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Der Tag, an dem man als kleiner Bub zum ersten Male das Geheimnis der Uhr begriff, sie »lesen« konnte, ist ein Markstein im Leben. Von da ab begann eigentlich das Rechnen mit der Zeit, begann – genau genommen – das Älterwerden. Und wenn der Firmling an dem Tag, da er die ersten Schritte in die Männlichkeit tut, als Symbol der Reife eine Uhr erhält, so liegt hinter diesem Firmgeschenk über die Erinnerungsgabe hinaus ein tieferer Sinn. Ins Leben des Kindes kommt die Zeit. Und hört nicht mehr auf mit ihrem unheimlichen Ticktack. Zeitlosigkeit ist auch ein Paradies, das das Kind verlassen muß, um dafür in das rationalisierte und rationierte Leben der Erwachsenen zu gleiten.
Dem Firmling freilich ist das Geschenk der Zeit noch sehr genußreich. Er kümmert sich im ganzen Leben nie mehr so oft und so genießerisch darum, was die Stunde geschlagen hat, als an seinem Firmungstag. Der Firmpate trägt den Geschenk-Chronometer fürsorglich in der Gehrocktasche und überreicht ihn nach Herabsendung des Geistes feierlich seinem Patenkind. Des Firmlings Hochgefühl zu schildern, wenn ihn jemand nach der Zeit fragt, vermag keine Feder. Nie mehr wird ihm im späteren Leben das Glück, bedeutend, wichtig, notwendig zu sein, in solchem Maße beschert. Kein Minister nach feierlicher Amtseinführung, kein Feldherr nach dem Sieg kann es mit einem Firmling aufnehmen, der die Uhr zieht. Das ist schlichte Größe – Weihe des Augenblicks.
Nicht wenig Männer tragen auch späterhin ihre Firmungsuhr. Man hängt an ihr als an dem letzten, beständigsten Stück aus Kindheitstagen. Alles an uns hat gewechselt, hat sich gewendet. Die Physiologen sagen, daß innerhalb von sieben Jahren sogar unsere körperliche Substanz immer wieder anders geworden ist. Gar nicht zu reden von Anzügen, Stiefeln, Hüten, aus denen wir herauswachsen, von Meinungen, Leidenschaften, Weltanschauungen, die verbraucht worden sind. Nichts ist mehr an uns, was vor zwanzig, dreißig Jahren war. Geblieben ist die Firmungsuhr. Wie es so eine kleine Zwiebel schafft, mitzukommen, ist staunenswert. Und wenn wir hundertmal aufgeklärt, kalt und praktisch geworden sind, von Zeit zu Zeit macht jeder Mann ganz heimlich wieder einmal das Gehäuse seiner Firmungsuhr auf und schaut sich wie als Zehnjähriger das Räderwerk an. Aus reiner Lust am Wunderbaren. Nicht ohne Grund sind Uhrmacher meistens versonnene, grüblerische Naturen, Gehilfen eines großen unendlichen Geistes, berufen, aus der Ewigkeit den Tag und die Stunde zu bannen. Das silberne Gehäuse unserer Kinderuhr ist abgegriffen, Wappen und Ornament auf dem Rückendeckel sind verschabt und verebnet, auf der Innenseite sind einige Daten eingekratzt. Die waren gewiß einmal von größter Bedeutung: der erste Berg – der erste Kuß – ein glücklicher Tag.
Freundlicher Ausgleich in der Menschennatur, daß man nur das Angenehme in der Erinnerung hält. Unsere Firmungsuhr hat ein Zifferblatt mit Vergißmeinnicht. Das galt »damals« als sehr schön und sinnig. Heute lächeln ganz vornehme Leute über diese Uhr, wenn sie uns dabei entdecken. Mögen sie lächeln über die altbackene Vergißmeinnichtzwiebel. Sie ist das Vergißmeinnicht der schönen Kindheit.