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Schatten aus einem alten Adreßbuch

Ein altes Münchner Adreßbuch liegt da. Fast siebzig Jahre hat es auf dem nun brüchig gewordenen Rücken, und von denen, die in dem Buch rubriziert sind, tut keinem mehr ein Zahn weh. Münchner Geschlechternamen, noch heute bekannt und vertraut aus dem Handel und Wandel der Stadt, aus Gewerbe und Handwerk, finden sich darin. Die Maler Spitzweg, Schwind, Schleich, Piloty – stehen da in ihrer bürgerlichen Eigenschaft als Einwohner verzeichnet, ohne Lorbeerkranz und kunstgeschichtlichen Hermelin, als Nachbarn, Steuerzahler, Hausinwohner.

Hinter dem Namen finden sich Berufsbezeichnungen längst verschollener Gewerbe, mittelalterliche Wörter, barocke und biedermeierliche Standesbezeichnungen, wie ein Ausschnitt aus der Welt des genialen Malerdichters Pocci, aus den ersten Jahren der »Fliegenden«. Da gibt's noch »Skribenten und Germsieder, Küchelbäcker, Beinringler, Sporer, Tuchscherer, Melber, Salzstößler, Pfeifenschneider, Rosogliobrenner«. Da trifft man auf einen »Zimmerfrotteur« und auf einen »Kornmesser«, auf den »Vorstadtkrämer«, einen »Linieranstalts-Besitzer«. Da ist auch verzeichnet der

»Literat und Stenograph«.

Wir sehen ihn, wie er aus spitzwegisch-romantischer Dachkammer im Fingergaßl die enge Stiege herunterstakelt. Der »Literat« als Beruf mag damals in einer bürgerlich-bäuerlich-handwerklichen Stadt schon ein leises Rüchlein vom »Gottseibeiuns« an sich getragen haben.

»Ein Mensch, Frau Nachbarin, der sich davon nährt, daß er Versin macht und so Schreiberei halt! Ja, gibt's denn dös aa!? Da ham s' nix G'scheids derlebt, dem sei' Familli. San so brave, ordentliche Leut!«

Aber vielleicht war dieser Herr Literat ein Rei'g'schmeckter, ein Zuag'roaster. Nehmen wir es zugunsten der braven Stadt an, die keine entarteten Söhne schätzt. (Wie weit weg noch vom Dichterpreis!)

Aber der Herr Literat trug das lockenumwallte Haupt hoch und strich mit königlich-lässiger Gebärde die Gulden und Kreuzer ein, wenn er zu silbernen Hochzeiten ein herrliches Carmen über Eheglück fliegen ließ, der Demoiselle Hinterbachler zur Verlobung ein leuchtendes Bukett aus Versen band und um das Geschäftsjubiläum des Hafnermeisters Gogl einen Kranz rauschender Hexameter schlang. Um einen Kronen-Taler ritten alle olympischen Ganz- und Halbjungfrauen, Götter, Helden, Genien und Himmelsknaben in die Arena für eine Festrede des Herrn bürgerlichen Magistratsrats Daglhofer, und um zwanzig Kreuzer bekam man bei einem Begräbnisvers schon eine gut eingeschenkte, schäumende Maß aus Lethe und Tränen ausgehändigt. Unser Literat hielt noch was auf das ehrsame Handwerk seines Berufs, er wußte nichts von Richtungen und Ismen und lieferte eine handfeste, prompte Gebrauchsdichtung, die, fein säuberlich vom »Calligraphen« auf Pergament geschrieben, neben dem Brautkranz, dem Wachsstock und der Geburtstagstasse im »Glaskasten« aufbewahrt wurde. So prominent ist heute kein Dichter, daß ihm dies widerfährt.

Aber sicher hat unser »Literat und Stenograph« so ganz für sich seine Römerdramen in der Schublade liegen gehabt, im Dachkammerl am Fingergaßl, vielleicht ein ganz großes, aufrührerisches Werk gegen seine Zeit oder eine Philosophie, die an jahrtausendalten Säulen rüttelte.

Daß er noch »Stenograph« dazu war, gibt ihm kleines bürgerliches Relief. Wiewohl die Stenographie Anno dazumal auch halbwegs so ein bißchen wie schwarze Magie eingeschätzt wurde. Mehr als Geheimschrift, denn als Verkehrsmittel. Das gemache Tempo dieser Zeit hatte die Eilschrift noch nicht so nötig. Man kam den Ereignissen, Gedanken und Mitteilungen immer noch leicht mit sanft verschnörkelten Kurial-Buchstaben nach. Eile mit Weile. – So war unser Literat und Stenograph seinen Tagen doch erheblich voraus, und wenn er im grünlich schillernden Schoßrock und breiten Kalabreserhut in seinem Bierkrügl den Abendtrunk im Franziskaner holte, so ging von dem hageren, edelgelockten und Cavaliere-umflatterten Dichter doch ein Wehen wie aus einer anderen Welt über die kreuzbraven Gevatter, die da zu ihrem Dämmerschoppen strebten.

