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Vor der Fütterung

Ein Tiergarten-Bilderbogen

Die Frau mit dem Kirschenhut wirft dem Löwen durchs Gitter unter zärtlich lockendem BßBßBß... Nußkerne zu. Ihr Mann mit der kalten Virginia im Mundwinkel schaut erst verächtlich auf ihr Treiben und sagt dann: »Deine Nuß' werd er fress'n, der Löb! Da hat er g'wart' drauf. Kunnt'st eahm glei' an Kartoffisalat 'neischmeiß'n ...«

Sie: Warum? Fress'n de Bär'n doch aa Nuß! De Bär'n san doch grad solchane Raubtiere.

Er: Ja, weil s' net hoakli san. S' san richtige Säu, de Bär'n. De fress'n alles. Aber so a Löb, der rührat dir koa G'müas o, eher gang er drauf.

Sie: Is scho wirkli a königliches Tier, so a Löb. Schaug nur grad des Auge o, wia er oan o'schaugt ... Als wenn er's kennat ...

Er: Was sollt' er denn kenna? Der denkt si' höchstens: Mei' Ruah möcht' i ham!

Sie (mit leiser Anklage): San net alle so, daß all'weil eahna Ruah ham möcht'n.

Er: Geht eahm nix ab. Hat sein Auslauf, sei' Fress'n – – a Löbin is a da ...

Sie: Aber de Freiheit, gel, da sagst nix. De geht halt so an Viecherl mehr ab wia alles andere. Wenn ma uns a so ei'sperrat ...?

Er: Is ma o'g'hängt g'nua ...

Sie: Mach nur du Sprüch! Wenn ma dir dein Stammtisch in Käfig stellat, nachher merkast gar nix vom Ei'sperr'n. So a Löb hat a größere Sehnsucht wia Tarock spuin. Der möcht in d' Natuhr, in Urwald möcht er ...

Er: Geh, red' dir net so schwer. Weil si' der scho was aus der Natuhr macht. Und im Urwald g'hört er gar net 'nei, wennst was verstehst, der is in der Wüste zuaständig.

Sie: ... Aber a Sehnsucht hat er doch ... Schaug nur, wia er all'weil auf und ab lafft!

Er: ... Weil er aufs Fress'n wart'.

Ein kleiner Knabe: Gel', Mami, wia da Bappi lafft er auf und ab der Löb, wenns Ess'n net ferti is!

Eine Mami (verweisend): Tua schö' brav sei', Franzi, und red' net so dappat daher.

Der Franzi: A Supp'n braucht er aber net ess'n, der Löb?

Die Mami: Geh, du Kasperl, wia werd denn a Löb a Supp'n ess'n!

Der Franzi: Ja, weilst all'weil sagst, daß ma sunst net groß und stark werd. Is ja der Löb aa groß und stark ...

Die Mami: Jetzt bist amal staad. Schaug nur, wia er ans Gitter hupft. Und des G'schroa ...

Ein Herr (mit einem Zwicker an der Leine): Das, liebe Frau, ist kein Geschrei, der Löwe schreit nicht, er brüllt ...

Die Mami: Is ma aa recht. Sag'n halt Sie nachher Brüll'n für des G'schroa.

Eine ältere Dame (zum Wärter): Hören Sie mal, lieber Mann, halten denn die Gitter auch wirklich fest? Sperren Sie auch gewissenhaft ab ...? Das wär' ja schrecklich, wenn so ein Raubtier aus Versehen plötzlich ausbrechen würde ...

Der Herr (mit dem Zwicker): Der Löwe, meine Dame, würde in diesem Falle vermutlich keine Gefahr bedeuten. Es ist anzunehmen, daß er – menschenscheu, wie er ist – flüchten würde. Ein Löwe, der noch kein Menschenfleisch kennt, geht uns aus dem Weg ...

Der Herr mit der Virginia: ... Ja, des wissen halt Sie – ob's aber der Löb aa woaß ...?

