Sepp! Kumm raus! G'schwerl sagt der Schlamp'n zu uns ...«
Ganz leise geht bei Frau Geheimsekretär Wambsgibl die Tür in den Angeln, und das linke Ohr richtet sich feinschmeckerisch eine Treppe aufwärts.
Der Zettelverteiler im dünnen Sommerüberzieher hält in klammen, blaugefrorenen Fingern sein Paket Reklamebögen. Treppauf, treppab, von Briefkasten zu Briefkasten legt er den Hausfrauen die Empfehlung des Waschmittels. Da in der Fensternische sitzt ein alter Bettler und löffelt dicke Brocken aus der dampfenden Suppe heraus.
Die Augen des Zettelverteilers gehen für eine Sekunde hinter den Brillengläsern verlangend nach dem vollen Teller. – Vorbei. Er, der stud. phil., der sich von Tag zu Tag sein Leben und Studium erkämpfen muß, darf nicht daran denken, in einer Fensternische im Stiegenhaus ... Nicht daran denken ...
Am Abend, wenn das Tor geschlossen ist, das Stiegenhaus im Dunkel liegt, stehen groß und gruselig die Schatten der Fensterkreuze an den Wänden, da knacken Dielen und ächzt die Wasserleitung. – Der Heimkehrer drückt auf den Knopf, der Licht machen soll, aber vergeblich; denn von selbst richtet sich eine kaputte Treppenhauslichtleitung nie wieder ein. Wunder geschehen nicht mehr.
So tastet sich Fräulein Lina, ein ängstliches Mädchen vom vierten Stock, am Geländer empor. Sie kommt aus dem Kino und muß nun alles Vergnügen an Micky-Maus und alle Spannung an Marlene Dietrich mit schrecklichem Herzklopfen bezahlen. Sie strebt knieschnacklig durch die Finsternis. – Räuber können da in den Türnischen verborgen sein, die es sowohl auf ihr Handtäschchen wie auf ihre Unschuld abgesehen haben, Geister treten vielleicht aus der Wand heraus und fangen an zu spuken ... Knacks ... da ist jemand oben ...!
Und oben hält zitternd der Herr Aktuar Hingerl seinen Maßkrug umspannt. Er war grad auf dem Weg, sich noch eine Halbe aus der Wirtschaft zu holen. – Wer weiß, wer sich da unten im Dunkeln herumtreibt.
Am Guckerl der Frau Geheimsekretär aber rührt sich der Deckel. – Sie hält Ausschau nach »der Person« ...