Da steht im alten Adreßbuch auch eine

»Ministrantensgattin«.

Ministrant, das ist für uns heute ein Büberl, das in der Kirche seine Dienste verrichtet. Damals war anscheinend der »Ministrant« erheblich reifer und würdiger als heute, denn er nannte sogar eine Gattin sein eigen. Diese Ministrantensgattin hatte wohl ein scharfes Auge auf die weiblichen Kirchengängerinnen, und es entging ihr bei allem frommen, auferbaulichen Lebenswandel sicher nie, wenn die Küchelbäckerin eine neue Krinoline, die Frau Melberin einen neuen Federhut beim Hochamt trug. Daß sie über die sittlichen und religiösen Bewertungen der Pfarrkinder vielleicht besser im Bilde war als der milde Pfarrherr, ist anzunehmen. Auch mag sie eine strengere Richterin gewesen sein. Niemand konnte natürlich so wie sie die Kirchenwäsche waschen und ausbessern, und kein Ministrant ging so sauber und strahlend gewandet zu seinem Dienst als ihr Josef oder Beni. – Wenn er nur nicht immer den fff Landshuter Brasil geschnupft hätte – die Frau Ministrantengattin hätte einen fast engelreinen Ministranten als Ehegespons gehabt.

»Die Wachsbildnerin«,

auch nicht weit von der Kirche weg, war wohl ein gar kunstfertiges, altes Fräulein, das Wachsstöcke, Heiligenfiguren, Krippenmandl mit feinfühligen Fingern formte und kleidete. Um Advent und Dreikönig war ihre beste Zeit, und aus ihrer Stube wanderten Hunderte Christkindl, Josefe, Hirten und Könige in die Krippen der Bürgerhäuser. Kunstgewerbeschule hat sie keine besucht. Aber vielleicht hat sie ihre Arbeit bei den frommen Schwestern am Anger gelernt, immer ein braves, aufmerksames Kind. Warum sie nicht geheiratet hat? Vielleicht ist sie hinter den Schwestern gestanden, ein bißchen dürftig, schwächlich, unscheinbar, nicht so hübsch, zutunlich und munter wie die andern. Nicht geeignet zur führigen Hausfrau. Da ist all ihre heimliche Sehnsucht, ihre Liebe zum Schönen auf ihre Wachsengel und Christkindin übergegangen und brannte in dämmerdunklen Kirchen aus Lichtern und Wachsstöcken von ihrer Hand.

»Der herrschaftliche Mundkoch«

sah dich damals mit keinem Auge an, wenn du, Staubgeborener, aus der Gast- und Tafernwirtschaft tratest. Er ging, Bauch und Brust gewölbt, so richtig herrschaftlich durch die Dienerstraße, noch im Vollgefühl einer kunstvoll gelungenen Pastete, einer tragant verzierten herrlichen Torte, eines gefüllten Indians. Er kannte Grafen und Fürsten und wußte um ihr Gelüsten, Herzoginnen und Prinzen hat er seine »Schmankerl« aufgetischt. Ein welterfahrener Herr, der zu Paris und Wien, zu Straßburg und Prag die letzten Geheimnisse der Kochkunst erfahren, mit den hohen Herrschaften gereist ist, ein Mann, den sie respektierten, ein Umworbener, denn gleich nach der Liebe geht die Hochachtung durch den Magen. Er hätt' erzählen können. Sterbliches von Unsterblichen, denen er zu Suppen und Sößchen geraten, Menschliches und Allzumenschliches aus hohen Häusern; denn in den Küchen war immer die Nachrichtenbörse über den Salon. In dem glattrasierten, runden, glänzenden Gesicht sind die Äuglein tief und schlau über den Backen eingebettet, die Nasenspitze sagt, daß der herrschaftliche Mundkoch sich immer gut mit dem herrschaftlichen Mundschenk vertragen hat.

Er muß mitleidig lächeln, wenn ihn die Kuchldüfte von handfesten Schweins- und Kalbshaxn aus dem Flur des Bräuhauses anwacheln. Aber trotzdem lenkt er seine Schritte in ein stilles Seitengaßl, drückt die Krempe seines Zylinders tiefer in die Stirn und steuert auf den »Gasthof zur schwarzen Gans« zu, auf das kleine dunkle Beißl, denn da gibt's am Donnerstag die besten Leber- und Blutwurst. Und das ist für den herrschaftlichen Mundkoch, trotz Indian und Pasteten, trotz Paris, Prag, Straßburg und Wien, das Leib-Schmankerl. Vor dem beugt er den stolzen, kernigen, herrschaftlichen Mundkoch-Nacken.

Vor sonst nichts.


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