Die Frau mit dem Kirschenhut: Mein Gott, tean de Viecher greisli! Ja, gibt's denn so was aa! Da verstehst ja dei eig'ns Wort nimmer. De führe si' ja wia de Wuid'n auf ...

Er: Hab i dir ja glei g'sagt, daß dir de auf deine Nuß was pfeif'n. Siehgst as, da bringa s' scho Brotzeit. An jed'n an solch'n Schlanz'n Fleisch. –

Sie: ... Angst waar mir, wenn i des in ara Woch zwinga müaßt ...

Er: Im Landauer Hof war a amal oaner, da ham s' g'wett', daß er vier Pfund Filet auf oan Sitz abidruckt ... A halb's Pfünderl is überblieb'n.

Sie: Is ja net möglich, daß oa Löb a so a Trumm Fleisch dakraht ...

Der Herr (mit dem Zwicker): Raubtiere haben wie alle Fleischfresser einen kurzen Darm. Sie können unbeschadet ihrer Gesundheit unglaubliche Mengen ...

Die ältere Dame: Glauben Sie nicht, daß dieses schreckliche rohe Fleisch den Tieren doch schadet. Ich glaube, daß es besser verdaulich wäre, wenn man's ganz leicht anbraten ließ. Meine Munzi, wissen Sie, das war eine wunderbare Angorakatz, die hat rohes Fleisch überhaupt nicht angerührt. Herr Wärter, ist denn das Fleisch wirklich ganz roh? Könnten Sie nicht mal ihrem Direktor sagen, daß ich mit meiner Angorakatze die besten Erfahrungen mit gekochtem ...

Der Herr (mit dem Zwicker): Der menschliche Organismus allerdings sträubt sich heute gegen rohes Fleisch. Ob indes für unseren Darm Fleisch überhaupt ...

(Die ältere Dame, als sie das Wort »Darm« an sich gerichtet hört, dreht dem Herrn entrüstet den Rücken.)

Der Mann mit der Virginia: Da san S' aber schiaf g'wickelt, Herr Nachbar, wenn S' moana, as Fleisch waar nix für de menschlichen Därme. Schaug'n Sie's nur o, de Vegetarianer ... Jetzt gibt's sogar oa, de genga auf d' Wies'n und fress'n de Pflanzln von der Erd'n raus ... Da wer'n s' was derleb'n mit eahnerne Gedärme ...

Die Frau mit dem Kirschenhut (betrachtet mit großen Augen, aus denen Grauen und Bewunderung spricht, wie der Löwe sein Rippenstück zerknackt und zerfetzt): A solcher Wuidling! Naa, de Zähn wenn i hätt! – Alisl, was moanst, daß der Dokter Vordermaier für a Goldkrona verlangt, wenn i de alte drauf gib? ...

Die Mami (mit dem Franzi): Schaug nur, Franzi, wia's eahm schmeckt, dem Löb'n!

Der Franzi: Macht eahm des nix.

Die Mami: Was soll's eahm denn macha?

Der Franzi: Ja, weilst all weil sagst, beim Ess'n muaß ma si Zeit lass'n, sunst waxst oam a Stoa im Bauch ...

Die Mami: Naa, so a dummer Bua! Mit dir kann ma scho wohi geh ...

Der Herr (mit dem Zwicker): Gut gekaut, ist halb verdaut, mein Junge! Und jung gewohnt, ist alt getan!

(Die Mami nimmt ihren Franzi mit mißtrauischem Seitenblick zu sich.)

Der Mann mit der Virginia (wohlwollend): Im Ess'n laßt si' neambd gern was dreired'n. – Kumm, Amali, genga ma no nüber zu de Nilpferd. I siechs bei dera Hitz gern, wenn s' a so unters Wasser genga. Macht oan aa an so schöna Durscht!

Amali, die Frau mit dem Kirschenhut, betrachtet noch immer den Löwen, wie er genießerisch Fleischsaft und Blut vom Boden leckt. Sie lockt zärtlich Bßbßbß und wirft ihm einen Nußkern durchs Gitter ...


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